Streitschrift

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Walther

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Streitschrift


Was würd ich gern von einer Welt berichten,
Und sie wär gut und schön und voller Frieden.
Wie gern hätt ich das Schreiben hier vermieden
Von Mord und Tod und anderen Geschichten!

Doch muss man nicht das Eisen kräftig schmieden,
Solang es glüht? Das Schweigen würd mitnichten
Verbessern. Haben Dichter nicht die Pflichten
Der Wahrheit und der Warnung? Ist beschieden

Den Wissenden zur Mahnung nicht die Klage?
So schreib ich zur Erbauung nicht, zur Freude;
So forme ich zur Streitschrift, was ich sage,

Und schnell, damit ich keine Zeit vergeude:
Wer Hass und Krieg in seinem Handeln trage,
Der fahr zur Höll und sei des Teufels Beute.
 

jon

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Teammitglied
Ist es Absicht, dass ich am Ende ein Gefühl von … nein „Ekel“ ist zu groß … "Naserümpfen" hatte?
Der Text klingt nicht nach "Ich verurteile Kriegstreiber" sondern nach "Ach übrigens: Ich verurteile Kriegstreiber. So. Und was muss ich noch auf der Liste , Wie werde ich ein guter Künstler?‘ abhaken?"
Das macht mir einen Kloß im Magen, denn obwohl die "Abhak-Strategie" wirklich eklig ist, weiß ich nicht, ob man sie so formulieren soll, weil sie so („irgendein Künstler" ist so viel wie "jeder Künstler") formuliert irgendwie klingt, als sei jedwede Äußerung dieser Art (, "gegen Krieg und Gewalt" aber auch jedes "soziale Engagement", das ja inzwischen auch in nahezu inflationärer Weise "dazugehört") nur Show.
 

Walther

Mitglied
Moin Jon,

es ist ein Ekel, daß offensichtlich auf viele Fragen die Antwort "Krieg" ist, es ist in der Tat abgedroschen, was wir in der Regel in unserer Hilflosigkeit dagegen anschreiben. Tun wir es noch, weil wir es wollen oder weil wir bereits wollen müssen? Ist es nur das berühmte Feigenblatt, um das Weglaufen vor der eigenen Verantwortung zu kaschieren, das abgestumpfte Wegschauen und Weghören, das einen angesichts der Kriegsbilder überkommt?

Aus dem Zweifel, der hellen Verzweiflung, es dennoch tun zu sollen, ja aus innerem Antrieb mit einem Paukenschlag sich zu bekennen, davon handelt dieses Gedicht. Aus dem Lamentieren darüber, daß es nichts Gutes zu berichten gibt, erfolgt die Diskussion über den Auftrag dessen, der Worte schöpft: die Einmischung. Aus der Notwendigkeit der Einmischung erfolgt die Selbstvergewisserung, aus der Vergewisserung das Panier:

Wer Hass und Krieg in seinem Handeln trage,
Der fahr zur Höll und sei des Teufels Beute.
Das Sonett ist das Gedicht für diese Art von Bewältigung der Lebenswirklichkeit. Es ist als diskursives Lehrgedicht entstanden. So ist dieses Gedicht fast klassisch. Es richtet sich an den Dichter ebenso wie den Leser.

Die Enjambements verschaffen dem Text Zug um Zug "Speed", die zweite Strophe und der Übergang zur dritten sind fast auseinanderfliegende Klammern um den Zorn und diem Wut über den Krieg und unsere zunehmende Wortlosigkeit, seine Schrecken, sein Elend zu beschreiben, die menschlichen Abgründe auszumessen.

Am Ende sagt der Dichter, was zu sagen ist. Schnell und klar. Und unmißverständlich.

Ich weiß zwar nicht, wie Du zu dieser Einschätzung, die Du geäußert hast, kommst und wie ich dieses Gedicht verbessern sollte. Das mag und wird wohl daran liegen, daß ich eben doch nicht rübergebracht habe, was ich rüberbringen wollte. So ist das, wenn dichtende Dillettanten sich an raumgreifender Literatur versuchen. Manches Mal geraten die auf die Weite angesetzten Sprünge eben doch etwas kurz, und das bereits im Ansatz, und dann ist eben alles verloren.

Liebe Grüße

W.
 

jon

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Teammitglied
Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht genau, wie dieser Eindruck entstand.

Vielleicht, weil es alles so "glatt", so "wie geschmiert", so „routiniert“ daherkommt. Bewusst wurde es mir in der Zeile "Und schnell, damit ich keine Zeit vergeude:". Die kann man als "Es ist dringend!" lesen oder als "Rasch, ich hab noch anderes zu tun". Warum ich den Klang nach zweiterem nicht los werden … ?

Der Klang …

Es ist – glaube ich – nicht der Inhalt, der Semantische Teil des Textes, der den Eindruck erzeugt, hier bediene einer schnell noch eine Erwartung, es ist wohl die Überformung durch den "gefälligen" Klang. Das einzige, was "hakt", wo man sich als Leser festhaken kann, sind die kräftigen Ausdrücke (um es nicht gleich Kraftausdrücke zu nennen) in den letzten beiden Zeilen – aber man ist so "geschmeidig rangerutscht" an diese Zeilen, dass man glatt „drüber hinwegflutscht“.

Es ist eine Sache, dass diese Form der Dichtung (das Sonett) "dafür gemacht ist", sowas zu be/verarbreiten. Literaturwissenschaftliche Theorie. Ein andere Sache ist, ob es praktisch funktioniert. In der Wirkung auf mich funktioniert es nicht, weil ich durch die "altmodische Form" (Verzeih! ;) ) zu sehr vom Heute weggerückt werde und als Laie das Wissen um's Sonett nicht "mitlese".
 

Walther

Mitglied
Hallo Jon,

in der Tat rufe ich gerne alte Gedichtformen wie das Sonett ins öffentliche Gedächtnis. Es ist in Sizilien zur Zeit des Kaiser Friedrich II entstanden.

Es ist wesentlicher Teil des Dichterhandwerks, bei der Verwendung solcher Formen den Eindruck zu erwecken, der Text selbst sei „leicht“. Man soll die Mühen der Kunst und der Herstellung dem Werk nicht anmerken.

Der Trick ist, daß früher die Leser Gedichte rezitiert haben. Dieses den Text sich selbst laut Vortragen erschließt wie das Spielen eines Theaterstücks als solches weitere Ebenen, die im Text angelegt sind. Heute mag das Deklamieren lächerlich erscheinen.

Die im Text angelegten Widerhaken kommen aber erst bei näherer Betrachtung ans Licht. Und so ist die deutliche Sprache der letzten beiden Verse nicht nur das Augreifen der Shakespeare’schen „Moral von der Geschicht“ des letzten Verspaars. Es ist ein absichtsvoll kontrapunktiert gesetzter Ausruf der Wut und des Zorns, der als Konsequenz aus dem Diskurs zum Thema „Wie soll der Dichter das Thema Haß und Krieg aufarbeiten und steht er dazu nicht in der Pflicht“ entsteht: laut, schnell und eindeutig nämlich.

Das führt mitten in eine ganz andere Dimension der Kritik, die in Deinen Beiträgen angelegt ist: die Form und der Inhalt sowie ihr Zusammenspiel. Zum Einen verdient es festgehalten zu werden, daß hinter Deiner kritischen Anmerkung ein Kompliment verborgen ist.

Vielleicht, weil es alles so "glatt", so "wie geschmiert", so „routiniert“ daherkommt.
Zur Beherrschung der Form gehört Routine, damit ein Text in dieser Form mit einem fünfhebigen Jambus geschmeidig (= „geschmiert“) klingt, da muß der Schreiberling sein Kopfwerk schon „können“; damit sind wir bei der Definition von Sprach“kunst“ = Sprach“können“ angekommen. Glatt? Da verweise ich - s.o. - auf das laut sich selbst Vorlesen. Die Enjambements sorgen dafür, daß in der Kunstfertigkeit des Textes die Widerhaken greifen, die muß man aber „hören“. Sie gehen über Vers und der zweite sogar auch über die Strophe hinweg.

Und dann zum Anderen die letzten beiden Verse: Ja, ist es denn nicht in der Tat so, dass alle Krieger und Hassprediger in die Hölle gehören? Der Aufruf setzt ein Ausrufezeichen. Nicht lange überlegen und herummachen. Keine Zeit vergeuden. Eine Streitschrift schreiben. Nur noch Streitschriften!

Den Sprachhammer also auspacken und sie, die Antithesen, ganz altertümlich, zur Hölle wünschen. Denn da gehören sie hin, die ohne Not Kriege anzetteln und den Haß zur Leitschnur erklären, Handlungsweisen, Gefühle und Zustände, aus denen nichts kommt als Vernichtung, Zerstörung, Schmerz und Elend. Und die das Schlimmste aus dem Menschen hervorkehren, das er zu sein vermag.

Abendgruß W.
 



 
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