Strohfeuer

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ENachtigall

Mitglied
Strohfeuer



Da waren die hölzernen Riesen
mit Knospen zum Bersten grün
die schwankten wie gefangen
im Sog der Flut des Flammenmeeres

Wer - wenn nicht sie - sah den Widersacher
des Märzbauern Strohfeuer stiften
es brannte in den Wiederkäuern die schwarze Angst
aus aufgerissenen Augen

Es brannte ein Ton der Routine
in der Stimme des Sprechers der Tagesthemen
eine Kriechspur von Rauch
auf die Zungen der Menschen

Es schrieen die jungen Pferde die Nacht zu Fall
nach Rache Gott und Gnade
dröhnte die Kirchturmuhr Schlag acht
um ihr Leben liefen kreuz und quer Katz und Maus

Da waren benachbarte Fensterrahmen
voll von Gesichtern
die brannten von Faszination
vor der Furcht

Da war ein armseliger Feigling
mit hölzernem Herzen
das kurz knackte vor Kälte
es brannte nicht mehr




© elkENachtigall
 

Joh

Mitglied
Hallo ENachtigall,

die Spannung der Situation, das Grauen und die Sensationslust ist in deinem zu spüren, gefallen haben mir zum Beispiel die Zeilen mit den Wiederkäuern.

Jedoch die Strophe mit den Nachrichten unterbricht die Spannung. Du reißt mich damit aus der Situation heraus, die ja noch im Aufbau ist. Ich würde die Strophe als Vorletzte nehmen, damit wird dann das Gedicht rund und abgeschlossen. In der letzten Strophe frage ich mich, wie ein hölzernes Herz nicht mehr brennen kann, ich verstehe zwar, daß Du damit die abflauenden Gefühle des Brandstifters ausdrücken willst, aber das Bild ist mir ein bißchen zu "hölzern". Trotz der kleinen Stolpersteine hat mich Dein Gedicht angesprochen.

ein Gruß an Dich, Johanna
 

ENachtigall

Mitglied
Liebe Johanna,

ein herzliches Willkommen zunächst im Forum und ein großes Dankeschön für Dein Interesse an meinem Gedicht!

Nun zu den von Dir angesprochenen Punkten, auf die ich gerne erklärend eingehe:

Jedoch die Strophe mit den Nachrichten unterbricht die Spannung. Du reißt mich damit aus der Situation heraus, die ja noch im Aufbau ist. Ich würde die Strophe als Vorletzte nehmen, damit wird dann das Gedicht rund und abgeschlossen. In der letzten Strophe frage ich mich, wie ein hölzernes Herz nicht mehr brennen kann,
Deinen Vorschlag habe ich gedanklich umgesetzt. Dabei ist mir aber schnell klar geworden (und dafür danke ich Dir besonders!), warum das Gedicht so für mich nicht mehr "funktionieren" würde.


Ich glaube, es soll eine Szene zeigen, wie von einer Handkamera gedreht; eine Art lyrische Amateurdokumentation.

Eine Fernaufnahme von den schwankenden Bäumen zunächst. Dann die (verbale) Vorwegnahme des Tatverdachts (Brandstiftung), womit ja schon ein Teil der Spannung verwischt wird. Dann ein plötzliches Eintauchen in die vorgestellte (noch stumme) Angstwelt des Viehs, welches ja viel eher wahrnimmt als der abgelenkte Mensch.

Die Situation mit den Nachrichten finde ich dennoch spannend - wenn auch aus einer ganz anderen Perspektive; nämlich weil die tagesthematischen Bedrohungen televisonär aufbereitet hier mit der hautnahen schwer bezwingbaren Gefahr aufeinander prallen und die Menschen, die sich zur Entspannung in die Polster gesetzt haben nach einem anstrengenden Tag, eiskalt erwischen.

Deshalb ist dieses für mich der richtige Zeitpunkt. Durch das Schreien der Pferde wird die Bedrohung laut und dringt mit unbändiger Gewissheit zu den Betroffenen durch.

Rund wird es (meiner Intention und meinem Empfinden) nach durch das Schließen des Kreises mit dem "hölzern". Im Wortsinn hölzern sind zunächst die Bäume. Ein hölzernes Herz meint eine Unfähigkeit, sich sozial und emotional einbinden zu können in eine Gemeinschaft. Vielleicht ist es die fehlende mitmenschliche Wärme, die hier zwanghaft gezündet und von außen betrachtet werden muss. "es brennt nicht mehr" meint auch: das gelegte Feuer ist ausgegangen. Sowohl außen wie innen ("das kurz knackte vor Kälte").

Übrigens trägt der Begriff "Strohfeuer" heute auch schwerer an seiner übertragenen Bedeutung als an seinem Wortsinn. Das werden manche Leser an ihrer Erwartungshaltung erkannt haben können.

Die Geschädigten haben übrigens - neben ungezählten anderen - das eklatante Problem, den Verlust des Strohs zu kompensieren.

______________________________________________________________
Persönliche Rechnung:

Dieses Strohfeuer brannte hier in unserer Nachbarschaft. Wir waren drei der Gesichter in Fensterrahmen. Es sind vier Brände in sieben Tagen. Plus eine abgesprengte Hand zu Weihnachten und ein Einbruch zu Sylvester macht sechs Monate bis wir umziehen.

So ausschweifend wollte ich gar nicht werden.

Beste Grüße von Elke
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo elke,

wahrlich wortgewaltig. schließe mich lapismont an.

grüße
nofrank
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Ralf, und nofrank,

danke, für die tolle Resonanz!

Das Feuer ist eben urgewaltig. - Heute saß ich nichtsahnend beim Friseur und hörte den Mann neben mir von dem Geruch des nassen verbrannten Holzes und dem desolaten Anblick der schwarzen Trümmer vor der Haustür leise reden im Geklapper der flinken Scheren.

Das war tatsächlich der mir bislang persönlich nicht bekannte "Märzbauer". Echt ungelogen. Manche Themen entwickeln eine Eigendynamik ...

Beeindruckte Grüße von Elke
 

Eve

Mitglied
Hallo Elke,

auch mir gefällt dein Gedicht ... gerade wegen der klaren, starken Worte. "Wortgewaltiges Gemälde" trifft es daher auch für mich perfekt. Tolle Bilder ...

Viele Grüße,
Eve
 
H

Hakan Tezkan

Gast
Hallo ENachtigall,

da schossen mir beim Lesen so viele Gedanken durch den Kopf, da schwirrten derart viele Bilder vor meinem Auge, dass ich unbedingt meine Sicht niederschreiben wollte.
Doch dann las ich deinen Kommentar und war sprachlos.
Nicht, weil ich etwas vollkommen anderes unter deinem Gedicht verstanden hatte, sondern weil es mir einfach die Worte regelrecht geklaut hat.
So verbleibe ich bloß nickend, und mich vor deiner Wortgewalt verbeugend.
Ich wünsche mir mehr davon!
Und nächstes Mal will ich interpretieren dürfen;)

Liebe Grüße,
Hakan
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Eve und Hakan,

auch Euch ein großes Danke für die Zustimmung!

Hakan, Du hattest bereits als Haki die gleiche Bewertung abgeben (jetzt: unbekannt 10433). Das hast Du vermutlich nicht mehr in Erinnerung.

Da ich es nicht rechtmäßig finde, zweimal so eine hohe Wertung von einer Person "einzuheimsen", möchte ich Zeder bitten, eine der beiden rückgängig zu machen.

Lap, ich glaube, er hat keine lyrische Ader.

Wochenendlich Sonnenschein! Gehabt Euch wohl. Grüße von Elke.
 
H

Hakan Tezkan

Gast
Hallo ENachtigall,

tatsächlich. Ich vergaß...
Ach, mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es mit 16 einmal war...
Tut mir leid. Ich stimme der Bitte von ENachtigall zu.

Liebe Grüße,
Hakan
 

Inu

Mitglied
Strohfeuer

Da waren die hölzernen Riesen
mit Knospen zum Bersten grün
die schwankten wie gefangen
im Sog der Flut des Flammenmeeres

Wer - wenn nicht sie - sah den Widersacher
des Märzbauern Strohfeuer stiften
es brannte in den Wiederkäuern die schwarze Angst
aus aufgerissenen Augen

Es brannte ein Ton der Routine
in der Stimme des Sprechers der Tagesthemen
eine Kriechspur von Rauch
auf die Zungen der Menschen

Es schrieen die jungen Pferde die Nacht zu Fall
nach Rache Gott und Gnade
dröhnte die Kirchturmuhr Schlag acht
um ihr Leben liefen kreuz und quer Katz und Maus

Da waren benachbarte Fensterrahmen
voll von Gesichtern
die brannten von Faszination
vor der Furcht

Da war ein armseliger Feigling
mit hölzernem Herzen
das kurz knackte vor Kälte
es brannte nicht mehr

Hallo ENachtigall

Als ich das las und die ‚gewaltige‘ Sprache wahrnahm‚ wollte ich gerade anfangen, zu rätseln, was für große Erkenntnisse Du mir da offenbarst. Da dämmerte mir plötzlich unter all den bemühten Formulierungen die simple Wahrheit:
Also: da zündet ein Mensch vorsätzlich dem anderen den Hof an. Die Feuersbrunst gerät außer Kontrolle. Bäume und Stalltiere sterben in den Flammen. So ähnlich habe ich es zumindest verstanden. Und vielleicht ist da ja gar nichts zusätzlich dunkel Raunendes, sondern es geht einfach nur darum.

Also... das Gedicht scheint mir im Ganzen um ein paar Nuancen zu ( gewollt ) pathetisch. Kommt mir stellenweise sogar so sonderbar vor, als handele es sich um eine Übersetzung aus einer anderen Sprache ins Deutsche.


die hölzernen Riesen ... für mich ein komischer Ausdruck für Bäume
..... Da waren die hölzernen Riesen - [blue]Bäume sind sehr lebendig, sind nie hölzern ... das passt einfach nicht[/blue]
mit Knospen zum Bersten grün
die schwankten wie gefangen
im Sog der Flut des Flammenmeeres

im Sog der Flut des Flammenmeeres ....das hört sich ungeschickt an.

Auch nicht sehr poetisch:
[blue]Es brannte ein Ton der Routine
in der Stimme des Sprechers der Tagesthemen[/blue]
Na klar:Denk mal, wie dieses 'kleine' Ereignis unter den wirklich grässlichen (Massenmord und Attentate), die jeden Tag aus aller Welt eintreffen untergeht und keinen Menschen mehr wirklich interessiert!

Aber das allein ist es nicht, was ich kritisiere. Das Werk wirkt für mich irgendwie aufgebauscht und übertrieben. Ich finde es- ganz im Gegensatz zu all den Hochbewertern - mit vielen Schwächen behaftet.

LG
Inu
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Inu,

danke auch für Deine ehrliche kritische Meinung!

Eines hast Du missverstanden oder ich habe es missverständlich rübergebracht: der Brand wurde wahrgenommen während man den Tagesthemen lauschte. Es ist nicht so, dass der Sprecher davon berichtet.

Deine Kritikpunkte, was die Art der Darstellung betrifft, haben natürlich ihre Berechtigung; das ist bewußt gewollt dramatisch und mag daher auf manche Leser überzogen wirken.

Die "hölzernen Riesen": da sehe ich allerdings nicht, was daran unlebendig wäre.

Eine Botschaft müssen Gedichte nicht haben. Sie dürfen auch verdichtete Geschichten/Betrachtungen/Visionen oder vieles mehr sein.

Liebe Grüße

Elke
 

Inu

Mitglied
Hallo ENachtigall

Das ist mir jetzt peinlich. Ich wollte da keinen Lacher hineinbringen, dazu gibt es ja keinen Anlass.
Na klar:Denk mal, wie dieses 'kleine' Ereignis unter den wirklich grässlichen (Massenmord und Attentate), die jeden Tag aus aller Welt eintreffen, untergeht und keinen Menschen mehr wirklich interessiert!

Es sollte natürlich heißen: Na klar: Denk mal ... hab nur den Abstand zwischen : und D vergessen. Was so eine Kleinigkeit
auslösen kann!
Ansonsten versteh ich das Anliegen Deines Gedichtes schon, aber finde das Ganze halt leider um einen Hauch zu gesucht und pathetisch. Geschmackssache eben.

Liebe Grüße
Inu
 

Perry

Mitglied
Hallo Elke,
ein bildhaftes Feuer der Emotionen hast du hier entfacht. Besonders gut gefällt mir der Titel in seiner Doppeldeutigkeit, dass selbst solche örtliche Katastrophen viel zu schnell wieder in Vergessenheit geraten. Als Anregung würde ich vielleicht dem Motiv des Brandstifters noch etwas mehr Raum geben, denn darin liegt ja das eigentlich Unverständliche. Gern gelesen!
LG
Manfred
 

ENachtigall

Mitglied
Motiv

Als Anregung würde ich vielleicht dem Motiv des Brandstifters noch etwas mehr Raum geben, denn darin liegt ja das eigentlich Unverständliche.
Danke, Manfred, für Deinen Kommentar!

Ich glaube, das würde den hier gewählten Rahmen sprengen. Das wäre meines Erachtens aber ein spannendes Thema für eine Kurzprosa, geschrieben aus der Perspektive des Täters.

Liebe Grüße

Elke
 



 
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