Stücke

muskl

Mitglied
Stücke


Er beugte sich über sein Stück, um es zu betrachten. Eine tiefe Befriedigung überkam ihn dabei, die Freude über geleistete Arbeit und über die rationale kalte Schönheit des Materials. Er musste an die Urgewalten denken, die diesem Stück die immer einzigartige Maserung mitgegeben haben. Was musste es für eine Macht sein, diesem Material die Maserung zu geben, wobei es immer wieder eine neue Form gab. Das war nicht nur der Wille die Maserung zu schaffen, auch die Kraft sie zu pressen, die Kreativität in immer neuen Mustern auszudrücken und sich dann für eine Endgültigkeit von Millionen Jahren zu entscheiden.

Sein Stück hatte Millionen Jahre gewartet um von ihm bearbeitet zu werden. Dessen war er sich bewusst, so war er von Beginn an mit der nötigen Achtung und Sorgfalt an das Stück gegangen. Er musste mit der Maserung arbeiten und nicht ihr entgegen, ansonsten würde er die Schönheit und die Einzigartigkeit zerstören.

Um dem Stück seine Eigenheiten zu bewahren, waren Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme nötig. Eine zu harte Hand brachte das widerstrebende im Stück hervor, es konnte brechen oder splittern, schnell war ein nicht mehr gutzumachender Schaden entstanden. Es bestand zwar die Möglichkeit, diesen Schaden mit großer Geduld wieder auszubessern, aber die gewachsene Schönheit war beschädigt und ließ sich nie wieder ganz herstellen.

Auch wenn er das wusste, war er nicht gegen Fehler gewappnet die immer mal passieren konnten. Er konnte unaufmerksam sein, unkonzentriert, nachlässig oder einfach Frustriert. Die ganze Gefühlswelt wirkte auf seine Arbeit ein, er war ein Mensch. Auch das Material wusste, dass er ein Mensch war und nahm ihm kleine Schnitzer nicht übel, es nahm sie dann ihn ihre Maserung auf, was das Stück interessanter machte.
Wenn er aber mit Wut schlug, ziellos, nur um seinen Ärger am Stück loszuwerden, zog es sich zurück und verschloss sich der Bearbeitung Es wurde hart und widerspenstig, was noch mehr Gewalt herausforderte. Ein möglicher tödlicher Kreislauf begann, wenn er nicht unterbrochen werden konnte, lag für das Stück ein Ende in Trümmern nah. Dann war es nicht mehr möglich das Stück in seiner Originalität wieder herzustellen, sicherlich konnte man noch etwas mit den Trümmern anfangen, aber die Schönheit der Maserung war endgültig zerstört.

Er musste bei diesen Gedanken an seine eigene Maserung denken, sie war kurz davor gewesen in Trümmer zu gehen. Seine Maserung hatte zwar grobe Schnitzer, war aber noch als solche zu erkennen. Die Arbeit an seiner Maserung war nicht einfach, aber auch nicht so schwer, dass man nicht ein leidlich gutes Stück daraus machen konnte. Der ihn geformt hatte, fehlte vermutlich die Sensibilität für die Maserung, die Einsicht das sie da schon war und er sie nicht mehr zu pressen brauchte. Eine harte Hand würde das Stück schon formen, mit dem Glauben ging er wohl an die Arbeit und übersah die Einzigartigkeit und die Möglichkeit zur liebevollen Gestaltung.

Nicht das er nicht wusste das die Möglichkeit da war, er hatte es selbst so erfahren und konnte den Mut nicht aufbringen, es mal auf eine Art zu versuchen. Seine gesamte Erfahrung sprach dagegen, er war selbst hart geformt worden. Auch wenn ihm nicht gefiel wie er bearbeitet worden war, machte er es ebenso. Die Fehlschläge die ihn getroffen hatten, gab er weiter. Er hatte Angst davor weniger hart zu schlagen, vielleicht würde ihm die Maserung nicht gefallen, oder anderen würde sie nicht gefallen und er müsste dann Vorwürfe über seine Nachgiebigkeit in Kauf nehmen.

Das wäre für ihn eine Schwäche gewesen und mit Schwäche konnte er nicht bestehen, immer Härte und der gerade Weg führten zum Ergebnis. Das ein Umweg manchmal schneller zum Ziel führt, oder zumindest für einen zufriedenen Weg sorgt, darüber hatte er sich lieber keine Gedanken gemacht. Ein paar dieser Gedanken waren natürlich vorhanden, aber er sagte sie sich ohne Energie und zu leise, so leise das er sie nicht hören konnte, andere Leute durften sie schon gar nicht hören.

Das war der Unterschied zu ihm und seinem Stück. Er nahm es hin sich sagen zu lassen welche Form es bekommen sollte, aber wie er es dahin brachte, war seine Entscheidung. Früher war er auch den harten kurzen Weg gegangen, aber mit den Stücken war er nicht zufrieden, sie hatten zwar die Form der anderen, aber die Rücksichtslosigkeit gegen die Maserung war ihnen anzusehen. Auch gab es immer wieder Schäden, die nur durch Verbergen in das Stück integriert werden konnten.

Das was ihn aber am meisten störte, war die Unzufriedenheit mit seiner Arbeit. Alles in ihm widersprach der Härte und Gefühllosigkeit, er hatte den Mut einen eigenen Weg zu gehen, auch wenn es ein Umweg war. Die Schönheit des Stückes war sein Stolz und seine Zufriedenheit, die Eigenart war seine Besonderheit. Er nahm seinem Stück nicht die Seele, um es durch seine eigene zu ersetzen. Er zwang dem Stück nicht seinen Willen auf, sondern arbeitete mit der Maserung, um dem Stück die eigene Schönheit zu erhalten.

So wird das Stück dann von vielen sensiblen Menschen gesehen, die ein Andenken an einen verstorbenen Angehörigen suchen. An den ehrlichen Grabsteinen mit einer schönen Maserung bleiben sie stehen und fühlen sich von dem Stein angesprochen. Der Stein wird sehr lange auf seinem Platz stehen und an einen Menschen erinnern. Dafür ist ein kleiner Umweg in Kauf zu nehmen, auch wenn es ein längerer Weg wird, bei dem viel Geduld aufgebracht werden muss.

Auch er hat seinen Platz gefunden, es werden nicht nur die scheinbar perfekten Menschen ausgewählt, wenn die Maserung schön ist, werden auch diese Menschen gebraucht. Manchmal ist es nur schwer, einen Menschen zu finden, der die Maserung erkennt und schätzt.

2001 / Michael
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nun,

das ist etwas verwirrend. indes - ich glaube kaum, daß du die arbeit eines steinmetz beschreibst. ich glaube eher, es handelt sich um kinder, die bearbeitet werden, im vorliegenden fall wird ein kind vom großvater "bearbeitet", so sehe ich das. auf alle fälle eine nicht alltägliche geschichte. will sagen, du hast eine ganz eigene sichtweise. ganz lieb grüßt
 

gladiator

Mitglied
So unterschiedlich...

...können Texte gelesen und verstanden werden. Ich las in erster Linie die Geschichte eines Steinmetzes, der seine selbst erfahrene harte Formung nicht bewältigen kann und deshalb selbst zum Formenden werden muß. Eine interessante Variation, wie sich die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und der eigenen Erziehung auf ein Objekt projeziert.

Ich finde Deinen Text am Anfang und am Ende sehr schön, nur in der Mitte fand ich die Hinleitung zur verkorksten Erziehung etwas bemüht...aber vielleicht habe ich auch nur alles wieder falsch verstanden...

Gruß
Gladiator

P.S.: Auf ein paar Tipp- und Schreibfehler, brauche ich Dich sicherlich nicht hinzuweisen.
 

muskl

Mitglied
so unterschiedlich sind die Blickwinkel...schön! Es beschreibt natürlich auch die Arbeit eines Steinmetzen, aber in Beziehung zur Erziehung gesetzt. Erziehen ist doch ein Formen der Persönlichkeit. Ich würde es in der Geschichte noch nicht einmal verkorksen nennen, einfach nur ein nicht-sehen oder nicht-sehen-wollen einer eigenen Persönlichkeit im Kind, der eigenen Maserung des Kindes. Bei vielen Erwachsenen nur eine Kompensation ihrer eigenen verpassten Chancen, aus welchem Grund auch immer.

PS: Den ständigen Hinweis auf Schreib- und Tippfehler nehme ich mal dankbar hin...

Lieben Gruss Michael
 



 
Oben Unten