Süßer Murr

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Nachtigall

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Süßer Murr


Die Geburtstagsfeier meines fünfjährigen Sohnes Max teilte sich auf in drei Festtage. Erst besuchten uns unsere vier alten Tanten und ein Onkel. Sie mochten keinen Lärm. Am Geburtstag selbst kamen nachmittags die Kindergarten-Freunde und am Wochenende der große Rest der Verwandtschaft.
Der Tanten-Tag gestaltete sich meistens ruhig bei Kaffee, Marmorkuchen und einer Eierlikörtorte, die sie besonders liebten. Die Gespräche drehten sich in der Regel um überlebte Krankheiten, aktuelle Gebrechen, die Nachbarn und wer wieder gestorben war und was es zu erben gab.
Meine Gäste trafen kurz hintereinander pünktlich ein, beschenkten meinen Sohn, streichelten den einjährigen Murr und setzten sich zum ausgiebigen Plausch um den bereits gedeckten großen Esszimmertisch.
Alles war fertig. Ich stellte den Kuchen gerade auf den Tisch als mich ein dumpfes Platschen in die Küche stürzen ließ. Murr, neugierig wie immer, war auf ein Regal gesprungen und abgestürzt. Überall an Fliesen und Schränkchen hingen die Reste meiner liebevoll gebackenen Eierlikörtorte und mitten in dem Haufen das einmal die Torte selbst war, saß der mit Sahne und Eierlikör garnierte Murr. Seine grünen Augen funkelten wild und sein schwarzes Fell bildete einen lebhaften Kontrast.
Beflissen eilte mein Sohn herbei, schnappte sich Murr und wickelte ihn in ein Geschirrtuch. „Den müssen wir waschen“ meinte ich, „sonst bekommt der einen Rausch“.
Ich beeilte mich eine Schüssel mit warmen Wasser herzurichten, draußen rief Tante Rosa nach mir. „Alles in Ordnung“ brüllte ich zurück. Tante Rosa war schwerhörig und ich wollte ihr eine nochmalige Nachfrage und vor allem den Gang in die verwüstete Küche ersparen.
Mein Sohn und das mit Eierlikör und Sahne verzierte Katerchen waren verschwunden. Schnell lief ich die Treppe nach oben und fand ihn und einen fast sauberen Murr. „He„, staunte ich, „wie hast du das denn gemacht“? Ein verschmitztes Grinsen legte sich auf sein kleines Gesicht. „Den Murr habe ich abgeschleckt“, lachte er.
 



 
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