Summertime

Kelgris

Mitglied
Wir verhielten uns wie man es gleichsam erwartet und verflucht: betrieben luftig bekleidet in der prallen Sonne ein wenig Sightseeing, schossen bestimmt Milliarden von Fotos (für jede seiner Sommersprossen mindestens eines), genossen unsere offen gelebte Liebe in sämtlichen Nuancen, waren ein junges, glückliches Paar, dessen Strahlen sich ansteckend auf die Umgebung auswirkte. Leuchtend, bezaubernd, untrübbar.
Wir gingen im Sonnenuntergang am Strand spazieren, Arm in Arm, ließen gemeinsam lachend den Tag ausklingen. Kitschig. Einer spontanen Laune folgend ließ ich mich in den Sand plumpsen, breitete die Arme aus, bewegte sie auf und ab und machte so einen Engel.
Er beugte sich zu mir herunter, ich zog ihn mit all meinem Gewicht zu mir. Er küsste mich – das half normalerweise. Ich bin bestechlich.

In Gedanken hörte ich sein typisches, mir so verhasstes „Auf, komm jetzt!“ schon Minuten, bevor er es tatsächlich sagte. Endlosschleife. Ich kam nicht, blieb regungslos liegen. Er summte, von anderen Dingen beansprucht, eine Melodie, die so ähnlich klang wie „Summertime“… Ich war ihm lästig. Zu launisch. Zu fordernd. Zu hilflos. Zu unausgeglichen. Zu spontan. Zu verrückt. Zu wild. Das merkte ich in diesem Augenblick deutlich. Mein kleiner Phlegmatiker erhob sich, klopfte das bisschen Sand aus seiner Kleidung, blickte ein letztes Mal zu mir herab. Und erwiderte mein in die Sonne blinzelndes Grinsen mit einem ernsten „Tess. Ich fahre zurück.“ Er sagte es nicht direkt. Aber unterschwellig durchbohrte es mein Herz. Non-verbale Kommunikation hatte zwischen uns schon immer funktioniert. Für mich zu plötzlich, zu unverständlich. Wer hätte gedacht, dass er mal spontan sein könnte? Das Ende einer achtmonatigen Beziehung.
Ich stehe nicht auf. Innerlich leer sehe ich den tosenden Wellen zu. Sie überschlagen sich, sind viel höher als am Morgen. Es blitzt. Und donnert kurz darauf. Der Himmel ist fast schwarz. Aus dem Nieselregen entwickelt sich rasch einen Platschregen mit riesigen Tropfen. Vielleicht werde ich Regentropfenforscher. Mit einem Maßband den Durchmesser eines jeden Tropfens ausmessen und dokumentieren. Der Vergänglichkeit trotzen.
Eine Welle umspült gerade meine Finger. Flut. Ich rapple mich mühsam und wacklig auf. Nehme Anlauf. Beginne zu rennen. Stoße mich vom Boden ab. Ziehe die Beine an. Krümme mich zusammen. Falle. Platsche direkt ins Meer. Tauche auf. Über mir Wassertropfen. Unter mit Wassertropfen. In mir Wassertropfen. Mindestens ebenso salzig wie das Meer.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo
und herzlich Willkommen auf der Lupe. Ich hole mal deinen Text ganz nach oben, vielleicht fällt er ja so den anderen Autoren besser auf.

LG Franka
 
D

DerKleinePrinz

Gast
Hallo Kelgris und auch ein herzliches Willkommen von mir! :)

Ich finde du hast unsere Sprache einwandfrei im Griff. Zu Beginn war deine Geschichte ein bisschen schleppend wie ich fand, d.h. ich war nicht gefesselt und alles plätscherte so vor sich hin, so dass ich schon aufhören wollte mir lesen.
Gegen Ende kommt dann aber Fahrt in die Sache und so würde ich sagen, dass deine Geschichte sehr solide und gut geschrieben ist. Da ich sonst mehr auf Schiller stehe fehlt mir aber noch das nötige Feuer, aber ich will niemanden meinen Geschmack aufdrängen ;)

Liebe Grüße und viel Spaß beim Schreiben
Der Kleine Prinz*
 



 
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