Sylvesterknüller
Die Sylvesterfeier des Jahres 1950 war sehr gut vorbereitet worden von den Erwachsenen. Es wurde festgelegt, wer was besorgen und erledigen soll. Tante Irma wollte die Stube ausschmücken, Tante Grete sollte Bengalische Hölzer und Wunderkerzen beschaffen, Onkel Alfred versprach, sich um die Getränke zu kümmern und meine erziehungsberechtigte Tante Ida musste das Essen richten, weil sie die beste Köchin war. Zum Abendbrot war Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen vorgesehen. Tante Ida geriet dabei gleich ins Schwärmen: „Ach ja, Katoffilsalat mit Wiiiena!“ Auch ich bekam große, glänzende Augen bei dem Gedanken an dieses Festessen.
Der Kartoffelsalat gelang der Ida bestens, schön mit Zwiebeln, Äpfeln, gekochten Eiern, Mayonnaise und sauren Gurken. Sie hatte aus lauter Vorfreude nur überhört, dass Tante Gerda für die Würstchen sorgen wollte. Sie war damals das wohlhabendste Familienmitglied, denn sie war Fabrikarbeiterin und ihr Mann Buchhalter bei „Garbaty“, einer Zigarettenfabrik in Pankow. So hatten wir dann die Delikatesswurst doppelt. „Du liebe Zeit“, klagte Ida, „wat solln wa denn nu man bloß mit die janzen Wiena?“ – „Mach se man ruhich alle warm“, begütigte Tante Gerda, „die wern schon jejessen wern.“
Auch ich freute mich riesig auf den äußerst seltenen Genuss und war sicher, dass keines der zarten Würstchen verkommen wird. Doch als das Abendbrot beendet war, lagen immer noch 12 Wiener im Topf und ich spürte, wie sie mich durch das Blech hindurch ansahen und mich lockten: "Komm, Christa, iss noch eine, es ist nur einmal im Jahr Sylvester! Wiener gibt’s so bald nicht wieder, komm und iss noch eine, wir werden ja langsam weich und schrumplich!“ Ja, und wenn sie weich und schrumplich sind, dann will sie keiner mehr essen und Ida würde sie das Klo hinunter spülen.
Dazu waren sie mir zu schade. Solche Köstlichkeit hat nichts im Klo zu suchen! Ich ließ mich verführen und aß langsam und andächtig eine Wiener nach der anderen auf. Jeder einzelnen widmete ich ein kleines Dankgebet: „Oh du himmlische Gabe, du wunderbares, unendlich feines Würstchen, sei willkommen zwischen meinen Zähnen, auf meiner Zunge und in meinem Bauch!“
Bei der neunten Wurst ließ meine Begeisterung merklich nach, die zehnte wurde nicht mehr begrüßt, die elfte aß ich voller Grimm und die zwölfte hätte ich beinahe weiter im Topf schwimmen lassen. Aber auch sie sollte nicht ins Klo, jedenfalls nicht durch Idas Hand!
Ja, was soll ich sagen? Sie sind mir alle bekommen, ich hatte einen gesunden Magen. Danach aber konnte ich jahrelang keine Wiener mehr sehen!
Die Sylvesterfeier des Jahres 1950 war sehr gut vorbereitet worden von den Erwachsenen. Es wurde festgelegt, wer was besorgen und erledigen soll. Tante Irma wollte die Stube ausschmücken, Tante Grete sollte Bengalische Hölzer und Wunderkerzen beschaffen, Onkel Alfred versprach, sich um die Getränke zu kümmern und meine erziehungsberechtigte Tante Ida musste das Essen richten, weil sie die beste Köchin war. Zum Abendbrot war Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen vorgesehen. Tante Ida geriet dabei gleich ins Schwärmen: „Ach ja, Katoffilsalat mit Wiiiena!“ Auch ich bekam große, glänzende Augen bei dem Gedanken an dieses Festessen.
Der Kartoffelsalat gelang der Ida bestens, schön mit Zwiebeln, Äpfeln, gekochten Eiern, Mayonnaise und sauren Gurken. Sie hatte aus lauter Vorfreude nur überhört, dass Tante Gerda für die Würstchen sorgen wollte. Sie war damals das wohlhabendste Familienmitglied, denn sie war Fabrikarbeiterin und ihr Mann Buchhalter bei „Garbaty“, einer Zigarettenfabrik in Pankow. So hatten wir dann die Delikatesswurst doppelt. „Du liebe Zeit“, klagte Ida, „wat solln wa denn nu man bloß mit die janzen Wiena?“ – „Mach se man ruhich alle warm“, begütigte Tante Gerda, „die wern schon jejessen wern.“
Auch ich freute mich riesig auf den äußerst seltenen Genuss und war sicher, dass keines der zarten Würstchen verkommen wird. Doch als das Abendbrot beendet war, lagen immer noch 12 Wiener im Topf und ich spürte, wie sie mich durch das Blech hindurch ansahen und mich lockten: "Komm, Christa, iss noch eine, es ist nur einmal im Jahr Sylvester! Wiener gibt’s so bald nicht wieder, komm und iss noch eine, wir werden ja langsam weich und schrumplich!“ Ja, und wenn sie weich und schrumplich sind, dann will sie keiner mehr essen und Ida würde sie das Klo hinunter spülen.
Dazu waren sie mir zu schade. Solche Köstlichkeit hat nichts im Klo zu suchen! Ich ließ mich verführen und aß langsam und andächtig eine Wiener nach der anderen auf. Jeder einzelnen widmete ich ein kleines Dankgebet: „Oh du himmlische Gabe, du wunderbares, unendlich feines Würstchen, sei willkommen zwischen meinen Zähnen, auf meiner Zunge und in meinem Bauch!“
Bei der neunten Wurst ließ meine Begeisterung merklich nach, die zehnte wurde nicht mehr begrüßt, die elfte aß ich voller Grimm und die zwölfte hätte ich beinahe weiter im Topf schwimmen lassen. Aber auch sie sollte nicht ins Klo, jedenfalls nicht durch Idas Hand!
Ja, was soll ich sagen? Sie sind mir alle bekommen, ich hatte einen gesunden Magen. Danach aber konnte ich jahrelang keine Wiener mehr sehen!