Tagtraum

kira sakuya

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Schon seit Wochen ist sie die unumstrittene Herrscherin des Tages. Sie drückt mich erbarmungslos zu Boden, sie lähmt meinen Körper und meine Sinne wie ein schleichendes Gift. Längst hat sie meinen Willen geraubt, Handeln und Denken unmöglich gemacht. Jeder Widerstand ist zwecklos, ihre Macht kennt keine Grenzen – sengende, unerträgliche Hitze.
Ich liege jetzt bereits einige Stunden im wenig lindernden Schatten der Veranda, ihrer Willkür hilflos ausgeliefert. Laut hallt der pochende Schlag meines Herzens zwischen meinen im Schall erzitternden Schläfen wider, die jeden Moment zu bersten scheinen, doch alles, was ich tun kann, ist warten. Warten auf die erlösende Kühle der Nacht.
Plötzlich klatscht ein Wassertropfen auf meine heiße Stirn. Er trifft mich wie ein eiskalter Blitz. Schlagartig schrecke ich aus dem Dämmerzustand hoch, reiße meine Augen auf und bin wieder hellwach. Sofort zerreißen die verworrenen Ketten aus dunstigem Nebel, die meinen Verstand fesselten, und geben meine Welt wieder frei.
Deutlich spüre ich eine angenehm sanfte Brise auf meiner nun leicht benetzten Stirn, sie bricht das Siegel, dass die Hitze auf meine Sinne legte, mit einem Lächeln, wischt es einfach so weg. Eine Weile sitze ich einfach nur da, den Rücken an die von der Sonne erwärmte Bretterwand gelehnt, und recke meinen Kopf genießerisch in den erfrischenden Windhauch. Kein Laut durchbricht die wohltuende Stille, die mich noch wie einen Schutzschild einhüllt.
Aber lange ist mir die entspannende Ruhe nicht vergönnt, eine seltsame Unruhe erfasst mich. Ich springe auf und laufe los. Der kühle Sand federt weich unter meinen Fußsohlen, raue Sträucher am Wegesrand zerren an meinen Beinen. Doch ich laufe schneller und schneller, wie magisch angezogen von einem unbekannten Ort in der Ferne.
Mittlerweile wird die Stille abgelöst von vereinzelten Vogelschreien und dem stetig anschwellenden Rauschen des Meeres. Mein Weg macht eine abrupte Biegung, schlängelt sich den Deich hinauf und verliert sich in den Weiten des Strandes.
Eine salzige Windbö erfasst mich sofort, zupft spielerisch an meinem Kleid und dringt tief in meine Lungen vor. Wie betäubt stehe ich auf der Kuppe des Deiches, gefangen von der perfekten Harmonie der Elemente an diesem Ort: Das blaugraue Wasser des Ozeans, aufgepeitscht vom stürmischen Atem des Windes, rollend über die feinsten Körnchen der Erde, erleuchtet vom glutroten Feuerball am Himmel.
Lange stehe ich so da und atme mit dem Wind, woge mit den Wellen, werde eins mit der Welt, die mich umgibt.
Auf einmal schleichen sich fremde Klänge in mein Bewusstsein: Ein leises Trommeln. Rhythmisch. Dumpf. Neugierig wende ich den Blick, und einige Meter entfernt entdecke ich tatsächlich einen flachen Holzbau, erleuchtet von flackerndem Licht.
Wieder ergreift mich die Unruhe, meine Beine tragen mich wie von selbst hinunter zum Strand und weiter in Richtung der Hütte..
Hoch wirbelt das Wasser der Brandung um mich auf, der Wind beflügelt meine Schritte, immer weiter und schneller werden sie, entziehen sich meiner Kontrolle und vertrauen sich der Führung der Trommelschläge an. Meine Augen sind starr auf mein Ziel gerichtet, die restliche Umgebung verschwimmt zu vagen Schemen.
Jetzt kann ich eine kleine Bar erkennen, Fackeln an langen Holzstäben stecken vor dem Eingang im feuchten Sand.
Atemlos laufe ich eine schmale Holztreppe hinauf, schiebe einen Bambusvorhang zur Seite und bin da.
Unzählige Eindrücke stürzen auf mich ein. Lachend und schwatzend drängen sich viele Menschen um die kleine Bar in der Mitte des Raumes, der nur vom schmeichelnden Schein an der Wand befestigter Fackeln beleuchtet wird. Durch das gedämpfte Licht kann ich die Farbenpracht der Wandbemalung nur erahnen, fasziniert bleibt mein Blick an den kaleidoskopartigen Formen und Mustern hängen. Eine zierliche, sonnengebräunte Kellnerin mit schwarzem, glatten Haar und einem strahlenden Lächeln überreicht mir einen Cocktail zur Begrüßung.
Eiskalt ist das Glas, ein leichtes Prickeln bemächtigt sich sofort meiner Fingerkuppen. Mechanisch hebe ich das Getränk und nehme einen kleinen Schluck, während meine Augen immer noch mit der neuen Umgebung beschäftigt sind.
Wie Feuer rinnt die süße Flüssigkeit meine Kehle hinunter und betäubt meine Sinne einen Augenblick, um sie kurz darauf mit doppelter Intensität wieder zu entfachen. Sofort erfasst mich die wilde Musik, das Lachen, das Trommeln. Der Duft von Kokos und exotischen Früchten lässt mich begierig einen weiteren Schluck des Cocktails nehmen.
Langsam gehe ich weiter in den Raum hinein, vorbei an filigranen Springbrunnen, kleinen Nischen mit Tischen und üppigen Töpfen mit betörend duftenden Blüten. Hinter der Bar befindet sich eine freie Fläche, dicht gedrängt tanzen die Besucher zur Musik.
Plötzlich öffnet sich eine Lücke, eine Tänzerin löst sich aus der Menge heraus. Mit geschlossenen Augen wiegt sie sich zu den Klängen, den Rhythmus ihrer Schritte genau auf die Trommeln abgestimmt. Langsam hebt sie ihre Arme, während die Klänge lauter und lauter werden... Ein letzter Trommelschlag, eine kurze Pause – sie öffnet ihre Augen und sieht mich unverwandt an. Dann wirbelt sie mit der wieder einsetzenden Musik herum und ergreift meine Hand, zieht mich hinein in ihren Rausch aus Rhythmus und Klang. Immer schneller und schneller dreht sie sich, weit bauschen sich ihre Röcke, hoch fliegen ihre langen Haare.
Die Umgebung beginnt zu verschwimmen....
Klatsch! Ein dicker Wassertropfen fällt auf meine Nase. Schwarze Gewitterwolken stehen am Himmel, wie ein Schlag trifft mich die angestaute Hitze. Die Realität hat mich wieder eingeholt.



um kritik aller art wird dringend gebeten!
 



 
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