Taxi ... Taxi ...!

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Nachts um halb drei im Hamburger Westen. Ich döse auf dem Rücksitz, wir kommen zügig voran, kaum Verkehr auf den Straßen. Der Taxifahrer versucht, mir ein Gespräch aufzudrängen. Er ist lange nicht so müde wie ich. Er glaube, sagt er, die Rombergstraße sei nach einem schlesischen Adelsgeschlecht benannt. Von dieser Familie habe ich noch nie gehört, ihm scheint sie am Herzen zu liegen. Und ich bin wieder herzlos und kläre ihn auf: „Nein, das waren Hamburger Ratsmusikanten in der Barockzeit.“ Plötzlich eine Vollbremsung, mein Kinn am Vordersitz. „Da, da, haben Sie das gesehen – wie er mich geschnitten hat, kam plötzlich von rechts aus dem Dunkel, dieser Beknackte …!“ Der also Bezeichnete - natürlich ein Radfahrer, wir sind ja in Eimsbüttel – ist schon im Dunkel verschwunden. Es kann hier sehr finster sein.

Dieselbe Strecke, dieselbe Uhrzeit, irgendwann in jenen Jahren … Meine Taxifahrerin heute ist mehr als spröde. Meinen Gruß beim Einsteigen lässt sie unerwidert und sagt auch kein Wort, als ich das Ziel genannt habe. Sie fährt sofort los, Richtung Lombardsbrücke, mit gesträubtem Nackenhaar. Im Rückspiegel kann ich ihr Gesicht betrachten: Da ist nur eisern schweigende Ablehnung. Ich sehe ja ein, dass es eine Zumutung ist, einen Mann fahren zu müssen, und noch dazu einen wie mich … Die Großstadtbevölkerung besteht aus lauter einzelnen Stämmen, und sie sind einander feindlich gesinnt. Sie fährt wie von Furien gehetzt, und wir sind in Rekordzeit in meiner Straße angekommen. Die Fahrerin überlässt es mir, den Zahlbetrag selbst vom Taxameter abzulesen. Sie wendet sich nicht einmal um, als ich das Geld abgezählt nach vorn reiche. Hier ist nichts geschehen, nur die allgemeine Unverbundenheit ins Extrem gesteigert worden.

Ein anderes Mal wird es dafür richtig erotisch, nur dass ich wieder viel zu müde bin. Er ist noch sehr jung, ein bisschen zu geschmackvoll angezogen. Schon beim Einsteigen spüre ich den Strom zwischen uns. Er sagt das Übliche, aber wie er es sagt! Er ist elektrisiert und will mir zugleich zeigen, wie gut er drauf ist, wie gut er fahren kann. Er fährt daher, obwohl tief in Gedanken, hochkonzentriert - Gott sei Dank, denn er ist auch schrecklich nervös. Meistens nur eine Hand am Lenkrad und die andere auf dem Oberschenkel gespreizt auf- und abwippend. Wir sind schon da, schade. Wir sagen nur das Übliche, aber wie wir es sagen …

Hier im Kurort, wo ich seit langem lebe, hält das Taxigewerbe andere Überraschungen bereit. Da kann es vorkommen, dass die Dame in der Zentrale sagt: Ja, ja, der Wagen kommt – er kommt aber nicht. Und mein Zug geht in sechs Minuten! Also rufe ich wieder an und höre: „Ach Gott, sie wollten zum Bahnhof, ich habe es andersrum verstanden …“ Mein Taxi wartet also dort auf mich, wo ich erst hin will.

Hier ein Taxi zu bestellen, verschafft einem ohne Aufpreis noch etwas Nervenkitzel: Kommt es und kommt es auch rechtzeitig? Aus Schaden klug geworden, warte ich daher meist vor dem Haus und sehe die Straße hinunter. Immer noch nichts in Sicht – und dann kommt ein außergewöhnliches Gefährt, ein Uralt-Opel, der jedes Veteranentreffen zieren würde. Aber ich will stattdessen schnell zum Bahnhof. Dumm, wenn ich dann in dieser Kalesche sitze und der Motor nicht wieder anspringen will. Der Fahrer steigt aus und versucht seine Tricks …

Ich habe mir einen Rollkoffer gekauft und gehe zu Fuß zum Bahnhof. Wenn ich die stillen Straßen passiere, hört es sich an wie Panzerkettengerassel.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno,

Kurzprosa??? Kann sein - kann nicht sein. Im Grunde egal. Auf jeden Fall ist das eine hübsche Studie über das "Zwischenmenschliche" im Alltag, wobei die Taxifahrer in meinen Augen nur als "Aufhänger" gelten mögen.

In einem Rutsch durchgelesen und für gut befunden.

Gruß Ralph
 
Danke, Ralph, für das herzstärkende Lob. Ja, Kurzprosa oder doch nicht? Der Text ist ja nach dem Prinzip der Nummernrevue aufgebaut, als Aneinanderreihen sehr kleiner Episoden zum selben Thema. Jede andere Rubrik schien mir da noch weniger der richtige Ort zu sein.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

Kai Kernberg

Mitglied
Hallo Arno, Dein Text hat schon ein paar Tage Reife, ist gleichwohl ein schönes Stück mir guter Länge, treppenartiger Steigerung und am Schluss der Riss mit unterschwelligem Groll (zu Fuß mit Kettengerassel). Sehr ausdrucksstark. VG KK
 
Danke, Kai Kernberg, für das Hinabtauchen auf den Grund der Leselupe und die freundliche Präsentation des Fundes. Ich habe übrigens keine E-Mail-Nachricht über deinen Kommentar bekommen und wunderte mich schon, als in der Rubrik "Letzte Aktivität" ein Titel auftauchte, der mir seltsam bekannt vorkam.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo Arno,

Mir gefällt besonders, dass dein Text unprätentiös ist, sich auf Alltägliches beschränkt und dabei sprachlich sicher dahinfließt.
 
Danke für die Anerkennung, Ofterdingen. Wie lang das alles her ist: mit dem Taxi zu fahren und auch darüber zu schreiben. Neulich hätte ich beinahe wieder mal eines benutzt, nach Zahnextraktionen, nahm aber dann doch die U-Bahn. Schreibe jetzt an einem Text, in dem das Blut unter der Maske heraussickert und keinem fällt es auf ...

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Hallo Arno Abendschön,

wäre ich Zynikerin, würde ich sagen: Da bleibt ihm wenigstens eine Erinnerung an seinen Kurort (besser Kuhdorf?), Als Geschichte taugt das natürlich gar nichts, Das, traue ich dir zu, weißt du auch. Solche Sachen stehen immer in den kostenlosen Anzeigenzeitungen als toller Humor oder Beschwerde des Lesers Herrn NN. Aber wennschon, dennschon, also jetzt die Kritik:

Du hättest dich auf ein einziges Taxi-Erlebnis beschränken sollen. Dies aber recht ausführlich, Dann hätte es eine hübsch kurze Geschichte geworden sein können, vielleicht sogar eine echte Kurzgeschichte nach allen Regeln der Kurzgeschichte. Da ist zum Beispiel die Episode mit der Taxifahrerin, die zeigt, wie wenig Wissen und Verständnis du als Großstädter (?) für 1. einen nicht überwältigenden berühmten Kurort hast, 2. keinen blassen Schimmer vom Elend der Taxifahrer heutzutage. Mit Frau gegen Mann hat das überhaupt nichts zu tun. Vielleicht hat die Frau die unterdrückte Arroganz ihres Passagiers gespürt, oder vielleicht fährt sie lieber Einheimische, mit denen sie ein bisschen quatschen kann und ihr Taxifahrerleid schildern würde. Vielleicht aber auch hat sie prinzipiell Angst, wenn sie mit Männern fährt. Weißt du, ob sie da nicht genügend Unannehmlichkeiten bis zum Verbrechen schon erfahren hat. Du gehst wie ein Holzhacker ran. Ich, der Kunde, bin König! Dein Ich selbst hätte sie aus ihrer verbissenen Schweigsamkeit holen müssen, das ist so üblich bei Taxifahrern, auch in Berlin, mit Fragen nach dem Wetter oder wasweißich. Mehr gibt diese Episode nicht her, aber da du eine Geschichte erzählen willst, hättest du daraus eine kleine psychologische Studie machen können. So aber ist das eine harmlose Petitesse ohne literarischen Wert geworden, die höchstens noch als Beschwerde
missglückten Humor eines Leser der kostenlosen Anzeigenzeitung taugt. Mit dem Gestus: "Das muss mal gesagt werden!"

Ich gebe dir drei Sterne, weil du keine Tippfehler drin hattest.

Mit freundlichem Gruß, Hanna
 
Hanna, du hast so gut wie alles missverstanden. Es lag und liegt mir fern, aus diesem Stoff oder einem Teil von ihm eine Geschichte oder Kurzgeschichte zu destillieren. Solche Versuche überlasse ich anderen. Es ist Kurzprosa als Nummernrevue, ein tradiertes Muster, nach dem ich früher gelegentlich Texte zusammengestellt habe.

Sorgfältig gelesen hast du auch nicht. Die Episode mit der Taxifahrerin spielt ja gar nicht im Kurort, sondern in Hamburg, das geht eindeutig aus dem Anfang des zweiten Absatzes hervor. Es kann auch nicht um das heutige Elend der Taxifahrer gehen, denn jene Fahrt liegt ja offenbar zum Zeitpunkt der Niederschrift schon recht lange zurück (vgl. Anfänge des zweiten und vierten Absatzes). Deine Vermutungen bezüglich der Motivation der Fahrerin sind ebenso abwegig. Du verortest sie fälschlich im Kurort und konstruierst daraus einen Gegensatz Großstädter - Kleinstädterin. Dann spekulierst du über "unterdrückte Arroganz" des Fahrgastes, ohne dass dieser Abschnitt dafür etwas hergäbe. In Absatz drei wird als Kontrast zum Vorangegangenen eine wechselseitige homoerotische Anziehung zwischen Fahrer und Fahrgast beschrieben. In diesem Zusammenhang ist in Absatz zwei die Formulierung von den "einzelnen Stämmen", aus denen die Großstadtbevölkerung bestehe, zu verstehen. Du hast nicht begriffen, worum es in Absatz zwei geht: Diese Dame mag vermutlich eine bestimmte Sorte von Männern nicht.

Du hast es rasch runtergelesen, wenig verstanden und dann einiges aus deiner Weltsicht aktiviert, das mit meinem konkreten Text gar nichts zu tun hat.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Hallo Arno Abendschön,

ich habe gar nichts missverstanden, versuch doch nicht, mit Unterstellungen gegen mich, dein missratenes Prachtstück schönzureden. Dass dein Text im Umfeld von Hamburg sich abspielt, sollte ich überlesen haben? In Berlin brauchst du von der Innenstadt nur 15 Kilometer rauszufahren, und schon bist du auf dem Dorf. Es gibt sogar eine U-Bahn aufs Dorf namens Hönow. Die fährst du vom Alex bis zur Endstation keine 3/4 Stunde, nicht mehr. Nun kenne ich Hamburg nicht. Aber jede Großstadt hat ihr ländliches Umfeld. Und wenn ich das, wie ich das getan habe, auch von Hamburg annehme, ist das mit meiner Ortsunkenntnis zu entschuldigen. Zumal du von einem Kurort schreibst, und der liegt eben nicht mitten in der Großstadt.

Du gehst nicht auf meine Kritik ein. Ich hätte das rasch "runtergelesen", unterstellst du mir. Herr Abendschön, ich kann, seit ich 6 Jahre alt war, lesen. Mit der Zeit, und da ich selber schreibe, und das seit vielen Jahren, kann ich ziemlich schnell lesen und den Text auch inhaltlich aufnehmen. Ich spüre auf Anhieb, ob ich es mit einem guten oder einem weniger guten Text zu tun habe, das geht nämlich im ersten Satz los. Das mag neu für dich sein. Ich verstehe das, aber ich bin nach wie vor der Ansicht, nachdem ich deinen Text noch einmal gelesen habe, dass er höchstens für eine Annoncenzeitung reicht, und selbst da wird sich der Redakteur überwinden müssen. Ich hätte wenig verstanden, schreibst du. Fernintuition?

Ich verstehe, dass du annimmst, alle deine Leser müssten zwangsweise von deinen Texten begeistert sein, und dass es deiner Autoreneitelkeit widrigenfalls einen Knacks gibt, das verstehe ich auch. Wer kennt es nicht? So was schluckt man runter und überlegt gründlicher, bevor man das nächste Mal die Finger auf die Tastatur legt. Aber dass du zum Schluss auch noch infam wirst, das ist unentschuldbar.

Ich habe mich mal mit einem Taxifahrer während der Fahrt unterhalten. Der nickte bloß, als ich ihm guten Tag wünschte, fand ich aber nicht aufregend. Ich stellte dann aber fest, dass er ziemliche Umwege zu meinem Ziel fuhr. Ich sprach ihn darauf an. Er entschuldigte sich mit etwas Ortsunkenntnis, er käme nämlich vor kurzem erst aus Brandenburg. So kamen wir ins Gespräch. Und was meinst du, worüber er gesprochen hat? Natürlich darüber, dass sein Verdienst monatlich kaum höher ist als Hartz IV. Und so gehe es inzwischen allen Kollegen, sagte er. Der Mann machte nicht den Eindruck, dass er über- oder untertrieb, um ein größeres Trinkgeld zu bekommen. So etwas kann ja auch ein Trick sein. Aber das war es nicht. Es gibt inzwischen vielfache Proteste von Taxifahrern genau aus diesem Grund, und deiner Taxifahrerin wird es nicht anders ergangen sein. Meine Taxifahrt ist schon ein paar Jahre her, inzwischen hat sich an diesem Zustand nichts verbessert, im Gegenteil, es ist öffentlich. Warum sollte ich also nicht erwarten, dass du deine Nase mal ins Heute steckst und nicht wie König Kunde auftrittst? Und das unter dem Gesichtspunkt, dass ich berücksichtige, dass dein Text Fiktion ist.

Freundlichen Gruß, Hanna
 

Hans Dotterich

Mitglied
Hallo Arno,

Danke fürs Ausgegrabenwerden. Ich habe das Datum erst nach dem vergnüglichen Lesen bemerkt. Ich finde den Text in seiner Form gelungen: eine Folge von knappen Stenografien zu Taxifahrten des Ich-Wesens. Jede höchst unvorhersehbar und daher spannend, lakonisch dank kalkulierbarem Risiko.

Offenbar ist das Taxi-Thema ein beliebtes literarisches Genre, hier in der LL. Man erlebt wohl viel. Auch ich konnte eine gelungene Story ausgraben, noch älter: https://www.leselupe.de/beitrag/taxi-zur-hoelle-56119

Nun, das Thema von Texten kommentiere ich nie. Der Autor ist der Autor. Ich halte mich dicht an die sprachlichen Mittel. Doch auch von mir ein Klagelied:

Vor 20 Jahren, als junger Berufsanfänger bei einem großen Unternehmen durfte, ja musste ich auf Dienstreisen immer auch ein Taxi nehmen. Statussymbol, sonst hätten sie den Sparsamen mitleidig begrinst. Spesen? Pah, hier kommt die Firma XXX gefahren!
Heute fahren auch wir trotz Zipperlein in Fuß und Rücken mit den Öffentlichen. Es sei gesund. Und das Controling will es so. Sic transit gloria mundi.

Grüße

Hans
 
Danke, Hans, für die schöne Verteidigungsrede.

Bei blackout muss ich mich auf eine Auswahl der Punkte beschränken, auf die ich eingehen will.

ich berücksichtige, dass dein Text Fiktion ist.
Falsch. Sämtliche Details haben sich zwischen ca. 1985 und 2005 so abgespielt. Der Text erschien ab 2011 in verschiedenen Literaturforen und wurde bald auch auf einer Taxifahrer-Website verlinkt.
ich habe gar nichts missverstanden
Doch, hast du. Du hast die Hamburger Episode in meinem Absatz zwei in deinem Kommentar im Kurort angesiedelt und genau auf diesem Missverständnis baut der von dir erfundene mentale Unterschied zwischen der Fahrerin und dem Fahrgast auf (Landbewohner vs. Großstädter). Du kannst dich nicht mit geringen Kilometerzahlen rausreden. Die Episode mit der Taxifahrerin spielt ganz klar im Stadtgebiet von Hamburg und nicht irgendwo draußen in einem kleinstädtischen Kurort. Eben das war dir offensichtlich bei flüchtigem Lesen entgangen.
Ich spüre auf Anhieb, ob ich es mit einem guten oder einem weniger guten Text zu tun habe
Bezeichnende Überschätzung eigener Kompetenz.
Ich verstehe, dass du annimmst, alle deine Leser müssten zwangsweise von deinen Texten begeistert sein, und dass es deiner Autoreneitelkeit widrigenfalls einen Knacks gibt, das verstehe ich auch.
Das ist eine bösartige Unterstellung und ein klarer Verstoß gegen die Netiquette.
deiner Taxifahrerin wird es nicht anders ergangen sein
Diese Episode spielt vor mehr als dreißig Jahren. Damals war Taxifahren noch vergleichsweise lukrativ.
dass du deine Nase mal ins Heute steckst und nicht wie König Kunde auftrittst?
Letzteres auch reine Unterstellung. Dafür gibt es im Text nicht den geringsten Anhaltspunkt.
 



 
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