Textklinik

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Textklinik


Es war einmal
ein schlechtes Gedicht.
Das reimte sich manchmal
und manchmal nicht.
Aus Liebe zur Liebe schrieb es ein Poet;
es ist große Kunst, weil´s keiner versteht.

Da liegt es nun blutend und stirbt vor sich hin,
es fehlt ihm an Seele und tieferem Sinn.
Es ist massakriert, es wurde zerstört.
"Herr Doktor, die Reime sind einfach passiert
und kein Wort ist da, wo es hingehört!"

"Weg da! Sonst stirbt es noch auf dem Papier!"
Der Doktor desinfiziert ein Schreibgerät.
„Schreiben Sie nichts! Sie hören von mir.“
Das Gedicht sagt: „Ich spüre,
wie´s in mir vergeht,
als ob´s mich entführe."
Die Lebensuhr steht.

Ein Piepen ertönt; es reimt sich nicht mehr
und zeigt auch nicht mehr Reaktion.
„Bringen Sie mir was von Heine her!“,
schreit der Arzt die Reimschwester an.
„Ich lege derweil eine Goethefusion.
Wer weiß, ob man da noch was machen kann.“

Es wird operiert! Es wird malträtiert.
Das Gedicht liegt zerfetzt, zu Tode verletzt
auf einem Tisch, auf dem Hemd von Max Frisch.
Der Arzt scheidet hier, der Arzt scheidet da;
er nimmt ein Symbol, das rettete wohl.
Er nimmt einen Satz von Ringelnatz,
und auch einen Reim von Georg Heym,
einen Zungenbrecher von Johannes R. Becher,
die lyrische Form von Theodor Storm,
die buschige Braue von Hartmann von Aue,
das ganze Gekrakel von einem Herrn Trakl,
von Lessing das Pressing,
den Piller von Schiller,
die Beine Heine,
von Hesse die Fresse,
von Lenz die Tendenz;

zum Zunäh´n nimmt er Lyrikseide
von Walther von der Vogelweide.

Das Werk ist vollbracht,
das Gedicht atmet schwer,
es ist tiefe Nacht;
es reimt sich jetzt sehr.

Der Arzt presst den Dichter an seine Soutane.
„Hören Sie mal, klingt fast wie Fontane.“
 

ENachtigall

Mitglied
Mensch Markus,

ich bin hellauf begeistert. Da bleibt mir glatt das Konstruktive weg. Allein der Titel schwächelt etwas vor sich hin.

Liebe Grüße

Elke
 
Hallo Elke,

ja der Titel schwächelt etwas, aber eigentlich ist das Gedicht auch eher eine Posse. Folglich könnte sie auch den Namen tragen: "Tatütata der Text ist tot!" Mit den vielen Ts wäre das auch gar nicht mal schlecht.
So aber gibt es einen kleinen Bezug zu der hiesigen Textklinik. Solche Zusammenhänge erheitern doch immer das Gemüt, oder nicht?
In dem Text geht es eben eindeutig darum, ein Publikum von Dichtern zu erheitern oder zu reizen. Und da dieses Publikum sich nunmal hier befindet, soll sich auch der Titel auf das Hier beziehen.

Aber mal ganz ehrlich, es ist eine Posse! Und ich glaube, die Fresse von Hesse werde ich so schnell nicht vergessen.

Mit freundl. Grüssen,
Marcus
 

Milko

Mitglied
Fresse v.Hesse

zeigt doch wirklich ein
"gelungenes" Verständnis
zu der Welt der "-Dichter-
.......
als Richter!
gefällt mir , mit einem schönem Lächeln im Gesicht.
gruss
m
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo marcus,

ich las just mit Lachtränen im Gesicht
dein Gereimtes vom armen, schlechten Gedicht.
Du reimtest mit flotter Flosse
eine wirklich vergnügliche Posse.

Deshalb bewert' ich die Tintenkleckse
mit neun-
es grüßt lieb
die maerchenhexe
 
Dankeschön an alle, denen der Text gefallen hat und auch an alle, denen er vielleicht noch gefallen wird;
ist ja eh bloß Plauderei - sogar das Gedicht selbst!

Also, in diesem Sinne;
mit freundlichen Grüssen,
Herr Richter
 
I

inken

Gast
lieber marcus

um ehrlich zu sein, mir gefällt es nicht
sonderlich,
die idee ist zwar ganz originell, aber
nur um des reimes willen lesen zu
müssen "das Gekrakel von Trakl"
und von "Hesse die Fresse"
das gefällt mir einfach nicht,
beides sind dichter, die ich sehr mag,
und die ich so nicht verunglimpft sehen möchte :)
von mir ist die 5

lg inken
 
Hallo Inken,

das will ich Dir sehr gern zugestehen, dass einem Trakl, Hesse und andere mehr wert sind als dieses kleine Reimmaschinengewehr.
Find es sogar ganz ok, wenn es auch schlecht bewertet wird.
Hab mich ohnehin schon gewundert.
Allerdings sind die Worte der Idee verpflichtet; die Idee dem Leser. Also kann man auch sagen, schön, dass es Dir nicht gefallen hat. Auch das Nichtgefallen gibt Aufschluss über einen Text.

Mit freundl. Grüssen, Marcus
 
Ich habe ein Problem damit, wenn hier anonyme User glauben, sie könnten im Schatten der Vergangenheit ihre schlechten Bewertungen los werden.
Nicht, dass das Gedicht keine Eins verdient hätte,
aber wenn dann bitte im Licht.

Ach ja, und eine tiefere Textanalyse ist bei einer so schlechten Bewertung wohl unumgänglich.

Gruss und Kuss,
Marcus
 



 
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