The Final Hour

The Final Hour

Marc Burgess saß zusammengesunken auf der Matratze seines rostigen Metallbettes. Im Mundwinkel hatte er eine brennende Benson&Hedges, doch er hatte schon mehre Minuten nicht mehr daran gezogen. Die von Zeit zu Zeit herabfallende Asche sammelte sich auf dem gefleckten Linoleumboden und bildete dort ein kleines Häufchen. Seine Finger trommelten hektisch auf den kräftigen Oberschenkeln, die in der unbequemen orangefarbenen Anstalltskleidung steckten, seine Füße wippten in einem monotonen, immer gleichbleibenden Rhythmus,

Tack.....Tack....Tack......Tack.

Immer wieder wurde sein Körper von heftigen Krämpfen geschüttelt, er konnte die wiederkehrende Angst einfach nicht mehr unterdrücken. Seine Hoffnung auf Begnadigung hatte er schon Stunden zuvor begraben müssen, als der Gouverneur sein Gnadengesuch abgelehnt und den Zeitpunkt der Urteilsvollstreckung bestätigt hatte. Die Luft um ihn herum schien zu brennen, längst hatte er vergessen, wo er sich befand, wer er war und welch schweren Gang er in wenigen Stunden anzutreten hatte.

Es war Mitternacht und Mark Burgess hatte noch genau sechs Stunden zu leben.

Er war in seiner Zelle umhergelaufen, gefangen, wie ein wildes Tier in einem Käfig, nach einem Ausweg suchend und doch mit dem Bewußtsein, daß es diesen Ausweg nicht gab und auch nicht geben würde. Er hatte gebrüllt, in unbeschreiblicher Wut geborene Schreie des Hasses ausgestoßen, geschluchzt wie ein kleines von seiner Mutter
verlassenes Kind. Er hatte in schierer Verzweiflung gegen die Zellentür gehämmert bis seine Hände zu bluten begannen, er die unbeschreiblichen Schmerzen nicht mehr ertragen konnte. Er hatte mit den Füßen gegen die Wände getreten, wieder und wieder bis das Flackern des aufkeimenden Wahnsinns in seinen Augen einem Ausdruck des blanken Entsetzens und der nackten Angst gewichen war. Erst da hatte er die Kontrolle über seinen gemarterten Körper einigermaßen zurückerlangt. Er weinte, aus den Tiefen seiner Seele strömten die Tränen, begreifend, daß das Unfaßbare unumstößlich war und das Schicksal unaufhaltsam seinen Lauf nahm.

Es war zwei Uhr nachts und Marc Burgess hatte noch genau 4 Stunden zu leben.

Er schwebte in völliger Dunkelheit, fiel durch ein endloses schwarzes Nichts. Er war ohne Gefühl für Bewegung oder Richtung, spürte nicht den geringsten Luftzug auf seiner Haut. Durfte man eine Existenz in dieser konturlosen Dunkelheit in der man weder fühlen noch hören konnte überhaupt noch als LEBEN bezeichnen, oder hatte er seine Reise in den Tod bereits angetreten? Er schien wach zu sein, begann langsam, seine Umgebung wahrzunehmen schemenhafte Bewegungen in der Zelle, leise Geräusche. Er versuchte seine Augen zu öffnen, aber seine Lider schienen ihm nicht zu gehorchen. Ein schwacher Lichtschein, der langsam heller wurde, wie die Morgensonne hinter sich auflösenden Nebelschwaden. Aber dies war kein Tageslicht. Umrisse nahmen Formen an und er registrierte in den Tiefen seines Unterbewußtseins, daß er in der Zelle nicht mehr alleine war.

Es war vier Uhr morgens und Marc Burgess hatte noch genau 2 Stunden zu leben.

Vor ihm stand ein schwarz gelockter Engel. Sie tauchte wage über ihm aus der Finsternis auf. Ein aufflackern von kaum wahrnehmbarer Bewegung. Er war ein Blinder und als ein Blinder versuchte er nach ihr zu greifen. Er bekam sie am Rücken zu fassen und zog sie näher zu sich heran. Lippen auf seinem Hals, seinem Gesicht, seinem Mund. Sie machte Anstalten sich zurückzuziehen, doch er hielt sie fest an sich gedrückt. Seine Arme umschlangen ihre Schultern. Sein Gesicht war in ihrem wirren, feinen Haar vergraben. Mit seiner Hand strich er ihr die Strähnen aus der Stirn nach hinten. Dann zeichnete er mit den Fingerspitzen ihre Augenbrauen nach. Berührte sanft ihre geschlossenen Augen Er schämte sich seines Verlangens, schockiert über sein Bedürfnis sich der Logik und aller moralischen Bedenken zu entledigen. Er wußte nicht was dieses perfide Spiel in Bewegung gesetzt hatte, wollte es auch gar nicht wissen, verschloß sich selbst gegenüber der Realität und überließ sich dem süßen Vergessen. Er empfand ihre anhaltende Hitze, das prickelnde Gefühl ihrer Berührungen als so real, daß er kaum glauben wollte, daß sie nicht tatsächlich bei ihm sein sollte. Lippen berührten eine seiner Brustwarzen, dann die andere. Er spürte das Züngeln einer brennenden Zunge an seinem Nabel, an seinem Bauch herunter wandern. Er hielt die Luft an, wagte nicht zu atmen. Dann spürte er die feuchte, sengende Hitze als sich ihre Lippen um ihn schlossen. Er versteifte sich und ergab sich dem Sog der ungezügelten Leidenschaft. Sein Verstand verließ die Welt der Vernunft und tauchte ein in eine Welt die nur aus Empfindungen bestand. Jedes Seufzen ertönte genau zum richtigen Zeitpunkt, kein falsches Wort erklang. Die beiden Körper schienen miteinander zu verschmelzen, sich dem geheimnisvollen Rhythmus von Ebbe und Flut anzupassen. Ihre Vereinigung ging über alles weltliche hinaus wurde für ihn zu einer mystischen Erfahrung .....

Es war fünf Uhr morgens und Marc Burgess hatte noch genau 1 Stunde zu leben.

Er führte eine Hand an seinen Hinterkopf und zuckte unter den plötzlichen scharfen Schmerzen zusammen. Er lag noch immer auf dem Boden und die nebligen roten Schatten die an der Decke tanzten, verwirrten ihn für ein paar Sekunden. Langsam begann sein Kopf klar zu werden , doch als er sich auf einem Ellbogen aufzurichten versuchte, drehte sich der Raum wie verzerrt und er sank erneut zurück, und bedeckte seine Augen mit beiden Händen. Erst als er Geräusche hörte, senkte er seine Hände wieder und blinzelte. Er erhob sich jedoch nicht während er seinen Kopf vorsichtig herumdrehte. Plötzlich durchzuckte ihn die Erinnerung, drang unaufhaltsam in sein benommenes Gehirn. Hatte es begonnen ? War dies der Augenblick, vor dem er sich so lange gefürchtet, den er zugleich aber auch so sehr herbeigesehnt hatte ? " Hilf ... mir", presste er zwischen seinen geschundenen Lippen hervor, " bitte .... hilf .... mir", er war unfähig sich zu erheben..

Sie stand in der Ecke,unglaublich schön, von einem sanften inneren Leuchten erstrahlt. Ihre Stimme klang wie eine sanfte Brise in den Wipfeln der Bäume als sie zu ihm sprach
" Ich darf Dir nicht helfen,Marc, und ich könnte es auch gar nicht. Dies steht nicht in meiner Macht. Wenn es an der Zeit ist werde ich Dich von Deinen Schmerzen erlösen" "
Aber ich bin unschuldig" "Ich weiß Marc, wir alle wissen es. Doch was spielt das für eine Rolle ?"

Es war 5 Uhr 45 am Morgen. Marc Burgess hatte noch genau 15 Minuten zu leben.

Sie ging schweigend neben ihm her, als er, an Armen und Beinen gefesselt, die wenigen Meter zum Hinrichtungsraum zurücklegte. Ihre Blicke trafen sich, als er, auf die harte
Bahre geschnallt, den Einstich der Nadel in seiner rechten Armbeuge verspürte. Er zuckte, er wand sich, Speichel rann aus seinem Mund, plötzlich bäumte sich sein Körper in seinem letzten verzweifelten Todeskampf noch einmal auf, sein Blick die ganze Zeit auf ihre trostspendenden, dunklen Augen gerichtet, dann fiel er leblos in sich zusammen. Sie lächelte.

Es war 6.03 an einem kalten, sonnigen Wintertag. Marc Burgess war tot
 



 
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