Theodor Tausendfuß

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Theodor Tausendfuß

Es lebte einst ein Tausendfuß, Theodor wurde er genannt. Natürlich hatte er keine Tausend Füße, aber weil es den Meisten zu mühsam war, alle seine Füße zu zählen, sagte man, er hätte tausend. Viele Tiere fürchteten sich vor ihm, denn wenn er daherkam, war das Rascheln der Gräser und Blätter so laut, als ob eine ganze Armee im Anmarsch war. Aber Theodor war ein lieber Kerl. Er aß keine anderen Tiere und tat auch niemandem weh. Außer seinen Nachbarn hatte er niemanden, denn wann immer er jemanden kennenlernen wollte, liefen sie von ihm fort. Niemand hatte den Mut, sein Leben aufs Spiel zu setzen und so waren die meisten Tiere auf der Flucht, wenn sie ihn kommen hörten. Zu seinen Nachbarn gehörten die Dornsteins, eine Ameisenfamilie 3. Adels, die direkt unter ihm wohnten. Aber die Dornsteins fürchteten sie sich vor seiner Größe und seiner Länge und bangten davor von ihm eines Tages zusammengestampft zu werden. Er war so lang wie 20 ihrer Gattung und 5 Mal so groß wie sie. Flopsi der Grashüpfer wohnte ein Haus weiter, nur mochte er seinen behaarten Körper nicht und darum sprachen sie nie miteinander. Er war der eitelste, den Theodor kannte. Flopsi zupfte sich die Augenbrauen und wann immer es ging bewunderte er sich in einer Regentropfenpfütze. Roman Marienkäfer wohnte ein Stockwerk über ihm, aber er war nie zu Hause und Siggi Schmetterling, der 2 Stockwerke über ihm wohnte, hatte keine Zeit, weil er seinen Kindern seit Wochen Flugunterricht gab.
An einem Abend war Theodor so traurig über sein Alleinsein, dass er auch fliegen lernen wollte. Gerade an heißen Tagen machte ihm die Hitze schwer zu schaffen. So nahm er sich am nächsten Tag vor, Siggi Schmetterling aufzusuchen. Aber das war nicht so einfach, denn er konnte ja niemanden nach dem Weg fragen. So ging er wieder einmal alleine seines Weges und nachdem er den ganzen Nachmittag Siggi gesucht hatte, fand er ihn an einem Tulpenblatt. Dort sprang er immer wieder herunter und zeigte seinen Schmetterlingskindern, wie sie die Flügel einsetzen konnten.
„Siggi“, schrie Theodor. Siggi Schmetterling drehte sich um, flüsterte seinen Jünglingen etwas zu und flog zu Theodor hin. „Hallo Nachbar. Was hast du auf dem Herzen.“
„Weißt du,“ antwortete Theodor,“ im Sommer machen mir meine Füße immer Probleme. Wenn es so heiß ist, strengt mich das gehen so arg an, dass ich meistens kaum aus dem Haus komme. Da dachte ich mir, weil du gerade dabei bist, deinen Jünglingen das Fliegen beizubringen, ob du mir vielleicht nicht auch ein paar Flugstunden geben könntest.“ Da sagte Siggi: „Mensch Theodor, wie soll ich dir denn Fliegen beibringen, wenn du doch keine Flügel hast. Das ist wie Schwimmen lernen wollen ohne Arme und Beine.“ Da wurde Theodor traurig. Wieso hatte er keine Flügel? Er hätte liebend gerne die Hälfte seiner Füße gegen ein paar Flügel eingetauscht. „ Das ist nicht fair.“ Meinte Theodor. „Jeder der langsam auf dem Boden ist kann fliegen oder im Wasser schwimmen und jeder der Schnell ist braucht nicht zu fliegen. Aber ich bin langsam und habe keine Flügel. Nur diese blöden Füße.
Da meinte Siggi: „Nein, Theodor. „Jedes Tier wurde so ausgestattet, dass es sich in der Natur zu Recht findet. Kein Tier hat um sonst seine Eigenschaften. Sie dir Flopsi Grashüpfer an. Er hat so lange sprungvolle Beine, dass er den ganzen Tag durch die Welt hüpfen kann ohne zu ermüden. Oder sie dir Familie Dornstein an. Sie haben so viel Kraft in den Armen und Beinen, dass sie zu den fleißigsten Tieren gehören die ich kenne. Sie tragen immer etwas mit sich herum. Richtige Handwerker sind das. Immer bei der Arbeit. Jedes Tier hat eine Veranlagung, die es sich zu Nutze machen kann. Selbst du. Nur weißt du noch nicht, für was deine Füße gut sind. Aber ich versichere dir, es kommt der Tag an dem du es herausfinden wirst.“ Als Theodor das hörte, war er wieder froh, denn aus dieser Sicht hatte er es noch nicht gesehen. So machte er sich zufrieden auf den Heimweg. Doch nach einer Stunde schmerzten ihm seine Füße so sehr, dass er an einem Baumstamm anhielt. Und als er da saß, dachte er nochmals über Siggis Worte nach. Für was konnten seine Füße nur gut sein? Dabei sah er sich alle einzeln an. Doch so sehr er sich auch anstrengte und darüber grübelte, ihm wollte nichts einfallen. Und dann wurde Theodor wieder traurig, weil er glaubte, niemals eine Antwort darauf zu finden. Schließlich war er nun schon ein halbes Jahr alt und in seinem Alter gab es kein Tier, dass seine Fähigkeiten nicht bereits kannte. Er überlegte sich, ob er vielleicht mit seinen Füßen über das Wasser laufen konnte, aber nein, das wäre ja unsinnig. Als dann die Sonne langsam unterging, wollte sich Theodor wieder auf den Weg machen, damit er noch vor der Nacht zu Hause war und auf einmal, als er gerade versuchte vorwärts zu kommen, wusste er nicht mehr, mit welchem Fuß er als erstes Auftreten und welcher Fuß darauf folgen sollte. Er musste sich so stark beim gehen konzentrieren, dass er dabei schwitzte. Dabei kam er nur schleppend voran und so kam es dazu, dass sogar eine Schnecke ihn überholte. Da fing Theodor an zu weinen. Die Schnecke Schnaufi hörte Theodor und machte darauf hin halt. Sie fragte ihn, was denn los sei und da erzählte er ihr davon, dass er so gerne hätte fliegen lernen wollen und was Siggi ihm gesagt hatte und dass er nun vor lauter nachdenken jetzt nicht mehr wusste, welcher Fuß auf welchen folgte.
Und weil Theodor ihm so leid tat und mit ihm fühlte, fing Schnaufi auch an zu weinen. Schnaufi erzählte ihm, dass er auch solche Qualen litt. Er war so langsam, dass jeder über ihn lache, jammerte er. Und wie sie sich gegenseitig von ihren Leiden erzählten und laut weinten hörte Siggi Schmetterling die beiden auf dem Nachhauseweg. Siggi flog zu ihnen hin und fragte, was denn jetzt schon wieder wäre und als die beiden völlig am Boden zerstört ihm davon berichteten, grübelte er über die Wehgeschreie nach und meinte dann schließlich: „Ihr solltet nicht traurig sein. Ich weiß jetzt nämlich, warum ihr ganz spezielle Tiere seit.“ Da wurden die beiden hellhörig und lauschten seinen Worten. „Schnaufi, du bist zwar langsam, aber du brauchst ja auch nicht schnell zu sein, weil du ja nur Blätter frisst und die rennen ja wohl nicht weg vor dir. Du isst ja keine Tiere, andere aber schon und ohne ihre Schnelligkeit würden sie verhungern. Alles was DU brauchst liegt vor dir. Außerdem haben die meisten Tiere Feinde, vor denen sie sich schnell in Sicherheit bringen müssen. Wenn sie so langsam wären wie du, würden sie kaum einen Tag überleben. Wenn du dagegen dich bedroht fühlst und Angst bekommst, dann verkriechst du dich einfach in dein Häuschen. So schnell wie du ist niemand in Sicherheit!“ Als das Schnaufi hörte kullerten ihm riesige Freudentränen das Gesicht herunter. Das war das Schönste, was ihm je ein Tier gesagt hatte.
“Und du Theodor bist so laut mir deinen Füßen, dass jeder Angst vor die hat. Wenn man dich angreifen würde, bräuchte man so viele Tiere wie du Füße hast. Und dann hast du auch noch so viel Kraft in deinen Beinen, weil du ja viel viel mehr laufen musst als alle anderen Tiere. Nein! Dich greift keiner an und darum müsstest du so glücklich sein wie Schnecke Schnaufi. Ihr seit echte Glückspilze, wisst ihr das?“ Und als Theodor Tausendfuß darüber nachdachte freute er sich das erste Mal in seinem Leben, dass er ein Tausenfuß war und beklagte sich seit dem nie wieder über seines Daseins.
 
E

enniaG

Gast
Tierfabel

Hallo, Herbert Stahlvogel,
eine nette, kleine Tierfabel hast du geschrieben.
Man kann den Sinn dieser gut verstehen:

"Jeder sollte sich SO mögen, wie er IST ---"

Mir ist aufgefallen, dass du folgende Wörter zu oft benutzt:

Aber - denn - niemand.

Im Satz ...Siggi Schmetterling ..flüsterte seinen Jünglingen zu, würde ich besser schreiben: Jüngsten.

Und statt "für was?" lieber "wofür" wählen.



Das sollen nur einige Tipps sein.

Liebe Sonntagsgrüße sendet

enniaG
 

anemone

Mitglied
aufeinander zugehen

Danke Herbert für diese schöne Geschichte.

Und wenn auch das Gehen oft schwer fällt, freut euch trotzdem, dass ihr Beine habt und sie benutzen könnt, nicht nur zum Weglaufen!
 
Hallo Annemone,
vielen Dank für die netten Worte. Ich dachte schon, niemand interessiert sich für Theodor. Ich verstehe gar nicht, warum so viele Leser nicht Ihre Meinung zu einer Geschichte sagen. Nun ja, vielen Dank, jetzt weiß ich, dass es sich gelohnt hat, die Geschichte zu schreiben.

Gruß Herbert
 



 
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