Theorie der Dunkelheit

Hell

Mitglied
Theorie der Dunkelheit von Helena Mann



Vorwort: Albträume - Mit Albträumen hat bestimmt schon jeder so seine Erfahrungen gemacht. Wenn man etwas träumt, verarbeitet man Gedanken, Erlebnisse, Emotionen oder dergleichen, mit denen man sich in der Wachphase nicht genug beschäftigt hat. Zumindest glauben das die meisten... Ich habe da so meine eigene Theorie. Denn was in meinen Träumen passiert, kann einfach nichts sein, womit sich mein Unterbewusstsein beschäftigt. Meine Träume scheinen mich vor etwas warnen zu wollen, vor etwas, das mit einem Wald zu tun hat und mit einer schwarzen Wand. Seit diesen Albträumen hatte ich Angst vor dem Wald. Was früher mein Lieblingsplatz war, hatte sich zu dem von mir am meisten gemiedenen Ort umgeändert!

Kapitel 1: Der Albtraum
Wieder rannte ich durch den Wald, die schwarze Wand nur einige Meter hinter mir. Ich hielt die Feder fest in der Hand und die Daunen am unteren Ende waren schon ganz zerknittert. Die Bäume sausten wie dunkle Schatten an mir vorbei. Ich blickte zum Himmel hoch. Der Mond strahlte hell und es waren einige Sterne zu sehen. Überrascht blieb ich stehen, die erste Veränderung seit Tagen! Es lief doch sonst immer alles gleich ab. Die wunderschöne, weiße Feder zitterte heftig in meiner Hand. Ich war stehen geblieben - ich hatte einen Fehler gemacht, die Reihenfolge durcheinander gebracht. Ich spürte, wie mir kälter wurde und mein Herzschlag sich erhöhte. Die Wand hatte mich eingeholt, was zuvor noch nie passiert war. Es war als würde ich immer noch rennen, da die Bäume weiterhin wie vorbei fliegende Schatten aussahen. Aber ich stand. Ich wusste nichts über diese komische Feder, aber ich hatte das Gefühl, sie würde mir als Waffe dienen. Ich drehte mich zur Wand um und machte eine drohende Handbewegung mit der Feder.
\"Du weißt, dass sie stärker ist!\", schrie ich. \"Lass mich in Ruhe!\"
Die Wand wurde zu einer dickflüssigen Masse. Das schwarz-graue Muster auf ihr begann sich zu bewegen. Die Oberfläche schlug leichte Wellen und ein grummelndes Geräusch hallte durch den Wald. Sie kroch auf mich zu. Die inzwischen geleeartige Masse schien mich berühren zu wollen.
\"Du bekommst sie nicht!\", zischte ich. \"Sie gehört mir und ich beschütze sie!\"
Ich presste die Feder an mich. Würde ich sie hergeben, wäre das der Untergang, nur wovon wusste ich noch nicht. Eine ekelhafte, schwarze Hand, die das wenige Mondlicht zu verschlucken schien, drang aus der schlabbrigen Wand hervor und wollte mir die Feder entreißen.
\"Vergiss es, Drac!\", sprach ich und trat einen Schritt zurück.
Die Hand schnellte zurück, als hätte sie sich vor irgendwas erschrocken. Ein bitterer Hauch ging über meine Schulter. Ich traute mich nicht mich um zudrehen. Irgendetwas, das größer war als ich, atmete in meinen Nacken. Es atmete so langsam, dass ich das Gefühl hatte, es würde an mir riechen. Ich bewegte mich nicht und auch die Feder hielt jetzt still. Zuerst hatte ich wahnsinnige Angst, aber ich war mir auch sicher, dass es mir nichts tun würde. Dann drehte ich mich um und sah die schlaksige Gestalt, die etwa zwei Meter fünfzig groß war und einem Menschen ähnelte. Sie hatte einen Kopf, Arme, Beine, Rumpf und was nicht sonst noch so dazu gehört, aber kein richtiges Gesicht. Die Nase malte sich leicht ab, als wäre dieser Jemand in ein schwarzes Tuch gehüllt.
\"Negru, du bist ja auch da\", stellte ich fest.
Woher kannte ich eigentlich die Namen der seltsamen Kreaturen, die ich in keinem der anderen Träume ausgesprochen hatte? Negru stellte sich links neben mich und drehte den Kopf in meine Richtung, als würde er mich ansehen, dabei hatte er noch nicht mal Augen. Drac knurrte erneut und Negru schlang die langen Arme um mich, um mich wegzuziehen, denn Drac wurde wieder zu dieser festen Wand und schoss blitzschnell nach vorne. Hätte er mich getroffen, wäre ich Matsch gewesen. Alles klar, Negru war also scheinbar einer der Guten. Sein Gesicht, oder wie man es auch nennen sollte bewegte sich unter der dunklen Hülle und ein lauter, greller Schrei schmetterte in meinen Ohren. Er klang wütend und aggressiv. Die dünnen, schmalen Finger wickelte er um meine Schulter.
Ich fing heftig an zu zittern und sagte immer wieder zu mir selbst:\"Aufwachen, aufwachen, aufwachen!\"
Er schien es zu hören und ich fühlte, dass ich böse angestarrt wurde.
\"Ok, doch nicht aufwachen\", sagte ich, um ihn zu beruhigen.
Drac wurde zu einer Pfütze und versickerte im Boden. Negru hob mich hoch. Der Boden wurde jetzt anscheinend von Drac beherrscht und färbte sich ganz schwarz, ich konnte nicht hinsehen, weil meine Augen schmerzten, sobald ich es versuchte. Negru nahm mir die Feder aus der Hand und sie verschwand in seiner...Haut. Ich hatte einen wertvollen Schutz verloren. Konnte ich ohne die Feder überhaupt überleben? Ich wurde wieder abgesetzt und er gab mir zu verstehen, dass ich weglaufen sollte. Ich wusste nicht, wo Drac war und hatte Angst, er würde mir auflauern. Ich rannte, so schnell ich konnte, dabei wollte ich eigentlich bei Negru bleiben, oder ich wollte wenigstens die Feder wieder haben. Ich blickte noch mal zurück und sah, wie eine gigantische Welle auf Negru stürzte. Das dürre, längliche Wesen ging zu Boden und ich verlor jegliche Hoffnung die nächsten paar Minuten zu überleben. Dann wurde alles schwarz...

Kapitel 2: Besuch aus Rumänien
Glücklicherweise war ich aufgewacht und lag schweißgebadet neben meinem Bett. Geschockt sprang ich auf und rannte ins Wohnzimmer. Die Uhr zeigte 9:30 Uhr. Ich zitterte immer noch und schaltete den Fernseher ein, um mich zu beruhigen. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf die Soap, die gerade lief, um nicht an meinen Traum denken zu müssen. Nach einer halben Stunde schlug mein Herz wieder halbwegs normal. Ich trottete ins Bad und ging erstmal duschen. Ich putzte mir die Zähne und lief erneut ins Wohnzimmer. Ich zog meinen bequemen Schlafanzug wieder an und schnappte mir das Telefon. Hastig wählte ich die Nummer meiner Freundin. \"Duuud... duuud... Hallo?\", meldete sie sich.
\"Hi Maren, ich bin\'s.\"
\"Hi Vivi, was gibt\'s?\"
\"Ich hatte wieder diesen Albtraum!!\", erzählte ich und wurde ganz hysterisch.
\"Vivien Wolf, du machst mich noch wahnsinnig!\", warf sie mir vor. \"Das ist nur ein Albtraum.\"
\"Aber diesmal war er anders\", erklärte ich.
\"Aha, dann erzähl mal\", forderte sie mich auf und ich erzählte, was ich gesehen hatte.
Wir diskutierten noch einige Minuten darüber, ob ich Angst zu haben brauchte oder nicht und schließlich beendete ich das Gespräch indem ich ihr einfach Recht gab und versprach, dass ich keine Angst mehr haben würde. Plötzlich öffnete sich die Tür und ich schrie kurz auf, dabei war es doch bloß meine Mutter, die von der Arbeit im Krankenhaus wieder kam. Ich berichtete auch ihr von meinem Traum, sie sagte aber auch nur, ich solle mir keine Angst mehr machen. Ich musste irgendwas unternehmen! Unter Leute gehen, um mich abzulenken. Ich zog mich also an und steckte mir ein bisschen Geld ein. Zum Glück war es erst 11:00 Uhr und die Geschäfte hatten noch auf. Shoppen am Samstag Morgen... nicht gerade das gewöhnlichste auf der Welt. Aber weiter in der kleinen Wohnung rumhocken und nichts unternehmen hätte ich nicht geschafft. Ich fand tatsächlich ein paar schöne Sachen, die ich mir kaufte. Nach etwa einer Stunde hatte ich alle Läden in der kleinen Fußgängerzone abgeklappert. Ich wollte aber nicht nach hause, wo ich den Gedanken und Erinnerungen ausgesetzt war. Ich musste irgendwas unternehmen, irgendwo hingehen! Ich zückte mein Handy und rief ein zweites mal bei meiner Freundin an - besetzt.
\"Was mach ich jetzt?\", nuschelte ich vor mich hin.
Die etwa hundert Meter lange Fußgängerzone lief ich auf und ab. Ich probierte es erneut und es klingelte.
\"Ja bitte\", meldete sich schließlich ihre Mutter.
\"Ja, hier ist Vivien, ist Maren zufällig da?\", erkundigte ich mich.
\"Augenblick\", bat sie.
Es dauerte einige Sekunden, bis Maren ans Telefon kam.
\"Was ist?\", fragte sie.
\"Ähm... kann ich vorbei kommen?\", erwiderte ich.
\"Ok, was sollen wir denn machen?\", wollte sie wissen.
\"Keine Ahnung! Irgendwas!\", drängte ich.
\"Na gut, bis gleich.\"
Ich hatte es nicht weit bis zu ihr. Sie wohnt an einem Ende der Fußgängerzone und ich am anderen. Als ich vor der Tür des alten und edlen Hauses stand, musste ich mich bemühen, nicht öfter als drei mal hintereinander zu klingeln. Hätte ich mich nicht im Griff gehabt, hätte ich sicherlich tausend mal geklingelt. Ein summendes Geräusch bestätigte mir, dass die Tür sich geöffnet hatte und ich trat ein. Ich hörte Marens lautes Trampeln auf der Treppe und wusste, dass sie mir wieder zur Begrüßung um den Hals fallen würde. \"Vivi!!\", freute sie sich.
\"Maren!!!!\", freute auch ich mich.
Wir umarmten uns kurz und sie stolperte die Treppe wieder hoch, wobei sie:\"Auf in mein Zimmer\" rief.
Ich folgte ihr und oben angekommen präsentierte sie mir als erstes die neuen Bilder, die sie auf gehangen hatte.
\"Ich muss dir was erzählen\", kündigte sie an.
\"Was denn?\"
\"Meine Mutter bekommt Gäste, aus Transelvanien!!\", sagte sie, als wäre das etwas Schlimmes.
\"Cool! Ich mag Vampirgeschichten!\", stieß ich begeistert hervor.
\"Nee, nicht cool!\", verbesserte sie mich. \"Die nehmen für drei Tage mein Zimmer ein!\"
\"Oh... wirklich nicht so gut. Wann kommen die denn?\"
\"Die sind schon da\", erklärte sie.
\"Ach sooo... und wer sind Die?\", fragte ich.
\"So \'ne alte Frau und ihr Mann. Frühere Freunde und Arbeitskollegen meiner Eltern.\"
\"Aha... Du, ich hab Hunger, kann ich was essen?\"
\"Ja, ich auch\", gab sie zu und wir liefen in den ersten Stock in die Küche. Ihr müsst wissen, Maren hatte ein großes Haus. Und da saßen sie auch schon, der Besuch aus Rumänien. Maren kniff ihre braunen Augen zusammen und man sah, dass sie diese Leute verabscheute. Wenig später bemerkte ich auch wieso.
\"Hallo, ich bin Vivien\", stellte ich mich vor.
\"Hallo\", grüßte die alte Frau zurück.
Ihr Mann sagte nichts und deswegen schaute ich ihn grübelnd an.
\"Er ist taub\", klärte mich die Frau auf.
\"OH, das tut mir Leid...\"
\"Schon gut... zeig mal bitte deine rechte Hand\", bat sie.
\"Äh, na gut.\"
Ich reichte ihr meine rechte Hand.
\"Hast du in der letzten Zeit viel Stress?\", fragte sie.
\"Ja, woher wissen sie das?\", staunte ich.
\"Ich hab in deiner Hand gelesen.\"
Ich fand das eigentlich ganz cool, aber Maren hasste es, so leicht zu durchschauen zu sein. Ich war noch nie leicht zu durchschauen gewesen, aber ihr passierte so was auch ohne dass jemand magische Fähigkeiten hatte und sie musste auch noch mit so einer Person für drei Tage zusammenleben.
\"Erzähl mir von deinem Traum\", forderte die Frau mich auf und mir blieb der Mund offen stehen.
Dennoch erzählte ich davon. Ich erwähnte auch die Namen Negru und Drac, wobei sie ganz hellhörig wurde.
\"Drac heißt Teufel in Rumänien und Negru schwarz\", erklärte sie.
Das wusste ich bis dahin nicht. Ich kannte kein einziges rumänisches Wort, woher wusste ich also diese Bezeichnungen?
\"Der Traum hat vermutlich nichts zu bedeuten\", wollte sie mir weiß machen. \"Am besten vergisst du ihn wieder.\"
Natürlich hatte dieser Traum was zu bedeuten! Da war ich mir sehr sicher. Sie konnte mir erzählen, was sie wollte, dieser rumänischen Oma glaubte ich kein Wort! Da ich nicht unhöflich sein wollte, ließ ich mir nichts davon anmerken, sondern hörte mir noch ein bisschen von Rumänien an und erfuhr von der schönen Gegend und dass es dort frei lebende Wölfe gibt. Ab diesem Zeitpunkt wollte ich dort Urlaub machen. Seit meinem fünften Lebensjahr bin ich von Wölfen begeistert und dort waren sie noch nicht ausgerottet, im Gegenteil, da es kaum Probleme mit ihnen gab, konnten sie in Frieden leben. Maren beteiligte sich kaum an dem Gespräch und schließlich schnappte ich mir die Schüssel Cornflakes, wegen der ich überhaupt in die Küche gegangen war. Dann spazierten wir wieder in Marens Zimmer. Dort angekommen setzte ich mich mit ihr auf das neue Schlafsofa, auf dem ich schon einige Videonächte verbracht hatte.
\"Ich hab doch gesagt, die sind BÖSE\", erinnerte sie mich.
\"Hast du bemerkt, wie sie das Gesicht verzogen hat, als ich vom Traum erzählt habe?\", fragte ich.
\"Fang doch nicht schon wieder damit an, ich meine dieses komische Ich-kann-in-deiner-Hand-lesen-Getue\", laberte sie.
\"Aber bis jetzt hat alles, was sie gelesen hat, gestimmt\", meinte ich.
\"Vielleicht alles, was sie bei DIR gelesen hat!\", korrigierte sie.
\"War doch nicht so gemeint...\" Ich schaute in ihr blasses Gesicht. \"Was hat sie bei dir denn gelesen?\", fragte ich.
Sie blickte auf den Boden - sie machte sich Sorgen.
\"Nichts, was stimmt\", behauptete sie.
\"Und? Was hat sie denn gesagt, das nicht stimmt?\", wollte ich immer noch wissen.
\"Ach, die meinte nur irgendwas über meine Zukunft...\", nuschelte sie.
Ich schaute sie eindringlich an, mir wurde dieses Drumherumreden langsam zu dämlich.
\"Maren! Erzähl doch mal endlich\", forderte ich.
\"Ja ja! Ich soll wohl in der nächsten Zeit einen großen Fehler machen und angeblich nicht fähig sein ihn zu beheben.\"
\"Und was ist daran jetzt so peinlich?\", hakte ich nach. \"Was für einen Fehler?\"
\"Keine Ahnung! Irgendeinen Fehler halt!\", log sie.
\"Na gut... ist ja auch egal...\"
Ich beließ es dabei und schaute auf die große, weiße Uhr an der Wand. Das moderne Stück Kunststoff zeigte bereits 15:24 Uhr. Wo war die Zeit geblieben? Ich musste noch Hausaufgaben machen und mit den Hunden gehen, das hatte ich meinem Onkel versprochen.
\"Oh nein, ich muss los!\", bemerkte ich.
\"Wohin?\", fragte sie.
\"Mit den Hunden gehen und Hausaufgaben machen.\"
... noch mehr Ablenkung, ich schien den Rest des Tages beschäftigt zu sein.
\"Vielleicht kannst du ja mit kommen.\"
\"Ja, gerne. Ich hab Akira und Minerva schon lange nicht mehr gesehen\", erklärte sie. \"Wie geht es den beiden denn?\"
\"Eigentlich gut, aber Akira hat neulich wieder das Haus verwüstet, ich hab kurz nicht aufgepasst\", bereute ich.
\"So ist das halt. Minerva ist die ruhigere von beiden und Akira die aufmüpfige.\"
Ich zog meine hell braune Winterjacke wieder an und nahm die kleine Plastiktüte, in der sich mein Einkauf befand.
\"Sollen wir mal deinen Onkel anrufen und fragen, ob wir abgeholt werden können? Ich hab keine Lust, den ganzen Weg bis in den Wald zu laufen\", sagte Maren.
\"Der Wald...\", erinnerte ich mich. \"Der Albtraum...\"
\"Dir wird schon nichts passieren, es sind ja nur ein paar Bäume\", versicherte sie mir.
\"Nee, ich will doch hier bleiben!\", beschloss ich.
\"Es klingelt schon...\", ärgerte sie mich und hielt mir ihr Telefon ans Ohr.
\"Ich kann trotzdem noch nein sagen!\", währte ich mich.
\"Hallo\", sprach jemand am anderen Höhrer.
\"Alex?\", fragte ich.
\"Ja\", bestätigte er.
\"Äh ja... eigentlich sollte ich heute mit den Hunden spazieren gehen, aber kann ich das auch morgen machen?\" \"
Warum denn? Du hast doch gesagt, dass du das heute machst, weil ich keine Zeit hab!\"
\"Ja, aber... Ok...\"
Was sollte mir schon passieren? Ich gab schließlich nach und Maren und ich wurden von meinem Onkel abgeholt.

Kapitel 3: Gassi im Wald
^^Rappel, rappel^^, wir fuhren den alten, mit Schlaglöchern übersäten Waldweg entlang und polterten die Einfahrt hoch. Die Tannen, die denen aus meinem Traum ähnelten, sausten am Fenster vorbei. Der Wagen hielt an und ich öffnete die Tür. Minerva, ein schwarzer Rottweiler-Husky-Schäferhundmix mit grauer Schnauze und hell braunen Pfoten und braun-grauem Hals, und Akira, ein grauer Husky mit hellblauen Augen, stürmten auf mich zu, sabberten mein Gesicht voll und winselten und bellten vor Freude. Mein Onkel stieg auch aus und trottete genervt vom Lärm der Hunde ins Haus um die Leinen zu holen. Nach kurzer Zeit kam er wieder raus und drückte mir die rote Stoffleine für Minerva und die blaue Langlauf-Rollleine für Akira in die Hand.
\"Hier\", sagte er und begab sich wieder auf den Weg ins Haus.
\"Fährst du uns nicht runter in den Park?\", fragte ich.
\"Nein, ihr könnt doch in den Wald gehen\", schlug er vor.
\"Nee, nee, nee, nicht in den Wald. Ich wollte eigentlich irgendwo anders hin\", erklärte ich.
\"Vivi, ich hab keine Lust dich zuerst hier hoch zu kutschieren, um dann direkt wieder runter fahren zu dürfen!\"
\"Ja, wir können auch hier spazieren gehen\", plapperte Maren dazwischen, um einen Streit zu verhindern.
\"Hm\", murmelte er und schlenderte in den Altbau.
Entsetzt starrte ich Maren an.
\"Wir können auch hier spazieren gehen\", wiederholte ich.
\"Warum auch nicht?\", fragte sie, als wüsste sie nichts von meiner Angst.
\"Och, keine Ahnung, weil ich vielleicht TODESANGST habe?!?!\", brüllte ich.
\"Reg dich nicht so auf, du hast ja \'nen richtigen Schaden!\", behauptete sie.
\"Den hättest du auch, wenn du so was träumen würdest!\", schrie ich.
\"Ach egal, wenn du meinst! Ich hab keine Lust, mit dir zu diskutieren\", sagte sie, dabei hasste ich es, wenn sie sich einfach aus einem Streit heraus wandte.
Ich ging die steinige Straße hinunter, die durch den Wald bis in die Stadt führt. Maren hatte Schwierigkeiten neben mir her zu laufen, ich rannte fast, um meine Wut zum Ausdruck zu bringen. Stampfend marschierte ich den Berg hinab in das Tal, wo hinter den wenigen verbliebenen Tannen schon kleine Bäume zu sehen waren. Sie waren erst vier Jahre alt und sind gepflanzt worden, weil einige der alten, schönen Tannen, die ich so mochte, gefällt wurden und dafür sollte ein Mischwald wachsen. Schade, ich liebte die düstere Erscheinung dieser Bäume. Nach einigen Metern waren wir bei der ersten Abzweigung angekommen und bogen nach links ab, wo es dann wieder bergauf ging. Dann kam wieder eine Linkskurve um den kleinen Wasserturm, der in einen weiteren Minihügel eingebaut war. Auf ihm wuchsen ein paar vertrocknete Sträucher, die mich erst im Sommer wieder überragen würden. Einer meiner alten Lieblingsplätze, gerade im Frühjahr hatte ich mich gerne auf das Dach des Turmes gesetzt und hatte die Füße baumeln lassen. Wie oft hatte ich Stunden, nein, ganze Tage hier verbracht und zugehört, wie der Wind die Blätter bewegt, bis sie sich dann schließlich im Herbst verfärbten und von ihm davon getragen wurden? Ich kletterte an den von der Kälte ausgetrockneten Zweigen hoch und die Hunde folgten mir. Wie ich es immer getan hatte wenn es wärmer war, setzte ich mich auf den Rand des Daches. Maren krakselte auch hinterher und zog ein angenervtes Gesicht. Sie hatte nicht genug Begeisterung für diesen Ort um so lange dort rum zu sitzen und einfach nur nachzudenken.
\"Du bleibst jetzt aber nicht wieder \'ne Stunde hier hocken!\", mahnte sie mich.
\"Fünfzehn Minuten\", sagte ich und beobachtete die wenigen Blätter, die noch einzeln im Wind flatterten.
Eins mit einer schönen, weinroten Farbe fiel mir besonders ins Auge. Es zappelte so stark, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es abfallen würde und ich beschloss diesen Zeitpunkt abzuwarten. Eine Windböe kam auf und erfasste das Blatt. Es glitt auf ihr entlang und näherte sich dem Boden. Ich erstarrte vor Schreck, als ich sah, wo es landete. Eine blasse, junge Frau mit silbern glänzendem Haar stand in mitten des kleinen Laubwaldstücks, das stehen gelassen worden ist. Sie hatte ein bleiches Gesicht und trug ein langes, weißes Kleid, das sich mit dem Wind bewegte. Sie schien das Licht zu verschlingen, denn neben ihr wirkte das Stück Wald viel dunkler. Sie kam mir irgendwie bekannt vor.
\"Siehst du sie auch?\", fragte ich Maren flüsternd.
\"Hä? Was?\"
\"Siehst du sie auch?\", erkundigte ich mich erneut.
\"Wen?\", wollte sie wissen.
Ich schaute zu den Hunden, die in die Richtung der Frau starrten und es schien, als könnten sie sie auch sehen. Maren nahm diese Frau aber in keiner Weise war. Sie zupfte ein kleines, vertrocknetes Pflänzchen auseinander und nahm noch nicht mal den Blick der Frau war, der auf sie gerichtet war. Die Frau schien abschätzen zu wollen, ob Maren sie sehen konnte oder nicht. Dann hob sie ihre blasse Hand und winkte mir schüchtern und irgendwie kindlich.
\"Sie winkt mir\", stellte ich fest.
\"Wer denn?\"
\"Na diese Frau\", erklärte ich.
\"Welche Frau?\", fragte Maren wieder.
\"Davorne\", sagte ich und zeigte in den Wald.
\"Da ist keiner\", versicherte sie mir.
\"Doch! Du siehst sie nur nicht, aber sie ist da!\"
Maren schüttelte den Kopf und meinte:\"Du wirst langsam wirklich verrückt.\"
\"Ich geh da jetzt hin\", beschloss ich und stand auf.
Der Blick der Hunde wanderte zwischen mir und der Frau hin und her, sie würden mich im Notfall verteidigen. Ich ließ die Leinen einfach liegen, die Hunde brauchten sie sowieso nicht. Die Frau hatte immer noch einen geschauspielten, freundlichen Blick aufgelegt. Während ich einen Fuß vor den anderen auf sie zu setzte, wurde dieser Blick immer erwartungsvoller, sie wurde sich ihrer Sache immer sicherer. Minerva und Akira folgten mir und waren dabei besonders aufmerksam. Sie hatten die Ohren aufgerichtet und verfolgten jede Bewegung der jungen Frau. Ich war nur noch wenige Meter von ihr entfernt und wollte eigentlich umdrehen, lief aber wie hypnotisiert weiter. Die Frau streckte die Hand nach mir aus, obwohl sie mich noch lange nicht greifen konnte, dazu war ich noch zu weit weg. Ich ging immer weiter, bis ich fast vor ihr stand und schloss meine Augen. Ich berührte die silbernen Haare, bemerkte aber nicht, dass die Hunde schon längst knurrten-ich bemerkte nicht, dass ich in Gefahr war. Bis ich auf einmal einen brennenden Schmerz in meiner Hand spürte. Ein bekannter Schrei brachte die Hunde zum Schweigen.
\"Negru?\", flüsterte ich benommen und öffnete meine Augen.
Die Frau, die zuvor so hübsch gewesen war hatte sich verändert. Sie schien zu schmelzen. Sie wurde zu einer schwarzen Masse, die ich viel zu gut kannte.
\"Drac\", hauchte ich.
Ich fragte mich, wo Maren und die Hunde ab geblieben waren und versuchte meine Hand von ihm wegzuziehen, doch sie steckte in der widerlichen, schwarzen Masse fest.
\"Lass mich los!!\", schrie ich verzweifelt. \"Maren!! Hilfe!!\"
Ich war plötzlich allein mit den Kreaturen. Negru stand hinter mir, ich entdeckte ihn, als ich versuchte mich los zu reißen. Er atmete schon wieder so komisch und stürzte sich plötzlich auf Drac. Mit den langen ekligen Fingern versuchte er die glibbrige Gestalt von meiner Hand zu entfernen. Ich war erstarrt vor Angst und konnte mich erst nach wenigen Augenblicken wieder bewegen. Ich zappelte und schlug um mich, doch konnte mich trotzdem nicht befreien. Ich sah keine andere Lösung und versuchte Drac zu beißen. Es schmeckte nach Asche oder Ruß. Er ließ mich los und ich hatte das Gefühl, ich würde irgendwie in die Tiefe stürzen, wie aus einem Flugzeug. Ich fiel auf den mit Laub bedeckten Boden und sah zu, wie Drac und Negru sich aufzulösen schienen. Vor Wut und Angst schrie ich auf. Einige Sekunden saß ich einfach nur da, dann hatte ich genug Kraft gesammelt um wieder aufzustehen. Maren stand bereits hinter mir und starrte mich verwirrt an.
\"Ist alles in Ordnung?\", fragte sie.
Akira und Minerva standen einige Meter von mir entfernt. Sie hatten die Nackenhaare aufgestellt und wirkten sehr unsicher und verschreckt.
\"Was ist passiert?\", wollte Maren wissen.
\"...Weiß nicht...\", gab ich zurück. \"Ich hab keine Ahnung.\"
\"Du hast seltsam gezuckt und um Hilfe gerufen\", berichtete sie.
\"Also hast du sie nicht gesehen\", stellte ich verzweifelt fest.
Ich guckte meine Hand an. Keine Wunden. Nichts. Keine Beweise, die ich Maren hätte zeigen können.
\"Sollen wir nach hause? Das scheint mir doch was Ernstes zu sein\", sorgte sie sich.
\"Nein, ich werde sie jetzt ignorieren\", sagte ich tonlos und riss Maren die Leinen aus der Hand, die sie mitgebracht hatte.
Ich ging mit wackligen Beinen weiter. Einfach um den Wasserturm herum immer weiter den schottrigen Weg entlang. Maren redete auf mich ein.
\"Bitte Vivi, das war wirklich gruselig! Bitte! Ich glaube dir auch, aber lass uns jetzt wieder nach hause!!\", sagte sie.
\"Nein, ich geh weiter!\", beschloss ich. \"Ich werde diese Halluzinationen jetzt ignorieren!\"
\"Na schön!\" Ihre Stimme wurde wacklig \"Ich werde umdrehen\", behauptete sie und blieb stehen. \"Ich... Ich gehe jetzt...\" Sie flüsterte fast schon. \"Wenn es sein muss, lass ich dich allein und komm mit deinem Onkel wieder!\", drohte sie dann.
\"OK, ich geh in der Zeit schon mal weiter\", rief ich ohne mich um zudrehen.
\"Wo willst du überhaupt hin?!\", keuchte sie und rannte mir hinterher.
\"Mal sehen\", sagte ich ruhig und schaute in die Baumwipfel.
\"Mal sehen? Bist du bekloppt?! Du kannst nach so \'nem Anfall doch nicht einfach einen Spaziergang machen!\"
\"Ruhig Brauner!\", scherzte ich und tätschelte sie auf dem Kopf.
\"Bist du dir wirklich sicher? Ich meine... na ja... was war das eben? Was ist passiert? Die Hunde haben verrückt gespielt und gebellt und geknurrt. Ich glaube, du hast wirklich Recht und ich hab mich geirrt. Der Traum hatte wohl wirklich was zu bedeuten\", erkannte sie.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass wir schon an der Straße, die zu einer kleiner Ansammlung von Häusern führt, angekommen waren. Ich rief die Hunde zu mir und nahm sie an die Leinen. Wir gingen die Straße weiter entlang.
\"Mir geht es wirklich gut\", log ich. \"Ich hab eben die Wesen aus meinem Traum gesehen\", erklärte ich anschließend.
\"Und was war das für eine Frau?\"
\"Das war eigentlich Drac\", erläuterte ich und hatte Schwierigkeiten selbst ruhig zu bleiben.
Maren überlegte kurz, bis sie zusammenfasste:\"Drac ist also eine Art Formwandler oder so, er ist schwarz und kann seinen Aggregatzustand ändern. Noch dazu heißt Drac eigentlich Teufel. Negru heißt schwarz, er ist groß und dünn und versucht dich zu beschützen... zumindest ein bisschen...\"
\"Aber er hat mir in meinem letzten Traum die Feder weggenommen\", ergänzte ich. \"Und sie suchen mich auf einmal auch in der Realität heim.\"
\"Du darfst nicht vergessen, dass ich die beiden nicht sehen kann. Nur du kannst das... wie unfair...\"
\"Minerva und Akira nehmen sie aber auch wahr\", verbesserte ich. \"Ach ja, diese Visionen hatten bis jetzt auch was mit dem Wald zu tun und etwas mit dem rumänischen Besuch\", erinnerte ich mich.
Maren schaute sich um und zog die Augenbrauen runter.
\"Ich hab Angst\", hauchte sie und packte meinen Arm.
\"Maren...\", zischte ich. \"Ich auch. Würdest du meinen Arm bitte dennoch nicht zerquetschen?\"
\"Sorry\", nuschelte sie und löste ihren Griff.
\"Hast du irgendwie trainiert?\", fragte ich und reckte meinen Arm.
Sie kicherte leise und sagte dann nochmal:\"Ich hab Angst.\"
Nach wenigen Metern kamen wir an den letzten Häusern vorbei und landeten an einer Schranke, die dafür sorgt, dass keine Autos ins dahinter liegende Naturschutzgebiet eindringen. Ich ging einfach an der Seite vorbei und leinte die Hunde wieder ab.
\"Und, wo gehen wir denn nun hin?\", fragte Maren nochmal.
\"Hm... in den Wald\", antwortete ich.
\"So viel hab ich auch schon mitbekommen!\", meckerte sie. \"Es wird bald dunkel!\"
\"Ich weiß, ich weiß. Wir drehen um, wenn es dämmert\", versuchte ich sie zu besänftigen.
\"Es dämmert doch fast schon!\", beschwerte sie sich.
\"Es ist doch erst halb fünf, oder?\"
\"Es ist schon fünf und im Winter wird es früh dunkel!\"
\"Aber \'ne halbe Stunde macht doch kaum einen Unterschied.\"
Wieder blieb Maren stehen.
\"Warum bist du so besessen darauf weiter zu gehen?\", fragte sie.
Ich blieb auch stehen und drehte mich um.
\"Ich sollte mit den Hunden Gassi gehen und das mach ich jetzt auch!\"
Sie stöhnte und ging dann weiter. Ich hatte selber keine Ahnung, was mit mir los war und war sehr froh, dass Maren mich trotz ihrer Angst und Verwirrung begleitete als ich in den Wald lief. Ich schaute verkrampft auf den Boden und überlegte, ob ich mir die Zeit nehmen sollte, meinen Schnürsenkel zu zubinden, entschied dann aber, dass es wichtiger war, einfach stur weiter zu laufen. Ich wusste noch nicht mal, wo ich hin wollte. Ich hatte nur das Gefühl, möglichst weit in den Wald laufen zu müssen. Plötzlich fingen die Hunde an zu knurren und zogen die Schwänze ein. Sie legten die Ohren an. Dann hörte ich wieder den lauten Schrei von Negru.
Maren bemerkte das Verhalten von Minerva und Akira und stieß entsetzt hervor:\"Was ist los? Sind sie wieder da?\"
\"Negru hat geschrien\", gab ich als Antwort.
Ich schaute mich um-es dämmerte jetzt.
\"Es reicht!! Lass uns sofort umdrehen!!\", jammerte sie.
\"Nein.\" Ich war mir nicht sicher, ob ich es gesagt oder gedacht habe.
\"Vivi!!\", schrie sie. \"Ich will nach Hause! Du machst mir Angst!!\"
Irgendetwas knackte im Wald.
\"Scht...\", machte ich und lauschte.
Kein weiteres Geräusch. Maren klammerte sich an mich und war kurz davor zu heulen, was auch eigentlich verständlich war. Ich wundere mich, warum ich damals nicht geheult habe und nach Hause gegangen bin. Ich ging trotzdem weiter. Maren stolperte immer öfter, je dunkler es wurde. Irgendwann spendete dann nur noch der Mond Licht.
\"Es ist Vollmond\", stellte sie fest. \"Das ist wie in einem Horrorfilm... Teenager allein im Wald, komische Geräusche, dann du mit deinen verrückten Visionen!\"
\"Tja\", sagte ich und schaute sie an. \"Du wirst zuerst gefressen.\"
Diese Bemerkung machte ich zur falschen Zeit. Minerva kam angelaufen und hatte irgendwas im Maul. Ich schaute näher hin und auch Maren ging mit dem Gesicht näher ran, um etwas erkennen zu können. Dann kreischten wir beide laut los. Minerva hatte riesige Zähne mit Klauen und allem drumherum. Zumindest kam es uns in unserer Panik so vor. Doch dann spuckte sie es aus und ich erkannte, dass es das Gebiss eines toten Wildschweins war. Man findet so manche Tierknochen im Wald. Ich wollte erst gar nicht wissen, wo der Rest des Kadavers lag. Wir schwiegen nach diesem Schock erst einen Augenblick, bevor wir begannen zu lachen.
\"Ok, ich glaub, wir sollten wirklich umdrehen...\", sagte ich immer noch kichernd.
\"Danke, Vivi. Ich dachte schon, ich muss hier im Wald sterben. Bitte mach sowas nie wieder!\", bat sie.
\"Hm\", machte ich nur und trat wieder gegen das Wildschweingebiss.
Eigentlich wollte ich es aus Spaß mitnehmen, aber ich ekelte mich davor es an zufassen-es stank und ein paar Fleisch- und Hautfetzen hingen noch daran. Hunde freuen sich, wenn sie irgendwas Stinkendes finden und knabbern dran herum oder welzen sich sogar darin. Wie eklig!! Aber ich würde es erst anfassen, wenn es desinfiziert ist. Minerva trug es im Maul mit sich herum, bis wir bei meinem Onkel angekommen waren. Der Rückweg war eigentlich ziemlich unspektakulär. Maren und ich wurden zum Glück mit dem Auto wieder in die Stadt gefahren.

Kapitel 4: Minune
Maren hatte bei mir übernachtet, da der rätselhafte Besuch aus Rumänien in ihrem Zimmer schlief. Das war die erste Nacht in der ich nichts träumte. Morgens, so gegen zehn wurde ich wach. Maren beugte sich über mich und ich blinzelte überrascht ein paar mal.
\"Gut geschlafen?\", fragte sie mit guter Laune.
\"Warum so fröhlich? Was hab ich verpasst?\"
\"Diese blöde alte Frau und ihr tauber Mann wollen wieder abreisen\", entgegnete sie.
Ich gab ein gurgelndes Geräusch von mir und rollte mich auf die andere Seite.
\"Meinst du, die weiß, dass wir im Wald waren?\", fragte ich als ich mehr bei Bewusstsein war.
\"Woher sollte sie das wissen?\"
\"Die is doch so \'ne Wahrsagertante\", erinnerte ich sie.
Maren wollte, dass ich aufstand, also rollte sie mich einfach von der dunkelroten Schlafcouch runter. Während ich schlaftrunken auf dem Boden lag und begann zu frieren, weil die Balkontür offen stand, klappte sie die Couch zusammen. Leider besitzt Maren das Feingefühl eines Dickhäuters... ich rappelte mich also auf und kontrollierte ob etwas zu Bruch gegangen war - ich hatte nämlich ein verdächtiges Knacksen gehört, aber alles war noch ganz.
\"Ich mach schon nichts kaputt\", schimpfte sie.
Ich lächelte nur und schaute zur Wohnzimmerlampe, die bei meiner letzten Geburtstagsparty demoliert worden ist. Sie grinste auch, sie wusste genau, dass es ihre Schuld war.
\"Ich schenk dir \'ne Neue zum 16. Geburtstag\", versprach sie.
Ich grübelte ein wenig vor mich hin.
\"Haben du Rumänen einen Grund für ihre Abreise genannt?\", wollte ich wissen.
\"Irgendwelche geschäftlichen Gründe, aber das ist bestimmt gelogen.\"
\"Das hat was mit Negru und Drac zu tun\", vermutete ich.
\"Ja\", stimmte sie mir zu. \"Vielleicht haben sie Negru und Drac ja geschickt und wollten schauen, ob sie ihre Sache gut machen.\"
\"Du meinst Negru und Drac erfüllen einen Auftrag?\", fragte ich.
\"Weiß nicht... könnte doch sein.\"
\"Hmm... aber Negru und Drac kommen mir vor wie Feinde. Drac - böse, Negru - gut\", meinte ich.
\"Stimmt... und was, wenn das geschauspielert ist?\"
Ich schaute sie ungläubig an.
\"Warum sollte das geschauspielert sein?\"
\"Keine Ahnung. Vielleicht wollen sie, dass du das denkst.\"
\"Vielleicht bin ich auch einfach nur bescheuert und geisteskrank\", überlegte ich.
\"Ach Quatsch! Ich hab\'s doch selbst auch bemerkt!\", sagte sie.
\"Hm...\", gab ich von mir und setzte mich auf einen der Stühle an den Tisch.
\"Frühstück?\", fragte ich.
\"Frühstück\", bestätigte Maren und ich schlug vor:\"Lass uns zur Bäckerei gehen.\"
Der Bäcker ist gleich um die Ecke, also ist das ein gern gewähltes Ziel von Maren und mir. Wir sprachen die Frau, die immer Sonntags an der Kasse steht sogar schon mit Vornamen an, Johanna. Nach der Morgenhygiene machten wir uns auf den Weg. Maren hatte Hunger, großen Hunger und holte sich drei belegte Brötchen. Ich holte mir zwei Croissants.
\"Bezahlt ihr zusammen?... Bezahlt ihr zusammen?\", fragte Johanna einige male, bis ich es endlich mitbekam.
Ich wurde von einem schönen Hund, der aussah wie ein Wolf abgelenkt. Er war allein unterwegs. Kein Herrchen, kein Halsband. Er bewegte sich auch nicht wie ein Haushund, viel wilder. Er war mager und wirkte aus gehungert. In so einem kleinen Kaff, wie es unsere Stadt ist, hatte ich noch nie einen Streuner gesehen. Er tat mir Leid.
\"Ich bezahle schon\", sagte Maren und reichte der braunhaarigen, relativ jungen Johanna Geld über die Theke.
Durch das Schaufenster sah mich der Hund an.
\"Ich nehm noch ein Schinkenbrötchen\", fügte ich hinzu und bezahlte es dann.
Der Hund wandte seinen Blick nicht ab. Wusste er, dass das Brötchen für ihn war? Wir gingen wieder heraus und da kam er wie selbstverständlich auf mich zugelaufen. Ich zögerte zuerst und legte das Brötchen dann auf den Boden. Er begann darauf rumzukauen und wir machten uns wieder auf den Weg. Zu meiner Überraschung lief er uns hinterher.
\"Na toll, jetzt will er noch mehr Essen haben\", nörgelte Maren. \"Musst du auch immer alles füttern, was uns über den Weg läuft?\"
\"Er tut mir halt Leid! Guck doch nur, wie abgemagert er ist!\"
Ich zeigte auf den knochigen Körper des Hundes.
\"Ganz ehrlich, entweder gehört er irgendwem, er wird eingefangen und landet im Tierheim oder er stirbt!\"
\"Dann nehm ich ihn mit!\", sagte ich stur.
\"Was? Du hast schon zwei Hunde, schon vergessen? Ich glaube mit dreien wird es dann langsam schwierig!\", erklärte sie.
\"Aber wenn er sonst stirbt oder ins Tierheim kommt! Ich bin mir sicher, dass er keine Familie hat.\"
\"Bist du verrückt?!\", brüllte sie.
\"Die Frage haben wir doch schon längst geklärt, ja bin ich!\"
\"Aarrrgh!\", brummelte sie und schwieg danach.
\"Ok, wir gehen erstmal zu dir und rufen dann beim Tierheim an. Sind die Rumänen eigentlich schon weg?\"
\"Die wollten heute morgen abfahren, meine Mutter hat mich auf dem Handy angerufen.\"
\"Gut, dann können wir den kleinen Kerl in den Innenhof sperren und das Tierheim verständigen\", schlug ich vor.
\"Warum lassen wir ihn nicht einfach hier? Irgendwer anderes ruft dann bestimmt das Tierheim an!\"
\"Ich hab ihn aber ins Herz geschlossen! Ich glaub, ich nenne ihn Friedhelm...\", sagte ich um sie ein bisschen zu ärgern.
\"Ha ha\", nuschelte sie.
Wir gingen zu ihr und lockten den Hund mit ein paar Scheiben Fleischwurst in den Innenhof des großen Hauses. Dann liefen wir in Marens Zimmer und entdeckten einen unerwünschten Besucher, von dem wir dachten, er sei schon längst weg. Der taube Mann saß auf Marens Schlafsofa und betrachtete eine Kette. Genau genommen ein Lederband mit einer kleinen weißen Feder daran. Maren und ich verharrten nur erschrocken in der Türschwelle.
\"Für dich\", flüsterte er und reichte mir die Kette.
\"Was...?\", sagte ich, aber er konnte es ja nicht hören.
Er hielt mir die Kette hin und ich nahm sie zögernd in die Hand und betrachtete sie.
\"Ihr habt Minune mitgebracht\", sagte die rumänische Frau hinter uns und ich zuckte zusammen.
Dann drehte ich mich um und fragte:\"Was haben wir mitgebracht?\"
Sie lächelte.
\"Minune, das heißt Wunder. Unser Hund heißt so.\"
\"Und Sie lassen ihren Hund einfach auf der Straße rum streunen?! Er hätte überfahren werden können!\", schimpfte ich.
\"Sie ist vorsichtig genug im Umgang mit Autos und sie hat euch ja schließlich her geführt.\"
\"Sie? Ach so, ich dachte es wäre ein Männchen, aber egal. Woher wusste sie denn wer wir sind?\", fragte ich. \"Es ist doch nur ein Hund.\"
\"Minune heißt Wunder\", sagte sie statt eine Antwort zu geben.
\"Und was soll ich mit der Kette?\"
\"Anziehen\", befahl sie mir dann.
\"Warum?\"
\"Sie beschützt dich.\"
\"Ähh... danke\", murmelte ich und zog die Kette über den Kopf. \"Und wie haben Sie Minune mit hierher gebracht?\", erkundigte ich mich.
\"Minune hat selbst her gefunden. Daher auch der Name. Sie überrascht mich immer wieder aufs Neue. Sie ist ein kleines Wunder.\"
Ich entdeckte Minune hinter ihr. Sie schaute mich immer noch an. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie dunkelgraue Augen hatte. Graue Augen mochte ich schon immer gerne, ich finde das sieht irgendwie weise und geheimnisvoll aus. Ich habe leider mehr blaue als graue Augen. Ich stupste Maren an, um ihr zu zeigen, dass ich angeguckt wurde. Dieser Hund hörte einfach nicht auf mich an zu starren.
\"Ich glaube, sie will noch mehr Fleischwurst\", kicherte Maren.
\"Warum lässt die mich nicht aus den Augen?\", überlegte ich laut.
\"Sie passt auf dich auf\", flüsterte die Frau.
\"Oh... was...\", stotterte ich.
\"Komm Vivi, wir gehen zu dir\", sagte Maren und packte mich am Arm.
\"Was ist denn los?\", fragte ich.
\"Findest du das nicht auch gruselig?\"
\"Öhm... joa.\"
Maren grunzte aufgeregt und zog mich weiter. Sie ließ mich erst los, als wir im Keller angekommen waren.
\"Was sollen wir hier?\", fragte ich immer noch unsicher.
\"Ich hoffe, hier kommt sie uns nicht hinterher\", antwortete sie ganz aus der Puste.
Sie atmete einige male tief durch und sprach dann weiter.
\"Was soll das mit dieser Kette?\" Sie zeigte auf den Anhänger, die weiße Feder, und sagte:\"Die hat dir Negru doch abgenommen, oder?\"
Ich schwieg...
\"Stimmt...\", sagte ich nach einer Minute. \"Also wissen wir jetzt, dass sie was mit Negru zu tun haben\", erkannte ich.
\"Und dann auch noch ihr seltsames... Haustier\", fügte sie dazu. \"Das ist doch kein normaler Hund!\"
\"Minerva und Akira konnten Negru und Drac doch auch sehen, sind sie denn dann normale Hunde?\", fragte ich mit einem etwas zu lautem Ton.
Die Rumänen hatten uns gehört und waren uns gefolgt.
\"Tiere haben ein anderes Gespür für Magie\", flüsterte die Rumänin mir von hinten ins Ohr.
\"Ich bin doch kein Tier\", beschwerte ich mich.
\"Du bist was noch ganz anderes\", sagte sie.
\"Bitte in meiner Sprache!\", forderte ich.
\"Das findest du schon selbst raus. Ich darf dir nicht zu viel verraten.\"
\"Natürlich dürfen Sie! Ich erzähl es auch keinem!!\", behauptete ich.
Maren schaute nur ängstlich in meine Richtung. Ich drehte mich um, sah aber nur die Frau, ihren tauben Mann und Minune. Eigentlich genug Grund, Angst zu haben, wenn man bedenkt, was die zuvor noch geschwafelt hatten.
\"Was ist los, Maren?\", fragte ich.
\"Ich glaub, die verfolgen uns!\"
\"Wir verfolgen euch nicht\", widersprach die Frau. \"Wir beschützen dich.\"
Sie redete plötzlich nur noch mit mir und ließ Maren ganz aus dem Gespräch heraus.
\"Du bist in Gefahr, dass hast du doch bestimmt schon selbst gemerkt.\"
\"Uff, ja. Ich glaub Drac will mich umbringen\", stimmte ich ihr zu.
\"Hm, na ja...\"
\"Wie na ja?\"
\"Ich darf dir nichts mehr verraten! Es ist dafür zu früh.\"
\"Ich hasse so was!! Die schweren Rätsel muss man immer selber lösen! Ich will nichts davon wissen!! Immer auf mich!!!!!!! Ich will da nicht mit machen!\", schrie ich.
Dann beruhigte ich mich wieder.
\"Ok, und was, wenn ich mich einfach weigere und gar nichts mache?\"
\"Das ist so gut wie unmöglich. Wenn du nicht freiwillig mit machst, werden deine Visionen immer stärker, sie werden immer mehr in die Realität übergreifen, so wie beim letzten mal\", wurde mir erklärt.
\"Was soll ich denn überhaupt machen? Ich hab keinen blassen Schimmer, was Sie von mir wollen!\"
\"Als du im Wald warst, warst du doch wie in einer Art Trance, hast du das gemerkt? Du wurdest weiter gelockt. Auf dieses Gefühl musst du vertrauen.\"
\"Vertrauen?! Sie machen mir Angst mit ihrem Geschwätz!! Ich vertraue Ihnen doch nicht! Und in den Wald gehe ich auch nicht mehr! Drac lauert mir doch bestimmt auf!!\"
\"Negru beschützt dich und Minune wird dich auch beschützen.\"
Die ließ einfach nicht locker. Ich hatte Angst, ich wollte nicht wieder in den Wald gehen, würde aber dazu gezwungen werden, wenn ich mich nicht freiwillig dazu bereit erklärte. MANN!! Ich hielt mich ohne hin schon nicht für normal und dann kam auch noch so was!
\"Warum muss ich unbedingt solche Visionen bekommen??!!\"
Sie wollte zu einem Satz ansetzen, sagte dann aber doch nichts.
\"Oh nein!\"
Ich schüttelte heftig den Kopf, es tat schon fast weh, aber ich wollte mich irgendwie körperlich abreagieren, meine Wut raus lassen.
\"Warum ich und nicht irgendwer anderes?\"
\"Weil es keine anderen gibt.\"
\"Wie meinen Sie das?\"
\"Du darfst nichts erfahren, bis es vorbei ist\", sagte sie und ging dann die Kellertreppe wieder hoch.
Ihr Mann und ihr Hund folgten ihr.
\"Grrrr\", knurrte ich und trat gegen einen Sack mit Kartoffeln.
Dummerweise riss er auf und der Inhalt kullerte heraus. Ich seufzte und hockte mich hin um alles aufzuheben. Maren half mir dabei. Eine nach der anderen hoben wir die Kartoffeln vom kalten Steinboden auf. Als wir endlich fertig waren liefen auch wir die Treppe hoch. Ich sagte nichts. Ich musste erstmal verarbeiten, was ich gehört hatte.
Maren schaute zu mir rüber und meinte:\"Sollen wir doch lieber zu dir gehen?\"
\"Ja\", antwortete ich und nahm die Feder in die Hand.
Ich schloss sie in meiner Faust ein und hoffte insgeheim, dass sie verschwunden sei, wenn ich meine Hand wieder öffnete. Ich hoffte, ich würde aus einem weiteren Albtraum erwachen. Aber es war real. Minune wartete am Ende der Treppe auf uns. Der Blick ihrer grauen Augen schüchterte mich ein wenig ein.
\"Na, du\", begrüßte ich sie.
Ich versuchte meine Angst zu überspielen und streichelte Minune über den Kopf. Ich versuchte so zu tun, als wäre es ein Hund wie jeder andere. Aber ich brauchte mir nichts vor zu machen, ich wusste genau, dass alles, was sich zur Zeit in meinem Umfeld befand, nicht normal war. Maren und ich trotteten ohne weitere Konversationen zu mir. Auf dem Weg durch die Fußgängerzone aßen wir das Zeug aus der Bäckerei. Maren war voller Krümel, als wir vor der Haustür meiner Wohnung standen und klingelten. Meine Mutter öffnete uns und wir liefen direkt in mein Zimmer. Maren schloss die Tür nachdem sie eingetreten war. Ich setzte mich auf meine blau-gemusterte Schlafcouch. Von dort aus kann man aus dem Fenster sehen. Ich traute meinen Augen nicht, als ich erkannte, wer dort herum schlich.
\"Minune\", sagte ich verwundert.
Maren ging zum Fenster und ich begab mich auch dorthin.
\"Sie verfolgt uns\", stellte ich fest.
\"Falsch.\" Maren guckte finster. \"Sie verfolgt dich.\"
Ich musste an diese typische Melodie denken, die immer in Filmen zu hören ist, wenn etwas schlimmes und unerwartetes passiert - Da da daamm! Minune schaute zu uns hoch und machte keinerlei Anstalten den Blick wieder abzuwenden, also ließ ich die Rollläden herunter.
\"Meinst du, ich sollte meiner Mutter was davon erzählen?\", fragte ich Maren.
\"Nein, ich würde es ihr nicht erzählen\", antwortete sie.
Eigentlich fand ich, meine Mutter sollte davon erfahren, aber ich war auch irgendwie mit der Situation überfordert und das wäre erst recht so, wenn meine eigene Mutter mich für geisteskrank halten würde.
\"Na gut... aber was sollen wir denn jetzt machen? Wie soll das denn enden?\"
\"Ich würde sagen, wir warten einfach mal ab\", sagte sie.
\"Abwarten? Bist du früher mal vom Wickeltisch gefallen?! Ich meine, in der Situation, in der wir uns grade befinde, sollte man vielleicht nicht nur abwarten!\", brüllte ich.
\"Alles ok?\" Meine Mutter klopfte gegen die Tür.
\"Ja! Alles klar!\"
\"Streitet ihr euch?\"
\"Nein!\", krakeelten Maren und ich gleichzeitig.
\"Sicher?\"
\"Ja!\", riefen wir wieder wie aus einem Mund.
\"Ok ok, ich geh ja schon.\"
Kaum war sie wieder weg stellte ich noch eine Frage:\"Woher kommt eigentlich dieser Sinneswandel?\"
Ich spinkte vorsichtig zwischen den Rillen des Rollos hindurch. Minune stand unverändert da und starrte immer noch in unsere Richtung. Es schien, als würde sie durch das verdeckte Fenster hindurchsehen.
\"Wie meinst du das?\", fragte Maren.
\"Also, zuerst sagten die Rumänen, ich solle meinem Traum keinen Glauben schenken und jetzt geben sie mir irgendwelche Anweisungen und erzählen mir was von seltsamen Visionen und...\"
Ich wurde durch das Klingeln von Marens Handy unterbrochen. Sie verzerrte das Gesicht, während sie die Sms ihrer Mutter las.
\"Ich muss nach hause, ich schreibe am Mittwoch eine Mathearbeit und hab noch nicht gelernt\", sagte sie.
\"Oh\", sagte ich nur und ehe ich es richtig mitbekam war sie auch schon weg.
Dann biepte auch mein Handy, aber die Nummer war unterdrückt. Mit Zweifeln drückte ich auf den grünen Höhrer, um das Gespräch anzunehmen.
\"Hallo, hier ist Vivien.\"
Am anderen Ende der Leitung herrschte einige Sekunden lang Stille und ich wollte gerade wieder auflegen, als ich die seltsam freundliche Stimme der Rumänin erkannte.
\"Guten Tag Vivien, würdest du bitte mal ans Fenster kommen und die Rollläden wieder hoch machen?\"
\"Woher haben sie meine Handynummer?!\", fragte ich panisch.
\"Das tut nichts zur Sache. Komm bitte ans Fenster, damit ich dich sehen kann.\"
\"Ihr stalkt mir nach!\"
\"Beruhige dich.\"
\"Nein, gehen sie weg oder ich rufe die Polizei!\", drohte ich.
Darauf folgte keine Antwort. Ich stand vor dem Fenster und blinzelte erneut durch die kleinen Löcher. Sie standen unten vor der Wohnungstür, Minune und die Rumänen.
Dann sagte sie nochmal:\"Mach jetzt das Rollo hoch.\"
Es hatte einen befehlenden Ton an sich und das mochte ich gar nicht.
\"Was, wenn nicht?\", stellte ich mich stur.
Ich zog meinen Kopf vom Fenster zurück und es wurde plötzlich dunkel in meinem Zimmer. Es kam nur noch schwaches Sonnenlicht durch die einzelnen Rillen, durch die ich nach draußen geguckt hatte. Ein röchelndes Schnaufen ertönte hinter mir. Ich bekam Angst und erstarrte.
\"Vivien, ... wir haben unsere Mittel und Wege dich dazu zu bringen, zu machen, was wir verlangen\", erklärte mir die Frau.
Ich antwortete nicht, sondern nickte einfach nur stumm.
\"Es ist nur Negru, dreh dich endlich um.\"
Ich gehorchte und drehte mich um. Negru beugte sich nach unten, sodass unsere Köpfe in gleicher Höhe standen. Ich spürte, wie sich jedes einzelne Haar auf meinen Armen aufstellte - Gänsehaut.
\"Und jetzt mach das Rollo hoch!\"
Ich tat, was sie von mir verlangte.
Sonnenstrahlen erhellten mein Zimmer und die Stimme am Telefon sprach weiter:\"Komm jetzt bitte runter und sag deiner Mutter, du kommst heute Abend wieder, so gegen sechs.\"
\"W-wo wollen Sie mit mir hin?\", fragte ich.
\"Das wirst du dann sehen.\"
Negru war verschwunden und ich ging zu meiner Mutter und erzählte ihr, ich würde bis sechs in die Stadt gehen.

Kapitel 5: Orgelklänge
Mit einem mulmigen Gefühl polterte ich die Treppe der Wohnung hinunter. Als ich in der untersten Etage ankam und zur Haustür ging, traute ich mich kaum sie zu öffnen, aber wenn ich wollte, dass meine Visionen ein Ende nehmen, musste ich den Rumänen helfen. Ich drückte die Klinke runter und machte die Tür langsam auf. Es war so ungefähr zwölf und es war Sonntag, trotzdem waren vergleichsweise viele Leute auf der Straße. Keiner achtete auf mich, niemand bemerkte, was geschah. Die Rumänen hatten sich inzwischen auf die andere Straßenseite gestellt. Als kein Auto mehr kam, lief ich schnell zu ihnen rüber. Als wäre es selbstverständlich, legte mir die grauhaarige Rumänin einen Arm um die Schulter. Ich glaubte, sie tat das aber nur, um sicherzugehen, dass ich nicht weg rannte. Sie führten mich durch die Stadt, bis zu unserer Kirche. Das alte, eindrucksvolle Gebäude, das ich schon immer sehr schön fand, war nicht weit weg von der Wohnung meiner Mutter und mir. Die schwere Tür mit Holzmusterungen darauf wurde mir von dem tauben Mann aufgehalten. Ich ging hinein und wartete auf die Frau und ihren Mann. Minune blieb draußen. Die beiden setzten sich in eine der Bankreihen und wiesen mich an, mich daneben zu setzen. Die Messe war entweder schon vorbei oder hatte noch nicht angefangen. So oder so waren wir die Einzigen. Na ja, da die Orgel laut in der Kirche hallte, war wohl noch jemand da, der sie spielte.
Wir saßen eine Weile stumm nebeneinander, bis ich fragte:\"Warum haben sie mich denn hierher gebracht?\"
\"Hör doch nur\", sagte die Frau und lauschte eine Weile. \"Diese Musik wirst du in Zukunft öfter zu hören bekommen.\"
\"Wieso? Werden Sie mich jetzt dauernd mit hierher nehmen?\"
\"Solche Klänge hört man nicht nur in der Kirche.\"
\"Wo denn dann?\"
Der Mann drehte sich zu mir hin und lächelte.
\"Vielleicht im Wald\", flüsterte er.
\"Ich dachte Sie sind...\"
Ich hörte mitten im Satz auf zu sprechen aus Angst, ich könnte ihn beleidigen.
\"Einer der wenigen Orte an denen ich hören kann\", erklärte er und sah sich dabei in dem großen Kirchensaal um. \"Hier hat Drac keinen Einfluss auf mich.\"
\"Wer oder was ist Drac denn überhaupt?\", wollte ich wissen.
\"Wie gesagt, Drac heißt Teufel\", gab er als Antwort.
\"Also ist Drac der Teufel?\"
\"Der Teufel muss nicht unbedingt rot sein und Hörner haben. So gesehen gibt es auch nicht nur einen Teufel.\"
\"Es gibt noch mehr?\", erkundigte ich mich.
\"Man trifft überall auf das Böse. Richtig gefährlich wird es aber erst, wenn es mit Magie verbunden ist\", erläuterte er. \"Der Teufel ist die Verkörperung des Bösen. Das Wort Teufel ist nur eine Hülle.\"
Ich nickte nur und versuchte zu verstehen, was Drac für ein Wesen war. Soweit ich folgen konnte, war Drac also ein magisches Wesen. Ein sehr böses magisches Wesen.
\"Was hat das ganze denn ausgerechnet mit mir zu tun?\", fragte ich.
Es folgte keine Antwort.
Dann fragte ich:\"Und wer ist Negru?\"
Beide lächelten warmherzig.
\"Ich weiß nicht recht, wie ich das erklären soll... man könnte sagen, er ist eine Art Geist\", beschrieb die Rumänin.
\"Ein Geist?\", wiederholte ich ungläubig.
\"Ja, ein Waldgeist. Ein Wesen, das wie ein Geist nur von bestimmten Menschen wahrgenommen wird\", antwortete sie.
\"Warum beschützt er mich und was habt ihr damit zu tun?\"
\"Du hast so viele Fragen. Das ist in Ordnung, aber bombardiere uns bitte nicht gleich mit allen auf einmal.\"
\"Doch! Ich bin total verwirrt!! Ihr lasst mich einfach im Dunklen tappen!!\", beschwerte ich mich.
\"Licht lässt uns erblinden. In der Dunkelheit sehen wir mehr...\", sagte der Mann.
\"Wie mehr? Was sieht man denn in der Dunkelheit? Was soll ich sehen?\"
\"Nicht nur sehen, Vivien, auch hören, riechen, fühlen, schmecken! Aber vor allem spüren!! Achte nicht immer nur auf das, was dir direkt auffällt, achte auf indirektes!\", verlangte die Frau.
\"Ok, ok. Dann halt ganz langsam. Was... ist... ein... Waldgeist?\"
Sie verdrehte die Augen, als wäre es eine Bildungslücke nicht zu wissen, was ein Waldgeist ist.
\"Waldgeister wie Negru streifen durch die Landschaften und beobachten die Menschen bei ihren Tätigkeiten. Sie verbergen sich in der Dunkelheit, die meisten Menschen sehen sie dann nicht, weil sie nicht genau hinschauen. Es ist das Licht, das sie blind macht. Sie sind es gewohnt, dass alles für sie erleuchtet ist. Mittlerweile sind sie auf Licht angewiesen um überhaupt etwas erkennen zu können. Wir können auch ohne Licht sehen\", erläuterte sie.
\"Was will Negru von mir? Oder Drac? Was habe ich mit den beiden denn zu tun?!\"
\"Du kannst sie sehen. Sie können sich vor dir nicht verbergen.\"
\"Die haben mich verfolgt!! Die waren unübersehbar!! Drac und Negru haben sich mir ja wohl gezeigt! Wenn die mir in meinen Träumen erscheinen, kann ich nichts dafür!!\"
\"Waldgeister und andere ähnliche Kreaturen wandern in den Träumen der Menschen umher. Doch kann sich im Normalfall nach dem Traum keiner mehr an sie erinnern. Meistens ist es sogar so, dass man sie erst gar nicht wahr nimmt\", sagte sie.
\"Aber Sie können Negru und Drac doch auch sehen! Und Tiere können das auch! Ich bin also nicht die Einzige!!\"
\"Tiere haben wie ich schon gesagt habe ein Gespür für Magie, sie erraten aber nicht auf Anhieb ihre Namen\", erwiderte sie.
\"Ich hab ja selbst keine Ahnung, woher ich die Namen Negru und Drac kenne\", gab ich zu.
\"Es gibt Leute, die können den Namen einer magischen Kreatur anhand des Charakters und der Eigenschaften erspüren.\"
\"Ich versteh nicht, warum Sie so geheimnisvoll sind. Warum schweigen Sie bei so vielen ungeklärten Fragen? Sie wollen doch, dass ich ihnen helfe! Da sollte ich so viel wie möglich wissen!!\"
\"Drac ist noch längst nicht das Gefährlichste, das uns umgibt\", behauptete die Frau und es klang wie eine Warnung.
\"Noch gefährlicher?\"
Mir wurde übel und ich sehnte mich nach der Feder, auch wenn ich nicht recht wusste, ob sie mich wirklich beschützen konnte.
\"Was hat Negru mit der Feder im Traum gemacht? Könnt ihr mir das sagen?\"
\"Er hat dir einen schützenden Anhänger daraus gemacht. Du hältst die Feder in der Hand, er hatte sie sich nur kurz ausgeliehen\", behauptete die Frau.
\"Ausgeliehen? Wozu?\"
\"Das ist so eine Frage, auf die ich dir keine Antwort geben kann.\"
\"Ok... und woher kommt diese Feder?\"
\"Keine Ahnung, du hattest sie in deinem Traum einfach dabei. Woher du sie hast, kannst nur du wissen.\"
\"Aber ich weiß es nicht! Na gut, dann halt die nächste Frage: Warum lief der Traum immer gleich ab und hat sich erst nach so langer Zeit geändert?\"
\"Deine Visionen halten solange an, bis du einen Schritt in die richtige Richtung machst. Du wirst solange bestraft, bis du es richtig machst. Indem du stehen geblieben bist und dich Drac gestellt hast, hast du das Richtige getan und dieser Traum konnte zu ende gehen. So wird es mit deinen restlichen Visionen auch ablaufen. Aber wenn du sie zulange ignorierst, gefährdest du dich selbst. Du könntest dich verletzen... oder besser gesagt, du würdest verletzt werden\", sagte sie.
Ich schluckte und mir fiel auf, dass meine Hand zitterte. Bei dem Thema \"Hand\" fiel mir dann auch gleich eine weitere Fragen ein.
\"Was haben Sie eigentlich in der Hand von Maren gelesen?\"
\"Das musst du sie selbst fragen.\"
Sie lächelte. Es war ein bereuendes Lächeln. Irgendwie entmutigt.
\"Ach bitte! Es gibt doch nicht irgendwie eine wahrsagerische Schweigepflicht, oder?\", bettelte ich.
\"Tut mir Leid, frag sie selbst.\"
Ich sah mich nochmal in der Kirche um.
\"Warum sind wir denn nun wirklich hier? Sie wollten mir doch nicht nur mal eben zeigen, wie schön so \'ne Orgel doch klingt\", vermutete ich.
\"Die Orgel ist das Instrument des Waldes, wie wir es nennen. Mit solchen Tönen kannst du die Waldgeister rufen.\"
\"Ich soll mich in den Wald setzen und Orgel spielen?\"
\"Nein, aber wenn du solche melancholischen Orgelmelodien im Wald hörst, kannst du dir sicher sein, dass ein Waldgeist wie Negru in der Nähe ist. Waldgeister sind in der Regel gutmütig. Sie haben aber einen großen Einfluss auf dich, das haben wir festgestellt\", berichtete sie.
\"Ach, in wie fern haben die Einfluss auf mich?\"
\"Sie locken dich in den Wald. Du konntest nicht widerstehen und bist immer weiter gelaufen. Negru hat es uns erzählt.\"
\"Negru kann sprechen?\", fragte ich verwundert.
\"Wenn man richtig hinhört, kann man ihn verstehen\", behauptete die Rumänin und sah mich mit ihren hellbraunen, fast beigen Augen an.
Ihr ebenfalls grauhaariger Mann saß nur stumm da. Auch er schaute mich mit seinen grünen Augen an.
\"Warum seid ihr doch hier geblieben? Maren meinte, ihr wärt abgereist, zurück nach Rumänien.\"
\"Wir sind eigentlich nicht wegen dir her gekommen, sondern wegen deiner Freundin. Wir nahmen an, sie sei eine Dunkelseherin, doch unsere Erwartungen bestätigten sich nicht, also beschlossen wir wieder nach hause, zu unserem Sohn zu fahren. Aber dann erfuhren wir, dass du diejenige warst, nach der wir suchten.\"
\"Sie haben einen Sohn?\", schnatterte ich dazwischen.
\"Ja. Er ist jetzt fünfzehn Jahre alt.\" Sie zog eine Augenbraue hoch. \"Warum interessiert dich das?\", fragte sie dann.
Ich sagte nichts mehr. Waren die Rumänen nicht schon viel zu alt für einen fünfzehn jährigen Sohn? Na ja.
\"Woher kennen sie Negru?\"
\"Mein Mann\" Sie stupste ihn an. \"Lernte ihn vor einigen Jahren kennen.\"
Ich sah an ihrem Blick, dass sie mir zu diesem Thema keine näheren Angaben machen würde. Ich seufzte.
\"Wie kommt es... also, na ja... wie kommt es, dass Sie hier hören können?\", fragte ich an den Mann gerichtet.
\"Magie kann man mit Magie bekämpfen. Drac hat mir das damals angetan. Aber dieser Ort wird von mächtigen Waldgeistern beschützt. Da kann er mir nichts mehr anhaben. Aber nicht nur diese Kirche wird von Waldgeistern beschützt. Auch andere Orte, Menschen und selbstverständlich der Wald werden überwacht\", sagte er.
Dann ging die schwere Kirchentür auf und einige Leute kamen herein.
\"Ich glaub wir gehen jetzt besser\", meinte die Frau und stand auf.
Wir stürmten zur Tür und traten hinaus in den Kleinstadtlärm. Ich wurde durch das Laute DONG der Glocken erschüttert. 13:00 Uhr.
\"Und was machen wir jetzt die restlichen fünf Stunden?\", fragte ich.
\"Du\", sagte die Frau.
\"Was?\"
\"Du solltest dich fragen, was du die nächsten fünf Stunden machst\", korrigierte sie.
\"Wieso? Was soll ich machen?\", fragte ich.
\"Mitkommen\", befahl sie.
Ich folgte ihnen durch die halbe Stadt. Minune huschte immer wieder vor meinen Füßen hin und her. Wir gingen die wenig befahrene Straße zum Wald entlang. Ich meinte leise Musik hören zu können, war mir aber nicht sicher. Normaler Weise ging ich immer den Weg am Haus meines Onkels hoch, um in den Wald zu gelangen, doch diesmal liefen wir einen Umweg. Irgendwann, wir waren schon an den ersten Bäumen vorbei gegangen, war ich mir sicher, Musik zu hören. Orgelmusik. Es klang wie aus einem typischen Vampirfilm.
\"Sind jetzt zufällig in diesem Moment Waldgeister anwesend?\", hauchte ich mit Hysterie in der Stimme.
Die alte Frau sah sich um.
\"Wir sind im Wald. Was hast du erwartet?\"
Ich schnappte nach Luft.
\"Warum hast du Angst? Wenn sie dir bis jetzt nichts getan haben, warum sollten sie es nun tun?\", fragte sie.
\"Weil sie es tun könnten, wenn sie wollten!\"
Ich schnaufte ein paar mal aufgeregt vor Angst. Ich ging so nah wie möglich an die Rumänin heran ohne sie zu berühren - ein kläglicher Versuch mich zu verstecken. Die Musik wurde immer lauter.
\"Die kommen näher!\", bemerkte ich.
\"Sie sind neugierig auf uns... oder besser gesagt: auf dich.\"
\"Können die mich hören?\", fragte ich.
\"Ja\", antwortete sie.
\"Oh... darf ich sie bitten mir nichts zu tun?\"
Sie schmunzelte.
\"Ja.\"
\"Bitte tut mir nichts\", flüsterte ich während ich mich umsah.
Als ich meinen Blick wieder nach vorn gerichtet hatte, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich erstarrte, wie immer wenn ich Angst habe.
\"Es ist Negru\", teilte mir die Frau mit.
Ich drehte mich um und erkannte die Kreatur, vor der ich mich immer noch fürchtete. Er bemerkte, dass ich Angst hatte und entfernte sich ein paar Schritte, die bei seinem Ausmaß ungefähr fünf Meter ergaben. Er bewegte sich nicht mehr. Womöglich wartete er darauf, dass ich weiterging. Ich drehte mich um, um dies zu tun, als er uns überholte und vor uns herlief.
\"Was, wenn Spaziergänger unterwegs sind?\"
\"Sie können Negru nicht sehen.\"
Irgendwie war ich davon nicht richtig überzeugt. Ich stellte mir vor, wie das ganze für einen außen stehenden aussehen musste. In meinem Kopf malte ich mir folgende Szene aus: Ein alter Mann will mit seinem Dackel Waldi spazieren gehen und entdeckt uns. Der arme fragt sich, ob er seine täglichen Medikamente vertauscht hat und lässt sich ins Krankenhaus einweisen und sein kleiner Waldi erschreckt sich so sehr vor Negru, dass er sich nie wieder traut, sein Geschäft im Wald zu verrichten. Und das alles nur wegen mir. Zum Glück waren an diesem Tag aber wirklich keine Spaziergänger unterwegs. Ich blickte wieder in den Wald und es schien, als wäre er belebter als je zuvor. Es sah so aus, als flatterten tausende Vögel von einem Baum zum nächsten. Es war aber doch nur das Laub, das aufgewirbelt wurde, als mich plötzlich ein heftiger Windstoß erschütterte.
\"Was war DAS\", fragte ich erschrocken.
\"Der Wind\", antwortete die Frau.
\"Was hat den Wind erzeugt?\", fragte ich dann. \"Waldgeister?\"
Sie lächelte nur, aber sagte nichts.
\"Wie haben die das gemacht?\", wollte ich wissen.
\"Sie herrschen über diesen Wald und über den Wind der durch die Bäume fegt. Aber größeren Einfluss auf die Menschen, außer auf dich, haben sie nicht.\"
\"Haben sie Einfluss auf die Tiere?\"
Sie nickte.
\"Dann könnten sie doch durch die Tiere die Menschen beeinflussen\", überlegte ich.
\"So gesehen schon, aber Waldgeister sind gutmütige Wesen. Sie sind nicht darauf aus, uns zu kontrollieren. Außerdem würden sich viele Leute dagegen auflehnen. Was glaubst du, wie viele Leben ausgelöscht werden würden? Es gibt ja schließlich genug Waffen, um seine Meinung durchzusetzen.\", sagte sie.
Plötzlich blieben wir stehen.
\"Was ist?\"
\"Jetzt kommt dein Teil\", beantwortete mir die Rumänin die Frage.
\"Was?\", wunderte ich mich.
\"Ab hier gehst du alleine weiter.\"
\"Wohin denn? Sie können mich doch nicht einfach hier zurück lassen!\"
\"Lauf einfach der Musik nach\", forderte sie mich auf.
\"Nein, dann steh ich irgendwann vor den Waldgeistern!\", beschwerte ich mich.
\"Das ist ja der Sinn der Sache\", meinte sie zu mir.
\"Nein, ich lauf mit Ihnen zurück! Wenn Sie wieder gehen, geh ich mit.\"
\"Das wirst du gar nicht können\", sagte sie.
\"Ich kenn den Rückweg und ich kann jederzeit nach hause gehen!!\", schrie ich.
Doch da waren sie schon verschwunden. Ich stand ganz allein im Wald. Aber ich wusste ja wie ich nach hause komme... oder ich dachte es zu wissen.

Kapitel 6: In der Kapelle
Die Rumänen waren zwar schon über einer Minute weg, aber ich sagte trotzdem noch, als ich mich wieder gesammelt hatte:\"Gut, dann geh ich halt nach hause!\"
Ich ging in die Richtung, aus der ich meinte gekommen zu sein. Gut eine Stunde lang folgte ich der Straße, bis ich da raus kam, wo mich die Rumänen stehen gelassen hatten. Ich bekam es langsam mit der Panik zu tun. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich zurück zu unserer Wohnung kommen sollte.
\"Verflucht!! Was mach ich jetzt, was mach ich jetzt, was mach ich jetzt??!!\", schrie ich und wurde dabei immer lauter.
Ich überlegte eine Weile.
\"Orgelmusik...\", flüsterte ich und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung sie kam.
Ich war mir nicht sicher, ob ich mich nach rechts oder geradeaus bewegen sollte. Ich entschied mich für rechts. Die Sonne strahle zwischen den mit Moos bewachsenen Bäumen hindurch und ich bewunderte diesen Anblick während die Orgel des Waldes immer lauter spielte. Aus irgendeinem Grund hatte ich gar keine Angst mehr. Immerhin war ich dort, wo ich zuvor schon so oft gewesen war - im Wald. Nach ca. zehn Minuten war die Musik deutlich lauter geworden, also musste ich die richtige Richtung gewählt haben. Ich hatte überhaupt nicht gemerkt, dass ich vom Weg abgekommen war, bis ich auf den Boden schaute, weil ich über einen Ast gestolpert war. Ich blickte immer noch auf die Erde, aber erkannte aus dem Augenwinkel, dass etwas großes schwarzes vor mir stand. Ich hob den Kopf und sah den Waldgeist an.
\"Mincinos...\"
Wieder erriet ich wie durch Zauber den Namen. Das Geschöpf zuckte zusammen, als ich ihn aussprach. Eine andere Gestalt trat hinter einem Baum hervor. Im Gegensatz zu den anderen Waldgeistern war sie komplett weiß, entsprach aber sonst auch ihren Aussehen.
Ich starrte sie an und sagte unbewusst:\"Anemie.\"
Auch sie zuckte zusammen. Ein weiteres schwarzes Objekt ließ sich blicken. Ihn erkannte ich sofort.
\"Negru.\"
Die Musik hörte auf und es war still. Eine bedrückende Stille. Negru schritt auf mich zu. Dann stand er vor mir. Ich wollte nicht zu ihm hoch sehen. Ich hatte zu große Angst. Ich wollte sein Gesicht nicht sehen. Aber er bückte sich so zu mir runter, dass sein und mein Kopf auf der gleichen Höhe waren. Ich glaube, es machte mir am meisten Angst, dass er keine Gesichtszüge hatte. Ich konnte noch nicht einmal an seinem Gesicht erkennen, was er vorhatte und aus seiner Körperhaltung ließen sich auch keine Emotionen deuten. Ich musterte ihn flüchtig. Da ich so nervös war, ließ ich meinen Blick nicht lange auf ihm ruhen, sondern richtete meine Augen immer wieder zur Seite. Negru stellte sich aufrecht hin und drehte sich um. Mit einem Winken bedeutete er mir, dass ich ihm folgen sollte. Ich gehorchte und hastete seinen schnellen Schritten hinterher. Langsam kehrte die Angst zurück. Das kam daher, dass Anemie mir immer näher kam. Am Anfang hielt sie noch einen Abstand von zehn Metern ein, aber nach etwa einer Stunden war sie mir bis auf zwei Meter auf die Pelle gerückt. Mincinos war nicht mehr zu sehen. Er war schon nach den ersten Metern zurück geblieben. Ich fragte mich, wo er war, aber noch mehr interessierte es mich, ob Negru wirklich sprechen konnte, so wie die Rumänen es angedeutet hatten. Ich überlegte hin und her, ob ich ihn nicht einfach mal ansprechen sollte.
Leider brachte ich nicht mehr zur Stande als:\"... Ich hab mich gefragt ob... kannst du wirklich... ich meine... ach, egal.\"
Er schaute mich über seine Schulter an und nickte.
Ich blieb stehen und fragte begeistert:\"Echt?\"
Negru blieb auch stehen.
Ohne sich um zudrehen brummte er:\"Hm.\"
Es klang mehr nach dem Knirschen der morschen Bäume im Wind, aber es hätte auch eine Antwort sein können. Ich ging weiter. Anemie kam mir noch näher und ging schließlich rechts neben mir.
\"Wo gehen wir hin?\", fragte ich vorsichtig.
Ihre abgemagerten Finger zeigten geradeaus und erst da fiel mir eine kleine Kapelle ins Auge.
\"Oh\", stieß ich hervor.
Das kleine Häuschen, das mit Efeu bewachsen war, jagte mir einen tüchtigen Schrecken ein. Mehr und mehr fühlte ich mich wie in einem Horrorfilm.
\"Gehen wir da etwa rein?\"
Negru verlangsamte sein Tempo bis er links neben mir lief. Oh nein, er kann meine Gedanken lesen, dachte ich, denn ich hatte überlegt, ob ich weg rennen sollte. Aber nun hatte ich sowieso keine Chance mehr zu entkommen.
\"Wir gehen da rein, oder?\"
Es war eher eine Feststellung, als eine Vermutung. Mein Herzschlag ging schneller und ich atmete hektischer. Plötzlich packten mich Negru auf der einen und Anemie auf der anderen Seite. Ich versuchte mich zu währen und blieb stehen, die beiden zogen mich aber weiter. Ich hinterließ eine regelrechte Spur auf dem Waldboden, weil bei dem Versuch mich dagegen zu stemmen, Furchen im Laub entstanden. Ich gab es auf und begleitete sie dann doch ganz brav. Negru löste seinen Griff und sah mich eine Weile an, wobei wir nicht aufhörten einen Fuß vor den anderen zu setzen. Mir fiel auf, dass am Dach des Häuschen eine Glocke befestigt war.
Ich sah ihn auch an und stellte eine neue Frage:\"Was ist das für ein zerfallenes Gebäude?\"
Ich bekam von hinten ins Ohr gehaucht:\"Das ist eine Kapelle, die eine Hand voll Menschen vor über Fünfhundert Jahren den Waldgeistern zur Ehre aufgebaut haben. Wir kommen schon seit einigen Jahren hierher und sorgen dafür, dass das Ding nicht auseinander fällt.\"
Die Rumänen waren plötzlich hinter mir aufgetaucht und Minune rannte vor meinen Füßen wieder hin und her. Dieser Hund benahm sich eindeutig merkwürdig. Negru schritt voraus, um der Frau Platz zu machen. Die begab sich dann auch gleich auf den frei gewordenen Platz neben mir.
\"Warum wurde ich hierher geführt?\", erkundigte ich mich, als wir an der Tür der Kapelle ankamen.
\"Das wirst du gleich bemerken\", wurde mir von der Frau angekündigt.
Dann ging sie in die Hütte hinein. Ich zögerte kurz, trat dann aber auch ein. Die Kapelle war mir von außen noch längst nicht so groß vorgekommen. Sie hatte bestimmt ein Ausmaß von fünfundzwanzig Quadratmetern. Die felsigen Wände waren mit alten Bildern geschmückt, die schwarze Kreaturen wie die Waldgeister zeigten. Ganz schön hoch war das Gebäude auch noch und ganz oben, außer Reichweite waren die Fenster. Ich war gebannt von ihrer Pracht. Obwohl sie mit den Jahren dreckig geworden waren, hatte trotzdem keines von ihnen einen Sprung oder Riss im Glas.
\"Macht ihr euch keine Sorgen, dass Jäger oder Förster diesen Ort entdecken?\", wunderte ich mich.
\"Die wissen von dieser Kapelle. Aber sie kennen nicht den waren Grund, warum sie hier steht\", erläuterte die rumänische Frau.
\"Warum sind wir denn nun hier?\", drängte ich.
\"Wir wollten dich nur zu dieser Kapelle führen.\"
Die Antwort klang irgendwie unehrlich. Die Rumänin schaute ihren Mann an und ich bekam das Gefühl, als einzige nicht in einen grauenhaften Plan eingeweiht zu sein. Ich schaute zwischen den beiden immer wieder hin und her, darauf wartend, dass jemand etwas sagte. Das geschah dann auch, als die Rumänin mir die Anweisung gab, ihr zu folgen. Sie legte wieder ihren Arm um meine Schulter und führte mich zum Altar, der im vorderen Teil der Kapelle stand. Darauf war eine kleine Vase mit vertrockneten Rosen platziert.
\"Und jetzt?\", fragte ich ungeduldig.
Sie strich mit ihrem Zeigefinger über eine Rose und die Blüte fiel in sich zusammen. Die dunkelroten staubtrockenen Blütenfetzen glitten auf den Boden und landeten auf einer Kachel. Diese verfärbte sich so dunkelrot wie die Blüten selbst. Mit offenem Mund verfolgte ich dieses Schauspiel.
\"So, willst du nicht hineingehen?\", fragte die rumänische Frau.
\"Äh, wie jetzt?\"
Sie hockte sich vor die Kachel und berührte sie wieder mit dem Zeigefinger. Ein Teil bröckelte weg. Nicht nur die Farbe hatte sich verändert, sondern auch die Beschaffenheit. Brüchig, welk und trocken. Fast wie eine hauchdünne Haut. Ich hockte mich auch hin und berührte sie. Ein weiteres Stück zerbröselte. Darunter verbarg sich ein tiefes Loch. Etwa drei Meter ging es runter.
\"Da soll ich rein?\", stieß ich entsetzt hervor.
\"Ja\", bestätigte die Rumänin mit rauer Stimme.
\"Warum? Was ist denn da unten?\"
Als ich mich umdrehte waren die Rumänen wiedermal verschwunden. Ich schaute nochmal in das Loch hinein. Es war mehr als klar, dass mich dort unten eine weitere Verkörperung meiner Albträume erwartete. Würde es etwas bringen, nochmals zu versuchen, nach hause zu gehen? Probieren geht über studieren! Ich eilte zur Holztür und versuchte, sie zu öffnen. Ich schaffte es nicht. Die Fenster waren zu weit oben. Zu weit, um sie erreichen zu können. Also schritt ich wieder zum Loch zurück. Ich kniete mich hin und streckte ein Bein hinein. Dabei ging noch mehr der \"Rosenhaut\" kaputt. Natürlich reichte es nicht bis zum Boden. War ich wirklich im Begriff einfach drei Meter ins Unbekannte zu springen, ohne große Hoffnung, bei Gefahr schnell genug wieder oben zu sein? Ja, war ich. Ich stützte mich mit den Armen ab und bewegte mein anderes Bein auch ins Loch. Ok, der Anfang war geschafft. Jetzt nur noch genug Mut haben, los zulassen. Ich schloss die Augen, zählte innerlich bis drei und ließ los. Ich landete auf den Füßen, aber durch den Schmerz des Aufpralls knickte ich weg und ging auf die Knie und Hände. Vor mir erstreckte sich ein langer Gang. Die Wände waren aus bröckeligem Stein und ich wurde ein bisschen klaustrophobisch. Es war außerdem sehr dunkel. Am Ende des Ganges war eine hölzerne Tür. Außer dieser Tür schien es keine anderen Durchgänge zu irgendwelchen Räumen zu geben. Also ging ich zu der Tür und drückte sie auf. Sie ließ sich nur mit großem Kraftaufwand öffnen. Dahinter war ein weiterer Raum. Ich konnte überhaupt nichts sehen, so düster war es.
\"Hallo?\", rief ich hinein.
Keine Antwort. Um mich zu beruhigen, atmete ich einmal tief ein und aus. Es roch modrig, wie ein verrottetes Tier oder so was. Jetzt wollte ich noch weniger rein gehen. Aber trotzdem, ich musste darein. Ich trat ein und tastete mich rechts an der Wand entlang. Der kalte Stein der Wände fühlte sich komisch an. Doch dann spürte ich etwas, das sich von der Wand unterschied, irgendwie glatt, wie Haut. Ich zog meine Hand ruckartig zurück. Ich sagte nichts, bewegte mich nicht, atmete nicht. Ich vernahm einen Schrei neben mir.
\"Negru?\"
Etwas berührte mich und ich zuckte zusammen und kniff die Augen zu, obwohl ich sowieso nichts sehen k. Es packte mich am Arm und zog mich hinter sich her. Ich wehrte mich nicht. Ich hörte, wie sich eine Tür öffnete. Ein wenig Licht strahlte uns entgegen. Es war nicht Negru, der mich gepackt hatte, sondern ein anderer Waldgeist. Wir gingen in den licht erfüllten Raum. In ihm war ein runder kleiner Tisch, auf dem viele Kerzen standen, drei Sessel mit grünen Polstern und dunklem Holz, die in der Ecke standen und ein weiterer kleiner Tisch bei den Sesseln. Der andere Waldgeist ließ mich wieder los. Er schaute mich an. Als würde er auf etwas warten.
\"Fericire\", nannte ich ihn.
Er nickte und wandte seinen Blick wieder ab. Ich wusste nicht, was ich machen sollte und stand einfach nur blöd rum, bis sich die Tür zum dunklen Raum wieder öffnete und Negru eintrat. Er setzte sich auf einen der Sessel. Fericire setzte sich auch und ich ging zögernd zu dem letzten freien Sessel und setzte mich.
\"Und was nun?\", fragte ich, als wir eine Weile stumm dasaßen.
Die Kerzen flimmerten und erloschen. Jetzt war es genauso dunkel, wie eben.
\"Ich wollte nicht drängeln... Hallo? Ist da noch wer? Es tut mir Leid! Hallo?\"
War ich wieder allein? Was das wohl sollte? Dauernd verschwanden alle. Ich stand auf und versuchte, den Rückweg zu finden. Die Tür war irgendwo links der Sessel. Ich hörte ein Knistern wie von einem Feuer.
\"Au!\"
Ich stieß mich am Tisch, zum Glück war er rund, sonst hätte es wahrscheinlich noch mehr weh getan. In der Dunkelheit sehen wir mehr, dachte ich, es ist dunkel, aber ich sehe nichts. Wieder das Knistern.
\"Nicht nur sehen, Vivien, auch hören, riechen, fühlen, schmecken. Aber vor allem spüren. Achte nicht immer nur auf das, was dir direkt auffällt, achte auf Indirektes\", flüsterte ich vor mich hin.
Das hatte die Rumänin mir gesagt. Dass es dunkel war, fehl mir sofort auf.
\"Achte auf Indirektes...\"
Ich überlegte und konzentrierte mich. Erneut hörte ich das Knistern, diesmal lauter. Ich muss mich mehr konzentrieren, dachte ich. Ich spürte einen Schmerz, nicht weil ich mich gestoßen hatte, einen brennenden Schmerz. Wieder knisterte es. Ich fühlte Feuer auf meiner Haut, aber der Raum war immer noch dunkel. Ich spürte eindeutig die Hitze, zumindest solange ich mich konzentrierte. Die Schmerzen wurden zu groß, ich bekam keine Luft mehr... und dann war es plötzlich vorbei. Die Kerzen entflammten, der Raum war wieder hell, aber allein war ich trotzdem. Ich ging zur Tür, öffnete sie und lief den Flur entlang. Wie sollte ich das Loch wieder hoch kommen? Ich versuchte dran zukommen, aber egal wie ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht. Etwas packte mich und hob mich hoch. Es dauerte etwas, bis ich verstand, dass mir Negru nur helfen wollte. Langsam gewöhnte ich mich doch an ihn. Ich hatte nicht mehr so große Angst vor ihm wie vorher. Ich zog mich mit Mühe hoch, zurück in den Kapellensaal. Ich hatte es eilig, wieso wusste ich nicht. Ich rannte aus der Kapelle, aus dem Wald bis zum Haus meines Onkels. Merkwürdigerweise war ich schneller dort, als ich dachte, als hätte jemand die Zeit angehalten.

Kapitel 7: Das Feuer
Das Haus qualmte und rauchte. Das Auto von meinem Onkel war nicht da, das hieß, er war nicht zu Hause, aber die Tiere mussten noch drin sein. Nicht nur Akira und Minerva, sondern auch Mina, eine getiegerte Katze waren in Gefahr. Die Haustüre war abgeschlossen und ich hatte keinen Schüssel. Ich hörte Minerva jaulen. Wie konnte ich nur helfen? Ich brauchte einen Stein, ich wollte das Fenster einschlagen, um die Tiere raus zu holen. Kein Stein, der groß genug wäre in Sicht, kein anderer nützlicher Gegenstand. Der Garten war wie leer geräumt. Egal, dann musste ich es halt eintreten. Ich trat vor das Fenster und kletterte auf die Fensterbank. Ein Gesicht spiegelte sich im Glas. Ich konnte nicht erkennen, ob es von einer Frau oder von einem Mann war. Es war zu schnell wieder weg, mein Fuß hatte das Glas schon zersplittern lassen. Ich duckte mich hinein und suchte nach den Tieren. Alles war voller Rauch. Ich sah kaum was. Ich fand Minerva. Sie streckte die Nase aus einem anderen Fenster, das auf Kippe stand. Ich zog sie am Halsband zu dem eingetretenen Fenster. Sie sprang raus und ich machte mich daran, die anderen Tiere auch zu finden. Als ich durch den Hausflur ging, meinte ich eine Hand aus Nebel, die nach mir greifen wollte, aus dem Augenwinkel zu erkennen. Aber als ich richtig hinsah, war sie auch schon verschwunden. Akira kauerte unter dem Wohnzimmertisch. Ich brachte sie zum Fenster und auch sie sprang hinaus. Jetzt fehlte nur noch die Katze. Ich rannte durch das Haus. Überall Rauch, ich bekam kaum noch Luft. Zuerst in die Küche, ins Wohnzimmer, durch den Hausflur, in das Zimmer meines Onkels, in mein altes Zimmer und schließlich in das leer stehende Zimmer, das mal meiner Mutter gehörte. Es war komplett leer. Aber etwas wunderte mich. Wir hatten die Tür, die in den Keller führte, zugemauert, aber der Putz war weg und die Tür stand offen. Aus dem Keller schien der meiste Qualm zu kommen.
\"Mina?\", rief ich.
Kam aus dem Keller ein Miauen? Ich war mir nicht sicher. Ich lief die Treppe runter. Der Keller war auch leer. Wir brauchten ihn schon seit Jahren nicht mehr. Obwohl... nein, er war nicht leer. Eine schwarze Gestalt kauerte in der Ecke, den Kopf zwischen den Knien versteckt. \"Mincinos?\" Was machte der denn hier?
\"Was ist los?\"
Er hob den Kopf. Eine schwarze Flüssigkeit tropfte heraus.
Erschrocken fragte ich:\"Ist das Blut?\"
Er grummelte nur.
\"Wir müssen hier raus!\"
Ich drehte mich um. Das Feuer züngelte schon an der alten Holztreppe entlang. Es knisterte, wie in dem dunklen Raum. Ich schaute nochmal zu Mincinos, er machte keine Anstalten sich zu erheben. Ich lief die Treppe alleine wieder hoch. Oben loderten schon die Flammen. Zum Glück gingen sie mir hier erst bis zur Taille. Dann erblickte ich Mina. Sie stand auf einem Schrank im Hausflur. Ich holte sie runter und hielt sie fest. Ihre Krallen bohrten sich mir in die Unterarme. Im Flur waren die Flammen schon höher. Ich eilte einfach schnell durch, bis zum Fenster und kletterte mit der Katze raus. Alle waren in Sicherheit. Außer Mincinos. Ich hatte kein Handy mit, ich konnte niemanden zur Hilfe rufen. Ich wollte nicht nochmal ins Feuer. Die Wahrscheinlichkeit, mich selbst zu verletzen war zu groß, als dass ich es riskieren würde, ihn raus zu holen. Er wollte ja sowieso nicht mit. Ich stand einfach nur vor dem Haus. Sah zu, wie es von den Flammen zerfressen wurde. Was sollte ich auch machen? Ich musste Hilfe holen, soviel wusste ich. Ich rannte die Einfahrt runter in die Stadt. Die Straßen waren menschenleer. Ich rannte weiter. Die Hunde liefen mir hinterher und die Katze streunte am Straßenrand entlang und huschte hin und wieder durch einen Vorgarten oder verschwand in einer Hecke. Schließlich kamen mir ein paar Passanten entgegen.
\"Haben sie ein Handy? Es brennt! Ich muss die Feuerwehr rufen!!\", rief ich ihnen hysterisch entgegen.
\"Ja, Moment\", antwortete eine blonde Frau und kramte in ihrer Tasche.
Sie reichte mir ihr Telefon und ich wählte den Notruf. Ich redete so aufgeregt, dass meine Worte sich überschlugen, aber die Person am anderen Ende verstand trotzdem, zu welcher Adresse schnellstens ein Feuerwehrwagen geschickt werden musste.
\"Kann ich auch meine Mutter anrufen?\", fragte ich.
\"Ja, natürlich\", erlaubte mir die Besitzerin des Handys und ich wählte auch die Nummer meiner Mutter.
Sie ging ran.
\"Mom? Es ist etwas ganz Schlimmes passiert! Es hat gebrannt. Oben bei Alex. Ich hab schon die Feuerwehr gerufen. Er war nicht zu Hause und die Tiere hab ich schon rausgeholt! Nur Mincinos wollte nicht\", verplapperte ich mich vor lauter Aufregung.
\"Was?!\", entgegnete meine Mutter.
Mir wurde klar, dass ich mich verraten hatte und sie mich vermutlich für bekloppt halten würde, nachdem ich ihr die ganze Geschichte erzählt habe.
\"Du bist in das brennende Haus gegangen?? Hast du dich verletzt??\", sprach sie weiter und ich war erleichtert.
Sie hatte das, was ich über Mincinos gesagt hatte anscheinend überhört.
\"Nein, mir geht es gut.\"
\"Du kannst dich doch nicht einfach in die Flammen stürzen!! Spinnst du?!\"
Gute Frage, dachte ich. Vielleicht spann ich ja wirklich.
\"Mom, ich wollte nur Minerva, Akira und Mina retten\", erklärte ich.
\"Weißt du überhaupt, in was für eine Gefahr du dich gebracht hast?\"
Weißt du überhaupt, in was für einer Gefahr ich schon längst stecke, antwortete ich in Gedanken.
Ihre Predigt ging weiter:\"Du hättest dich verletzen können! Wenn die Feuerwehr da ist, hätten sie die Tiere auch rausholen können! Oder du hättest die Tür aufmachen können oder ein Fenster und dann hätten es die Hunde und die Katze auch allein raus geschafft, wenn du sie gerufen hättest!! Mach so was nie wieder!!\"
\"Nein, versprochen. Es tut mir Leid\", beteuerte ich.
\"Hast du Alex schon angerufen?\", fragte sie.
\"Nein\", antwortete ich.
\"Dann mach das. Ich komm sofort zum Haus und versuche so gut wie möglich zu helfen.\"
\"Ja. Tschüss.\"
Ich fragte, ob ich noch ein Gespräch tätigen durfte und rief bei meinem Onkel auf dem Handy an. Ich erzählte von dem Brand und er machte sich sofort auf den Rückweg. Er war bei seiner Freundin, etwa 15 Kilometer entfernt. Nach dem Telefonat bedankte ich mich bei den Fußgängern und wartete auf ihn. 10 Minuten nach der Ankunft der städtischen Feuerwehr kam das rote Auto seiner Freundin, Anna, den Weg hoch gefahren. Sie stiegen aus und betrachteten das Chaos. Kurz darauf traf meine Mutter ein. Die Löscharbeiten waren schon voll im Gange und wir konnten nichts weiter machen, als rum stehen und rätseln, wie das Feuer entstanden sein könnte. Ich wusste nicht, wie wir versichert waren und ob wir den Schaden vielleicht selbst zahlen mussten. Es wurde langsam dunkel. Meine Mutter hielt es für das Beste, mit mir ins Krankenhaus zu fahren und mich auf eine Rauchvergiftung untersuchen zu lassen, obwohl ich nur so kurz Rauch eingeatmet hatte. Mein Onkel und Anna kamen in der Zeit in unserer Wohnung unter. Im Krankenhaus wurde zum Glück keine Rauchvergiftung festgestellt. Meine Mutter bestand also darauf, dass ich am nächsten Morgen in die Schule ging. Das hieß, dass ich die Hausaufgaben abends noch erledigen musste, wenn wir wieder nach Hause kamen. Als ich gerade damit fertig war, erhielten wir noch einen Anruf, dass der entstandene Schaden ziemlich groß sei und dass jetzt alles gelöscht wäre. Es war gerade mal 18:30 Uhr. Uns wurde außerdem gesagt, dass wir uns den restlichen Abend vom Schreck erholen sollten, alle anderen Angelegenheiten würden wir dann am nächsten Tag klären. Von Erholung konnte man bei mir aber trotzdem nicht reden. Im Wohnzimmer redeten meine Mutter und mein Onkel noch ein wenig und ich war in meinem Zimmer allein mit meinen Gedanken und Schuldgefühlen, weil ich Mincinos zurück gelassen hatte. Sehr spät kam ich dann aber doch zum Schlafen.

Kapitel 8: Begegnung mit Fericire
Am nächsten Tag wurde ich um 6:30 Uhr durch meinen Radiowecker geweckt. Es lief ein Lied, dass mir direkt gute Laune machte. Don´t worry, be happy. Ich stand auf und ging duschen. Anschließend zog ich mich an und putzte mir die Zähne. Ich schminkte mich noch ein bisschen, bürstete mir die noch feuchten Haare und wartete auf meine Freundinnen, Marina und Cathrina, mit denen ich morgens immer mit dem Rad zur Schule fuhr. Sie wussten nichts von meinen Albträumen. Maren ging auf eine andere Schule. Auf eine Mädchenschule. Ich allerdings besuchte eine gemischte Schule. Endlich klingelte es und ich schnappte mir meinen grauen Rucksack und lief die Treppe runter. Mein Fahrrad lehnte unter der Treppe im Hausflur an der Wand, ein rotes Mountain-Bike. Es hatte schon viel mitgemacht und hatte einige Kratzer. Ich nahm es und schob es vor die Tür. Dann öffnete ich sie und begrüßte meine Freundinnen. Cathrina, sie war nach Maren meine beste Freundin, hatte blau-grüne Augen, etwas dickere schwarze Augenbrauen, die aber dennoch nicht buschig wirkten, eine grade Nase, weder zu dicke noch zu schmale Lippen und dunkelbraune, leicht gelockte Haare, die sie meistens offen trug. Ihre Mutter kam aus Spanien und ihr Vater war Italiener. Insgesamt war sie ganz hübsch. Aber manchmal stieg ihr das auch zu Kopf. Marina hatte blondes langes Haar, das sie auch fast immer offen trug. Sie hatte ganz glatte Haare, blaue Augen, die manchmal grün schimmerten, ungezupfte, breite, blonde Augenbrauen, eine breite Nase und spröde Lippen. Sie war aus irgendeinem Grund immer ganz rot im Gesicht. Sie war dünner als ich, aber nicht schlank oder hübsch genug, um auf die meisten Jungs irgendeine Anziehung auszuüben.
\"Guten morgen!\", sagte ich zu ihnen, schloss die Tür hinter mir und schwang mich auf den Fahrradsattel.
Es dauerte nicht lange, bis wir an der Schule ankamen, nicht mal 10 Minuten. Die Schule war schon was älter. Eigentlich ein hübsches Gebäude. Vor meiner Zeit dort, wohnten noch ein paar Nonnen in der Schule. Jetzt standen die alten Zimmer von ihnen im obersten Stock leer, ich war mir nicht sicher, vielleicht wurden sie auch anderweitig genutzt. Wir schlossen unsere Fahrräder ab und gingen hinein.
Während wir uns die Treppe in den dritten Stock hinauf quälten, fing ich ein Gespräch an:\"Hey, ich muss euch was erzählen!\"
\"Was denn?\", fragte Marina.
\"Bei meinem Onkel hat´s gebrannt! Es ist aber keinem was passiert\", beruhigte ich mein entsetztes Publikum.
\"Wie ist das denn passiert?\", wollte Cathrina wissen.
\"Keine Ahnung...\"
Ich versank in Gedanken. Ich verstand nicht, warum Mincinos im Haus meines Onkels war, warum er verletzt war aber vor allem nicht, warum er nicht mit raus wollte...
\"Verdammt!\", fluchte ich.
\"Was ist los?\", fragten meine beiden Freundinnen, als wir schon vor der Tür standen, hinter der wir die erste Stunde Unterricht hatten.
Mincinos, oder besser gesagt, das, was die Flammen von ihm übrig gelassen hatten, musste noch im Haus sein. Ob die Feuerwehr ihn gefunden hatte? Wir bekamen nichts von einer ca. zwei Meter fünfzig großen Leiche berichtet. Aber wie sollte er es raus geschafft haben? Er sah so geschwächt aus.
\"Ich äh... hab meine Hausaufgaben vergessen, aber egal.\"
Damit gaben sie sich zufrieden.
\"Ich hab heute Nacht was total seltsames geträumt\", berichtete Cathrina.
Ich starrte sie erschrocken an.
\"Ich hab von dir geträumt\", fuhr sie fort und zeigte auf mich.
\"Oh, wirklich?\", sagte ich, als würde es mich gar nicht interessieren, dabei war ich durchaus aufmerksam geworden.
Sie redete einfach weiter:\"Ja, ich hab dich mit so ´nem komischen Mann gesehen. Das war ein Basketballspieler oder so was, so groß wie der war. Aber ich konnte ihn gar nicht richtig erkennen, es war eher nur ein schwarzer Schatten.\"
\"Negru\", rutschte mir raus.
\"Was?\"
\"Nichts, nichts\", antwortete ich.
Wir kamen in den Raum und setzten uns. Eigentlich hatte ich noch mehr Freundinnen. Sheran, Grace und Olivia. Es gab da in der Gruppe nur ein paar Probleme. Manche meiner Freundinnen kamen untereinander nicht zurecht. Marina, Cathrina und ich passten aber fast immer zusammen. Was mich nur störte, war dass Cathrina sehr nervig sein konnte. Sie laberte einen gerne stundenlang zu und wenn sie das Gefühl hatte, ihr wurde nicht zugehört, stieß sie einen in die Seite oder rief:\"Ey! Hör zu!\" Oder dass sie eine gewisse Naivität an den Tag legte. Aber eigentlich empfand ich das eher belustigend, als störend. Man konnte sie außerdem schnell reizen. Ich war nie schnell genervt. Ich glaube, man kann sich das bei mir wirklich wie ein voll tropfendes Fass vorstellen, nur dass mein Fass mehr Wasser fassen kann als so manch anderes. Bei mir ist es auch so, dass wenn ich auf eine bestimmte Person sauer bin, alle anderen meistens nichts davon mitbekommen, weil ich zu ihnen noch total freundlich bin. Es bekommt also meistens nur derjenige meine Wut ab, der sie auch verursacht hat. Die Tür öffnete sich und Grace kam herein. Sie hatte schulterlanges blondes Haar, dass sie, wie die meisten Mädchen offen trug, braune Augen, etwas schmalere Lippen und war sehr schlank. Sie war in der Schule immer ruhig und bevor ich sie näher kennen lernte hielt ich sie für langweilig, dabei war sie eine richtige Stimmungskanone. Ich kenne keinen, mit dem ich so viel lachen konnte, wie mit ihr. Ich stand auf und fiel ihr zur Begrüßung erstmal um den Hals.
\"Hi\", war alles, was sie in ihrer Schüchternheit, die sie in der Schule immer an den Tag legte raus brachte.
Sie verstand sich gut mit Cathrina. Mit Olivia eigentlich auch und zu Marina und Sheran pflegte sie eher ein neutrales Verhältnis. Wir verstanden uns aber super, wahrscheinlich weil sie in der Schule eine angenehm ruhige Gesellin für mich und meine Morgenmüdigkeit war und im privaten aber genauso durchgeknallt war wie ich. Sie war auch sehr geduldig mit uns, wenn Cathrina und ich mal wieder auf dumme Ideen kamen. Grace ging auf ihren gewohnten Platz in der ersten Reihe. Für gewöhnlich saß Lisa immer neben ihr. Ich setzte mich wieder zu Cathrina, die schon ganz ungeduldig rumzappelte, weil sie mir irgendetwas von ihren neuen Markenschuhen erzählen wollte. Etwas widerwillig platzierte ich mein Hinterteil neben ihr und hörte mir an, dass ihre Klamotten einen Wert von 200 Euro überschritten.
Ich grinste und meinte:\"Hey Marina, ich halt sie fest und du klaust die Klamotten. Und dann verscherbeln wir das Zeug im Internet und teilen uns das Geld.\"
Es war nur ein Scherz, aber Cathrina verzog trotzdem das Gesicht. Dann kam auch Sheran rein spaziert. Sie hatte lange braune Haare, die im Stufenschnitt und leichten Wellen hinunter fielen, dunkelbraune Augen, eine Stupsnase und zwei Muttermale auf einer Wange. Sie war sehr klein, doch dank ihrer üppigen Oberweite waren die meisten männlichen Personen gut auf sie zu sprechen. Was mir aber immer komisch vor kam, war, dass sie keine Fehler zu haben schien. Sie hatte ein sehr hübsches Gesicht, einen gut gebauten Körper und wirkte immer niedlich und hübsch. Sogar wenn sie ihre Zahnspange trug und deshalb komisch sprach, konnte es sie irgendwie nicht entstellen. Natürlich waren wir restlichen Mädels da nicht immer froh drüber. Zumindest spielte Neid bei mir auch eine Rolle, warum sie nicht gerade meine beste Freundin war. Ich hatte irgendwie immer das Gefühl, sie würde sich verstellen, aber es könnte auch sein, dass es mich verwirrte, jemanden zu kennen, der scheinbar keine Fehler hatte. Sie umarmte mich ganz leicht und umarmte dann auch Cathrina und Marina. Cathrina und Sheran waren echt gut befreundet. Als letztes kam Olivia durch die Tür. Sie begrüßte mich nicht. Keinen von uns, außer Grace. Ich war verunsichert. War sie eigentlich wirklich meine Freundin? Ich mochte sie. Cathrina und Grace regten sich regelmäßig über sie auf. Ich sagte zu solchen Kommentaren immer einfach nur Ja und Amen, nahm sie aber nicht so ernst. Obwohl es schon ein bisschen an mir nagte, dass ich gesagt bekam, sie würde mich nicht mögen und wäre eine falsche Freundin. Ich glaubte, sie wurde einfach nur missverstanden. Aber etwas vorsichtiger war ich trotzdem im Umgang mit ihr. Ich wollte nicht zu nett zu ihr sein, wenn sie mich nicht leiden konnte. Ach, hallo sagen konnte ja nicht so schlimm sein. Ich stellte mich vor ihren Tisch.
\"Hallo. Wie geht´s?\", wollte ich wissen.
\"Hi. Gut. Und dir?\", fragte sie zurück.
\"Auch gut.\"
Unser Lehrer kam ins Zimmer und ich setzte mich schnell wieder neben Cathrina. Die erste Stunde verging nur langsam und ich spielte aus Langeweile an meiner braunen Haarsträne herum. Anschließend hatten wir Bio. Ich war in einem Kurs mit Cathrina, Olivia und noch ein paar anderen netten Leuten. Wir, oder eigentlich nur Cathrina redete wieder die ganze Stunde von ihren neuen Schuhen. Nach Biologie folgte eine Pause von 15 Minuten. Eigentlich sollten wir dann immer raus gehen, auf unseren Schulhof, aber weil es so kalt war, drückten Marina, Cathrina und ich uns meistens davor. Wir schlichen dann immer durch das beheizte Schulhaus und warteten auf das Hallen der Glocke. Schwierig wurde es immer nur dann, wenn man von einem Lehrer erwischt wurde. Das war diesmal auch der Fall. Ein Lehrer kam uns entgegen und wir rannten schnell die Treppen hoch bis in den vierten Stock, zu den ehemaligen Zimmern der Nonnen. Dort fand man uns bestimmt nicht. Hier oben war es auch ganz dunkel und in meiner dunklen Jeans und meinem schwarzen Pullover war ich fast schon unsichtbar. Wir standen im Flur, des selten betretenen vierten Stockwerks und schnauften vor uns hin, weil wir vom Raufrennen ganz aus der Puste waren. Cathrina schaute zu den Zimmertüren, die aus Holz bestanden und grinste.
\"Klopf, klopf\", sagte sie und haute mit der Faust gegen die Tür.
Ich stellte mich unbemerkt hinter sie und hauchte in ihr Ohr:\"Wer ist da? Ich lass dich rein.\"
Sie zuckte zusammen und wir mussten uns alle darüber schlapp lachen. Doch dann zuckte auch ich zusammen. Ein Waldgeist, Fericire, bewegte sich in der Dunkelheit. Aber immer, wenn meine Augen es gerade geschafft hatten, seine Konturen richtig einzufangen, verschwand er. \"Warum guckst du so?\", fragte Marina und wedelte mit ihrer Hand vor meinen Augen rum.
\"Ich dachte, ich hätte einen Lehrer gehört\", behauptete ich.
Es schellte. Wir hatten Physik und eilten runter ins Erdgeschoss, vor den Physikraum, und warteten auf unseren Lehrer. Er kam und wir stürmten rein und gingen auf unsere Plätze. Wieder begann Cathrina ein Gespräch. Aber diesmal ging es um eine Frau, die wir draußen beobachteten. Gegenüber von unserer Schule putzte sie ein Fenster.
\"Boar, guck dir mal an, was die für ´ne Frisur hat\", flüsterte sie mir zu.
\"Mhm...\", machte ich ohne dieser Frau irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken.
Ihre Frisur war mir sowieso egal. Ich war so müde, dass ich fast einschlief, als wir irgendetwas über Stromkreise erzählt bekamen. Ich verstand das Thema einigermaßen und hielt es nicht mehr für notwendig,die letzte Stunde, bevor wir ohnehin ein neues Thema anfingen, auf zu passen. Meine Schläfrigkeit wurde noch gesteigert, als der Lehrer das Licht ausschaltete und die automatischen Rollläden runter ließ, um uns zu demonstrieren, wie eine kleine Glühbirne bei geschlossenem Stromkreis leuchtete. Hinter ihm entdeckte ich wiederholt Fericiere. Ich fühlte mich irgendwie verfolgt von diesem Waldgeist und hoffte, dass es bald wieder hell werden würde. Aber dennoch fühlte ich mich nicht in Gefahr. Es waren so viele Leute um mich, aber keiner sah ihn. Thomas, der Junge, der hinter mir saß, versuchte die ganze Zeit mich anzusprechen.
\"Pssst, Vivi. Pssst!\"
\"Was?\", fragte ich und drehte mich um.
\"Warum zitterst du so?\", erkundigte er sich.
Ich hatte nicht gemerkt, dass ich zitterte.
\"Mir ist voll kalt\", erläuterte ich, auch wenn mir so gut wie nie kalt war.
Er lachte auf und erlaubte sich einen Spaß:\"Ich kann dich ja wärmen.\"
\"Ne ne, lass mal lieber. So Leid es mir tut, aber den Vorschlag lehn ich ab.\"
Cathrina hatte das Gespräch mitverfolgt und zwinkerte mir spöttisch zu.
\"So so, du und Thomas, davon hast du mir ja überhaupt nichts erzählt\", fügte sie zu dem Zwinkern hinzu.
Ich erzähl dir so einiges nicht, dachte ich in mich hinein. Wäre ja auch noch schöner, wenn sie sich über meine Halluzinationen lustig machen würde.
\"Natürlich, das läuft auch noch nicht so lange\", antwortete ich schließlich.
Das Licht ging wieder an und das Verdeck des Fensters wurde hoch gefahren.
\"Ja, die Stunde ist auch gleich vorbei... hat noch jemand eine Frage zu dem Thema? Nein? Gut, dann beende ich die Stunde für heute. Ihr dürft gehen\", genehmigte uns der Lehrer und wir verließen den Raum.
Die Stunde kam mir so kurz vor. Genau wie Englisch, Erdkunde, Mathe und Geschichte. Und dann hatten wir auch schon Schule aus. Der ganze Tag verging so schnell und weitgehend ereignislos.

Kapitel 9: An der Grenze zur Realität
Am Abend saß ich im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Alex und Anna hatten von der Versicherung ein Apartment zur Verfügung gestellt bekommen. Meine Mutter war auf der Arbeit, sie hatte Nachtschicht. Es war schon 22:45 und ich entschied mich dazu, ins Bett zu gehen. Ich schlenderte in mein Zimmer und zog mich um. Dann lief ich ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Ich stellte mich vor das Waschbecken, vor den Spiegelschrank und kramte in der Schublade herum. Ich fand meine Zahnbürste und machte einen Klecks Zahnpasta darauf. Ich fing an meine Zähne zu schrubben und schaute dabei in den Spiegel. Die Scheibe beschlug. Aber warum? Ich wischte ärgerlich mit der Hand darüber, doch das Glas war nach wenigen Augenblicken wieder beschlagen. Langsam machte mir dieser ungewöhnliche Zustand Angst. Ich sah mich um. Das ganze Badezimmer füllte sich mit angenehm kühlem Dampf. Feuchte Tropfen bildeten sich auf meiner Haut. Auf der Scheibe bildeten sich ebenfalls Tropfen und liefen langsam in schlängelnden Bewegungen herunter. Irgendwie wurde ich für einen Moment ganz ruhig. Ich schloss die Augen. Wieder hörte ich eine Orgel spielen, aber nur sehr leise. Plötzlich dröhnte sie erschreckend laut und ich schrie auf. Dann war es still. Der Dampf war weg. Ich stand hastig atmend vor dem Spiegel und blickte hinein. Meine schmalen Lippen zitterten, genau wie meine Hände, die die Zahnbürste umklammerten. Ich hatte die Spiegelscheibe aus versehen mit Zahnpasta bespritzt. Ich wischte es ab und putzte meine Zähne eilig zu ende. Dann ging ich schnell in mein Zimmer und kuschelte mich in meine schwarz-rot gemusterte Wolldecke. Mein Radiowecker zeigte mir an, dass es 00:00 war. Wie konnte das denn sein? Ich putzte mir doch nicht über eine Stunde die Zähne. Dann fiel mir die gruselige Tatsache auf, dass es die so genannte \"Geisterstunde\" war. Ich schluckte. Ich versuchte es einen Augenblick zu ignorieren, dachte dann aber daran, dass es blöd wäre, wenn mein Wecker eine Stunde oder so zu früh klingeln würde und ich stand auf, rannte ins Wohnzimmer und blickte dort auf die Uhr. 23:00 Uhr. Ich begab mich wieder ins Bett und wollte von dort aus den Radiowecker wieder richtig stellen, als ich erkannte, dass er bereits die richtige Uhrzeit anzeigte. Ich drehte mich um und dachte mir, ich hätte mich bestimmt nur geirrt. Dann schlummerte ich weg. Aber nicht für lange. Ich hatte noch nicht mal zu träumen begonnen, da wurde ich schon wieder wach. Ich hatte keine funktionierende Uhr in meinem Zimmer, bloß den Radiowecker, doch der konnte unmöglich ticken. Trotzdem hörte ich den im Takt schlagenden Zeiger. Tik tak tik tak tik tak... Ich hatte das Licht ausgemacht und daher war es dunkel in meinem Zimmer. Ich spürte meine Bettdecke nicht mehr. Ich fühlte auch kein weiches Sofapolster unter meinem Körper. Ich stützte mich mit der rechten Hand ab und richtete mich mühsam auf. Der Boden war kühl und ein bisschen glatt. Vielleicht wie Holz oder Laminat. Ich war nicht in meinem Zimmer, denn dort bestand der Boden aus einem dunkelblauen Teppich. Aber wo war ich dann? Ich streckte die Hände von mir und versuchte mich zu orientieren. Ich fühlte eine Wand und strich mit der Hand über sie. Ich hoffte, den Lichtschalter zu finden und ich hatte tatsächlich Glück. Ich drückte ihn runter und das Licht ging an. Ich war in dem Haus meines Onkels, im ehemaligem Zimmer meiner Mutter. Ich fragte mich, wie ich hierher kam und drehte mich zur Tür, hinter der der Hausflur lag. Sie ließ sich nicht öffnen. Ich blickte zum Fenster. Es war noch dunkel. Wenn es sein musste, konnte ich es öffnen und raus klettern. Ich überlegte angestrengt, wie viel Nutzen es haben würde, wenn ich um Hilfe rufen würde und ob es vielleicht mehr Nachteile mit sich bringen würde als Vorteile. Es könnte ja sein, dass ich eher jemandem meine Position verraten würde, der mir nicht helfen wollte. Ich hatte meine Schlafklamotten noch an. Ein Geräusch kam aus dem Keller. Es klang, wie das Miauen einer Katze, wie das Miauen, das ich während des Brandes gehört hatte. Ich bezweifelte, dass es wirklich eine Katze war. Außerdem war die Tür zum Keller diesmal wie gewöhnlich zugemauert. Aber das Geräusch kam eindeutig von dort unten. Mir fiel jetzt erst auf, dass keine Anzeichen des Brandes zu sehen waren. Das ganze Haus wirkte auf mich anders. Vor dem Fenster ging eine Gestalt vorbei. Ein Mann in einem schwarzen Anzug und einer roten Krawatte. Wer war das? Ich hatte keine Ahnung, aber er sah nicht gefährlich aus. Er nicht. Dennoch war da etwas...etwas böses. Ich wurde unruhig. Es fühlte sich nicht an, wie ein Albtraum. Wieder ging dieser Mann am Fenster vorbei. Diesmal langsamer. Konnte er mich sehen? Sollte ich es darauf anlegen, gesehen zu werden? Er ging ein weiteres mal am Fenster vorbei, noch langsamer. Würde er irgendwann stehen bleiben? Ich bekam das ungute Gefühl, unter Zeitdruck zu stehen. Ich musste irgendwas machen, bevor er dazu kam, stehen zu bleiben, denn dann würde es zu spät sein. Das Miauen wurde zu einem Krächzen. Ok, ab in den Keller. Da musste ich wohl hin. Die Wand war nur sehr dünn und unfest. Ich schlug mit dem Ellbogen gegen sie. Die dünne Hirgalitplatte bröckelte. Die Tür zum Keller kam zum Vorschein und ich rüttelte an der Klinke und öffnete sie. Kalte Luft strömte mir entgegen. Der Schrei eines Waldgeistes ließ meine Knie klappern.
\"Negru? Fericire? Anemie? ...Mincinos?\"
Meine Stimme war ganz leise. Ein bitteres, teuflisches Lachen, eine tiefe Männerstimme, erklang und verstummte wieder. Ich lief die Holztreppe in den Keller runter. Eine Frau, nicht älter als fünfundzwanzig, saß in der Ecke, in der auch Mincinos gesessen hatte. Lange silberne Haare, ein aufgesetztes Lächeln, schwarze Augen und ein weißes Nachthemd, das größten Teils mit einer schwarzen Flüssigkeit bedeckt war. Diese Dinge machten mir an ihr Angst. Ihr Blick war auf die Wand hinter mir gerichtet. Sie bewegte sich nicht, trotzdem rechnete ich damit, dass sie jeden Augenblick auf mich springen würde. Die Wand war mit der Zeit vergilbt. Sie unterschied sich aber in keinster Weise von den anderen drei Wänden des Kellers. Warum starrte sie so auf diese Wand? Ich fasste das Mauerwerk an. Es fühlte sich ganz normal an und sah auch so aus, bis es begann, sich schwarz zu färben und sich zu bewegen. Ich zuckte zurück und wollte gerade weg rennen, doch als ich mich umdrehte, stand die Frau schon hinter mir. Ich schrie. Sie streckte die Hand aus, aber nicht nach mir, wie ich Anfangs dachte, sondern nach der Wand. Sie trat hindurch und verschwand. Die schwarze Masse vergrößerte sich und kam mir näher. Der Schock verwurzelte meine Beine mit dem Boden. Ich wollte rennen, aber konnte nicht. Endlich schaffte ich es, mich zu bewegen und lief die Kellertreppe hoch. Eine Stufe brach ab und ich fiel hin und rutschte die Treppe auf dem Bauch wieder runter. Unter der Treppe sah ich eine Tür. Ich erinnerte mich nur noch schwach daran, dass dort Weinflaschen lagerten. Ich war aber auch schon seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Ich hatte zu viel Angst vor diesem Raum. Mein Onkel hatte mir immer so nette Horrorgeschichten erzählt, von wegen, dort wären mal die Leichen der Lungenheilanstalt gelagert worden. Ich war mir sicher, dass das nicht stimmte, aber Angst hatte ich trotzdem, denn diese Lungenheilanstalt existierte immer noch. Sie war vielleicht einige hundert Meter von dem Haus entfernt. Mittlerweile war es eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen. Ein großes weißes Gebäude, das schon sehr alt war und ein bisschen wie ein Schloss aussah. Eigentlich hübsch. Aber alleine ging ich dort nicht hin. Es gab da so manchen merkwürdigen Zeitgenossen, deshalb trieb ich mich da vorzugsweise nur in Begleitung eines Hundes oder einer Freundin rum. Angst vor diesen Menschen hatte ich keine, aber einen gewissen Respekt. Ich rappelte mich wieder auf. Jemand stand vor mir. Der Mann im Anzug. Er legte den Kopf schräg und zuckte ein paar mal, sodass sein Genick knackte. Ich flüchtete schnell in den Raum mit den Weinflaschen und schloss die Tür. Sie bestand aus rostigem Stahl und man konnte sie zum Glück abschließen. Ich suchte den Lichtschalter und ließ den Raum erleuchten. Er war ca. 15 Quadratmeter groß und voll gestellt mit vier Holzregalen, die extra zum lagern von Weinflaschen gedacht waren. Den ganzen Wein hatten wir aber hier raus geräumt, bevor wir die Tür zumauerten. Daher waren die Regale leer, bis auf ein Stück Papier, das zusammengerollt den Platz einer Weinflasche einnahm. Ich war in dem Raum eingesperrt. Draußen wartete dieser Mann und Drac in Form dieser abscheulichen Glibber-Wand. Ich schnappte mir das Papier und rollte es auseinander. Ein Brief.

Hallo Vivien,
Du musst keine Angst haben. Es ist nur ein Traum. Deute ihn richtig und du weißt, was dein nächster Schritt sein wird. Dieser Traum hat dir viele Hinweise geschenkt. Forsche ein bisschen nach. Dein Onkel hat dir doch davon erzählt. Erinnerst du dich? Es ist ganz in deiner Nähe...
Raluka

Ich ging davon aus, dass Raluka die Rumänin war. Ihr Brief verwirrte mich etwas. Wie sollte ich denn diesen Traum, falls es wirklich einer war, deuten? Es hatte anscheinend etwas mit diesem Behindertenheim zu tun. Aber sonst waren da doch keine Hinweise. Die Tür rappelte. Als hätte ich sie nicht abgeschlossen, ging sie langsam auf. Niemand da.
\"Geh schon!\", brüllte jemand und ich wagte mich hinaus.
Ich rannte die Treppe rauf, wobei ich bemerkte, dass die kaputte Stufe wieder ganz war. Egal, einfach nur schnell raus da. Ich rannte durch die Tür, vor der ich die Wand weg geschlagen hatte. Hinter mir wuchs sie wieder zusammen und wurde wieder unbeschädigt. Es war inzwischen hell draußen. Ich hatte das Gefühl, gar nicht solange im Keller gewesen zu sein, aber anscheinend war ich die ganze Nacht dort. Die Tür zum Flur ließ sich wieder öffnen. Vielleicht war ich ja immer nur solange eingeschlossen, bis meine Halluzinationen vorbei waren. Ich flitzte den Flur lang und stürmte ins Zimmer meines Onkels. Es war leer. Wo zum Teufel war er? Ab ins Wohnzimmer. Niemand. Ich lief nach draußen. Ich wollte nach Hause. Ich drehte mich zum Haus und es ging in einer gigantischen Stichflamme auf. Plötzlich war das Feuer wieder aus und es sah genau so aus, wie es auch eigentlich für ein Haus, das vor knapp zwei Tagen gebrannt hatte normal war. Ich fühlte mich auf einmal beobachtet. Ich sah aber niemanden. Der Wind rauschte durch die Bäume. Ich trug immer noch meine Schlafklamotten, aber ich lief trotzdem den Waldweg runter in die Stadt. Irgendwie musste ich ja nach Hause kommen. Ich beeilte mich sehr und war in weniger als fünf Minuten schon aus dem Wald raus. Trotzdem hörte das ständige Gefühl beobachtet zu werden nicht auf. Auf der Straße war kaum jemand unterwegs und die wenigen, die schon umher gingen, bemerkten scheinbar nicht, dass ich einen Pyjama trug. Im Stadtzentrum angekommen, huschte dann schon der ein oder andere verwirrte Blick zu mir. Ich war schon fast zu Hause. Ich rannte an der Kirche vorbei. Es war halb Sieben. Ich hatte noch eine Stunde, bis ich von meinen Freundinnen abgeholt werden würde. Das war noch genug Zeit, um mich um zuziehen, mir die Zähne zu putzen, mir die Haare zu bürsten und generell mich wieder so herzurichten, dass ich aussah wie ein normaler Mensch. Meine Mutter war noch nicht von der Nachtschicht im Krankenhaus zurück und merkte noch nicht mal, dass ich die Nacht über weg gewesen war. Den Schlüssel entwendete ich aus seinem Geheimversteck hinter einem Sicherungskasten neben unserer Haustür und betrat das Mehrfamilienhaus. In meiner vertrauten Wohnung angekommen, begann ich mit der Morgenhygiene. Ich strebte so nach Normalität, dass ich mich schon richtig auf die Schule freute.

Kapitel 10: Verabredung
In der Schule war es dann doch nicht so normal, wie ich es mir erhofft hatte. In der ersten Stunde hatten wir Messe. Das mussten wir jeden Dienstag mitmachen. Wir gingen in die kleine Schulkapelle, die in das Gebäude mit eingebaut war. Außer wenigen Sitzbänken, einem Alltar und einem Keyboard als Orgelersatz befand sich nichts in dem Raum. Wir setzten uns und jeder bekam ein Gesangsbuch. Es ging wohl jedem auf die Nerven schon in der ersten Stunde, wo man noch total müde ist Kirchenlieder trällern zu dürfen. Cathrina und Marina saßen natürlich mit mir in einer Bankreihe. Grace und Olivia saßen zwei Reihen vor uns. Ich winkte ihnen freudig und klopfte auf den freien Platz neben mir. Grace grinste und erhob sich, um zu uns zu kommen. Olivia lächelte auch, hielt aber Grace fest. Sie wollte, dass sie bei ihr sitzen bleibt und es kam keiner zu uns rüber. Ich nahm ihr das nicht übel. Wegen so etwas war ich nicht sauer, dennoch brachte es mich zum Nachdenken. Ich wollte ihr Verhalten vorerst noch eine Weile studieren, bevor ich sie beurteilen würde. Trotzdem nahm es mir irgendwie einen Teil meiner neu gewonnenen guten Laune, die ich hatte, weil meine Mutter gar nicht gemerkt hatte, dass ich weg war. Sie war noch arbeiten und kam etwa zehn Minuten nach mir nach Hause. Die Kapelle war schon halb voll.
\"Hey, schöne Frisur\", schmeichelte mir Cathrina.
\"Danke“, murmelte ich.
Die Tür zur Kapelle öffnete sich und die restlichen Schüler traten ein. Der Prediger eröffnete die Messe. Er war ein Mann, von keiner Beliebtheit bei uns Schülern. Er wirkte auf uns immer etwas pädophil, da sein Blick einen Angst einflößenden Ausdruck hatte und er dazu neigte, einige von uns mit diesem Blick lange zu fixieren, wenn er Worte sprach wie:“Durch ihn mit ihm und in ihm... bis du kommst in Herrlichkeit“, die wir nicht immer in Zusammenhang mit Religion brachten. Es gab natürlich keine Beweise für unsere nervenaufreibenden Theorien, aber so ist das ja meistens. Theorie bleibt eben Theorie und die Praxis ist häufig ganz anders. Wohl möglich war der Prediger auch nur ein ganz normaler Mensch und hatte keinerlei perversen Neigungen, obwohl wie gerne, oft und mit einem hohen Spaßfaktor unsere Possen rissen. Die Messe zog sich in die Länge. Aufstehen, singen, beten, knien, setzen. So ging es eine ganze Weile. Endlich begann die Verteilung der Hostien. Das bedeutete, dass es bald zu ende war. Wir bildeten eine Schlange. Das Licht über dem Prediger begann zu flackern und erlosch. Er sagte nichts dazu und ließ sich nicht von dem gewohnten Ablauf abbringen. Die Dunkelheit um ihn herum breitete sich bis hin zu mir aus. Fericire tauchte wieder auf. Er schlich um den Prediger herum, ohne das irgendwer etwas davon mitbekam. Er ging durch die Reihen und setzte sich genau auf meinen Platz. Ich bekam meine Hostie in die Hand gedrückt und steckte sie mir in den Mund. Ich kaute darauf rum, während ich zurück zu meiner Bankreihe ging. Ich wusste nicht recht, was ich machen sollte, da Fericire keine Anstalten machte, meinen Platz zu räumen und setzte mich einfach auf Cathrinas Platz.
Als sie das bemerkte, brummte sie:\"Ey! Weg da\" und schubste mich weg.
Fericire verpuffte plötzlich und ich nahm wieder ganz normal Platz. Ein letztes Gebet und wir wurden entlassen. Als nächstes stand Erdkunde auf dem Plan und wir marschierten dementsprechend zu dem Raum, in dem wir dieses Fach hatten. Die Stunde verging schnell. Wir schrieben einen Test. Ich hatte nicht gelernt, hatte aber trotzdem ein gutes Gefühl. Es klingelte zur Pause. Ausnahmsweise liefen wir runter auf den Schulhof. Es war nicht ganz so kalt, wie sonst und mir wurde in meinem Wintermantel sogar ein bisschen zu warm. Cathrina stubste mich an.
\"Hm? Is was?\", fragte ich.
\"Ich hab dich was gefragt!\"
Sie war sichtlich über meine Unaufmerksamkeit verärgert.
\"Was denn?\", entgegnete ich.
\"Hast du heute Zeit?\", wiederholte sie ihre Frage.
\"Ja.\"
Ich überlegte noch nicht mal, ob ich wirklich Zeit hatte.
\"Ok. Dann lass mal heute treffen. Ich komm dann mit Marina zu dir. So um drei geht klar?\"
\"Öhm... ja\", bestätigte ich erneut ohne nachzudenken.
Grace kam zu uns und legte mir einen Arm um die Schulter.
\"Na, alles fit?\", meinte sie.
Sie war viel lockerer, da keiner außer uns in ihrer Nähe war. Cathrina sah Grace an.
\"Hey, wir treffen uns heute bei Vivi. Komm doch auch\", schlug sie ihr vor.
\"Na gut. Wann denn?\", erkundigte sich Grace.
\"Um drei\", antwortete Cathrina.
Ich stand etwas unbeholfen neben der Unterhaltung ohne zu wissen, wen Cathrina noch alles zu mir einladen würde. Ich grinste.
\"Äh, wie schön, dass ich hier auch gefragt werde.\"
\"Das ist doch ok, oder?\", wollte Cathrina von mir wissen.
\"Ja, aber was machen wir denn überhaupt? Bei mir in der Wohnung ist es doch langweilig. Wir können da ja nichts machen, außer Fernsehen gucken.\"
Cathrinas Augen funkelten.
\"Ich will mal das verbrannte Haus sehen\", sagte sie begeistert.
Grace und alle anderen hatten den Vorfall inzwischen auch schon zu hören bekommen. Ich hielt es für keine sehr gute Idee, mich wieder in dieses Haus zu begeben. \"Glaubt ihr nicht, das ist verboten?\", warf ich ein.
\"Was ist verboten?\", fragte Olivia interessiert, die hinter mir aufgetaucht war.
\"Wir gehen in das verbrannte Haus von Viviens Onkel\", kündigte Grace an.
\"Nein! Leute, macht mal ´nen Punkt\", rief ich dazwischen.
\"Wie gruselig\", stellte Olivia fest.
\"Willst du mitkommen?\", bat Cathrina auch Olivia an.
\"Ich find das irgendwie nicht gut\", sagte Olivia besorgt.
\"Ach komm schon!\"
Alle drei, Grace, Cathrina und Marina redeten auf Olivia ein und sie gab dann doch ihre Zustimmung.
\"Mädels, jetzt mal ernsthaft, ich glaube, das ist verboten. Außerdem wäre es schlecht, wenn die Versicherung dann nicht mehr zahlt oder so etwas. Vielleicht stürzt auch irgendwas ein, wenn wir da drin sind.\"
Ich übertrieb mit Absicht ein bisschen, um sie von ihrer Idee abzubringen.
\"Wir könnten uns umbringen. Es ist echt keine gute Idee. Lass doch lieber... ähm... ´ne Pizza essen gehen.\"
\"Aber das ist nicht so spannend\", argumentierte Marina.
\"Dann gehen wir halt in ein anderes abgebranntes Gebäude, aber nicht in das von meinem Onkel!\"
\"Och Vivi! Sei kein Spielverderber!\"
Sonst war ich immer die, mit den verrückten Einfällen, durfte ich da nicht einmal der Spielverderber sein?
\"Bitte bitte bitte!\"
Cathrina setzte ihren Hundeblick gegen mich ein. Sie sah aus, als ob sie losheulte, sobald ich nein sagte.
\"Ihr könnt ja erstmal zu mir kommen und dann sehen wir weiter. Es könnte ja sein, dass wir alle dann überhaupt keine Lust mehr haben, in das Haus zu gehen\", meinte ich.
Das war natürlich Schwachsinn. Nach der Schule fuhr ich mit dem Rad nach Hause und ging in die Wohnung. Ich warnte schnell meine Mutter vor, dass gleich vier meiner Freundinnen vorbeikommen würden. Sie fand das nicht schlimm und stellte sogar ein paar Chips auf den Tisch. Ich nahm mir eine Hand voll und steckte sie mir in den Mund. Noch eine halbe Stunde, dann würden sie kommen. Mein Handy klingelte.
\"Hallo\", ging ich dran.
\"Guten Tag, Vivien.\"
Oh nein, Raluka!
\"Was ist? Reicht es nicht, dass Sie das Haus meines Onkels angezündet haben?\"
\"Bleib ruhig. Wir waren das nicht. Wenn du heute schon so wie so bei deinem Onkel vorbei schaust, kannst du doch auch gleich woanders hingehen, falls du dich noch an die Hinweise erinnerst.\"
Sie legte auf und mir wurde klar, dass sie die Lungenheilanstalt meinen musste. Ich konnte dort doch nicht mit meinen Freundinnen aufkreuzen, ich wollte sie nicht unnötig in Gefahr bringen.
\"Wer war das denn?\", fragte meine Mutter misstrauisch.
\"Nur Maren, Mom.\"
Sie glaubte mir meine Lüge. Ich schob mir noch ein paar Chips in den Mund und ging in mein Zimmer. Ich setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl und lehnte mich zurück. Ich verlieh dem Stuhl mit den Füßen Schwung und drehte mich, bis mir schwindelig wurde. Der Stuhl hatte Rollen und deshalb konnte ich mit ihm im ganzen Zimmer rum fahren, nur der Teppich bremste mich ein bisschen. Ich bewegte mich bis zu meinem Fernsehtisch, wo aber nur ein alter schwarzer Ghettoblaster drauf stand. Ich drückte auf Play und die CD begann zu laufen. Das erste Lied war klassisch und melankolisch. Es machte mich sofort traurig und nachdenklich. *Heul* Mein Leben ist blöd! Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Ich nahm die CD raus und legte eine neue ein - ACDC. Die rockige Musik brachte mich in die Stimmung mein Zimmer aufzuräumen... dabei war es noch halbwegs ordentlich. Das zweite Lied war zu Ende und es klingelte.
\"Ich geh schon\", rief ich, bevor meine Mutter sich zur Tür begeben konnte.
Da waren auch schon meine Freundinnen. In meinem Zimmer dröhnte das nächste Lied. Cathrina kam die Treppe als erstes hoch, gefolgt von Marina, Grace und zum Schluss Olivia.
Olivia lauschte einen Augenblick und sagte:\"Wie rockig.\"
\"TNT! I´m dynamite!\", rief Grace.
\"Bist du bereit?\", fragte Olivia.
\"Ihr wollt immer noch in das Haus?\", fragte ich.
\"Ja klar!\", meinte Marina.
\"TNT! I´m dynamite!\", brüllte dann auch ich.
Das Lied stimmte mich irgendwie um. Ich wollte jetzt auch in das Haus.
\"Kommt, wir nehmen den Ghettoblaster mit\", schlug ich vor. \"Der läuft auch mit Batterie.\"
Ich schnappte mir meine ganzen CDs - das waren nicht sehr viele - und steckte Batterien in das Batteriefach. Mit dem Ghettoblaster in der Hand ging ich ins Wohnzimmer.
\"Mom, wir gehen in die Stadt. Bis später\", erzählte ich ihr.
\"Ja, bis nachher\", verabschiedete sich meine Mutter und wir liefen die Treppe runter.
Ich schaltete den Ghettoblaster vorerst aus. Ich wollte nicht, dass die Musik in der ganzen Fußgängerzone zu hören war. Als wir durch die Fußgängerzone schlenderten klingelte mein Handy schon wieder. Ich erkannte Marens Nummer und ging ran.
\"Was ist?\"
\"Hi, hast du heute Zeit? Wir müssen uns treffen. Es geht um die Rumänen\", berichtete sie.
\"Was ist denn mit denen?\", fragte ich verdutzt.
\"Sie sind plötzlich verschwunden. Meine Eltern sind auch nicht mehr da. Ich bin allein.\"
\"Wo sind deine Schwestern?\"
- Sie hatte eine ältere und eine jüngere Schwester.
\"Rebecca ist beim Reiten und Karen ist bei der Nachhilfe. Wo bist du gerade?\"
\"In der Stadt. Ich geh gleich mit Cathrina, Marina, Grace und Olivia in das Haus oben\", berichtete ich.
\"Hat´s da nicht gebrannt? Das hast du mir doch erzählt.\"
\"Ja, die wollten da unbedingt hin\", sagte ich.
Dieses Haus übte wohl eine genauso große Anziehung auf sie aus, wie die Waldgeister auf mich.
\"Du kannst ja auch mitkommen\", lud ich Maren ein.
Meine Schulfreundinnen hatten mittlerweile gemerkt, dass Maren am Telefon war und schüttelten den Kopf. Sie mochten sich nicht. Aber Maren lehnte sowieso ab. Eine Weile war sie verstummt. „Maren? Bist du noch dran?“, fragte ich. \"Ja. Ich ruf dich heute Abend nochmal an. Tschüss\", flüsterte sie leise und legte auf.
\"Hallo? Maren?\", redete ich schnell noch, aber sie hörte es wohl nicht mehr.
\"Ist sie jetzt sauer?\", fragte Cathrina schuldbewusst.
\"Ich glaube nicht\", antwortete ich.
\"Egal, lasst uns weiter gehen\", trieb uns Marina an.
Das taten wir dann auch. Durch die ganze Stadt im Eiltempo. Am Waldrand drehte ich die Musik wieder laut. Plötzlich kamen mir Tränen in die Augen. Es fiel mir schwer, sie zurück zu halten. Ich wusste nicht warum, aber ich war auf einmal so unendlich traurig. Grace bemerkte es und legte mir einen Arm um die Schulter.
\"Was ist los?\", fragte sie so leise, dass es außer mir keiner hörte.
\"Nichts\", gab ich zurück.
\"Ich glaub, es ist ganz einfach wegen dem Wind, der mir in die Augen weht.\"
Es war windstill. Sie rieb mit der Hand über meinen Rücken.
\"Ok, wenn du meinst. Du kannst mit mir reden, wenn du willst.\"
Die CD wiederholte sich und ich fing laut an zu singen, um einem Gespräch aus dem Weg zu gehen und wischte mir die Tränen weg. Cathrina stimmte auch mit ein. Ich weiß nicht, ob es an der umfragten Pubertät lag, aber meine Gefühle schlugen um, von tief traurig zu wirklich glücklich. An der passenden Stelle sang dann auch Grace mit.
\"I´m on the Highway to Hell!\"
Nach und nach stimmten wir ein und am Ende des Liedes schallte dann die Stimme von jedem von uns von den Bäumen wider. Als das Lied zu Ende war, legte ich eine andere CD, von denen, die ich in meiner Manteltasche mit mir rum trug ein. Party Stimmung kam auf und ich begann albern zu tanzen, was die anderen zum Lachen brachte. Irgendwie wurde es mir dann aber doch zu peinlich. Was, wenn mich irgendjemand außer meinen Freundinnen sehen würde? Grace fing dann als nächstes an zu tanzen - und zwar den Robot. Ich lachte mich halb tot bei diesem Anblick. Wir hatten unser Tempo extrem verlangsamt, waren aber trotzdem fast da.
\"Leute, wann sind eigentlich nochmal Weihnachtsferien?\", interessierte sich Marina.
\"In nächsten Monat\", informierte uns Olivia.
\"Nächsten Monat schon? Echt?\", fragte ich begeistert.
\"Ja\", bestätigte Cathrina.
\"Wow... gar nicht mehr lang.\"
Whoo! Weihnachten! Ich freute mich wahnsinnig darauf, dabei würde ich ohnehin nichts tolles bekommen. Aber ich freute mich auf die Verwandtschaft. Da war es eigentlich immer ganz lustig.
Dann standen wir vor der halb verbrannten Bruchbude.
\"Sollen wir da wirklich reingehen?\"
Olivia betrachtete das Gebäude misstrauisch. \"Klar!\", meinte Cathrina und stolperte zum Eingang. An der Tür, die wegen des Feuers schwarz geworden war hing ein Zettel.

Vergiss nicht, wo du eigentlich hin musst, oder du wirst es bereuen...

Es war Ralukas Schrift.
\"Was ist das?\", fragte Cathrina, nahm mir das Stück Papier aus der Hand und las es.
\"Von wem ist das?\", fragte Marina.
\"Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist das noch ein Zettel von der Feuerwehr\", log ich mit Erfolg.
Ich suchte nach meinem Hausschlüssel und öffnete die Tür. Das ganze Haus roch nach Asche. Ich betrat es und meine Freundinnen kamen hinterher.
\"Genug gesehen?\", stöhnte ich.
\"Nein\", hauchte Cathrina ganz eingenommen von ihrem Umfeld.
Ihre Augen waren voller Erstaunen.
\"Cool\", sagte sie.
Ich fand das nicht so toll, dass alle Sachen von meinem Onkel in Flammen aufgegangen waren. Dennoch musste ich zugeben, dass diese Kulisse mich auch beeindruckte. Die Wände waren teilweise angeschwärzt, alle Möbel vom Feuer an gefressen. Irgendwie... Irgendwie sah es schön aus... erschreckend schön. Wir gingen durch die einzelnen Räume. Nur nicht in das ehemalige Zimmer meiner Mutter. Ich führte sie daran vorbei. Wir begaben uns wieder nach draußen. Es war gerade mal halb fünf.
\"Was sollen wir jetzt machen?\", fragte Olivia.
\"Ich will noch irgendwas spannendes machen!\", bettelte Cathrina.
\"Ich hab da eine Idee\", sagte ich. \"Ihr kennt doch die Einrichtung für Behinderte hier in der Nähe. Lasst uns doch da hingehen.\"
\"Ne, das ist langweilig\", meinte Grace.
\"Das war früher mal eine Lungenheilanstalt, da gab´s auch Tote und es heißt, da seien Geister unterwegs\", versuchte ich die Sache interessanter zu gestalten.
\"Och nö, wir können doch ins Kino gehen\", sagte Grace unbeeindruckt.
\"Kommt schon Mädels!\", maulte ich.
\"Was willst du da überhaupt?\", meckerte Cathrina.
\"Ich muss da hin.\"
\"Ja, aber warum?\"
\"Das kann ich euch nicht sagen.\"
\"WARUM NICHT?!\", schrie Cathrina wütend.
\"Reg dich ab\", sagte Grace zu ihr.
\"Na schön! Du hast meine Neugierde geweckt. Ich will wissen, was du da machst\", gab Cathrina zu.
Aber wenn ich es mir recht überlegte, wäre es vielleicht doch besser gewesen, ich hätte sie nach Hause gehen lassen und wäre allein dorthin gegangen. Aber egal. Dazu war es zu spät - wie für so viel anderes auch. Hätte ich doch nur geahnt, was an diesem Tag noch geschah.

Kapitel 11: Der Garten der Kunst
Wir standen vor der Anstalt. Hier sollte ich hin.
\"Und jetzt?\", fragte Marina ungeduldig.
\"Keine Ahnung\", sagte ich.
Einer der untergebrachten Einwohner schrie laut und beängstigend. Ich zuckte zusammen.
\"Du musst aber nicht da rein gehen, oder?\", wollte Cathrina wissen. \"Dann komm ich nämlich nicht mit!\"
\"Ich weiß ja auch nicht\", meinte ich.
Dann sah ich Minune. Sie schaute zu uns rüber und lief um das Gebäude herum in eine kleine Anlage oder einen kleinen Park mit einem Spielplatz und einer Wiese, für diejenigen von den Behinderten, die noch in der Lage waren ihn zu benutzen. Ich rannte Minune hinterher.
\"Wo willst du hin?!\", brüllte mir Olivia nach.
\"Hier lang!\", rief ich zurück.
Sie holten mich ein und liefen mit mir Minune nach. Sie verschwand in einem Teil des Parks, der hieß:\"Garten der Kunst\". Das hölzerne Tor stand offen. Wind kam auf und bewegte die Bäume. Minune war eindeutig hierher gerannt. Der \"Garten der Kunst\" wurde ebenfalls von einem Zaun aus dunklem Holz, der schon vermoderte, umfasst. Ich ging hinein.
\"Was sollen wir hier? Vivi, warte!\", schrie Grace.
Olivia las das Schild am Eingang.
\"Garten der Kunst. Gebaut: 1995. Hey, das ist mein Geburtsjahr\", fiel ihr auf.
Meins auch... In dem Garten standen fünf bunte Figuren aus irgendeinem Zeug, das aussah wie Pappmasche. Es war aber scheinbar keins, weil es der Nässe und dem Wetter stand hielt. Die Figuren sahen verrückt aus. Ihre Formen, ihre Farben. Man konnte nicht wirklich irgendein Tier aus ihnen erkennen, sie sollten aber welche darstellen. Auf den goldenen Schildchen am Fuße der Skulpturen standen der Name des Werkes, der Name von demjenigen, der es angefertigt hatte und das Datum, an dem es fertig gestellt wurde. Ich las die einzelnen Schilder. Ein Elefant von Joseph Kater am 12.6.1995 fertig gestellt, ein Drache von Susan Adams mit dem Datum 3.12.1995, eine Giraffe von Jonathan Reichel vom 26.1.1995, eine Schildkröte von Steven Sommer, angefertigt am 9.9.1995 und ein Wolf, fertig gestellt am 19.3.1995... meinem Geburtstag. Er war von Helena Demon. Der Wolf saß und reckte den Kopf zum Himmel, als würde er den Mond anheulen. Das Maul war geöffnet und einige Zähne waren im Laufe der Jahre abgebrochen. Er war größtenteils rot mit blauen und gelben Flecken. Die Augen waren knallgrüne Punkte. Cathrina schrie.
\"Ein Wolf!!\"
Ich fuhr herum und beobachtete, wie Minune im Gelände herumstöberte.
\"Cathrina, sie tut nichts! Das ist kein Wolf! Das ist Minune\", erklärte ich. \"Das ist ein Hund, der gehört... Bekannten von mir.\"
\"Mach, dass er abhaut!\", kreischte sie panisch.
\"Sie tut nichts!! Hab keine Angst!\", versuchte ich sie zu beruhigen.
Es funktionierte. Sie wurde still und Minune näherte sich uns. Marina, Olivia und Grace stand der Mund offen.
\"Das ist doch kein Hund\", flüsterte Grace.
Da war ich mir auch nicht so sicher. Aber Minune war auf jeden Fall friedlich. Sie schlich zu mir und setzte sich neben die Pappkonstruktion. Wolf neben buntem Wolf neben Vivien Wolf. Minune roch an der Pappkonstruktion und sah mich eindringlich an.
\"Das Vieh gehört zu dir?\", erkannte Cathrina.
\"Ja\", bestätigte ich. \"Übrigens ist das kein Vieh!! Das ist ein Hund\", verbesserte ich.
Ich erblickte eine kleine Holzüberdachung, unter der sich weitere bunte Bilder befanden. Ich sah mir auch diese an. Außerdem sah
 



 
Oben Unten