Tilt - Eine Zeitung (Das Leiden des Max Klotz)

Mortimer

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Tilt - Eine Zeitung (der Leidensweg des Max Klotz)

Der kühle Herbstwind fühlte sich wie ein Peitschenhieb an. „Diese verdammte Blasenentzündung!“, stöhnte Kurt und betrachtete sein zerknittertes Geschlechtsteil, dass ihm nicht nur das Wasserlassen zur Tortur werden ließ, sondern dass auch noch mit einer – seine Männlichkeit verletzenden – Schrumpfung auf die Harnwegsinfektion reagierte. „Du elende Kröte!“, fluchte Kurt und riss den Reißverschluss hoch. Da blitzte es auf.
Wie versteinert starrte er auf das grinsende Gesicht der hageren Gestalt, die sich aus dem dichten Ginsterbusch hervorschälte. Die metallicfarbene, kreditkartengroße Kamera wirkte in den Händen des stoppelbärtigen Fremden wie ein Fremdkörper, der ihm aus einer fernen Zukunft in seine baggerschaufelartigen Hände gebeamt wurde. Kurt starrte den Mann fassungslos an. „Das gibt 500 Alda, und vielleicht noch mal das Gleiche obendrauf für die ‚elende Kröte!“.

In den Redaktionsräumen der Tilt - Zeitung herrschte ein geschäftiges Wuseln. Max Klotz, zuständig für die Promisparte und die Betreuung der Amateur – Paparazzis, fuhr sich entnervt durch sein schütteres Haar. „Ey, Uschi, zeich mir noch mal das Bild von dem urinierenden Hornochsen.“. Eine wasserstoffblonde Frau drehte sich zu Max um. „Hier. Das Problem ist, dass die elenden Blätter die Sicht auf den Kerl verdecken. Der Typ hat in irgendeinem Busch gehockt, als er den Bankfritzen fotografiert hat.“ Max bewegte seinen fülligen Körper zu ihrem Tisch und beugte sich zu ihr herunter. „Weißte was, dem zaubern wir mit Lotoshop (ein exklusives Graphikprogramm) ein süffisantes Grinsen in die Gusche! Da wird es selbst unserem Durchschnittsleser nicht mehr schwer fallen, zu erraten, was den alten Sack da zum Busch getrieben hat, bestimmt nicht der Heißhunger auf ein paar vergilbte Brombeeren!“. Seinen Aufstieg zum Chefredakteur verdankte er nicht zuletzt seinem großartigen, Talent in jeder Situation den richtigen Blickwinkel einzunehmen. „Außerdem hat er doch irgendwas mit Kröte rausgehauen; ich seh’ schon die Headline: Ich fühl mich wie die letzte Kröte! Kurt Grutzenbeck, Vorstandschef des Bankhauses Goldberg, leidet unter bestialischer Blasenschwäche.“. Mit einer ausschweifenden Handbewegung schien er die unsichtbaren Lettern mitten ins Büro zu projizieren. „Und dann könnten wir noch....“.Plötzlich hielt Max inne. Wie gebannt starrte er auf den Bildschirm eines jungen Volontärs mit zum Zopf gebundenen Haaren. Auf seinem PC war eine ältere Frau zu sehen, die sich an der Tasche eines Mannes festhielt, der vor ihr über einen Zebrastreifen ging. „Müller, was hat sich da abgespielt?“. Der junge Mann fuhr herum. „Eine ältere Frau wird von ihrem Sohn über die Straße gebracht. Sie kann sich nicht an seiner Hand festhalten, da sie geschient ist und in Gips. Das ist aber wegen seines langen Mantels nicht zu erkennen.“. Max trat an den Schreibtisch des Praktikanten und starrte ihm provozierend in die Augen. "Es könnte aber auch so gewesen sein, dass die alte Schachtel versucht hat einem wehrlosen Passanten die Kohle aus der Tasche zu ziehen: ‚Skandal! Ruinöser Wettbewerb der Pflegeversicherung zwingt Senioren zum Klauen!’“. Max legte eine Hand auf die Schulter des jungen Mannes: „Sehen sie, es geht doch!“

Max hasste Telefonate. Alles was man nicht sehen konnte, war nicht verkäuflich. „Klotz“, raunte er in den Hörer. „Ich heiße Gerda Hunkengurk.“ Max zögerte. „Übler Name“, kommentierte Klotz, „reicht aber noch nicht mal für die vorletzte Seite." Er betätigte eine violette Taste mit einem Lautsprechersymbol. Im Redaktionsraum verstummten die Gespräche. Die Konversation der beiden war jetzt durch die Lautsprecher im Großraumbüro zu hören. "‚Hinkende Gurke’ das wär was. Aber auch nur, wenn sie dazu mindestens in der 2. Bundesliga spielten.“ Durch das halbgeöffnete Fenster drang ein lautes Hupen. Max zog sich seinen Aschenbecher heran und steckte sich eine Zigarette an. „Nein, es geht darum, dass ich jemanden fotografiert habe.“. Max formte einen Rauchkringel. „Und wen? Den Papst beim Hütchenspiel?“- „Meinen Mann. Wie er mich betrügt.“. Max streifte die Asche ab. „Schön. Dann rufen sie bei XTL 2 an, die nehmen das Gerammel ins Vormittagsprogramm. Tschüss.“ - „Halt!“, brüllte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Max hielt inne. „Die Frau mit der mich mein Mann betrügt, hat 6 Brüste und stammt von einer außerirdischen Milchfarm. Ich kann es beweisen.“ - „Was für Beweise haben sie denn, haben sie 3 BHs gefunden?“, wollte Max wissen. „Nein, ich kenne die Frau von früher und habe ein Bild von ihr als sie mich ... sie wissen schon, Begegnung der 3. Art?“ Max öffnete seine Schreibtischschublade und goss sich einen Brandy ein. „Was ist denn eine Begegnung der 3. Art?“- „Kontakt mit den Aliens. Ich wurde entführt.“. Max leerte das Glas in einem Zug. Aus den Redaktionsräumen ertönte ein lautes Lachen. „Wie, sie wurden entführt? Was hat man denn mit ihnen gemacht?“ – „Man hat mir etwas eingepflanzt.“ - „Erzählen sie“, forderte er seine Gesprächspartnerin auf. „Es war ein Sender. Sie können jeden meiner Schritte beobachten. Deshalb dürfen wir uns auch nicht direkt treffen. Wenn die Außerirdischen davon Wind bekommen, werden sie mich gewaltsam zurückholen.“- „Yepp. Kein Problem. Sie kommen einfach hierher und legen die Bilder bei uns auf der Toilette ab.“
„Sie dürfen mich aber auf keinen Fall treffen, sie wissen...“ – „Keine Angst“, unterbrach sie Max, „ich habe 5 Jahre in Area 51 gearbeitet. Ich kenne fast jeden Alien mit Vornamen. Ich weiß wie diese verdammten Viecher ticken. Wenn die erst Mal einen in die Mangel nehmen, dann sieht man nachher aus wie ET auf LSD!“. Der Brandy zeigte erste Wirkung, Max kam richtig in Fahrt. Wenn er wollte, konnte er ein großartiger Schauspieler sein. „Ein Kumpel von mir wurde mal von einem 14armigen Riesenpolypen zum Armdrücken herausgefordert. Er hat nur gewonnen, weil er dem Riesenbaby vorher 14 Whiskey ausgegeben hat.“.-„Danke für ihr Verständnis, ich werde am Mittwoch vorbeikommen und die Bilder vorbeibringen.“.

„Herr Klotz, sie wissen, dass wir ohne Prinz Jeppunch kaum die Möglichkeit haben, den heißesten Tratsch aus der Adelsszene aus erster Hand zu erfahren.“
Max lockerte seine Krawatte. „Chef, der Prinz hat seine Frau am offenen Büffet mit zwei Suppenkellen krankenhausreif geschlagen und ihrem vermeintlichen Lover anschließend 4 Rippen und das Nasenbein gebrochen. Wie soll ich das denn darstellen? Als die Schlacht ums kalte Büffet? “
Dr. Karl Biegzurecht richtete sich auf. Max spürte wie sich das Unbehagen wie eine Woge vor ihm auftürmte: „Es ist mir völlig egal, wie sie das hinbiegen. Aber sie biegen es hin, haben wir uns verstanden.“. Max nickte.

PRINZ JEPPUNCH VOM PECH VERFOLGT
Blunk. Blunk. So musste es geklungen haben, als die Suppenkellen auf die 9.765 € teuren Ohrringe der Prinzessin JP klatschten. Doch es war nicht Prinz JP, der auf der gestrigen Gala gegen Gewalt in der Ehe im Berliner Opernhaus, dem Motto der Veranstaltung zum Trotze, für dieses Dilemma die Verantwortung trug. Stardesignerin Lora Lapiotti hatte Prinzessin JP quasi als Versuchslamm für ihre neuen elektromagnetischen Ohrringe auserkoren. Die Anziehungskraft der Ohrringe war so stark, dass es dem Prinzen- trotz heftiger Gegenwehr – nicht gelang, die Suppenkellen unter Kontrolle zu halten. „Die verdammten Dinger sind mir abgegangen wie Schmidts Katze!“, erklärte uns der Prinz nach der Feier. Die Sorge um seine zerbrechliche Frau stand ihm sichtlich ins Gesicht geschrieben. Doch das war nicht der einzige Schicksalsschlag, den der leidgeplagte Prinz an diesem Abend hinnehmen musste. Als sich der ehemalige Amateurboxer anschließend auf der Herrentoilette bei einem Gedicht von Hölderlin die Trauer aus der Seele weinte, kam es zu einem erneuten Zwischenfall. Ein Unbekannter brachte dem Prinzen ein Getränk, damit dieser durch die starken Weinkrämpfe nicht zu stark entwässerte. Diese vermeintliche Geste des Mitgefühls entpuppte sich jedoch schon nach kurzer Zeit als eine bittere Falle für den Königssohn. Ähnlich wie im Fall Gottlieb Fischer , dem während einer Loveparade Extasy-Tabletten untergejubelt wurden, hatte der Fremde mindestens ½ Liter LSD in das 0,33 Glas des Prinzen gegossen. Als die Halluzinationen begannen, glaubte Prinz JP er befinde sich in einem Boxturnier. Sich trotz des Drogeneinflusses noch unter Kontrolle haltend, „kämpfte“ der Prinz die ersten 3 Runden gegen Stühle und Kleiderhaken, dann allerdings geschah das Unfassbare. Lucio Latino – ein Freund des Prinzenpaares – erlitt im Vorbeigehen an dem Prinzen einen Wadenkrampf. Er konnte sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Prinz JP – vom LSD benebelt – dachte, es handele sich bei Lucio Latino um den Finalgegner. Dementsprechend hat er ihn auch behandelt. Aber immerhin hatte der bedauernswerte Prinz Glück im Unglück. Er hatte das Turnier gewonnen!

Dieter Hockenschrath arbeitete schon seit vielen Jahren als Hilfsschweinehüter auf dem Gutshof des Bauern Peck. Da Dieter heute groß gegessen hatte, war es nur natürlich, dass er auch ein großes Geschäft verrichten musste. Da durfte die Tilt-Zeitung selbstverständlich nicht fehlen. Voller Tatendrang ließ er sich auf das hölzerne Klosett hernieder und begann die Titelseite der Tilt-Zeitung aufzuschlagen. Dieter liebte die großen Buchstaben und die einprägsamen Schlagzeilen. Auch das Foto von der süßen Maus am unteren Ende der Titelseite mochte er nicht mehr missen. „Meine Alte sieht dagegen aus wie ein ausgelatschter Reibekuchen.“, dachte sich Dieter und stellte sich vor, dass ihn die Luzi (24; Studentin der Wissenschaft und der Atomphysik) zum diesjährigen Wettstreit der Hilfsschweinehüter in Grunzbeck begleiten würde. Anschließend würden sie sich im Heu wälzen und zusammen das Rätsel der Tilt – Zeitung lösen. Sie würde ihn für jedes richtig erratene Wort ein Küsschen geben. Mensch, wäre das schön. Doch jetzt würde er erst Mal das Rätsel alleine lösen müssen, also begann er mit den ersten Wörtern:
1) Getränk mit Hopfen und Malz (10 Buchstaben): - Dieter jauchzte auf – „Kiste Bier“
2) Holt das oben beschriebene Getränk (7 Buchstaben): - Dieter grübelte: Weib? Ne- ich habs: „Ehefrau“
3) Trinkt das oben beschrieben Getränk (3 Buchstaben): - „Ich!“
Plötzlich wurde Dieter in seinem Rätseldrang unterbrochen. Schritte waren zu hören. Dieter spürte wie die Erregung in ihm wuchs, sollte es tatsächlich .... Dieter verfluchte sich, dass er keine 6 Arme hatte....

Max riss das gestrige Kalenderblatt von seinem Kalender. Mittwoch. Heute würde ein wichtiger Tag werden. Der Chefredakteur stülpte sich sein Jackett über und verließ sein Büro. Im Redaktionsraum war es heute stiller als sonst, da viele seiner Mitarbeiter im Urlaub waren und sich auch die Promi- und Adelsszene in streng bewachten und von den Paparrazzis abgeschirmten Edelpalästen vom stressigen Alltag erholten. Uschi wirkte etwas angeschlagen, als sich Max nach den neuesten Stories erkundigte. „Alles beim alten.“, hatte sie gesagt und sich hinter ihrem Bildschirm vergraben. Plötzlich betrat Erika, die Sekretärin von Dr. Biegzurecht, den Redaktionsraum. „Max, hier ist eine Dame, die angeblich unbedingt hier auf die Toilette muss. Soll ich sie wegschicken?“. – „Nein, nein. Lass sie hochkommen.“
Nachdem Klingeln der Fahrstuhltür waren Schritte zu hören. Sie klangen dumpf und unbeholfen. Max schaute sich um. Er schlich zum Kopierraum und versteckte sich hinter einem Wandvorsprung. Weder Uschi noch die Besucherin konnten ihn sehen. Die Frau steuerte direkt auf die Toilette zu. Als die Tür ins Schloss fiel, schaute sich Max abermals verstohlen um. Kurz darauf folgte er der Frau des Hilfsschweinehüters.
Er betrat den grell beleuchteten Vorraum der Toilette. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, streifte er sein Jackett ab. Er war froh den engen Gürtel öffnen zu können, der seine bzw. ihre 6 schlauchförmigen Brüste an ihren Leib presste. MaxY – 3 riss sich die schwammige Maske des fettleibigen Zeitungsredakteurs vom Gesicht. Die Frau des Hilfsschweinhüters wirbelte herum als sie MaxY demaskiert im grellen Licht der Neonlampe stehen sah. „Warum erpressen sie mich? Was soll dieses erniedrigende Treffen hier in meinen Arbeitsräumen?“, Maxy stemmte ihre Arme in die Hüften. 3 der 6 Brüste schwankten noch leicht.
„Ich habe doch ihr Spiel mit dem Telefon mitgespielt, obgleich ich dadurch sicherlich zum Gespött des ganzen Büros wurde.“, erwiderte die Frau. Ihr Blick war eisig.
„Nur so konnte ich sicher sein, dass sie alle für eine Verrückte halten und ihrem Besuch keine Beachtung schenken. Anderenfalls hätten mich die Kollegen ausgefragt. Besonders Dr. Biegzurecht. Er hätte mich vielleicht sogar überwachen lassen. Also, wieviel wollen sie?“
Keine Reaktion. In den Redaktionsräumen surrte ein Faxgerät.
„Machen sie erst mal schnell ein Foto von meinen 6 Brüsten, damit die Kollegen nicht nachher danach fragen!“. Die Frau holte eine Kamera hervor und lichtete die Brüste der MaxY ab. Danach trat sie an die Außerirdische heran. „Ich will kein Geld.“
„Was wollen sie denn?“
„Ich werde ihr Geheimnis nur unter einer Bedingung für mich bewahren.“
MaxY trat der Schweiß auf die Stirn.
„Was wollen sie?“
„Die elektromagnetischen Ohrringe der Prinzessin PJ!“
 



 
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