Tino und der Regenzauber

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Liris

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Diese kleine Geschichte ist für Kinder ab 6 Jahren gedacht:

Tino und der Regenzauber

Der Zwergenjunge Tino saß friedlich auf der Blüte eines Gänseblümchens und genoss die Sonne. Er hatte sich ein hübsches Plätzchen etwas abseits vom Zwergendorf gesucht, um seine Ruhe zu haben
Tino war ein kleiner Zwerg, sogar sehr klein. Fast schon winzig. Die anderen Zwergenkinder des Dorfes machten sich einen Spaß daraus, ihn deswegen zu ärgern.
Gerade jetzt kamen sie auch schon wieder auf ihren zahmen Singvögeln angeritten. Sie flogen in waghalsigen Sturzflügen um ihn herum. „Tino, Tino, Minizwerg!“ riefen sie und lachten dabei. Der lange Mario, ihr Anführer, war dabei der Wildeste. Die freche Meute flog noch ein paar Runden, dann verschwanden sie endlich in Richtung Wald. Zurück blieb ein sehr wütender Tino.

Leise vor sich hinschimpfend sattelte er Amalie, seine Stubenfliege, und flog nach Hause.
Aber dort war niemand. Kein Essen stand auf dem Herd, alles war verriegelt. Ach ja! Nun fiel es ihm wieder ein! Heute war ja großer Zwergenmarkt auf der Waldlichtung! Die Mutter und die Geschwister waren sicher dorthin gegangen.
Der Markt war nur einmal im Monat. Dort gab es außer den Verkaufsständen natürlich auch viele leckere Dinge zum Essen. Und man traf Freunde und Bekannte aus den Nachbardörfern. Das war wie ein kleines Fest für die Zwerge des Waldes.
Tino machte sich mit Amalie auf den Weg dorthin. Die anderen Kinder des Dorfes waren natürlich auch schon da. Ihre zahmen Vögel saßen in den Bäumen. Keiner beachtete den kleinen Zwerg, der auf seiner Fliege angeritten kam und etwas abseits von dem bunten Treiben landete. Tino tauchte in das Marktgewimmel ein und Amalie flog am Zügel hinter ihm her.
An den Buden und Ständen gab es vieles zu entdecken. Vogelsattler, Kesselflicker und Messerschleifer, Schuhmacher und Hemdnäher, Holzschnitzer und Schmiede – allen konnte man bei ihrer Arbeit zusehen.
Mitten im dichtesten Gedränge traf Tino auf seine Mutter, die gerade heftig mit einem Mützennäher feilschte.
„Zwergenmützen ,Kappen und Tarnkappen“
stand auf dem Schild über dem Verkaufstisch. Tino sah sich alles genau an, während er wartete bis seine Mutter mit dem Handel fertig war. Als sie endlich sieben neue knallrote Zipfelmützen in der Hand hielt, sagte sie: „Hallo Tino, da bist du ja endlich!
Wir haben auf dich gewartet. Aber als du so lange nicht gekommen bist, sind wir schon mal zum Essen gegangen. Du kannst dir selbst etwas kaufen, wenn du Hunger hast.“ Und damit drückte sie ihm ein paar Silberlinge in die Hand, zwinkerte ihm noch einmal kurz zu und
war - schwups! - im Getümmel des Marktes verschwunden.
Tino stand völlig verblüfft da. Seine Mutter hatte ihm noch nie einfach so Geld gegeben! Wenn er nun gar keinen Hunger hätte? Der Markt bot plötzlich so viele Möglichkeiten, dass Tino gar nicht wusste, wo er anfangen sollte! „Erst einmal zählen, und dann sieht man weiter.“ dachte er bei sich und zählte die Münzen in seiner Hand. Neun Silberlinge! Ein kleines Vermögen!
Als hätte sie seinen unverhofften Reichtum geahnt, tauchte in diesem Moment seine Freundin Mira auf. „Ich habe dich schon überall gesucht!“ sagte sie etwas atemlos. Sie war etwa zwei Tannennadelbreiten kleiner als Tino, dürr wie ein Blatt im Herbst und hatte grüne Haare. Außerdem schien sie immer zu rennen.
Als sie das Geld in Tinos Hand sah, leuchteten ihre Augen auf und sie begann gleichzeitig zu zappeln, zu reden und aufgeregt in eine Richtung zu deuten: „Komm! Komm mit, dort hinten habe ich etwas ganz Tolles gesehen! Los, ich zeige es dir!“ Mira wollte schon davon stürmen, als sie plötzlich innehielt und fragte: „Oder musst du für deine Mutter etwas einkaufen gehen?“ „Nein“ sagte Tino. Da rief sie auch schon: “Also los, komm!“ und er hatte Mühe, dem rennenden Mädchen zu folgen, das wieselflink zwischen den Marktbesuchern durchschlüpfte.

Nahe am Waldrand, etwas entfernt von den Marktbuden, stand das merkwürdigste Zelt das Tino jemals gesehen hatte. Auf den nachtblauen Stoff waren silberne Sterne gestickt und über dem Zeltdach schwebte ein großer goldener Mond.
„Zauber der Magie“
hatte jemand mit goldener Kreide auf eine schwarze Tafel am Eingang geschrieben.
Scheu traten die beiden Kinder näher. Zuerst waren sie so gerannt, und nun trauten sie sich nicht hinein. Aber da kam aus dem Zelteingang ein sehr alter Zwerg. Unter seinem spitzen Hut lugten schneeweiße Haare hervor. Er trug einen eleganten schwarzen Umhang. Ob das wohl der Zauberer war? Lächelnd wandte er sich Tino und Mira zu.
„Ihr braucht euch nicht zu fürchten, kommt nur herein und seht euch um.“ sagte er. „Es ist sicher so einiges dabei womit ihr euren Freunden lustige Streiche spielen könnt!“

Neugierig traten sie in das Zelt und blieben erst einmal staunend stehen. Als sich ihre Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten sahen sie sich alles ganz genau an.
Überall standen große Kisten mit Riegeln und Schlössern aus Eisen. Körbe voller getrockneter Kräuter hingen an einer Schnur von der Decke herunter und Steinkrüge standen auf dem Boden. Flaschen mit leuchtend grünem Inhalt standen auf einem Tisch und blubberten vor sich hin. Neben einem Karton voller Zauberstäbe lagen Tuben in einer Schale. „Fledermauspelz“, „Katzenbarthaare“, „Ohrenschmalz“ oder „Fischschuppen“ stand auf kleinen Schildchen an einigen Säcken.
Der Zauberer zeigte den Kindern verschiedene Spaßartikel. Luftballons, die beim Aufblasen um Hilfe schreien zum Beispiel, oder Tinte, die beim Schreiben unsichtbar wird. Klares Wasser, das einen schmutzig macht, wenn man sich damit wäscht, gefiel ihnen sehr gut. Aber dann fanden sie noch etwas viel besseres: ein Regenwolkenpulver das man mit einem Blasrohr hoch pusten musste! Es regnete dann nur auf die Person, über der die Wolke schwebte. Wenn das arme Opfer wegrennen wollte, zog der Regen immer mit ihm mit.
Das war genau das Richtige! Dauernd wurden die zwei Freunde von den anderen Kindern geärgert. Nun konnten sie es dem langen Mario endlich mal heimzahlen!
Drei Silberlinge musste Tino bezahlen, aber dafür kaufte er den gesamten Regenwolkenpulver-Vorrat des Zauberers auf.

Als Tino und Mira aus dem Zelt traten, wurden sie wieder einmal von Mario und seiner Bande entdeckt. „Verliebt, verlobt, verheiratet“ riefen sie und lachten. Da hörte man plötzlich einen lauten Pfiff. Der Wettbewerb um das Nachwuchs-Vogelreiten begann! Da wollten Mario und seine Freunde natürlich dabei sein. So bekamen Tino und Mira eine prima Gelegenheit, das Pulver auszuprobieren. Bald war Mario an der Reihe, seine Flugkünste zu zeigen. Tino pustete unauffällig eine kleine Wolke über ihn. Und der wunderte sich nicht schlecht, dass es an diesem schönen Sommertag plötzlich heftig regnete. Da bemerkte er, dass die Wolke nur ihn traf. Er versuchte mit rasanten Flugmanövern, dem Regen auszuweichen. Aber er schaffte es nicht.
Als er schließlich klatschnass von seinem Vogel stieg, hatte Mario zwar den Flugwettbewerb gewonnen, aber er war trotzdem richtig sauer. Vor allem weil er nicht wusste, wer ihm diesen Streich gespielt hatte! Tino und Mira waren sehr zufrieden mit ihrem Scherz.
Inzwischen war es fast Abend geworden. Da sie Hunger bekommen hatten, bestellte Tino für beide einen herrlich saftigen Waldkräutersalat mit Pilzen, danach gab es Himbeerkuchen und Holunderlimonade.
Dann wollten sie noch eine Tarnkappe kaufen, aber so viele Silberlinge hatten sie nicht mehr. Die Kappen waren zu teuer. Sie erstanden neue Zügel für Amalie und ein hübsches orangefarbenes Halstuch für Mira. Die drei Silbermünzen, die Tino dann noch übrig hatte, steckte er tief in seine Hosentasche, um sie aufzuheben.

An diesem Abend war ein Feuerwerk angekündigt. Danach sollte der Markttag mit Musik und Tanz auf der Lichtung enden.
Gespannt warteten die Kinder nun auf das Feuerwerk. Die Musikanten stimmten schon ihre Instrumente. Als sich dann langsam die Musik zwischen den Bäumen ausbreitete, begann das farbenprächtige Spektakel:
Feuerfontänen in allen Farben des Regenbogens sprühten hoch, rote, grüne und blaue Blitze zuckten über den Himmel. Farbenkreisel und Feuerspiralen drehten sich hoch über den Köpfen der staunenden Zwerge und kamen in einem flimmernden Funkenregen zur Erde zurück.
Niemand achtete auf die kleinen Funken, die zwischen den Ästen der Bäume tanzten. Der Wald, der jetzt im Sommer sehr trocken war, begann zu brennen!
Als das Feuerwerk zu Ende war und die letzten Farben am Himmel verglühten, brannte bereits der gesamte Wald rings um die Lichtung. Erschrocken suchten die Zwerge einen Weg aus der Feuerfalle, aber sie waren eingeschlossen!
Alle hatten große Angst, sie schrieen und rannten durcheinander.
Die zahmen Vögel waren längst davongeflogen. Tino und Mira standen dicht nebeneinander und hielten sich an der Hand. Amalie zog an ihren Zügeln und Tino wäre am liebsten mit ihr fort geflogen. Aber er wollte Mira nicht alleine lassen. Da kam ihm eine Idee! „Glaubst du, das Regenwolkenpulver reicht zum Löschen des Waldbrandes aus?“ fragte er Mira. „Das Pulver? Na klar, du musst es versuchen!“ rief sie und vertrieb damit das mulmige Gefühl, das sich in seinem Bauch ausgebreitet hatte.
Mutig kletterte er auf Amalies Rücken. Die Fliege war nervös. Als Tino den Beutel mit dem Regenwolkenpulver am Sattel festgezurrt hatte, flog er sofort los. Er ritt spiralenförmig nach oben, fast so, wie die Farben des Feuerwerkes vorhin.
Außer Mira hatte kaum jemand den Abflug des Jungen auf seiner Fliege bemerkt. Nun flog Tino schon so weit oben, dass er nicht mehr zu sehen war. Trotzdem sah Mira weiter nach oben, wo die Rauchwolken des Feuers die Sterne verschleierten. Inzwischen war Tino hoch genug, um aus dem Pulver eine große Wolke zu pusten. Es wurde die größte Regenwolke, die es je gab! Augenblicklich begann heftiger Regen aus der Wolke zu strömen. Tino flog mit Amalie darüber, damit der Regen sie nicht davon spülen konnte.
Es dauerte ziemlich lange, bis die Wolke leer geregnet war. Als der Regen endlich vorbei war, war auch die Wolke verschwunden. Mond und Sterne erhellten die Waldlichtung.
Auch das Feuer war verschwunden! Der Regen hatte alle Flammen gelöscht!
Die zahmen Singvögel flogen nun wieder zu ihren Besitzern zurück.
Tino und Amalie waren völlig erschöpft vom langen Fliegen und der Aufregung. Sie landeten neben Mira, die gerade unter einem Tisch herausgeschlüpft kam. Die Zwerge hatten sich vor dem Regen verkrochen, aber es hatte ihnen nichts genützt. Alle waren patschnass geworden. Obwohl ihnen noch der Schreck ins Gesicht geschrieben stand, empfingen sie ihn mit lautem Jubelgeschrei und bedankten sich bei ihm. Er hatte sie vor dem Feuer gerettet.
Mira hatte allen von dem Regenwolkenpulver erzählt.
Da stand plötzlich der lange Mario vor Tino. Er streckte ihm die Hand hin und fragte: „Freunde?“ Tino nickte und schlug ein. Dann nahm Mario ihn, Amalie und Mira auf seinem Vogel mit nach Hause.
 

Christoph

Mitglied
Eine schöne Geschichte, die in der Sprache und der Logik der handelnden Personen stimmt. Ich habe sie mit Vergnügen gelesen!
Christoph
 

Tante Oma

Mitglied
Hallo Liris!!

Mir gefällt Deine Geschichte sehr gut!
Du beschreibst alles klar und deutlich
und lässt auch noch Raum für die Fantasie
Deiner Leser! Finde ich toll!

Herzliche Grüße
Tante Oma
 



 
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