Tochterliebe - Kurzkrimi

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maralena01

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Irene joggt jeden Morgen. Seit drei Jahren schon.
Die Strecke ist stets die selbe: Die Straße hinunter bis zur Kreuzung, dann rechts an den Reihenhäusern vorbei bis zum Ende der Bebauung. Die Straße geht dort über in einen schmalen Asphaltweg, führt noch an einem einzeln stehenden Haus vorbei und mündet dann in einen Feldweg, der sich zwischen Wiesen und Feldern am Horizont verliert. Es gibt genug Abwechslung für Irene: den Wechsel der Jahreszeiten, das tägliche Wetter. In dem abseits gelegenen Haus am Asphaltweg wohnt die alte Frau Benger mit ihrer Tochter. Im letzten Sommer ist Frau Benger 93 Jahre alt geworden aber noch immer sitzt sie jeden Morgen um diese Zeit adrett gekleidet und frisch frisiert am Fenster. Zwei Jahre ist es her, als Irene einen Stein im Schuh bemerkte und nicht mehr weiter laufen konnte. Auf einem Bein balancierend zog sie ihn aus und hielt sich dabei am Gartenzaun fest. Frau Benger öffnete ihr Fenster und fragte, ob ihr übel geworden sei und sie Hilfe brauche. Im Gespräch, das sich darauf hin entwickelte, erzählte Frau Benger, dass sie sich nicht mehr bewegen könne und viel Betreuung brauche. Ihrer Tochter sei sie eine große Last geworden. Vielleicht hätte Frau Benger noch mehr erzählt, aber Irene hörte plötzlich eine Frauenstimme im Hintergrund zetern und dann wurde das Fenster rasch geschlossen. Seit diesem Morgen wurde Irene von Frau Benger mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßt, wenn sie auf ihrer Runde am Haus vorbeikam und Irene winkte ihr stets zurück. Ein Gespräch ergab sich nie wieder. Nur einmal, es muss schon vor 3 Monaten gewesen sein – Irene hatte schon ein paar Tage zuvor bemerkt, dass Frau Benger zwar noch am Fenster saß, das grüßende Nicken aber ausblieb – da traf sie die Tochter beim Schneeschippen. Sie schaufelte verbissen und würdigte Irene keines Blickes. Irene blieb stehen, fasste sich ein Herz und fragte, wie es ihrer Mutter ginge. Die Tochter murmelte etwas Unverständliches, es klang nach Last und Mühe, mit einer Mutter, die von Tag zu Tag älter und kränker werde und sich nicht mehr rühren könne. Irene sah zu, dass sie rasch weiter kam.

Irene kommt auch heute am Haus der Frau Benger vorbei.Inzwischen ist es Frühling. Wie jeden Tag sitzt sie reglos oben am Fenster und Irene winkt ihr automatisch zu. Sie ist noch keine zwanzig Schritte weiter, als sie plötzlich kehrt macht, nach Hause eilt und nach einer flüchtigen Dusche in ihr Auto springt und zum Polizeirevier fährt. "Ich glaube, ich muss einen Mord melden", sagt sie zum diensthabenden Polizeibeamten.

Am nächsten Tag erscheint in der Tageszeitung eine Pressemitteilung: Tote sitzt am Fenster. (Herbhausen) Die 93jährige Rentnerin Anna B. wurde von der eigenen Tochter (67) erdrosselt. Um auch noch für den nächsten Monat die Rente ihrer Mutter kassieren zu können, setzt die Tochter die Leiche ans Fenster. Nur der Aufmerksamkeit einer Joggerin (25) ist es zu verdanken, dass dieses schreckliche Gewaltverbrechen bereits nach drei Tagen entdeckt wurde. Die Tochter wurde in Untersuchungshaft genommen.

Auf die Frage des Polizeibeamten, woran Irene erkannt habe, dass Frau B. tot sein müsse, erklärte sie, dass Frau B. zwar sehr gebrechlich, aber dennoch jeden Morgen anders gekleidet war. Gestern jedoch war es bereits der dritte Tag, an dem Frau B. dieselbe gestreifte Bluse trug....
 
Hallo maralena01,

dein kleiner Krimi hat mir gut gefallen, besonders der Schluss. Der ist wie er sein soll: kurz, nachvollziehbar und so einfach, dass man sich fragt, warum einem sowas nicht selber einfällt.

Grüße
Marlene
 

Ruedemann

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Kommentar zu Tochterliebe

Hallo, maralena01
kurz, klar übersichtlich und einleuchtend, so wünsche ich mir einen Kurzkrimi. Das Einzige, was mich gestört hat, war die lange Einleitung.
Ein Vorschlag: "Irene joggt jeden Morgen. Seit drei Jahren schon. Immer denselben Weg.In dem abseits gelegenen Haus ..." Kluge Ratschläge lassen sich immer leichter geben, als den eignen Film aus dem Kopf lesbar auf Papier zu bringen. Mach weiter. Gruß Ruedemann
 



 
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