Todsünder 1

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viktor

Mitglied
Todsünder 1

Die neue Software überzeugt ihn ganz
und gar, den Modern-Girl-Designer Hans:
Sie macht die Models schlanker noch als schlank,
die Haare voll, die Äuglein groß und blank.

Die Knochenschatten werden retuschiert,
die Beine und die Arme leicht longiert,
der Hintern wird gestaucht, die Brust geschrumpft,
die Ellenbogenspitze abgestumpft.

Er krault den blondgetönten Pferdeschwanz,
wie einst der fromme Mönch den Rosenkranz:
"Ich bin entzückt, so krass und doch dezent!
Jawoll, das ist der neue Girlie-Trend!

Das wird das neue Schönheitsideal,
so wird mein virtueller Traum real.
Ich seh mich radikal als Kunstästhet -
Und Kunst schuf immer das, was technisch geht!!

Wir Künstler machen erst den Mensch perfekt
und wenn ein Girl an meinem Wahn verreckt,
so sage ich doch hier ganz klipp und klar:
kotz bitte nicht in meinen Jaguar!"
 

Herbstblatt

Mitglied
Hallo Viktor,

da ist soeben etwas passiert, das man Übertragung nennt: vor nichtmal 10 Minuten habe ich in einem Abnehmforum über den Schlankheitswahn in unserer Gesellschaft diskutiert. Komme nun in die LL und entdecke dein Gedicht! Das macht mich schon nachdenklich...

Ich finde es gut, auch solche Themen in den Reim zu nehmen. Und ich finde, es ist dir gelungen!

Bewerten werde ich es aber erst später, ich fühle mich dazu im Moment zu befangen ;o)
Außerdem möchte ich es noch mehrmal lesen!

Herzliche Grüße
 

viktor

Mitglied
liebes herbstblatt,
das thema hast du gut erfasst.
ich halte diese model-designer, die mit hilfe der modernen grafiksoftware die ohnehin mageren models noch weiter "bearbeiten" können, für potentielle mörder, weil sie den naiven augen der jungen mädchen ein ästhetisches ideal vorhalten, dass unerreichbar und widernatürlich ist.
ich habe erfahrung mit einer (ehemals) magersüchtigen tochter...
liebe grüße
viktor
 

MarenS

Mitglied
Tja, viktor, da triffst du schon gut in die richtige Kerbe.
Mich traf vor einigen Tagen der Schlag, als ich bei meinem dreijährigen Tageskind, einer entzückenden, bildhübschen kleinen Maus eine "Ariellebarbie" fand. Häßlich wie die Nacht dunkel, die Beine gräßlich überproportioniert, eine Wespentaille dafür Brüste ohne Brustwarzen (oh keusches Amerika!)und natürlich keinerlei primäre Geschlechtsmerkmale.
Ansonsten aber ganz Frau, wie die Macher sich das wünschen: unendliche Haarmengen, Riesenaugen, weit auseinanderstehend und ein puppiges Gesicht. Das blöde ist nur, sie ist ja eigentlich keine Puppe. Diese mißgestaltete Figur hat nur einen Zweck: Rollen- und Wuschdenken zu fördern. SO muss ein Mädchen aussehen.
Meine kleine Maus zeigte mir stolz diese Scheußlichkeit. Ich schaute, zog die Stirn in Falten und sagte: "Du hast viel schönere Augen und bist auch hübscher."
Da guckte die Kleine traurig und sagte: "Nein, hab ich nicht und ich bin nicht hübsch."
Ich hätte kotzen können!

Grüße von Maren
 

viktor

Mitglied
danke, maren,
für deine hochinteressanten sätze.
völlig absurd eigentlich, dass bereits ein so kleines, hübsches mädchen auf diese vorgegebene ästhetik "anbeißt"...
warum? - ich denke, es ist tatsächlich eine philosophische frage. es scheint fast, dass - zumindest bei sehr vielen menschen - ein minderwertigkeitsgefühl entweder angeboren oder früh erzeugt ist, sodass sie sich an solchen vorgaben orientieren.
dass dies dann von designern in der weise missbraucht wird, halte ich für eine todsünde...
liebe grüße
viktor
 

MarenS

Mitglied
Sie fand sich immer hübsch, bis sie diese Grmpfpuppe bekam! Ich könnte im Moment die Hersteller samt Eltern vierteilen und in siedendem Öl baden! (Wobei die Reihenfolge so oder so unlogisch wäre)

Grüße von Maren
 
H

Heidrun D.

Gast
Lieber Viktor,

dein Gedicht spricht mich sehr an, wenn auch im Augenblick mal wieder ein deutliches "Umdenken" zu bemerken ist. Die (sehr) magersüchtigen Models sind kaum noch zu sehen, allgemein bevorzugt man(n) jetzt die leicht rundlichen Schönheiten. - Im Zuge eines Frauenlebens gibt es viele diesbezügliche Moden, die alle zum Kotzen sind!

Nach meinem Dafürhalten hängt dies (wie überhaupt fast alles) von der jeweiligen ökonomischen Situation ab: In Zeiten der Krise werden Fülligere bevorzugt, im Überfluss die Mageren (die Heroinabhängigen oft verteufelt ähnlich sehen).

Auch so werden Frauen zurechtgestutzt, gepeinigt und bei der "Stange" gehalten; nicht immer ist hierfür eine Burkha vonnöten.

Aufgebrachte Grüße
Heidrun
 

helmut ganze

Mitglied
s.o.

Lieber Viktor,

Dein Gedicht und das Thema finde ich sehr gut beobachtet. Ich habe selbst in meiner Umgebung Kontakt mit diesen Idealen, die keine sind.

Liebe Grüße
Helmut
 

viktor

Mitglied
danke für eure wohlwollenden kommentare!
man hätte den text nicht am "schlankheitswahn" kristallisieren müssen - generell finde ich sehr fragwürdig, mit welcher perfektion und schnelligkeit(!!) man mit hilfe der programme bilder manipulieren kann - der mensch glaubt ja meistens das, "was er sieht"...
liebe grüße
viktor
 

MarenS

Mitglied
viktor, das was du beschreibst, mit Hilfe von Programmen Bilder ändern (manipulieren) können, hat wie alles im Leben zwei Seiten. Die eine, künstlerisch und auch technisch sehr viel machen zu können, Bildbearbeitung in seiner schönsten Form oder Entwürfe, Vorausschauen aber eben auch Manipulation in miesester Weise. Da steht Viktor axtschwingend über einer Frauenleiche und weiß nicht, wie ihm geschieht? Ganz einfach: das ist die andere Seite der Medaille!

Diese Gedanken machen den Inhalt deines Gedichtes nur brisanter, findet

Maren
 

presque_rien

Mitglied
Lieber viktor,

ich will jetzt nicht die Stimmung hier vermiesen, aber ich finde das Gedicht für deine Verhältnisse eher flach. Ich stelle eben hohe Erwartungen an dich ;).

Mir gefällt nur
Er krault den blondgetönten Pferdeschwanz,
wie einst der fromme Mönch den Rosenkranz:
und
Und Kunst schuf immer das, was technisch geht!!
(obwohl ein Ausfrufezeichen gereicht hätte)

Lg presque
 

viktor

Mitglied
liebe pr,
der text ist so flach wie die wirklichkeit der todsünder...

"so sage ich doch hier ganz klipp und klar:
kotz bitte nicht in meinen Jaguar!" - nicht schlecht, oder?

danke für deine faire beurteilung...
liebe grüße
viktor
 

Walther

Mitglied
Sagte ich schon,

lb. Viktor,

daß das wieder ein gutes Stück Lyrik ist? Nein. Asche über mein Haupt.

Ich liebe es, wenn Texte sperrig sind wie dieser. Sie sollen gar nicht rund sein, sondern rau. Sie sollen nicht die vollkommene Sprache abbilden, sondern Eindruck hinterlassen. Sie sollen nicht zu Ende erklären, sondern zum Nachdenken anregen, zum Weiterspinnen.

Gerade so wie dieser Vers:
kotz bitte nicht in meinen Jaguar!
Das sagt ohne jede unnötige Verkünstelung, worum es geht.

LG W.
 



 
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