Töne

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Steven Omen

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Eines Tages hörte ich in einer Bäckerei einen süßen Klang. Ich ließ ihn mir von der Bäckersfrau Papier geben, wickelte ihn ein und nahm ihn voller Freude zu mir mit nach Hause. Auf dem Weg hoffte ich, dass der Klang nicht sauer oder unmelodiös werden würde. Mit Vorfreude packte ich ihn zu Hause aus. Er klang immer noch süß. Rasch wickelte ich ihn wieder ein.

Am nächsten Tag entdeckte ich im Supermarkt neben Ananaskonserven einen wohlklingenden, aber auch exotischen Klang. Ich beschloß ihn einfach in meine Jackentasche zu stecken und zu stehlen. Zu Hause ertönte er immer noch sehr lieblich. Es machte mir Spaß die Töne auszupacken und nach wohligem Genuß wieder einzupacken.

Um für neue Töne stets geeignete Behältnisse vorrätig zu haben, verlies ich die Wohnung nur noch mit leeren Einmachgläsern. So fing ich im Park einen bezaubernden Ton, der sich nach dem lauten Schlagen eines Schmetterlings anhörte. Oder in der U-Bahn entdeckte ich gleich mehrere Töne, die Wohl ein MP3-Player liegen gelassen hatte. Glücklich steckte ich sie in Einmachgläser.

Bald erklangen zu Hause wahre Kompositionen mit meinen mitgegebrachten Klängen und Tönen. Durch eine Unachtsamkeit lies ich ein Fenster gekippt. So entfleuchte mir ein Ton auf Nimmerwiedersehen. Darüber war ich sehr betrübt und achtete in Zukunft auf geschlossene Fenster.

Rasch füllte sich ein ganzer Schrank mit eingewickelten oder sich in Einmachgläsern befindlichen Tönen. Sauber beschriftet nach Datum, Herkunft und Beschaffenheit.

Doch dann begann das Unglück. Die Töne begannen widerspenstig zu werden und ließen sich immer schwerer einfangen. Auch mit einem eilig gekauften Schmetterlingsnetz gelang es mir nicht die auf Lampen, Tischen oder an der Decke sitzenden Töne wieder einzufangen. Frech wuselten sie wie Fliegen von einer zur anderen Stelle. Mein Blick fiel auf den Staubsauger. Doch auch er konnte mir beim Einfangen nicht helfen. Bei Musik aus der Stereoanlage verkrochen sie sich hinter dem Sofa oder gar unter dem Teppich, wie man an den Ausbeulungen sehen konnte. Die Fenster zu öffnen brachte auch nichts. Sie blieben stur in der Wohnung.

Ich bechloß einen Kammerjäger zu bestellen. Doch dieser konnte mir auch nicht helfen. „Töne fallen nicht in mein Arbeitsgebiet. Dafür gibt es einfach keine Köder“, sagte er entschuldigend. Unvermindert waberten die Töne durch meine Wohnung. Nicht mal in ausgelegten Schalen mit Honig blieben sie hängen. Nach einigen Wochen in diesem unsäglichen Zustand beschloss ich, mir eine neue Wohnung zu suchen.
 

Cat

Mitglied
Huhu Steven,

die Geschichte gefällt auch mir sehr gut. Sie erinnert mich ein bißchen an "Harold and Maud". Maud hatte doch in ihrem Wohnwagen Gerüche eingefangen. Habe ich auch mal probiert. So mit Tannennadeln im Glas für den Geruch Winter und Heu für den Herbst. Das muß ich jetzt mal mit Tönen probieren.
Das Gurgeln der Kaffeemaschine am Morgen oder das Schlabbern des Abflusses, wenn der letzte Rest Badewasser abläuft. Schlürf....Hihi

Wie du siehst, bin ich von deiner Geschichte ganz fasziniert.

Warte, ich muß gerade mal das Quicken meiner Schreibtischschublade einfangen. Mano, entwischt, ok, das nächste Mal.

Liebe Grüße

Cat
 



 
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