Traction Control

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tocotomic

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Traction Control



Der Ford Persephone ist die neueste Milleniumsentwicklung für den Vielfahrer der gleichzeitig Genießer bleiben will. Er ist der beste seiner Klasse und
AUTO MOTOR&SPORT nannte ihn „die Verbindung von Effizienz und Eleganz“.
Doch nicht nur seine zeitgemäße Metallic-Lackierung glänzt in der Sonne;
der Wagen selbst kommt durch seine üppige Ausstattung aus dem Strahlen nicht mehr heraus:
ABS, Tempomat, Navigationssystem, ESP, Sitzheizung, Banhood HiFi Surround-Paket
und Traction Control sind nur einige der unzähligen Extras des Ford Persephone.




Der Handelsvertreter wußte nicht, was genau eine Traction Control war.
Er wußte nicht, wozu sie gut war, warum man sie brauchte, ob es sinnvoll war, eine
Traction Control zu besitzen, oder warum Gott es für nötig gehalten hatte,
die Erde mit Traction Controlen zu bestücken.
Der Handelsvertreter wußte aber auch nicht genau, warum Gott es für nötig gehalten hatte, seine Ehefrau bei einem Autounfall sterben zu lassen.
Eigentlich wußte der Handelsvertreter sehr wenig.
Er wußte nur, daß er sich einen neuen Dienstwagen bestellen mußte, da er einen brauchte, um seinen Beruf auszuüben.
„Das Leben geht weiter!“ hatte sein Vorgesetzter zu ihm gesagt.
Der mußte es ja wissen! Seine Frau war ja vor einer Woche mit seinem Dienstwagen tödlich verunglückt.
Es lag dem Handelsvertreter nicht, zynisch zu werden.
Er war kein zynischer Mensch, auch jetzt nicht.
Er war eher ein lethargischer Typ, der sich treiben ließ. Sein Frau sorgte für Trubel, sie war das Licht in Person, ein Mensch der von innen strahlte, und alles und jeder in ihrem Umkreis strahlte mit ihr!
Wenn der Handelsvertreter jetzt nach Hause kam , war es dunkel.
„ Aber das Leben geht ja weiter“, da hatte sein Vorgesetzter schon irgendwie recht.
Er saß in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause und las die Broschüre, die ihm sein Vorgesetzter augenzwinkernd, schulterklopfend, Phrasen dreschend gegeben hatte.
„ Gehen‘se ma‘ nach Hause, legen sich auf `s Sofa, trinken `n Bierchen und sagen Sie mir morgen Bescheid, welches Baby sie haben möchten. Ich brauch‘ sie nächste Woche wieder auf Tour, sie sind mein bester Mann“.
Der Persephone sah ganz gut aus. Er sah eigentlich genauso aus wie sein alter Wagen, und er hatte seinen alten Wagen gemocht.
Der Handelsvertreter stieg aus der U-Bahn aus und wählte die Nummer seines Chefs. Er teilte dessen hocherfreuter Sekretärin mit, für welchen Wagen er sich entschieden hatte.
„Eine sehr gute Wahl“ meinte sie „ der hat eine phantastische Traction Control, die ist ja in ihrem Beruf von großem Vorteil, der wird ihr Leben bereichern, das mit ihrer Frau tut mir übrigens sehr leid“ sagte sie.
„ Ja, mir auch,“ sagte der Handelsvertreter und legte auf.
Der Handelsvertreter dachte sich, daß es doch gar nicht so schlecht war, eine Traction Control zu besitzen.
Er dachte sich, daß Gott seine Sache eigentlich ganz gut machte, als er nach Hause kam.
Zu Hause war es dunkel.
 

Rainer

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...flüssig zu lesen...

nicht durchdrehen, sich im griff haben - egal was passiert

hallo tocotomic,

sehr interessante und ausgefallene idee. eigentlich mag ich ja das palavern über den unsinn hinter manch wörtlicher übersetzung nicht, aber hier gefällt es mir ausnehmend gut. die umsetzung ist flüssig zu lesen, auch wenn mir zwei dinge nicht so "behagen":

die kursive einleitung ist überflüssig und lenkt die gedanken am anfang etwas ab. einfach ein bisschen in das chefgesabbel einbinden.

aus den beiden schlußsätzen würde ich einen machen, und das adjektiv dunkel nur so "nebenbei" durchschimmern lassen - ich glaube so ist der "knalleffekt" noch leiser aber die geschichte gewinnt an tiefe, weil man ein bisschen mehr nachdenken muß.


grüße

rainer
 



 
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