Tränen in den Augen(3)

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Ralf Langer

Mitglied
Dies ist der abschließende dritte Teil der Geschichte.
Der geneigte Leser erfährt in Teil eins und zwei was bisher geschah


Tränen in den Augen(3)
Eine Lektion für`s Leben

Eine Hand auf meiner Schulter weckte mich erneut.
„Du hast ja die Schlafkrankheit. Mann das Leben ist so kurz, da muss man auch mal eine Nacht wach bleiben können. Ist das zuviel verlangt?“
Er kurbelte das Fenster runter. Eiskalte Luft drang in den Wagen.
„Na, riechst du das?“
Ich atmete tief ein. Ja da war etwas. Zuerst wusste ich nicht was. Aber dann fiel es mir wieder ein.
„Da ist Meer“, sagte ich. „So riecht das Meer.“
„Genau, alter Freund. Hier ist noch viel mehr:“
Er lachte.
„Schönes Wortspiel. Ich werd noch ein Poet.“
Ich war aus dem Wagen gestiegen und schlenderte an der Anlegestelle für die Fähre entlang. Die Möwen saßen schweigend auf den Molen und lugten misstrauisch auf mich herab. Mir schien, als wäre ich ihnen nicht willkommen.
Marc deutete mit seiner rechten auf das Wasser hinaus. Aus dem Dunst über dem Wasser schälte sich in einiger Entfernung die Fähre heraus.
Still wie ein altes Segelschiff näherte es sich, und erst als es die Hafenmauer erreichte und zur Landungsbrücke hinein bog , hörte ich auch das dumpfen Stampfen des Diesels.
„War lange nicht mehr hier“, hörte ich Marc hinter mir sagen.
„Und wo ist das, wo du lange nicht mehr warst?“
Ich zuckte die Achseln.
„Bin halt ein bisschen neugierig.“
„Hier“, sagte er, und stampfte mit einem Fuß auf den Boden ist Festland und dahinten ist eine Insel. Und da fahren wir jetzt hin. War wirklich lange nicht mehr hier.“
Ich lies die Fragerei bleiben. Hatte wohl keinen Zweck. Die Hafenschilder waren in holländischer Sprache. Die Fähre hieß „ De Tied will et leren“.
Also war das wohl nicht Tahiti.


Wir saßen im ‚Pavillon dri’ hinter Glasscheiben aßen Bacon mit Rührei und ließen die Novembersonne auf uns herab scheinen.
Ich hatte mein Notizbuch herausgeholt, beobachtete einen Moment die Welt um mich herum und begann zu schreiben.
„Was schreibst du denn da?“
Marc hatte sich tief in seinem Ledermantel vergraben und schlürfte seinen Milchkaffee.
„Das was ich sehe!“
Er kratzte sich den Kopf.
„ Versteh ich nicht.“
Er zeigte auf das Meer, auf den Himmel.
„Ist doch alles da. Brauchst nur die Augen auf machen.“
„Ich schreib, damit ich nicht vergesse.“
Er grübelte.
„Lies mal vor“, forderte er mich nach einer Weile auf.
„ Ich weiß nicht.“
„ Zier dich nicht.“
Ich schüttelte mit dem Kopf und bestellte mir noch einen Kaffee. Ich hatte noch nie jemandem etwas von mir vorgelesen. Irgendwie schämte ich mich dafür.
Marc lachte.
„ Du schämst dich! Weißt du, vor Jahren, ich war gerade aus der Pubertät, da hab ich ein Mädchen gesehen und mich verliebt.“
Er zog genüsslich an einer Zigarette.
„ Ich war vielleicht fünfzehn, sechzehn und schwer von Akne gezeichnet. Bin immer auf dem Schulhof um sie herum schlawenzt. Hab sie seinerzeit aber nicht angesprochen. Vor ein paar Jahren hab ich sie wieder getroffen. Ich glaub es war sogar im ‚Carmel’. Da fragt die mich doch tatsächlich, warum ich damals nicht mit ihr geredet habe. Was ich dir sagen will ist :
Wer sich zulange schämt für das was er ist oder fühlt, kriegt keine zweite Chance.“
Er schwieg, schaute den Möwen beim Flug zu.
„Scheiße. Glaub mir die Zeit rennt einem davon.“
„ Du bist doch erst Anfang vierzig“, entgegnete ich. „Du hast Geld, kannst machen was du willst, kommst viel rum, hast sogar ein Haus auf Texel.“
„Und?“
„Na für dich ist das Leben einfach!“

Wir parkten den Jeep am „Den Slufter“. Vor Jahren bei einer Sturmflut, waren hier im Norden der Insel die Deiche auf breiter Front gebrochen, und die Wassermassen hatten diesen Teil der Insel geflutet. Die Bewohner ließen das Wasser ablaufen, bauten hinter dem Überschwemmungsgebiet einen neuen Deich, und bekamen so einen eigenen kleinen Nationalpark. Jetzt bei Flut zog ein mächtiger Meerwasserarm ins Landesinnere und verlief sich in unzähligen Prielen. Büsche wie Mangroven wuchsen an seinen Ufern. Es rauschte und wirbelte mächtig, während wir langsam, den Wind im Gesicht, Richtung Meer liefen.
„Man weiß nie wofür Zerstörungen gut sind“, schrie Marc gegen den Wind.
„ Manchmal, so wie hier, ist es danach schöner als vorher!“
Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichten wir den Anfang des Meeresarms. Hier am Strand war er gut zweihundert Meter breit. Wir bogen links ab und liefen, die Sonne im Gesicht, den Sandstrand entlang.
„ Gleich kommt eine kleine geduckte Düne, sehr windgeschützt. Dort werden wir rasten.“
Marc zeigte mit seiner Rechten auf eine rundliche Sanderhebung, die von niedrigen Sträuchern geschützt einen guten Kilometer vor uns lag.
Ich nickte stumm in Wind und Sonne.

In der Mitte der kleinen Düne hatten wir es uns dann bequem gemacht. Vom Wind war nichts zu spüren. Er zog leise pfeifend über uns hinweg. Obschon November war hatte es gut und gerne zwanzig Grad.
„ Und jetzt“, sagte Marc, “ jetzt gehe ich schwimmen.“
Er riss sich die Kleidung vom Körper und rannte los.
„ Komm schon du Feigling“, rief er. „Wenn du zulange überlegst kommst du dir affig vor. Die albernen Dinge im Leben muss man schnell durchziehen, sonst hindert einen der Verstand!“
„ Du bist verrückt. Das Wasser ist arschkalt!“
Er zuckte nur mit den Schulter und war schon im Meer verschwunden.

Das Wasser war wirklich kalt. Mir stockte der Atem, als sich die erste Welle über meinen Kopf ergoss. Ich schrie wie in Kleinkind bei der Geburt, nahm allen Mut zusammen, und tauchte unter. Es war das schönste und verrückteste was ich seit langem gemacht hatte.
„ Jetzt fühle ich mich wirklich“, sagte ich Marc, während wir wieder und wieder in die anrollenden Wellen tauchten. Ich stemmte mich gegen eine Welle breitete die Arme weit aus und rief laut:
„ Ich bin der König der Welt.“
Als unsere Lippen blau und die Haut ganz rot war, saßen wir nackt im Schutz unserer Düne und lachten.
„Was ist denn das für eine Narbe auf deiner Brust, Marc?“
„ Ach die“, Marc ging mit einem Finger über die Narbe die vom Brustbein bis zum Bauchansatz hinunter ging. Die ist ein Andenken vom Kampf mit dem Löwen.“
Ich erinnerte mich an diese Geschichte und schüttelte mit dem Kopf.
„Du lügst. Die ist nicht von einem Kampf mit einem Tier. Das ist eine Operationsnarbe. Mein Bruder ist Arzt. Dem Aussehen nach zu urteilen, ist sie auch noch nicht allzu alt.“
Marc nickte.
„Stimmt. Hab nie mit einem Löwen gekämpft. War auch nicht in Afrika. Aber gekämpft wie ein Löwe, das hab ich immer.“
Ich schaute ihn fragend an.
„Als ich vorhin ins Wasser lief, hatte ich die Narbe ganz vergessen. War so im Überschwang der Gefühle. Nun gut, jetzt wo du sie gesehen hast.“
Er schaute sich um.
„Ich mach uns mal ein kleines Feuer.“



Die Geschichte, Marcs Geschichte, ging mir nicht aus dem Kopf. Das ganze Leben, wie ich es von ihm kannte, alles erlogen, oder sollte ich besser erdichtet sagen.
Ein Leben wie es hätte sein können, aber nie war und auch nie mehr sein würde. Und er hatte die ganze Zeit über gelächelt. Hatte erzählt vom Kampf, von Hingabe und letztlich von Aufgabe.
Er hatte seinen Frieden.
Ich wollte mich nie von der Krankheit beherrschen lassen, hatte er gesagt.
Wir sind die Löwen, wir weinen nicht dem Leben hinterher. Wir nicht.
Seine Stimme ging mir nicht aus dem Kopf.
Ich hob die Augen und sah auf die kleine Schar der Trauergäste, die um sein Grab stand.
Das Ende war schnell gekommen. Das Auge hatte sich der Krebs schon vor Jahren geholt, dann die halbe Lunge und zum Schluss den Rest des hünenhaften Körpers.
Nur an der Seele, nur an den Träumen, daran hatte das Geschwür vergeblich genagt.
„Denk daran“, hatte er mir nachdrücklich gesagt, „ich bin in Afrika gestorben, oder in Rom, oder in Hong Kong, denk dir was Schönes aus. Du kannst das.“
Ich holte mein Notizbuch aus meinem Mantel, beobachtete eine Weile das Polaroidfoto von Marc und mir das ich im ‚Pavillon dri’ gemacht, und auf den Deckel aufgeklebt hatte. Dann nahm ich einen letzten Zug von meiner Zigarette.
Der Rauch begann im Auge zu brennen, und eine Träne bahnte sich den Weg ins Leben.
Dann las ich uns allen laut dieses eine Gedicht vor und schämte mich nicht.
 

gerian

Mitglied
Tränen in den Augen

Hallo Ralf,

der III.Teil ist die eigentliche Offenbarung, d. h. worauf die beiden vorhergehenden Teile hinarbeiten.
Auch ist jetzt der Titel verständlich, denn es handelt sich um die Trauer über den verlorenen Freund Marc).

So erzählt der Prot. die Geschichte seines Freundes, der alles hatte (materiell).

Es ist die Geschichte vom Sieg über die Krankheit, ja, vom Sieg über den Tod.
Der Freund war ein Kämpfer. Wie ein Löwe kämpfte er gegen seine Krankheit und doch resignierte er: "Scheiße, die Zeit rennt einem davon." Oder: "Man weiß nie, wofür Zerstörung gut ist."
So ist die Natur in deiner Geschichte eine Reflexion zu den beiden Prot. und das ist dir gut gelungen.

Du wähltest Untertitel:
Teil 1: "Lektion für hundert Euro."
Teil 2: "Lektion für hundert Euro."
Teil 3. "Lektion für´s Leben."

Eigentlich stellen alle drei Teile eine "Lektion für´s Leben" dar.

Der III. Teil birgt die Überraschung in sich und das ist der Tod. So wird deine Geschichte rund, allerdings schlage ich vor, die drei Teile nebeneinander zu legen und noch mehr miteinander textlich zu verquicken, so dass die Mosaikteile ein Ganzes bilden (noch mehr verdichten).

Gern gelesen.

LG
Gerd
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo gerian,
genauso werde ich es tun.
jetzt da ich das genaue ende de geschichte kenne,
wede ich sie einmal von hinten aufräumen.

Ich denke, das ich sie dann in der sparte erzählung
neu posten werde.

lg
ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Dies ist der abschließende dritte Teil der Geschichte.
Der geneigte Leser erfährt in Teil eins und zwei was bisher geschah


Tränen in den Augen(3)
Eine Lektion für`s Leben

Eine Hand auf meiner Schulter weckte mich erneut.
„Du hast ja die Schlafkrankheit. Mann das Leben ist so kurz, da muss man auch mal eine Nacht wach bleiben können. Ist das zuviel verlangt?“
Er kurbelte das Fenster runter. Eiskalte Luft drang in den Wagen.
„Na, riechst du das?“
Ich atmete tief ein. Ja da war etwas. Zuerst wusste ich nicht was. Aber dann fiel es mir wieder ein.
„Da ist Meer“, sagte ich. „So riecht das Meer.“
„Genau, alter Freund. Hier ist noch viel mehr:“
Er lachte.
„Schönes Wortspiel. Ich werd noch ein Poet.“
Ich war aus dem Wagen gestiegen und schlenderte an der Anlegestelle für die Fähre entlang. Die Möwen saßen schweigend auf den Molen und lugten misstrauisch auf mich herab.
Marc deutete mit seiner rechten auf das Wasser hinaus. Aus dem Dunst über dem Wasser schälte sich in einiger Entfernung die Fähre heraus.
Still wie ein altes Segelschiff näherte es sich, und erst als es die Hafenmauer erreichte und zur Landungsbrücke hinein bog , hörte ich auch das dumpfe Stampfen des Diesels.
„War lange nicht mehr hier“, hörte ich Marc hinter mir sagen.
„Und wo ist das, wo du lange nicht mehr warst?“
Ich zuckte die Achseln.
„Bin halt ein bisschen neugierig.“
„Hier“, sagte er, und stampfte mit einem Fuß auf den Boden ist Festland und dahinten ist eine Insel. Und da fahren wir jetzt hin. War wirklich lange nicht mehr hier.“
Ich lies die Fragerei bleiben. Hatte wohl keinen Zweck. Die Hafenschilder waren in holländischer Sprache. Die Fähre hieß „ De Tied will et leren“.
Also war das wohl nicht Tahiti.


Wir saßen im ‚Pavillon dri’ hinter Glasscheiben aßen Bacon mit Rührei und ließen die Novembersonne auf uns herab scheinen.
Ich hatte mein Notizbuch herausgeholt, beobachtete einen Moment die Welt um mich herum und begann zu schreiben.
„Was schreibst du denn da?“
Marc hatte sich tief in seinem Ledermantel vergraben und schlürfte seinen Milchkaffee.
„Das was ich sehe!“
Er kratzte sich den Kopf.
„ Versteh ich nicht.“
Er zeigte auf das Meer, auf den Himmel.
„Ist doch alles da. Brauchst nur die Augen auf machen.“
„Ich schreib, damit ich nicht vergesse.“
Er grübelte.
„Lies mal vor“, forderte er mich nach einer Weile auf.
„ Ich weiß nicht.“
„ Zier dich nicht.“
Ich schüttelte mit dem Kopf und bestellte mir noch einen Kaffee. Ich hatte noch nie jemandem etwas von mir vorgelesen. Irgendwie schämte ich mich dafür.
Marc lachte.
„ Du schämst dich! Weißt du, vor Jahren, ich war gerade aus der Pubertät, da hab ich ein Mädchen gesehen und mich verliebt.“
Er zog genüsslich an einer Zigarette.
„ Ich war vielleicht fünfzehn, sechzehn und schwer von Akne gezeichnet. Bin immer auf dem Schulhof um sie herum schlawenzt. Hab sie seinerzeit aber nicht angesprochen. Vor ein paar Jahren hab ich sie wieder getroffen. Ich glaub es war sogar im ‚Carmel’. Da fragt die mich doch tatsächlich, warum ich damals nicht mit ihr geredet habe. Was ich dir sagen will ist :
Wer sich zulange schämt für das was er ist oder fühlt, kriegt keine zweite Chance.“
Er schwieg, schaute den Möwen beim Flug zu.
„Scheiße. Glaub mir die Zeit rennt einem davon.“
„ Du bist doch erst Anfang vierzig“, entgegnete ich. „Du hast Geld, kannst machen was du willst, kommst viel rum, hast sogar ein Haus auf Texel.“
„Und?“
„Na für dich ist das Leben einfach!“

Wir parkten den Jeep am „Den Slufter“. Vor Jahren bei einer Sturmflut, waren hier im Norden der Insel die Deiche auf breiter Front gebrochen, und die Wassermassen hatten diesen Teil der Insel geflutet. Die Bewohner ließen das Wasser ablaufen, bauten hinter dem Überschwemmungsgebiet einen neuen Deich, und bekamen so einen eigenen kleinen Nationalpark. Jetzt bei Flut zog ein mächtiger Meerwasserarm ins Landesinnere und verlief sich in unzähligen Prielen. Büsche wie Mangroven wuchsen an seinen Ufern. Es rauschte und wirbelte mächtig, während wir langsam, den Wind im Gesicht, Richtung Meer liefen.
„Man weiß nie wofür Zerstörungen gut sind“, schrie Marc gegen den Wind.
„ Manchmal, so wie hier, ist es danach schöner als vorher!“
Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichten wir den Anfang des Meeresarms. Hier am Strand war er gut zweihundert Meter breit. Wir bogen links ab und liefen, die Sonne im Gesicht, den Sandstrand entlang.
„ Gleich kommt eine kleine geduckte Düne, sehr windgeschützt. Dort werden wir rasten.“
Marc zeigte mit seiner Rechten auf eine rundliche Sanderhebung, die von niedrigen Sträuchern geschützt einen guten Kilometer vor uns lag.
Ich nickte stumm in Wind und Sonne.

In der Mitte der kleinen Düne hatten wir es uns dann bequem gemacht. Vom Wind war nichts zu spüren. Er zog leise pfeifend über uns hinweg. Obschon November war hatte es gut und gerne zwanzig Grad.
„ Und jetzt“, sagte Marc, “ jetzt gehe ich schwimmen.“
Er riss sich die Kleidung vom Körper und rannte los.
„ Komm schon du Feigling“, rief er. „Wenn du zulange überlegst kommst du dir affig vor. Die albernen Dinge im Leben muss man schnell durchziehen, sonst hindert einen der Verstand!“
„ Du bist verrückt. Das Wasser ist arschkalt!“
Er zuckte nur mit den Schulter und war schon im Meer verschwunden.

Das Wasser war wirklich kalt. Mir stockte der Atem, als sich die erste Welle über meinen Kopf ergoss. Ich schrie wie in Kleinkind bei der Geburt, nahm allen Mut zusammen, und tauchte unter. Es war das schönste und verrückteste was ich seit langem gemacht hatte.
„ Jetzt fühle ich mich wirklich“, sagte ich Marc, während wir wieder und wieder in die anrollenden Wellen tauchten. Ich stemmte mich gegen eine Welle breitete die Arme weit aus und rief laut:
„ Ich bin der König der Welt.“
Als unsere Lippen blau und die Haut ganz rot war, saßen wir nackt im Schutz unserer Düne und lachten.
„Was ist denn das für eine Narbe auf deiner Brust, Marc?“
„ Ach die“, Marc ging mit einem Finger über die Narbe die vom Brustbein bis zum Bauchansatz hinunter ging. Die ist ein Andenken vom Kampf mit dem Löwen.“
Ich erinnerte mich an diese Geschichte und schüttelte mit dem Kopf.
„Du lügst. Die ist nicht von einem Kampf mit einem Tier. Das ist eine Operationsnarbe. Mein Bruder ist Arzt. Dem Aussehen nach zu urteilen, ist sie auch noch nicht allzu alt.“
Marc nickte.
„Stimmt. Hab nie mit einem Löwen gekämpft. War auch nicht in Afrika. Aber gekämpft wie ein Löwe, das hab ich immer.“
Ich schaute ihn fragend an.
„Als ich vorhin ins Wasser lief, hatte ich die Narbe ganz vergessen. War so im Überschwang der Gefühle. Nun gut, jetzt wo du sie gesehen hast.“
Er schaute sich um.
„Ich mach uns mal ein kleines Feuer.“



Die Geschichte, Marcs Geschichte, ging mir nicht aus dem Kopf. Das ganze Leben, wie ich es von ihm kannte, alles erlogen, oder sollte ich besser erdichtet sagen.
Ein Leben wie es hätte sein können, aber nie war und auch nie mehr sein würde. Und er hatte die ganze Zeit über gelächelt. Hatte erzählt vom Kampf, von Hingabe und letztlich von Aufgabe.
Er hatte seinen Frieden.
Ich wollte mich nie von der Krankheit beherrschen lassen, hatte er gesagt.
Wir sind die Löwen, wir weinen nicht dem Leben hinterher. Wir nicht.
Seine Stimme ging mir nicht aus dem Kopf.
Ich hob die Augen und sah auf die kleine Schar der Trauergäste, die um sein Grab stand.
Das Ende war schnell gekommen. Das Auge hatte sich der Krebs schon vor Jahren geholt, dann die halbe Lunge und zum Schluss den Rest des hünenhaften Körpers.
Nur an der Seele, nur an den Träumen, daran hatte das Geschwür vergeblich genagt.
„Denk daran“, hatte er mir nachdrücklich gesagt, „ich bin in Afrika gestorben, oder in Rom, oder in Hong Kong, denk dir was Schönes aus. Du kannst das.“
Ich holte mein Notizbuch aus meinem Mantel, beobachtete eine Weile das Polaroidfoto von Marc und mir das ich im ‚Pavillon dri’ gemacht, und auf den Deckel aufgeklebt hatte. Dann nahm ich einen letzten Zug von meiner Zigarette.
Der Rauch begann im Auge zu brennen, und eine Träne bahnte sich den Weg ins Leben.
Dann las ich uns allen laut dieses eine Gedicht vor und schämte mich nicht.
 
Ja Ralf!

Das ist es! Lebendigkeit durch Dialoge, aufgelockert, wundervoll durch anschauliche Details beschrieben. Das vertraute Beisammensein der Freunde, das Rasten in der Düne und das Schwimmen im kalten Meer. Beide FÜHLEN SICH!
Dann das Erschrecken des Protagonisten über den Gesundheitszustand des Freundes - "der Kampf mit dem Löwen" (Krebs).

Auch der Schluss ist dir perfekt gelungen. Die Auflösung der drei Teile ergibt sich durch den Tod von Marc. Der Rückblick während der Beerdigung. Eine tolle Idee.

Ralf, dieser Text übertrifft noch den ersten Teil! Ich rauche nicht, warum habe ich dann Tränen in den Augen?

Lieber Gruß,
Estrella
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo estrella,
was soll ich sagen.
es geschieht selten, dass man von seinen eigenen Geschichten
gerührt ist. das klingt dann auch nach Eitelkeit.
Aber es ist wie es ist.
Ich mir geht diese Geschichte nah.

hab herzlichen Dank

ralf
 

Carina M.

Mitglied
Hallo Ralf,

ich habe nun alle 3 Teile der Geschichte gelesen und ich bin sehr beeindruckt von deiner Art des Schreibens
Mein aufrichtiges Kompliment dazu.

Ich bin eigentlich nicht so nah am Wasser gebaut aber manchmal, so wie hier, laufen mir einfach die Tränen, ob ich will oder nicht.

Danke für diese wundervolle Geschichte an der du uns hast teilhaben lassen.

Liebe Grüße,
Carina
 

Ralf Langer

Mitglied
LIebe Carina,
ich danke dir sehr für deine Sätze.
Seit Jahren schon versuchte ich mich an diesem Text.
Er hat, wie fast alle Dinge von denen ich schreibe, einen wahren Kern. In diesem Falle einen Traurigen.
Aber nun habe ich es geschafft, und bin zufrieden und glücklich
darüber , das ich sie "los " geworden bin.
Allerliebste Grüße
Ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Dies ist der abschließende dritte Teil der Geschichte.
Der geneigte Leser erfährt in Teil eins und zwei was bisher geschah


Tränen in den Augen(3)
Eine Lektion für`s Leben

Eine Hand auf meiner Schulter weckte mich erneut.
„Du hast ja die Schlafkrankheit. Mann das Leben ist so kurz, da muss man auch mal eine Nacht wach bleiben können. Ist das zuviel verlangt?“
Er kurbelte das Fenster runter. Eiskalte Luft drang in den Wagen.
„Na, riechst du das?“
Ich atmete tief ein. Ja, da war etwas. Zuerst wusste ich nicht was. Aber dann fiel es mir wieder ein.
„Da ist Meer“, sagte ich. „So riecht das Meer.“
„Genau, alter Freund. Hier ist noch viel mehr:“
Er lachte.
„Schönes Wortspiel. Ich werd noch ein Poet.“
Ich war aus dem Wagen gestiegen und schlenderte an der Anlegestelle für die Fähre entlang. Die Möwen saßen schweigend auf den Molen und lugten misstrauisch auf mich herab.
Marc deutete mit seiner Rechten auf das Wasser hinaus. Aus dem Dunst über dem Wasser schälte sich in einiger Entfernung die Fähre heraus.
Still wie ein altes Segelschiff näherte es sich, und erst als es die Hafenmauer erreichte, und zur Landungsbrücke hinein bog , hörte ich auch das dumpfe Stampfen des Diesels.
„War lange nicht mehr hier“, hörte ich Marc hinter mir sagen.
„Und wo ist das, wo du lange nicht mehr warst?“
Ich zuckte die Achseln.
„Bin halt ein bisschen neugierig.“
„Hier“, sagte er, und stampfte mit einem Fuß auf den Boden ist Festland und dahinten ist eine Insel. Und da fahren wir jetzt hin. War wirklich lange nicht mehr hier.“
Ich lies die Fragerei bleiben. Hatte wohl keinen Zweck. Die Hafenschilder waren in holländischer Sprache. Die Fähre hieß „ De Tied will et leren“.
Also war das wohl nicht Tahiti.


Wir saßen im ‚Pavillon dri’ hinter Glasscheiben aßen Bacon mit Rührei und ließen die Novembersonne auf uns herab scheinen.
Ich hatte mein Notizbuch herausgeholt, beobachtete einen Moment die Welt um mich herum und begann zu schreiben.
„Was schreibst du denn da?“
Marc hatte sich tief in seinem Ledermantel vergraben und schlürfte seinen Milchkaffee.
„Das was ich sehe!“
Er kratzte sich den Kopf.
„ Versteh ich nicht.“
Er zeigte auf das Meer, auf den Himmel.
„Ist doch alles da. Brauchst nur die Augen auf machen.“
„Ich schreib, damit ich nicht vergesse.“
Er grübelte.
„Lies mal vor“, forderte er mich nach einer Weile auf.
„ Ich weiß nicht.“
„ Zier dich nicht.“
Ich schüttelte mit dem Kopf und bestellte mir noch einen Kaffee. Ich hatte noch nie jemandem etwas von mir vorgelesen. Irgendwie schämte ich mich dafür.
Marc lachte.
„ Du schämst dich! Weißt du, vor Jahren, ich war gerade aus der Pubertät, da hab ich ein Mädchen gesehen und mich verliebt.“
Er zog genüsslich an einer Zigarette.
„ Ich war vielleicht Fünfzehn, Sechzehn und schwer von Akne gezeichnet. Bin immer auf dem Schulhof um sie herum schlawenzt. Hab sie seinerzeit aber nicht angesprochen. Vor ein paar Jahren hab ich sie wieder getroffen. Ich glaub es war sogar im ‚Carmel’. Da fragt die mich doch tatsächlich, warum ich damals nicht mit ihr geredet habe. Was ich dir sagen will ist :
Wer sich zulange schämt für das was er ist oder fühlt, kriegt keine zweite Chance.“
Er schwieg, schaute den Möwen beim Flug zu.
„Scheiße. Glaub mir die Zeit rennt einem davon.“
„ Du bist doch erst Anfang vierzig“, entgegnete ich. „Du hast Geld, kannst machen was du willst, kommst viel rum, hast sogar ein Haus auf Texel.“
„Und?“
„Na für dich ist das Leben einfach!“

Wir parkten den Jeep am „Den Slufter“. Vor Jahren bei einer Sturmflut, waren hier im Norden der Insel die Deiche auf breiter Front gebrochen, und die Wassermassen hatten diesen Teil der Insel geflutet. Die Bewohner ließen das Wasser ablaufen, bauten hinter dem Überschwemmungsgebiet einen neuen Deich, und bekamen so einen eigenen kleinen Nationalpark. Jetzt bei Flut zog ein mächtiger Meerwasserarm ins Landesinnere und verlief sich in unzähligen Prielen. Büsche wie Mangroven wuchsen an seinen Ufern. Es rauschte und wirbelte mächtig, während wir langsam, den Wind im Gesicht, Richtung Meer liefen.
„Man weiß nie wofür Zerstörungen gut sind“, schrie Marc gegen den Wind.
„ Manchmal, so wie hier, ist es danach schöner als vorher!“
Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichten wir den Anfang des Meeresarms. Hier am Strand war er gut zweihundert Meter breit. Wir bogen links ab und liefen dann mit der Sonne im Gesicht, den Sandstrand entlang.
„ Gleich kommt eine kleine geduckte Düne, sehr windgeschützt. Dort werden wir rasten.“
Marc zeigte mit seiner Rechten auf eine rundliche Sanderhebung, die von niedrigen Sträuchern geschützt einen guten Kilometer vor uns lag.
Ich nickte stumm in Wind und Sonne.

In der Mitte der kleinen Düne hatten wir es uns bequem gemacht. Vom Wind war nichts zu spüren. Er zog leise pfeifend über uns hinweg. Obschon November war, hatte es gut und gerne zwanzig Grad.
„ Und jetzt“, sagte Marc, “ jetzt gehe ich schwimmen.“
Er riss sich die Kleidung vom Körper und rannte los.
„ Komm schon du Feigling“, rief er. „Wenn du zulange überlegst kommst du dir affig vor. Die albernen Dinge im Leben muss man schnell durchziehen, sonst hindert einen der Verstand!“
„ Du bist verrückt. Das Wasser ist arschkalt!“
Er zuckte nur mit den Schulter und war schon im Meer verschwunden.

Das Wasser war wirklich kalt. Mir stockte der Atem, als sich die erste Welle über meinen Kopf ergoss. Ich schrie wie ein Kleinkind bei der Geburt, nahm allen Mut zusammen, und tauchte unter. Es war das Schönste und Verrückteste was ich seit langem gemacht hatte.
„ Jetzt fühle ich mich wirklich“, sagte ich Marc, während wir wieder und wieder in die anrollenden Wellen tauchten. Ich stemmte mich gegen eine Welle breitete die Arme weit aus und rief laut:
„ Ich bin der König der Welt.“
Als unsere Lippen blau und die Haut ganz rot war, saßen wir nackt im Schutz unserer Düne und lachten.
„Was ist denn das für eine Narbe auf deiner Brust, Marc?“
„ Ach die“, Marc ging mit einem Finger über die Narbe die vom Brustbein bis zum Bauchansatz hinunter ging. Die ist ein Andenken vom Kampf mit dem Löwen.“
Ich erinnerte mich an diese Geschichte und schüttelte mit dem Kopf.
„Du lügst. Die ist nicht von einem Kampf mit einem Tier. Das ist eine Operationsnarbe. Mein Bruder ist Arzt. Dem Aussehen nach zu urteilen, ist sie auch noch nicht allzu alt.“
Marc nickte.
„Stimmt. Hab nie mit einem Löwen gekämpft. War auch nicht in Afrika. Aber gekämpft wie ein Löwe, das hab ich immer.“
Ich schaute ihn fragend an.
„Als ich vorhin ins Wasser lief, hatte ich die Narbe ganz vergessen. War so im Überschwang der Gefühle. Nun gut, jetzt wo du sie gesehen hast.“
Er schaute sich um.
„Ich mach uns mal ein kleines Feuer.“



Die Geschichte, Marcs Geschichte, ging mir nicht aus dem Kopf. Das ganze Leben, wie ich es von ihm kannte, alles erlogen, oder sollte ich besser erdichtet sagen.
Ein Leben wie es hätte sein können, aber nie war und auch nie mehr sein würde. Und er hatte die ganze Zeit über gelächelt. Hatte erzählt vom Kampf, von Hingabe und letztlich von Aufgabe.
Er hatte seinen Frieden.
Ich wollte mich nie von der Krankheit beherrschen lassen, hatte er gesagt.
Wir sind die Löwen, wir weinen nicht dem Leben hinterher. Wir nicht.
Seine Stimme ging mir nicht aus dem Kopf.
Ich hob die Augen und sah auf die kleine Schar der Trauergäste, die um sein Grab stand.
Das Ende war schnell gekommen. Das Auge hatte sich der Krebs schon vor Jahren geholt, dann die halbe Lunge und zum Schluss den Rest des hünenhaften Körpers.
Nur an der Seele, nur an den Träumen, daran hatte das Geschwür vergeblich genagt.
„Denk daran“, hatte er mir nachdrücklich gesagt, „ich bin in Afrika gestorben, oder in Rom, oder in Hong Kong, denk dir was Schönes aus. Du kannst das.“
Ich holte mein Notizbuch aus meinem Mantel, beobachtete eine Weile das Polaroidfoto von Marc und mir das ich im ‚Pavillon dri’ gemacht, und auf den Deckel aufgeklebt hatte. Dann nahm ich einen letzten Zug von meiner Zigarette.
Der Rauch begann im Auge zu brennen, und eine Träne bahnte sich den Weg ins Leben.
Dann las ich uns allen laut dieses eine Gedicht vor und schämte mich nicht.
 



 
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