Traum

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Vera-Lena

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Traum

Halbtote irrten
durch verschlungene Gänge.
Unter ihnen
traf ich dich
und sah,
wie du das Leben hinter dir herzogst,
als sei es ein Hündchen auf Rädern.
Du ließest es holpern und stolpern
und wandtest dich nicht danach um.

Ich kam dir entgegen,
suchte deinen Blick,
der in gemischten Farbtönen badete
irgendwo.

Mit allem rosa, das ich hatte,
glitt ich auf dich zu.

Bist du so süß, wie du aussiehst,
fragtest du.
Das weiß ich nicht,
sagte ich,
aber dein Hündchen auf Rädern
würde ich gern
einmal streicheln.

Verblüfft schautest du dich zu ihm um.
Was für ein behändes Tier das ist,
er kann ganz alleine laufen,
wie hast du das gemacht,
fragtest du mich.

Ich habe ihn bei seinem Namen genannt,
er heißt doch genauso wie du.

Dein Auge sandte ein glühendes rot
und ich wusste,
dass ich keine Mühe hätte,
diesen Blick zu beantworten
wieder und wieder
in allen Farbschattierungen.
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Vera-Lena,

ohne die Gesamtsituation zu kennen, würde ich auf ein ausgeprägtes Rettersyndrom beim Prot. tippen.
Es kommt z.B. in der psychologischen Praxis ja leider sehr häufig vor, dass sich die lebensunfähigen Mitgeschöpfe unsterblich in ihre lebensfähigen TherapeutInnen verlieben. Möglicherweise hat so etwas biologische Gründe - nach dem Motto love-survival of the fittest?
Die psychischen Abhängigkeiten, die in solchen Fällen zwangsläufig aufgebaut werden, enden jedenfalls oft recht tragisch - vor allem dann, wenn der Retter mehr als ein Opfer im Visier hat.
Man kann mit seinen gut gemeinten Rettereigenschaften durchaus jede Menge Schaden anrichten, wenn einem das nötige Verantwortungsgefühl fehlt.
Du hast diese Thematik m.E. formal und sprachlich sehr gut umgesetzt. Gerade die Überschrift "Traum" schafft die nötige Distanz zur wie auch immer gearteten Realität - gefällt mir!

Gruß, NDK
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo NDK,

danke für Deine Antwort!

Das Rettersyndrom ist mir inhaltlich geläufig, und ich glaube auch, dass man diesen Text so interpretieren kann, ohne ihm Gewalt anzutun.

Ich selbst hatte allerdings einen anderen Denkansatz beim Schreiben. Träume, sowohl während des Schlafes als auch im Wachbewusstsein, dann eher Visionen genannt, können Anstöße zu Lösungen von Lebensproblemen geben.

Der Schlüsselsatz ist für mich:
[blue]Ich habe ihn bei seinem Namen genannt, er heißt doch genauso wie du.[/blue]

Jemanden bei seinem Namen nennen, bedeutet, ihn erkennen, wissen, wer er ist.

Und so scheint mir dieser Taum einen Hinweis zu geben, dass der Leidende alles, was ihm übergestülpt wurde, entweder von anderen oder weil er sich selbst in irgendwelche Regeln gepresst hat, die gar nichts mehr mit ihm zu tun haben, nun auflösen könnte.

Wie das gehen soll, darüber sagt der Traum nichts mehr, nur noch, dass jemand da sein wird, der die Kraft hat, Unterstützung zu bieten.

Die Farben scheinen mir auch eine Aussage zu machen. Da kommt jemand auf rosa herbeigeschwebt, um schließlich beim Leidenden ein tiefes rot, also die Farbe des lebendigen Lebens hervorzurufen in solchem Maße, dass das Rot ausgestrahlt werden kann.

Es scheint mir einer solcher Träume zu sein, die das Unterbewusstsein produziert, wenn die Psyche auf ihrem Selbstheilungsprozess voranschreitet.

Ich denke, das Ich und das Du sind eigentlich ein und dieselbe Person, wie das ja in Träumen oft der Fall ist. Eigentlich sind alle Personen und Gegenstände, die in Träumen auftauchen Anteile des Träumenden.

Träume sind immer dann auch für andere interessant, wenn sie Symbole beinhalten, die unbewusst jedem vertraut sind. Viele Märchen beinhalten solche Dinge: Scheewittchen bekam doch noch ihren Prinzen, das verzauberte Brüderchen konnte von einem Reh wieder in einen Menschen zurückverwandelt werden usw.

Ich dachte, dass das hinterhergezogene Leben und die Symbolkraft der Farben bei diesem Text einen Raum geben, in dem der Leser etwas herauslesen kann. Darum habe ich es gepostet.

Ich freue mich, wenn der Text vielfältig interpretierbar ist und ich freue mich, dass er Dir gefällt.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Vera-Lena,

da ich mich mit Traumdeutung nicht auskenne, neige ich dazu Bilder allzu wörtlich zu nehmen.
Vor allem Dein Schlüsselsatz leuchtet mir ein - wer möchte nicht behandelt werden, als wäre er unverwechselbar. Leider gibt es Menschen, die sich und andere eher als Massenware betrachten.
Danke für die ausführliche Erklärung! :)

Gruß, NDK
 



 
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