Traum und Wirklichkeit

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Senerva

Mitglied
Wollte sie es nicht verstehen?
Ja. Ihr Blick glitt fort von seiner Gestalt – nein, weshalb sollte sie es denn verstehen wollen? Er verlangte unmögliches von ihr! „Ich liebe Dich nicht mehr.“
Worte, einfache und doch so simple Worte, die sich in ihr Herz fraßen. Der Griff um die Türklinge verstärkte sich, als sie den Kopf senkte – das Bild des wunderschönen Junges, den sie einmal geliebt hatte, und heute noch immer liebt, verbleichte vor ihrem inneren Auge.
„Und Du bist nur gekommen, um mir das zu sagen?“
Sie wollte, dass ihre Stimme hart und fest klang, nicht leidend oder sogar trauernd – doch wie sehr kannte sie sich selbst noch nicht. Ihre Erinnerung an die schöne Zeit mit ihm verblasste mit einem Mal – sie war einfach fort, verschwunden, als hätte ein billiger Zauberer sie fortgehext.
„Ja.“
Seine Worte klangen weit, weit fort von ihr. Er selbst musste sich am Riemen reißen, um sie nicht einfach an sich zu ziehen und sie um Verzeihung zu bitten – es war besser so, so glaubte er es jedenfalls. Oder doch nicht?

Sie konnte nicht mehr denken – alles kam ihr wie ein schlechter Alptraum vor, als ihre Beine weich wurden und sie einzuknicken drohten.
„Drei Jahre …. Und Du gibst uns keine Chance mehr?“
Natürlich, sie wusste die Antwort – wollte sie nur einen weiteren Stich verspüren, weiterer Schmerz, der für immer in ihrer Erinnerung bleiben würde? Ja.
„Nein.“
Sie schluchzte leise – die Türklinke, der einzig existierende Halt, drohte ihrer Hand zu entweichen. Nein, sie würde jetzt nicht weinen – nein! Sie sah selbst, wie Tränen ihren Blick verschleierten. Wenige Augenblicke später suchte eine Träne ihren Weg zu Boden – und starb, als sie auf diesem auftraf.
„Dann geh.“
Gehen? Er konnte nicht. Es war, als wären seine Füße am Boden festgewachsen. Er konnte es einfach nicht! Er liebte sie doch!
„Geh – ich bitte Dich.“
Sein Blick glitt von ihr ab – er sah sie auf einmal vor sich, ihr Lächeln, das fröhliche Glitzern in ihren wunderschönen, grasgrünen Augen. Er spürte sie, Haut an Haut, Lippen an Lippen, Kopf an Kopf. Er wollte sie nicht aufgeben – doch, weshalb tat er es? Seine Hand suchte die Ihre – und versank im Nichts.

Ein leises Seufzen entwich ihren Lippen, als sie ihrer Hand befiehlt, sofort die Türe zu schließen – doch, ihr Körper zeigte keine Reaktion, fast so, als hätte er ihr den Dienst verweigert. Ja, denn sie handelte gegen ihr Herz.
„Bis … dann.“
Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis ihre Hand endlich ihrem Befehl Folge leistete – die Tür glitt ins Schloss, sie sank zu Boden und … weinte. Bitterliche Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wangen, um in der Vergessenheit zu verschwinden. Sie hörte nicht, wie auch er vor der Türe auf den Boden sank. Stumme Tränen flossen auch bei ihm, selbst, wenn er es nie eingestehen würde. Sie hatten beide keine Chance. Drei Jahre. Jahre, die so unvergesslich blieben – aber, sie versanken in der unermesslichen Tiefe des Vergessens.
Beide wollten sie Freiheit spüren, etwas, dass sie sich gegenseitig nahmen. Ständiger Zusammenhalt, ständige ‚fremde’ Treffen mit anderen Freunden … hatte es noch einen Sinn?

Sie fühlte, wie eine Hand sich auf ihrem Kopfe niederlegte. Ihr verschleierter Blick glitt nach oben – niemals wieder würde man mehr das fröhliche Glitzern in ihren Augen sehen. Es war gestorben. „Er will dich sehen.“
Sie neigte den Kopf zur Seite – ihre Mutter gab wohl den Anstoß dafür, dass sie beide wieder zueinander fanden. Aus den Augenwinkeln her erkannte sie, dass seine Hände sich gegen die Fensterscheibe pressten. Sie krabbelte eben zu jenem Fenster, legte ihre Handfläche auf die Seinen, spürte, wie das kalte Glas sich erwärmte.
„Ich liebe Dich.“
Ein leises Flüstern, welches sie nicht vernahm. Die simple Mundbewegung reichte schon, um ihre Gefühle zu ihm zu bestätigen.

Sie erwachte, schweißgebadet und von Tränen gepeinigt. Sie hörte, wie der Herbstregen auf die Dachfenster trommelten – der gewöhnte Rhythmus bewegte sie dazu, ihren Atem zu verlangsamen und ihre Sinne zu ordnen. Ein Alptraum – ein schrecklicher Alptraum! Diese einfachen Gedanken entlockten ihr ein schwaches Lächeln, als sie nach dem Schalter der Lampe tastete. Das grelle Licht durchdrang die Dunkelheit und ihr Blick fiel, als Erstes, auf das Bild, das dort auf dem Nachttisch seinen Platz gefunden hatte.
„Ich liebe Dich auch.“
Stumme, geflüsterte Worte – und sie wusste, das er das Gleiche für sie empfand.
 
G

Gelöschtes Mitglied 5196

Gast
wieder

gefällt mir deine geschichte sehr gut (ebenso wie "das herz"). da steckt so unheimlich viel gefühl drin, dass es mir eine gänsehaut bereitete. tja, ich lese deine texte also wirklich sehr gerne und freue mich auf die nächste :)

lieben gruß

mye
 



 
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