Traumquote

Suhei

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Strunz verglich die Liste zum dritten Mal. Nein, er konnte noch so oft zählen, er kam immer nur auf 49. Neunzehn Mitarbeiter gingen in den Vorruhestand, fünf hatten sich ihre Kündigung vergolden lassen, zehn wechselten innerhalb des Verlages, einer ging hauptberuflich in den Betriebsrat, zwölf waren ohne Abfindung in ein anderes Unternehmen gegangen und zwei von ihnen hatte der Unfalltod dahingerafft.
Zweifellos war es nur eine Frage der Zeit, bis das jetzige Arbeitspensum für eine weitere natürliche Auslese sorgen würde. Aber Zeit war genau das, was Strunz nicht mehr hatte. In drei Tagen sollte das Projekt abgeschlossen sein und die Quote, die er erfüllen musste, war 50. Dafür winkte ihm die Partnerschaft bei Kaiser Consultings, einer der führenden Unternehmensberatungen. 49 würde ihn dagegen zum Gespött der Firma machen. Ganz zu schweigen von seiner Frau Lavinia. "Na, hast Du mal wieder kurz vor dem Ziel schlapp gemacht?".

Drei Monate hatte er in der Redaktion als Berater verbracht. Drei Monate, in denen er es nicht geschafft hatte, Krambach loszuwerden.
Krambach verbrachte seine Zeit im Verlag seit zwanzig Jahren damit, Kreuzworträtsel zu lösen und die Tourneen seines Gesangsvereins zu organisieren. Offiziell war er Leitender Redakteur für besondere Aufgaben, mit fünfstelligem Monatsgehalt, Dienstwagen und eigener Sekretärin. Die zumindest hatte sich sofort auf das Vorruhestandsangebot von Strunz eingelassen und arbeitete jetzt in einer mallorquinischen Töpferwerkstatt an ihrer Selbstverwirklichung.

Aber Krambach blieb stur. Natürlich gab es innerhalb des Verlages keine adäquate Alternative für ihn. Und selbstverständlich kam auch der Vorruhestand nicht infrage. Sollte er auf Geld verzichten und seine organisatorischen Pflichten auf eigene Kosten von zuhause aus erledigen? Die Abfindung, die Krambach forderte, war so astronomisch, dass es für den Verlag günstiger wäre, ihm sein Büro auch noch weit über das Rentenalter hinaus zur Verfügung zu stellen. Eine Einigung war ausgeschlossen. Krambach hatte mit einer verächtlichen Miene, die ihn stark an Lavinia erinnerte, gesagt: "Sie werden mich nie los, Strunz. Das gibt Minuspunkte..."

Strunz schrie auf. Er hatte das Glas in seiner Hand zerdrückt. Blut tropfte auf seine Liste. Krambachs Name färbte sich rot.

Vier Tage später ging Strunz beschwingten Schritts zu Kaiser Consultings. Der Verlagsleiter hatte Mühe gehabt, seine Freude über das plötzliche Dahinscheiden von Krambach zu verbergen und Strunz unverholen zu seiner erfolgreichen Arbeit gratuliert. Kaiser würde ihn beglückwünschen, den Arm um seine Schultern legen und ihn in sein neues Büro führen. Strunz schenkte Frau von Treptow, Kaisers Vorzimmerdame, sein strahlendstes Lächeln. Sie winkte ihn durch - wie immer ohne eine Miene zu verziehen. Kaiser stand mitten in seinem Refugium und streckte ihm die Hand entgegen:

"Herzlichen Glückwunsch, Strunz. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet. Darum werden Sie sich im Zuge der bei uns anstehenden Veränderungen auch nicht durch eine Partnerschaft an uns gebunden fühlen müssen, sondern können sich endlich Ihren Traum von der Selbständigkeit erfüllen."
 



 
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