Trockenfleisch

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ENachtigall

Mitglied
Trockenfleisch(2)

…mein sicherstes Versteck
ist die hölzerne Wahrheit:
so nackt und schön

zusammengekauert hocke ich noch immer in diesem ausgesprochenen Kleiderschrank

und nage an den Fetzen
der Worte, die sich an
dreizehn Bügeln
aufgehängt haben:

zerrissene Silben
in denen kein Klingen
mehr lebt

und salzig schmeckt mein Trockenfleisch, als hätte es alle Perlen verdunstet

von Angst
-schweiß
und Tränen



© Elke Nachtigall
22. Aug. 2006





Trockenfleisch(1)

mein sicherstes Versteck
ist die hölzerne Wahrheit:
so nackt und schön

zusammengekauert hocke ich noch immer in diesem ausgesprochenen Kleiderschrank

und nage an den Fetzen
der Worte, die sich an
den Bügeln aufgehängt haben
an einem Sonntag den
Dreizehnten Irgendwas

und salzig schmeckt mein Trockenfleisch, als hätte es alle Perlen verdunstet

von Angst
-schweiß
und Tränen



© Elke Nachtigall
22. Aug. 2006
 

rosste

Mitglied
oh, elke, das trockenfleisch wirkt schwer verdaulich und sehr gut konserviert.
zwar steckt viel "wahrheit" drin, viel zeit und "schweiß", doch spätestens "an einem Sonntag den Dreizehnten Irgendwas", vermisse ich irgendein sättigungsgefühl im magen.
der anfang ist sehr schön ("mein sicherstes Versteck ist die hölzerne Wahrheit: so nackt und schön").
"zusammengekauert hocke ich noch immer in diesem ausgesprochenen Kleiderschrank" - da kann ich mir erst nach mehrmaligem lesen ein bild machen. den ausgesprochenen kleiderschrank kann ich mir jetzt vorstellen. da taucht aber bei mir sofort die frage auf: wer spricht hier aus? sicher jemand anderes. und an dessen wortfetzen nagst du/der prot. - dazu müsstest du dich aber recken und strecken, um an die fleischkleiderbügel zu gelangen. wie geht das, wenn der prot. "zusammengekauert hockt?"
die tränen sind verdunstet. da bleibt etwas salz zurück. dadurch wird das fleisch nur haltbarer. - da lohnt es sich, daran zu nagen. - die "Fetzen der Worte" würde ich lieber solange kauen, bis sie weich sind. vielleicht verschwindet dann auch der ausgesprochene kleiderschrank. aber da müsste erstmal gesagt werden, wer was ausgesprochen hat.
lg
 
S

Sandra

Gast
Liebe Elke,

es macht mir zunehmend Spaß, deine Gedichte zu lesen. Man kann sich darin verlieren und nach Herzenslust interpretieren.
Rosstes Kommentar ist nach m.E. sehr treffsicher formuliert und zeigt - gar nicht böse - mit dem Finger darauf, wo es bei diesem Gedicht noch ein bisschen noch hakt.

Der Anfang, auch der Mittelteil, sind sehr stimmig und durchdacht formuliert. Bei mir ist es auch der 'Sonntag der Dreizehnte' wo ich das Bild des Kleiderschranks nachempfinden kann, den engen Raum vor mir sehe, es denn aber alsbald auch wieder verlassen muss.
Das Trockenfleisch hat dadurch, dass es ein sehr sperriges Wort ist, eine absolut exponierte Stellung in diesem Gedicht.
Doch mir fehlt hier ein wenig die Stimmigkeit, auch die Notwendigkeit. Deine erwähnten Worte, welche an Bügeln hängen und die Prot. nackt zurück lassen, bieten ihr angezogen Schutz, Wärme evt. sind sie auch manchmal Ballast. Sie bieten der Prot. jedoch keine Feuchtigkeit. (Der Schutz vor dem Austrockenen ist gegeben, doch weit hergeholt) Ich empfinde die Wortlosigkeit der Prot. als eine Art Schutzlosigkeit oder Hilflosigkeit. So bleibt sie m.E. zurück. Warum also das Bild 'trocken' heraufbeschwören? Natürlich bietest du damit eine Überleitung zu den verdunsteten Perlen, doch auch die Perlen scheinen mir als Bild nicht ganz stimmig, denn hiermit gehst du zu weit von dem Bild des Schranks und der hängenden Worte weg. Betrachtet man (optisch) die Perlen in Bezug zu Kleidern als schmückendes Beiwerk, geht hier die Metapher m.E. zu sehr auseinander.


All dies, Elke, als kleine Anmerkung. Kleine Anmerkung deshalb, weil der erste Satz deines Gedichtes allein schon ein Gedicht ist. Deine Zeilen bieten die Möglichkeit, sich mit Lyrik auseinanderzusetzen und sind gleichermaßen Inspiration.



LG
Sandra
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo rosste und Sandra,

ich antworte Euch mal gemeinsam, weil beide Kommentare in weiten Teilen übereinstimmen. Es tut gut, Eure Eindrücke zu lesen. Zeigt es mir doch, dass das Gedicht die Fantasie beflügelt und Verwirrung stiftet, aber nicht abgeschreckt hat.

Der Schlüssel liegt wohl in den "Worten" selbst. Sie haben sich hier stellvertretend für einen Menschen erhängt, um dieses fassbar zu machen für den, der damit weiterlebt; für den das die "hölzerne Wahrheit" ist, "nackt und schön"? Ja, auch schön, weil es Leben ist. Und nur im beständigen Durchkauen dieser Wörter=Trockenfleisch, geben sie ihre Nährstoffe her und auch das Salz zurück, dass sie im Laufe der langen Ablagerungszeit ausgelaugt haben.

Somit ist der Kleiderschrank ein "ausgesprochener" Zufluchtsort der Geborgenheit. Jedes Kind hat darin schon Zuflucht gefunden im Fall von Zorn und Streit und Traurigkeit. Die Dunkelheit, weiche Enge, der Geruch wirft auf sich selbst zurück, läßt die phänomenale Einsamkeit spüren, die auch Wahrheit und hölzern ist. Die Kleidungsstücke, vor allem die hängenden, wehenden, raschelnden Mäntel, Kleider, Anzüge auch, wirken nach einer Zeit, die im Kleiderschrank natürlich ganz anders vergeht, wie Wesen, die allmählich Geschichten erzählen, von Festen, Liebe, Tod und Banalitäten. Und nun kleiden sie uns mit ihren Worten ein in ihrer Mitte, bis wir wieder Lust auf andere Menschen haben.

Ein "ausgesprochener Kleiderschrank" kann aber auch statt der üblichen Kleidung, die das morgenmüde Auge aussuchen soll, Wörter zum Tragen anbieten.

In jedem Fall - ihr merkt es schon - kann er eine magisch anmutende Wirkung entfalten oder ein wenig verrückt machen. Das liegt durchaus im Augedes Betrachters.

Nun bin ich abgeschweift. Zurück zum Text. Ach, das war ´s auch schon.

Laßt ihn mir, so sperrig wie er ist.

Liebe Grüße

Elke
 
B

bonanza

Gast
ungewöhnliche zusammenstellung von bildern.
interessant - weil es mir irgendwie schmeckt: dein "trockenfleisch".

bon.
 

ENachtigall

Mitglied
hallo bonanza,

danke für die Leseprobe und den Kommentar. Es schmeckt tatsächlich "voll gut". Ich habe es ein paar mal probiert. Es ißt sich unkompliziert unterwegs, snackig aus der Hand (kleckert nicht), wie Lakritz, nur anderer Geschmack und faserig eben, sehr salzig auch. Eine Winterdelikatesse für Menschen, die noch keine Supermärkte, Steakhäuser und Kühlschränke kannten. Wie rosste schreibt: gut konserviert.
Man kann es auch im Backofen zu Hause zubereiten.

Mich wundert selbst, wie kurz das Gedicht geworden ist. Die Spur der auf Kleiderbügeln hängenden Wortfetzen verfolge ich schon eine zeitlang.
Die Vegetarier mögen nachsichtig sein.

Herzlichen Gruß

Elke
 
B

bonanza

Gast
ich finde zb. die assoziation unglaublich gut, dass
neben den klamotten im kleiderschrank das trockenfleisch
hängt; dazwischen sitzt irgendwo du und überwinterst.

das wort "trockenfleisch" weckt mannigfache assoziationen:
welkes fleisch bei alten menschen, unter umständen aber
auch für die kids eine "jungfrau" - die ist noch trocken,
das ist noch trockenfleisch, auch mental kann man bei
manchen menschen durchaus von "trockenfleisch" reden,
wenn sie uns zb. auf behörden mit ihrer (trockenen)
paragraphenfurzerei begegnen.

und in der leselupe gibt es trockene dichter(innen).
am anfang dachte ich, dein gedicht wäre auch "trockenfleisch",
aber du hast mich letzlich mit den fast absurden bildern
und auch durch die form überzeugt.

dein gedicht hat salz.

bon.
 
B

bonanza

Gast
geil, mir geht`s ähnlich - dann weiß ich, dass ich
etwas besonderes schrieb. dafür hungere ich aber auch genug.
und dann setzt du das gedicht "trockenfleisch" in die
leselupe - und was kommt? nur trockene kommentare.

bon.

(außer meinen)
 
S

Sandra

Gast
Das ist nicht wahr, bon. Den Kick habe ich auch bekommen, auch wenn es vielleicht wie Trockenfleisch formuliert war.
 

ENachtigall

Mitglied
Die Kommentare von rosste und Sandra finde ich ebenso lebendig wie den von bon. Sie bereichern mein Gedicht auf ihre je eigene Art.

Elke
 
M

Melusine

Gast
Hallo Elke,
das ist jetzt mal ein Gedicht von dir, das mich emotional anspricht, ich weiß gar nicht so recht warum. Es macht nichts, ob ich die Worte im Detail verstehe. Irgendwie scheint mir, als würde ich fühlen, was du meinst, und wenn es etwas anderes ist als das, was du wirklich sagen wolltest, macht es wohl auch nichts.

(Sag ich jetzt deshalb so "komisch", weil deine Gedichte mich meist "nur" auf einer intellektuellen Ebene ansprechen.)

Okay, Textarbeit war das jetzt nicht... aber vielleicht (hoffentlich) trotzdem ein brauchbarer Kommentar.

Liebe Grüße
Mel
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Melusine,

ein Gedicht von dir, das mich emotional anspricht, ich weiß gar nicht so recht warum
...womöglich hast auch Du früher eine Zeit "abgesessen", in dieser selbstgewählten Isolation und fühlst Dich latent daran erinnert. Wer weiss...Ich danke Dir sehr für den Kommentar. Mit dem Stempel der vermeintlichen Intellektualität gerate ich immer in Schubladen (die kleine Schwester der Schränke), worin Bücher liegen, die außer mir keiner zu Ende lesen will.

Liebe Grüße

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Trockenfleisch


mein sicherstes Versteck
ist die hölzerne Wahrheit
so nackt und schön

zusammengekauert hocke ich noch immer in diesem ausgesprochenen Kleiderschrank

und nage an den Fetzen
der Worte an dreizehn Bügeln
haben sie sich erhängt

zerrissene Silben in denen kein Leben mehr klingt so salzig schmeckt mein Trockenfleisch

als hätte es alle Perlen
verdunstet von Angst
Schweiß und Tränen
 



 
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