Umzug

Umzug

Über all die Jahre hat sie es gefüttert, mit dem, was sie für wert befand, beinahe liebevoll.
In den ruhelosen Nächten hockte sie oft stundenlang davor, suchte etwas, fand etwas anderes,
ließ sich darauf ein und verschwand irgendwann darin.
Doch tags und auch an manchen Abenden, wenn die Freunde kamen,
blieb es hinter glatten Schranktüren versteckt.

Jetzt aber, jetzt quillt es wie Erbrochenes hervor: ihr Chaos.

Die Umzugshelfer stehen irritiert davor und sagen nichts, lange nichts.
Hinter ihnen, in der Mitte des fast leer geräumten Zimmers, steht sie.
Und obwohl kein einziger Blick zu ihr geht, fühlt sie sich in diesem Moment angestarrt.
Peepshow vor sieben Spiegeln - ein Gemisch aus Peinlichkeit, Gleichgültigkeit und - ja, Lust!

"Na los, packen wir`s!" sagt Micha.
Dafür hasst und liebt sie ihn gleichermaßen.

Beim Einpacken fällt die Frage "Kann das weg?"
nur eineinziges Mal, aber tief, sehr tief. Ihr Blick ist Antwort genug.

Für sie sind all die Dinge miteinander versponnen, verwoben, verflochten -
und sie mit ihnen.
Sie lehnt sich an die kahle Wand und sieht,
wie diese formlose, haltlose Masse - Gesammeltes,Gehütetes, Vergessenes, verloren Geglaubtes, trotzig Aufbewahrtes, nebenher Gefundenes...
allmählich verschwindet in praktischen, stapelbaren, transportfähigen Hohlkörpern.

Keiner macht sich mehr die Mühe, die Kartons zu beschriften.
Wozu auch? In allen ist alles.

Ihr wird übel. Sie rutscht, mit dem Rücken an der Wand, auf den Boden.
Micha reicht ihr wortlos seine Wasserflasche.
Mein Retter, das Arschloch, denkt sie.

Die Umzugshelfer sind schon ziemlich außer Atem:
Vier Treppen runter, über die Straße und rein mit dem Zeug
in den Transporter, dann über die Straße zurück, vier Treppen rauf, die nächste Ladung:
Möbel, Geschirr, Küchenkrempel, Bücher, Kleidung - seit Stunden! Und jetzt noch das!
Sie sagen nur das Notwendigste, trinken hastig
und machen gleich weiter.

Als wollten sie einen Wettkampf gewinnen. Ihr wird schwarz vor Augen bei diesem Gedanken.

Wie von weit her hört sie Reifen quietschen und dann ein dumpfes Geräusch.

"Daniel!" schreit Micha. "Scheiße!"

Verloren, denkt sie noch, dann muss sie sich übergeben.
 



 
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