Unbefleckte Empfängnis

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„Unbefleckte Empfängnis“




„Auf den Sonnen wollte er weiblich, auf den Planeten männlich erscheinen.“
Jakob Lorber


„Na Dern, hast´n da?“ Maria schreckte auf und zog die Knie an.
Dieter grinste. „N´Wurstpaket. Leberwurst, wah?“ Er hatte sich frech auf ihre Pritsche geworfen, das rechte Knie lässig angewinkelt und schaute sie herausfordernd an. Man sah ihm nicht an, dass er noch bis vor ein paar Monaten an den Panzersperren gekauert hatte, im Dreck, in der Kälte. Von irgendwem hatte er sich eine Handvoll Pommade eingetauscht und sein schwarzes, ungeschnittenes Haar glänzte im matten Licht des Lazeretts. Er hatte es, wie es üblich war nach Hinten gekämmt und mit Spangen befestigt. In der Hand hielt er einen zerbrochenen Kamm und strich damit über sein Knie.
„Darf ich?“, fragte er ganz forsch und deutete auf die kleine, feste Kugel unter Marias Nachthemd, die er vielleicht mit beiden Händen umspannen konnte. Maria hielt ihren Bauch und schüttelte mit dem Kopf.
„Russen, wah?“ Er rückte etwas näher an sie heran. „Amis warn hier ja nich. Die Amis bring´ Schokolade. Die könnten wir gegen Zigaretten eintauschen. Und die Zigaretten dann gegen Wurscht.“ Er deutete wieder auf ihren Bauch. „Das kannste nich eintauschen.“
Maria sah sich hilfesuchend um. Die Stationskrankenschwester, eine furchteinflösend große und schwergewichtige Frau stand am Ende des riesigen Saales, mit dem Rücken zu ihnen und wendete den bettlägerigen Körper eines alten Mannes, von dem Maria wusste, dass ihm eine Granate die Beine fortgerissen hatte.
Plötzlich fühlte sie Dieters Hand an ihrem Bauch.
Vor Schreck blieb sie ganz still. Dieters Hand blieb einfach auf ihrem Bauch, mit dem Kamm zwischen seinen Fingern. Sie konnte den Kamm fühlen und auch seine Neugier. „Wann bewegt´s sich?“, fragte er. Er ließ den Kamm aus seinen Fingern gleiten und seine Hand umwanderte die Rundung ihres Bauches. Sie war ganz warm. Maria konnte nicht anders als zu weinen. Dieters Hand glitt von ihrem Bauch zu ihrem Gesicht.
„Nee, Dern.“, sagte er. „Nich flennen.“ Er streichelte ihre eingefallenen Wangen. „Meine Mama hat immer jesacht: Wat kommt, dat kommt. Und wat mutt, dat mutt.“
Maria hörte auf, zu weinen. Das hatte ihre Mutter auch gesagt, als sie im Keller gekauert hatten, ohne den Vater. Sie hatten da viele Monate gekauert und die Mutter war am Tage oft fort gewesen, um etwas zu essen zu besorgen und Wasser. Dann war Maria allein gewesen. Und sie hatte gewartet, bis die Mutter zurückkam, oft mit wenig, meistens mit nichts. Irgendwann hatte sie, bevor sie gegangen war, gesagt, „was kommt, das kommt. Und was muß, das muß.“ Und sie hatte ihr die Wangen gestreichelt.
Maria war ab da an allein gewesen und eines Nachts hatte sie gemerkt, dass ihr Bauch runder wurde.
Dieter grinste. „Werd dann mal wieder los.“, sagte er. Und er griff plötzlich zwischen ihre Beine. Marias Hände zuckten nach vorn und pressten ihr Nachthemd in ihren Schritt. Dieter hob den Kamm hoch und grinste breit. „Ohne den geh ich nirgendwo hin.“, sagte Dieter.
Marias Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen.
„Nicht anfassen.“, sagte sie und plötzlich packte eine kräftige Hand Dieter am Ohr und zog ihn in die Höhe.
„Latt mien Dern in Ruh!“ Die Stationskrankenschwester gab Dieter eine schallende Ohrfeige. Dieter verzog schmerzerfüllt das Gesicht.
„Nicht.“, sagte Maria.
Die Stationskrankenschwester sah sie an und schüttelte den Kopf. Sie ließ Dieter los und drehte sich zu Maria um. Maria musste sich wieder hinlegen und die Krankenschwester deckte sie mit der rauen Armeedecke zu.
„Bist mien Engel.“, sagte sie. Maria hatte vor Angst die Augen weit aufgerissen.
Sie sah, wie Dieter auf den Ausgang zuschlurfte. Irgendwie zog er das linke Bein nach. Er drehte sich um, grinste und winkte ihr zu. Dann drehte er sich wieder um und schlurfte weiter.
„Pass dich vor den Lausbengel auf.“, sagte die Stationskrankenschwester ernst.
„Pass lever auf det auf.“, sie streichelte verliebt Marias Bauch. „Is een Jeschenk vom leven Jott.“

Wenn die Stationskrankenschwester es zuließ, spazierte Maria am liebsten im Park umher. Eigentlich war es gar kein Park, sondern nur der Hinterhof des dreistöckigen Industriegebäudes, das sie zum Lazerett umfunktioniert hatten. Von dort konnte man, wenn man es sich traute, noch tiefer in das Industriegelände hineinwandern, mindestens noch über drei Hinterhöfe. Weiter aber hatte sich Maria noch nicht getraut. Es roch da immer ein bisschen nach Fluss und natürlich auch nach den schlimmen Sachen, denn die Toiletten funktionierten ja noch nicht. Sie wäre eigentlich ganz gerne mal zum Fluss gegangen, um zu schauen, ob es da Blumen gab. Aber die Stationskrankenschwester hatte es ihr verboten So blieb sie meistens immer im zweiten Hinterhof. Da gab es auch Blumen. In einer Ecke wuchs ein größerer Busch Löwenzahn. Die Krankenschwester hütete die Blumen wie ihren Augapfel. Damit konnte man auch Kranke heilen. Außerdem konnte man Löwenzahn essen.
„Wenn du hibsch auf den Lewenzahn uffpasst“, hatte die Stationskrankenschwester gesagt. „mach ich dich mal een hibschen Salat von.“
Maria war ganz aufgeregt gewesen. „Und wann?“, hatte sie gefragt.
„Erst wenn det Engelchen da is.“


„Na Dern.“, Dieter stand plötzlich hinter ihr. „Jefallen se dir?“
Maria drehte sich zu Dieter um. Er hielt etwas hinter seinem Rücken versteckt.
„Lewenzahn, wat?“, fragte Dieter und sah grinsend an Maria vorbei. Maria nickte.
„Soll ich’s dik abschneiden?“ Maria schüttelte ängstlich mit dem Kopf.
„Is doch blos Lewenzahn.“
„Ich soll drauf aufpassen.“, sagte Maria. „Die Schwester macht mir einen Salat von, wenn das Engelchen da ist.“
Dieter verzog ungläubig das Gesicht. „Watn fürn Engel? Er deutete auf ihren Bauch. „Dat?“
„Solltest det lewer wech mach lassen. Is nurn Fresser mehr.“ Maria ging einen Schritt zurück und wäre beinahe in die Blumen getreten. Dieter machte einen Schritt vorwärts und plötzlich war er ganz nah bei ihr und drückte sie fast gegen die feuchte Häuserwand.
„Warste schon mal am Fluss?“, fragte er sie und fasste mit seinen Händen rechts und links von ihren Schultern gegen die Häuserwand.
„Nicht anfassen.“, stieß Maria ängstlich hervor.
„Am Fluss jibts ooch Blumen. Verjissmeennich. Kann ich dich zeijen, wenn de´s willst.“
Maria schüttelte mit dem Kopf.
„Hier.“ Dieter hielt ihr einen Kanten Brot hin, den er in der Rechten hielt.
„Kriste Brot, wenn de mitkommst.“
Maria schüttelte wieder mit dem Kopf.
„Najut.“, sagte Dieter und ging einen Schritt zurück. Er drehte sich um und griff in die Innenseite seiner abgerissen Jacke. „Hier.“, sagte er etwas missmutig und hielt ihr einen Fitzel Wurst hin. „Kriste ooch Wurscht.“
Maria huschte an ihm vorbei und ließ Dieter bei den Blumen stehen.
„Nicht anfassen.“, hörte er sie noch flüstern.
Enttäuscht betrachtete Dieter den Wurstzipfel und den Brotkanten. Dann grinste er und biss energisch in die Wurst hinein.

Maria erwachte. „Dieter?“
Sie hielt sich den Mund zu. Sie setzte sich auf und nahm vorsichtig die Hände von ihrem Mund. „Nicht anfassen.“, flüsterte sie ängstlich und ihr wurde plötzlich klar, dass sie geträumt hatte. Sie schüttelte mit dem Kopf. Sie wollte das nie wieder träumen.
Nachts war immer das Licht abgestellt. Ein paar helle Schimmer von Mondlicht benetzten die Umrisse der Lazarettbetten und die verworrenen Knäuel keuchender Kranker. Maria beobachtete aufmerksam das langsame Auf und Ab ihrer Brustkörbe. Hier und da ein beängstigendes Rasseln von ausgeworfenem Atem, ein beunruhigendes Husten, Schmatzgeräusche, das Quietschen von zerbrochenen Federn in schweißdurchnässten, schmutzigen Matratzen.
Der grässliche Traum, den sie geträumt hatte war ihr so gegenwärtig wie der Geruch von Chloroform, der sich in der Nacht immer mit dem Geruch von männlichem und weiblichem Harn vermischte.
Maria griff sich vorsichtig an die Stelle unter ihrem Bauch und biss sich auf die Unterlippe. Warum musste sie nur gerade jetzt auf die Toilette?
Sie stützte ihre Hand in ihren Rücken und versuchte aufzustehen. Ihre Zehenspitzen streiften über den mit zersprungenen Fliesen bedeckten Fußboden und zuckten zurück. Nachts war der Fußboden immer eiskalt.
Maria seufzte, dann setzte sie ihre kleinen Füße auf den Boden und stand auf. Sie bückte sich und zog vorsichtig den Nachttopf unter dem Bett hervor. Zitternd vor Kälte hockte sie sich darüber und band ihr Nachthemd zu einem Knoten über ihren Oberschenkeln. Einen Augenblick später hörte sie das leise Plätschern und das metallische Säuseln des Nachttopfes.
Maria schloss die Augen.
Dann, plötzlich – Maria riss die Augen auf. „Hallo?“ So schnell sie konnte drückte sie sich mit beiden Händen an der Bettkante in eine stehende Position. Ihre Hände umklammerten verzweifelt den Nachthemdknoten unter ihren Bauch.
„Wer ist da?“, flüsterte sie. Ängstlich drehten ihren Hände den Knoten und spannten das Nachthemd um ihren Unterleib. Hatte sie nicht etwas gehört? Ein Rascheln, oder ein Schleifen. Ihre Hände hörten auf, den Knoten zu drehen.
Nein! Ein Schlurfen. Ein Tap, wie wenn ein Fuß auf den Fliesen aufsetzte und dann dieses Geräusch, als wenn man etwas hinterher zog. Ihr Blick wanderte durch die Bettenreihen und suchten Dieters Krankenbett. Da! Es war leer.
„Dieter?“ Unschlüssig drehte sie wieder den Knoten bis er so fest um ihren Unterleib gespannt war, dass es ihr wehtat. Plötzlich wieder dieses Geräusch. Tap und dann das Schlurfen,
Tap,- ,Tap,- Tap,- TAPTAPTAPTAP!
„Wo bist du?“, flüsterte Maria und ließ den Knoten los. Er drehte sich auf und der Saum ihres Nachthemdes fiel über ihre Oberschenkel auf den Boden.
Maria machte einen Schritt vorwärts und lauschte. Warum war Dieter nur aufgestanden und hatte sein Bett verlassen? Niemand durfte aufstehen und sein Bett verlassen. Sie hatten doch ihren Nachttopf und sonst gab es nichts, wohin man nachts gehen konnte oder durfte. Auf die Straße durfte man schon gar nicht. Wollte Dieter etwa gegen die Ausgangssperre verstoßen? Auf der Straße würden sie ihn erschießen. Sie würden Dieter einfach erschießen! Maria trippelte ein paar Schritte nach vorn.
„Dieter!“, sagte sie wütend. Es war jetzt ganz still im Lazarettsaal.
TAP!
Maria lief auf Zehenspitzen durch die Krankenbettreihen. Ihre Füße fühlten sich taub an.
An der großen Flügeltür blieb sie stehen. „SSSST“, machte sie und drückte die Tür einen Spalt weit auf. Der Flur lag in völliger Dunkelheit. Marias Hände zitterten.
Es war so dunkel!
Es war fast so dunkel wie – Maria schüttelte mit dem Kopf – wie in einem Keller.
„Die –“, die Stimme brach ihr. `Wie in einem Keller.´, dachte sie und fing an zu weinen. Maria zitterte immer mehr. Sie wollte jetzt ganz laut nach Dieter rufen, aber ihre Lippen brachten keinen Laut hervor, ihre Zähne schlugen aufeinander. Die kleinen Zehen ihrer Füsse waren wie Fäuste zusammengeballt. Dann plötzlich wieder das Schlurfen, schneller, immer schneller. Taptaptaptaptap!!!
Ein Zischen! – eine Kerze, die sich entzündete. Maria riss schrecklich weit den Mund auf und wollte schreien. Eine Hand packte sie am Hals und eine Hand unter ihrem Schritt und riss sie in die Höhe.
„Na?“, ein warmer Mund küsste Marias Lippen und zwei starke Arme pressten ihren Körper an sich.
„Na min Dern?“, flüsterte ihr die Stationskrankenschwester zu. „Sollst doch das kleene Engelchen net friern lassen.“
Maria ließ sich von ihr zurück zu ihrem Bett tragen. Sie ließ sich zudecken und schloss die Augen. Die Stationskrankenschwester streichelte liebevoll ihren Bauch und lächelte.
„Hast woll den Vadder jesucht, wat Liebchen?“

Im Lazarett hatte Dieter die Hand vor Augen nicht sehen können. Es hatte ewig gedauert, sich durch die langen dunklen Flure zu tasten. Dieter erschauderte bei dem Gedanken noch immer.
Irgendwas oder irgendwer war hinter ihm her gewesen. Er lehnte sich gegen die Mauer und schaute ängstlich zurück. Dieses Geräusch, dachte er. Dieses Schlurfen und kratzen. Angewurzelt hatte er da gestanden und in die Dunkelheit gelauscht. Er hatte nicht rennen wollen. Aber dann hatte er es doch getan. Taptap hatten seine Füße gemacht. Er war stehen geblieben – tap und hatte gelauscht. Das Schlurfen war widerlich gewesen. Dann hatte es sich plötzlich entfernt und Dieter war wieder gerannt. Er hatte nichts sehen können, bis er gegen die Ausgangstür geprallt war.
Sein Bein schmerzte. Dieter rieb sich vorsichtig das Knie und biss die Zähne zusammen. Wenigstens schien der Mond. Langsam humpelte er vorwärts. Er versuchte die Schatten zu meiden. Vor jedem Torbogen, der in den nächsten Hinterhof führte blieb er nachdenklich stehen. Der Geruch von menschlichen Exkrementen wurde immer stärker. Dieter atmete tief durch, dann huschte er durch den Schatten. Es roch jetzt auch nach Fluss.
Dann spürte er das erste Gras unter seinen Füssen. Dieter rannte. Er musste sich links halten. Da war eine große Mauer, die fast bis in Wasser reichte. Seine Fingerspitzen glitten über den rauen Putz. Die Mauer war feucht. Hier war jede Mauer feucht. Er erinnerte sich, wie er vor Maria gestanden hatte, wie nah sie ihm gewesen war. Und die Mauern waren genau so feucht gewesen. Dieter blieb stehen. Seine Hände ruhten flach auf der Mauer. Sein Herz raste.
Er drehte sich um. Da waren sie. Im Mondlicht hatten sie eine tief dunkelblaue Farbe. Dieter klappte sein Taschenmesser auf.
„Verjissmeennich.“, flüsterte er und schnitt die Blumen von den Stängeln.
Dann öffnete er seine linke Hand und packte sie zu dem Strauss von Löwenzahn.

Vor dem Mann ohne Beine hatte Maria von Anfang an Angst gehabt. Das hatte sich erst geändert, als man ihr gesagt hatte, dass er bald sterben würde.
Er hustete ihr mitten ins Gesicht.
„Is Blut.“, sagte er und wischte sich verächtlich die Lippen ab.
„Ja.“, sagte er. „Lungenentzündung is ganz was edles. Da sterben auch Könige dran. Ich glaub, sogar Götter.“ Er versuchte aus zu spucken. Ein dünner Speichelfaden floss seine Mundwinkel hinab. Maria wischte den Speichel mit ihrer Hand fort.
„Meinst du, ob der alte Hund da oben auch schon dran verreckt ist?“ Er schaute zur Decke und kniff ein Auge zu. „Is bestimmt schon verreckt. Im Krieg. War ja überall Blut. Überall.“ Er nickte, dann hustete er und wischte sich wieder über die blutigen Lippen.
„War alles sein Blut!“
Maria senkte ihren Blick und schaute auf den Boden.
„He!“ Maria spürte einen Luftzug in ihrem Gesicht und schaute auf. „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede.“ Seine Hand war zur Faust geballt. Seine Lippen zitterten und er zischte etwas, was Maria nicht verstand. Sie beugte sich vor.
„Hure!“, schrie er sie an. Maria zuckte zurück. „Hast mich ganz genau verstanden.“
Maria sah sich hilfesuchend um. Sie hatte der Schwester versprochen, bei ihm zu bleiben.
„Verdammte Hure.“, röchelte er. Er winkte mit der Hand ab und ließ seinen Kopf wieder ins Kissen sinken. Seine Wangen waren fürchterlich einfallen und seine Haut hatte die Farbe von schmutzigem Kupfer. Sein Brustkorb zuckte bei jedem Atemzug.
„Geht schon in Ordnung.“, flüsterte er. „Wenn du ne Hure bist, bin ich auch eine.“ Er lachte zaghaft, um nicht von einem neuerlichen Hustenanfall mitgerissen zu werden.
„Nur dass ich schon eher gefickt wurde.“ Seine Hand tastete nach seinen Oberschenkeln.
Er nickte. „Ich hab mehr als meine Beine verloren.“
Der Blick des Mannes ohne Beine wurde plötzlich sanft.
„Warum bist du nur so´n hübsches Ding?“, sagte er. Er legte den Kopf etwas zur Seite und lächelte.
„Wenn ich noch meine Beine hätte, oh man, was könnten wir beide für´n Spass haben.“
Er packte sie bei der Hand. Maria wollte sich losreißen.
„Mir ist alles egal.“, sein Atem war heiß. Er riss sie kraftvoll zu sich ans Bett.
„Siehste, kann ich alles noch.“, grinste er. „Brauchst mich nur anfassen.“ Er presst ihre Hand in Richtung seiner Oberschenkel. Maria schrie auf.
Der Mann ohne Beine spuckte ihr plötzlich ins Gesicht.
„Scheiß Hure.“, flüsterte er. „Denkst du etwa, dass er dich nur für sich will?“
Seine Pupillen zuckten wild umher, als er ihr in die Augen sah.
„Ich kanns dir wegficken, wenn de willst.“ Marias Oberlippe zitterte.
„Musst es nur woll´n. Musst nur sagen, machs weg.“ Er legte seine freie Hand auf ihren Bauch. Seine Hand glitt tiefer. „Machs weg.“, sein Flüstern wurde lauter. Sein Gesicht war ihr so wiederlich nahe. Maria konnte seinen Atem riechen.
„Oh Gott.“
Er lachte lauthals auf.
„Machs weg!“, zischte er.

Plötzlich ein Krachen! Ein Aufschrei! Maria wollte sich umdrehen, aber der Mann ohne Beine packte sie hinter dem Kopf und presste ihn gegen seinen Oberkörper. Sie konnte das grausige Rasseln in seinen Lungen hören.
„Sags.“, flüsterte er. „Ich ficks dir weg.“ Seine Hand war jetzt fasst zwischen ihren Beinen.
Hinter ihr polterten schwere Schritt auf sie zu. Sie waren gewaltig, wie die eines Riesen. Seine Hand war jetzt fast –
Maria spürte eine zweite Hand, sie war kraftvoll, fast so heiß wie kochendes Wasser und sie legte sich um die Hand des Mannes ohne Beine und hielt sie fest. Der Mann ohne Beine kicherte. „Sags.“, flüsterte er. Es fühlte sich an, als wäre es unmöglich, seine Hand von dort zu entfernen, wo sie lag. „Sags jetzt.“
Maria schwieg. Ihre Oberlippe zitterte und sie schwieg, weil sie Angst hatte.
Der Griff des Mannes wurde schwächer. „Sags.“, bat er sie fast.
Die kochend heiße Hand zog seine fort und presste sie an seine Brust. Maria schaute auf. Mit unglaublicher Kraftanstrengung presste die andere Hand der Krankenschwester das Gesicht des Mannes ohne Beine zur Seite. Ein Hustenanfall packte ihn und ließ ihn erzittern.
„Nicht.“, wollte Maria sagen. Der Blick der Krankenschwester wirkte auf unheimliche Weise grausam und kalt.

„Latt miin Dern in Ruh.“, zischte sie.


Dunkelheit. Maria öffnete die Augen. Warum war es so dunkel? Und warum roch es so seltsam? Mit ihren Fingern tastete sie auf dem Boden umher. Sie fand einen Krug mit Wasser und trank einen Schluck. Das Wasser schmeckte alt und faulig. Als sie den Krug wieder hinstellte gab er ein säuselndes Geräusch von sich. Maria zitterte. Ihr war kalt und sie hatte Hunger. Warum war es hier so dunkel? Maria stand auf und tastete sich vorwärts. Dann stieß ihr Fuß gegen etwas am Boden und sie wäre beinahe gefallen, wenn sie sich nicht plötzlich an der Wand abgestützt hätte. Mit den Händen tastete sie über das feuchte Mauerwerk. Sie ging nach links und kam an eine Tür, die sich nicht öffnen ließ. Sie tastete weiter. Ein Fenster, sehr klein und sehr hoch. Es war mit Brettern vernagelt. Maria stolperte weiter. Dann wieder etwas am Boden. Maria bückte sich. Sie fühlte einen Körper. Er war kalt und steif.
„Mama?“, fragte sie ängstlich. Sie fühlte erst ihre Hand, in der sie noch immer das Messer hielt, dann ihre Brust, dann ihr Gesicht. Vorsichtig nahm sie ihr das Messer aus der Hand und legte sich zu ihr. Vor der Kellertür hörte sie Geräusche. Männer unterhielten sich. Sie konnte nicht verstehen, was sie sagten. Als sie an der Tür ankamen, rüttelten sie daran. Ein paar fragende Worte, dann ein lauter Stoß. Stille. Maria blieb ganz ruhig und kuschelte sich an den Körper ihrer Mutter.
Die Stimmen der Männer entfernten sich.
„Weißt du Mariechen,“, sagte Maria und nahm das Messer in die rechte Hand. „wenn die Russen kommen, dann dürfen wir die Tür nicht mehr aufmachen. Dann haben wir lange Zeit nur das, was wir da haben. Und wenn das alle ist –“, Maria fing an zu kauen. „wenn das alle ist, haben wir nur noch uns.“ Maria schüttelte energisch mit dem Kopf, dann setzte sie das Messer an ihren Hals.
„Was kommt, das kommt, Mariechen.“, flüsterte sie. „Und was muss, das muss.“

Die Stationskrankenschwester tänzelte vergnügt durch die Bettenreihen des Lazarettsaals. Ihr dicker Hintern wippte lustig hin und her. Mit den Händen griff sie sich an die gewaltigen Brüste und ihre Fingerspitzen liebkosten lustvoll ihre großen festen Brustwarzen. Sie hatte ein Gefühl, als könnte sie die Welt umarmen. Sie griff sich in den Schritt, rieb sich, ihr ganzer Körper war jetzt einhundert Prozent Lust. An einem Bett schlug sie das Kissen auf und küsste einem Gichtkranken die verunstalten Gelenke, an einem anderen blieb sie stehen und kicherte und betastete gierig seine eitrige Wunde. Ihre Zunge flog darüber hinweg, wie eine Schar von Staren im Herbst. Sie strich dem Mann, der im Fieber laut aufschrie durch das schweißnasse Haar, roch daran und gab einen Laut von sich, der von unglaublicher Sehnsucht zeugte.
„Oh ja!“, stöhnte sie laut auf. „Wat een geilet Lewen.“
Tänzelnd kam sie an Mariens Bett.
„Na.“, grinste sie und riss die Bettdecke zurück. „Is der Kuchen och noch richtig fest?“
Gierig befummelte sie ihren Bauch.
Maria stöhnte auf. Das, was in ihr war, bewegte sich wild und schmerzhaft. Es drängte zu der kochend heißen Hand, die immer fester ihren Bauch rieb.
„Ja.“, flüsterte die Stationskrankenschwester und weißer, schaumiger Geifer lief ihr aus dem wunderschönen roten Mund. „Das is meene Hure.“
Sie drehte sich um und griff hinter sich.
Maria riss die Armeedecke über ihren Körper und versteckte ihr Gesicht darunter.
„Hier meen Lewen.“, zischte die Krankenschwester und zog gewaltsam die Decke zurück.
Sie hielt ihr einen Teller hin.
„Lewenzahnsalat. Den magste doch.“
Maria schaute ungläubig auf. Die Krankenschwester drückte ihr die Gabel in die Hand.
„Friss!“, befahl sie ihr und lachte. „Is noch wat anderet drin.“
„Vergissmeinnicht.“, flüsterte Maria und aß folgsam den Salat mit der dunkelroten Soße.
„Ja.“, nickte die Krankenschwester. „Hat der Dieter für dich jepflückt.“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Wat für ne reine Seele.“
Als Maria mit dem Salat fertig war, klatschte die Krankenschwester in die Hände.
„So, jetzt mut es aber raus. Sonst überlegst det dir noch anners und kriechs wieder zu den Wichser hin, ders dir wech machen will.“
„Schau´n dich an.“, kicherte sie und drehte sich um. Maria sah den Mann ohne Beine, der mit den Händen an das Türkreuz genagelt war.
Direkt neben Dieter.
„Nicht.“, flüsterte Maria.
„Isser nich och ne reine Seele?“, fragte die Stationskrankenschwester. Sie drehte sich um und Maria sah ihr in die rotglühenden Augen, und sie sah, wie sich ein gewaltiger Schwanz anstatt einer Zunge zwischen ihren Lippen wand.

„Erkennste mich?“, fragte er. Und er senkte sein Gesicht zwischen ihre Beine.
„Wart meen Dern.“, flüsterte er.
„Gleich erkennste mich.“







„Lass mich immer an Dich denken und vergiss mich nicht, bis ich Deine Schönheit“( in der Hölle)“ schaue, wo ich Dich noch weit mehr loben und lieben werde, Du meine Mutter und Königin!

Gepriesen sei die heilige, Unbefleckte Empfängnis!“
 

bluesnote

Mitglied
Wie ich vom Flussgrund erfuhr.

Hallo Marcus

Wie ich vom Flußgrund erfuhr.

Die Details finde ich lebensnah beschrieben.
Die mundartlichen Dialoge passen hervorragend zu der Geschichte. Der vorletzte Absatz verwirrte mich zunächst etwas, doch das Ende ist unerreicht. Klasse!
Dieser Text hebt sich ab von den ewigen Vampiren und Co.
Hier merkt man, es braucht nicht immer Blutorgien, um Horror zu verbreiten.

Den Geruch eines Flusses beschrieb auch Peter Straub in seinem Roman – Schattenbrüder - .

Viele Grüße
 
Hi bluesnote,
dir scheint die Geschichte gerade besser als mir zu gefallen. Der Schluss hat dich verwirrt. Zum Schluss hat mich der Schluss auch verwirrt. Ich habe das ungute Gefühl, als wäre er nur aufgesetzt, als käme er zu schnell, nicht von der Handlung erzwungen. Es kommt mir vor, als hätte ich ihn erzwungen.

Deine Meinung läßt mich etwas ruhiger darüber denken.
Gruss Marcus
 
K

kuschelmuschel

Gast
Moin Marcus,

Die Geschichte ist wirklich prima geschrieben. Gefällt mir besser als deine letzte Horrorgeschichte.

Aber der Inhalt ist irgendwie nicht stimmig. Erscheint mir zumindest so. Und vor allem, kann es sein, dass du einfach nichts recht wußtest wie es enden soll? Und dann einfach irgendwas geschrieben hast?
Mir kommt es so vor, als hast du ein paar Fäden, die nur zum Spannung aufbauen da sind, aber ansonsten..., Vielleicht könntest du den Mann ohne Beine einfach durch Dieter ersetzten, schon mal eine überflüssige Person weniger.

Viele Grüße

Michael
 
Hallo Micha,
deine Bedenken wegen der Handlung habe ich auch schon gehabt. Auf jeden Fall, was das Ende angeht. Ich kanns eigentlich selber nicht ab, wenn zum Schluss einer einfach ans Kreuz gehauen wird - "so, jetzt is wieder jut".
Das mit Dieter und dem ohne Beine, sie zu einer Person umzufunktionieren, wird schlecht gehen, werds aber überdenken. Schließlich baumeln sie zusammen am Kreuz.
Aber ich glaube, das klappt nicht. Vielleicht wäre für Dieter ein alternatives, erklärendes Ende gut.
Obwohl? Wenn Dieter Jesus, will heißen, Gott wäre, das wäre ja fast abgefahrener, als der Mann ohne Beine.

Oh man, Dieter steh mir bei!

grüsse
 
Hallo Marcus,

am Anfang dachte ich, nicht schon wieder, zwar gefallen mir deine Geschichten gut, aber irgendwie war es wie immer...
Und plötzlich hatte ich die Geschichte durchgelesen. Sehr beklemmend und apokalyptisch. Ich finde auch, das Ende kommt ein wenig schnell, ich hätte gerne mehr erfahren, ich hätte auch gerne weitergelesen.

Aber ich war trotzdem beeindruckt. Gute Geschichte mit einem plötzlichen Ende. Vielleicht gibt es ja irgendwann eine lange Fassung.

Bis bald,
Michael
 
Hallo Michael,
man, ich liebe dieses "oh nein, nicht schon wieder!".
Schön, daß die Geschichte in ihrem Großteil so gut aufgenommen wird. Daß ich die Geschichte noch überarbeiten werde scheint mir immer klarer zu werden. Obwohl sie eigentlich nur dazu dienen sollte, um mich dem Thema Apokalypse zu nähern. Das Thema ist so alt, daß es immer wieder Ecken und Nieschen gibt, in die noch kein Licht gefallen ist. Jedenfalls aus dem Grund, weil es so oft bearbeitet wurde, daß man nie weiß, in welche Ecke denn schon einmal Licht fiel.

Danke für das feedback, es ist unheimlich wichtig, um beim Schreiben nicht den Faden zu verlieren.

unheimliche Grüsse
Marcus
 

Zefira

Mitglied
Puh! Das ist schon starker Tobak...

Ich finde nicht, daß es mehr "Linie" braucht. Mir gefällt gerade das Kryptische, Traumhafte daran. Eine Horrorgeschichte, wie ich sie mag. Großartig!

*genießerisch schüttel*
Zefira
 
Hallo Zefira,
schön, daß auch dir die Geschichte gefallen hat. Das Problem mit der Linie scheint sich langsam aufzulösen. Ich meine, mir kam der Schluss von Anfang an etwas überfallartig vor. Jetzt habe ich mich einfach hingesetzt und weitergeschrieben. Weiß nicht, ob es dadurch besser oder schlechter wird. Wenn sie fertig ist, überlasse ich die Entscheidung gerne Euch.
Das Experiment scheint mir wichtiger, als die Geschichte selbst.

Trotzdem freue ich mich, daß sie dir so gefallen hat, wie sie jetzt ist.

Grüsse
Marcus
 



 
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