Und dann erzählt Frau Teekanne ...

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deni

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Stell dir das kleine Häuschen von Herrn und Frau Müller auf dem Hügel am Rande der Stadt vor. Es ist umgeben von Obstbäumen und in dem schönen, großen Garten siehst du die verschiedensten Sträucher und Blumen. Stell dir das Innere des Häuschens vor: Die Küche, in der Frau Müller gerade einen Kuchen bäckt, das Wohnzimmer, das Bad, das Schlafzimmer, den Keller und die Garage, in der Mr. Müller gerade den Rasenmäher repariert und ... – hörst du nicht auch Stimmen? Stimmen? – aber ja! Der Dachboden. Natürlich. Willst du wissen, wer denn da auf dem Dachboden so viel zu erzählen weiß? Das kann ich dir verraten: Der uralte Schwarzweißfernsehapparat, der schon lange ausgedient hat, der kaputte Toaster, der noch gar nicht so lange dort oben ist, der Plattenspieler, für den es keine Platten mehr gibt, die alte, schmutzige, zerrissene Decke, deren andere Hälfte jetzt als Putzlappen dient und natürlich – denn wieso sollte die Geschichte sonst so heißen? – die gute, alte Frau Teekanne, ohne Henkel zwar, aber doch. Noch immer Stimmen aus dem Dachboden. Freilich. Denn was hat altes Gerümpel, das zu nichts anderem mehr gut ist, denn schon anderes zu tun, als den lieben langen Tag zu reden, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen und an die guten, alten Zeiten zu denken?

„Das ist doch gar nichts!“ Die tiefe Stimme des Fernsehapparates donnerte durch den ganzen Dachboden. „Ich wäre einmal fast auf dem Schrottplatz gelandet und das nur, weil ich einen einzigen Tag lang nicht funktioniert habe! “ Der alte, grimmige Fernsehapparat wurde immer sehr schnell böse, wenn jemand versuchte, ihm die Show zu stehlen. Und dieser Toaster, der erst vor noch gar nicht langer Zeit auf dem Dachboden gelandet war, ärgerte ihn mit seinen Aufschneidergeschichten besonders. Nur bei den Geschichten von Frau Teekanne machte der Fernsehapparat eine Ausnahme.
„Oh, wie furchtbar! Auf dem Schrottplatz muss es schrecklich sein!“ rief der Plattenspieler jetzt und machte ein ängstliches Gesicht.
„Da können wir eines Tages noch immer landen“, meinte der Fernsehapparat ruhig und beobachtete den Plattenspieler, der ganz bleich geworden war.
„Du bist gemein!“, mischte sich die zerlumpte Decke ein, „mach’ ihm doch nicht solche Angst.“ Der Fernsehapparat beachtete sie gar nicht, sondern wandte sich an Frau Teekanne, die ganz ruhig dagesessen und den anderen zugehört hatte. „Willst du uns nicht eine Geschichte erzählen?“ Frau Teekanne erzählte abends immer eine Geschichte. Das war die einzige Zeit, in der sich mal niemand stritt, in der alle ganz ruhig waren und den Erlebnissen von Frau Teekanne lauschten. Zugegeben, nicht alles was die liebe, alte Frau Teekanne da so erzählte, stimmte auch ganz, aber wer will ihr das übel nehmen, wenn es doch nur der höheren Spannung diente?
„Gut“, sagte Frau Teekanne jetzt, „ich will euch etwas erzählen, das mir als ganz, ganz junge Teekanne passiert ist.“ Es wurde ganz leise, alle machten es sich gemütlich und Frau Teekanne begann zu erzählen: „Ich gehörte damals einem jungen Ehepaar, das gerade dabei war umzuziehen...“
„Wohin sind sie denn gezogen?“, unterbrach sie der Toaster unhöflich.
„Willst du die Geschichte nun hören oder nicht?“, fragte Frau Teekanne zurück, „Wohin sie gezogen sind ist ganz unwichtig. Also, wo war ich? Ach ja, sie waren gerade dabei umzuziehen und packten deshalb ihre Sachen. Mich wollten sie noch im Auto unterbringen, aber das war schon so voll, dass sie mich gemeinsam mit ein paar anderen Sachen auf das Autodach luden und mit einem Seil festbanden.“
„War das nicht gefährlich?“, fragte diesmal die Decke dazwischen.
„Natürlich war es das. Hör zu... Wir fuhren also los, ich auf dem Dach festgeschnallt, und nach einer Weile kam ein sehr holpriges Wegstück. Ich wurde durchgerüttelt und geschüttelt, bis ich schon dachte, gleich werde ich in tausend winzige Scherben zerspringen. In dem Moment merkte ich plötzlich, wie ich in weitem Bogen durch die Luft geschleudert wurde.“
„Oh, Gott!“, entfuhr es der Decke, aber sie war gleich wieder still und wartete darauf, dass Frau Teekanne fortfuhr.
„Das Seil war gerissen!, ging es mir durch den Kopf, aber ich konnte nichts mehr tun. Ich flog durch die Luft. Bäume und Himmel und Häuser sah ich vorbei sausen. Grün und Braun und Blau und Grau vermischten sich vor meinen Augen bis ich schon fast ohnmächtig wurde, solche Angst hatte ich. Und dann war es auf einmal vorbei. Ich wusste erst gar nicht, was los war. Wo bin ich denn hier? Mir war plötzlich ganz kalt und um mich war es dunkel. Wasser. Ja, ich war im Wasser gelandet. Welch ein Glück, ich war noch heil.“
Der Fernsehapparat atmete hörbar die Luft aus, die er die ganze Zeit angehalten hatte, sonst waren alle mucksmäuschenstill. „Als ich wieder auftauchte, erkannte ich, dass ich in einem kleinen Fluss gelandet war. Am Ufer standen Bäume, die ihre langen Äste ins Wasser hängen ließen. Ich versuchte sogleich, mich an einem der Äste festzuhalten und mich aus dem Wasser zu ziehen. Ich probierte es so lange, bis ich müde wurde. Es gelang mir einfach nicht. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mich weiter treiben zu lassen. Das Wasser floss ganz langsam dahin und es war eine ruhige Fahrt. Ich machte die Augen zu und ließ mich auf den Wellen schaukeln. Ich dachte an das junge Ehepaar und wie sie jetzt ohne mich in das schöne, neue Haus einziehen würden. Und ich fragte mich auch, wohin mich dieser Fluss wohl bringen würde. Aber das ließ ich gleich wieder bleiben, denn diese Frage machte mir zuviel Angst.“
„Und wie ging es dann weiter? Hat dich jemand aus dem Wasser geholt?“, der Fernsehapparat konnte seine Neugierde nicht mehr zügeln. Frau Teekanne überhörte seine Frage einfach. „Ich war schon eine ganze Weile im Wasser, meine Augen hatte ich geschlossen und gerade war ich dabei langsam einzuschlafen, als plötzlich...“
„... ein Wasserfall vor dir aufgetaucht ist?“ Der Plattenspieler sah sie aus weit aufgerissenen Augen furchtsam an. „Aber nein!“ rief Frau Teekanne, „lasst mich doch meine Geschichte zu Ende erzählen!“ Murmelnde Entschuldigungen waren zu hören und endlich fuhr Frau Teekanne fort: „Ich trieb im Wasser und war ganz müde und erschöpft, als ich plötzlich Stimmen hörte. Ich wollte zuerst meine Augen gar nicht öffnen, weil ich dachte, das waren sowieso nur Spaziergänger, die mir nicht helfen konnten. Aber dann schlug ich sie doch auf und konnte es nicht glauben, als ich am Ufer ....“ Frau Teekanne machte eine Pause um erneute Zwischenrufe abzuwarten, aber erstaunlicherweise waren alle ganz ruhig und sahen sie nur gespannt an.
„... Am Ufer sah ich das junge Ehepaar! Meine Besitzer! Die Frau breitete gerade eine Decke aus, stellte einen Picknickkorb darauf ab und fing an die Sachen auszupacken, die sich darin befanden. Ihr Mann saß am Ufer und schaute ins Wasser. Zuerst sah ich nicht, was er da tat, bis die Angel, die er in seiner Hand hielt, in der Sonne aufblitzte. Konnte ich wirklich soviel Glück haben? Aber wie sollte ich ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken? Allein würde ich nicht aus dem Wasser kommen und die Zeit lief mir davon. Nur noch zwei, drei Meter und ich wäre an ihnen vorbei geschwommen und könnte nichts mehr tun. Mein Plan war schnell gefasst. Im Nu füllte ich mich mit Wasser und versank. Ich tauchte zu der Angelschnur, die ins Wasser hing und befestigte meinen Henkel – damals hatte ich ja noch einen – am Angelhaken. Da spürte ich auch schon, wie ich langsam nach oben gezogen wurde. Ihr hättet das überraschte Gesicht des Ehemanns sehen sollen, als er mich vom Angelhaken befreite!“, lachte Frau Teekanne. „Er sah ganz verwirrt drein, aber noch verdutzter war seine Ehefrau. Denn für sie war ich nicht nur irgendeine Teekanne, die jemand ins Wasser geworfen hatte, sondern sie erkannte mich sofort! „Aber das gibt es doch gar nicht! Das ist ja unsere Teekanne. Wie ist das denn möglich? Wie kommt die nur hier ins Wasser?“ rief sie erstaunt aus. Tja, das war ein Rätsel, das sie bestimmt bis heute nicht gelöst haben. Ich jedenfalls war heilfroh. Ich hatte nicht einen Kratzer abbekommen und als das junge Ehepaar sich wieder auf den Weg machte, banden sie mich nicht mehr auf dem Dach fest, oh nein, die Ehefrau hielt mich die ganze Zeit fest in ihren Händen!“
„Und das ist dir wirklich passiert?“, fragte die Decke staunend.
„Natürlich, genau so war das damals.“ Frau Teekanne seufzte. „Ach, das ist ja schon so lange her!“
„Was erzählst du uns denn morgen? Kannst du uns nicht einmal eine Detektivgeschichte erzählen oder ...“
„Nein, eine Liebesgeschichte!“ unterbrach die Decke den Fernsehapparat, „eine Liebesgeschichte wäre toll!“
„Nicht doch,“ warf der Plattenspieler ein, „ich möchte eine Geschichte mit einem Plattenspieler in der Hauptrolle.“
„Und ich möchte am liebsten...“, der Toaster überlegte, „ ... eine ganz lustige Geschichte. Etwas zum Lachen...“
„Soso“, sagte Frau Teekanne nur, „mal sehen. Habe ich euch schon einmal erzählt, wie ich mir meinen Henkel abgebrochen habe? Ich glaube, bei dieser Geschichte ist für euch alle etwas dabei.“

Nun. Es ist schon spät. Wenn du im Dachboden von Herrn und Frau Müller aus dem Fenster schaust, siehst du, dass es bereits dunkel ist. Nur der Mond und ein paar Sterne erhellen den Himmel. Stell dir vor, wie es langsam ruhig wird im Haus. Herr und Frau Müller sind schon zu Bett gegangen. Der Backofen ist ausgeschaltet, der Rasenmäher repariert. Im ganzen Haus sind die Lichter ausgegangen. Es ist ganz still. Und auch vom Dachboden hörst du kein Geräusch. Aber was sollte man da auch schon hören? Dort oben ist doch nur altes Gerümpel, das keiner mehr braucht. Ein uralter Schwarzweißfernsehapparat, ein kaputter Toaster, ein nutzloser Plattenspieler, eine schmutzige, zerrissene Decke und eine alte, unbrauchbare Teekanne mit vielen Sprüngen und ohne Henkel.
 

deni

Mitglied
*betriebsblind*

Hallo hera,

tut mir leid, wegen der Fehler. Ich hoffe, ich habe nichts mehr übersehen...

Vielen Dank :)

liebe Grüße
 



 
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