Und jeden Tag ein kleines Glück (Tag 13-16)

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Astrid

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Die liebe Technik
Tag 13
Mir blieb fast das Herz stehen, als ich am Morgen den Computer einschaltete, um mit meiner Arbeit zu beginnen. Er blieb dunkel. Nur eine weiße Schrift im oberen Teil des Bildschirms wies mich darauf hin, dass eine Datei nicht auffindbar oder beschädigt sei. ‚Ganz ruhig bleiben’, dachte ich, ab und an hatte er schon mal etwas Anlauf benötigt. Ich schaltete ihn also wieder aus, wartete einen Moment, drückte erneut die Starttaste. Gleiches Bild. Gleicher Schreck. Das war wieder so eine Situation, die mich daran erinnerte, doch regelmäßig Sicherheitskopien wichtiger Dateien anzufertigen zu wollen.
Fast erschreckend stellte ich fest, wie sehr dieser PC mittlerweile Bestandteil meines Lebens geworden war und wie abhängig ich von ihm. So sehr, dass ich in mir einen Stich spürte wie bei einem Verlust. Ich ärgerte mich doppelt. Über diese Emotion und über den Schaden. Wie konnte es passieren, dass mir das so nahe gehen würde?
Zum Glück konnte ich mich nicht den ganzen Tag mit diesem Dilemma beschäftigen, da lebende Familienmitglieder meine Zuwendung benötigten. Ich besuchte meine Eltern, half beim Einkauf und dachte nicht mehr so sehr an den sprachlosen Computer.
Als ich wieder Zuhause war zog ich aus den hinteren Sphären der Wohnung den alten Laptop hervor, der wirklich nur zum Zwecke des Schreibens noch diente. Den Gedanken, doch einfach Hand und Stift zu benutzen, schob ich weit von mir. Das bliebe meine allerletzte Möglichkeit - ich war auf der Tastatur zu Hause.
Wie dankbar war ich also, als schließlich ein Freund meines Sohnes meinen sprachlosen Computer wieder zum Reden brachte und ich alle Dateien unbeschadet wieder fand.
Noch am gleichen Abend begann ich mit einer sorgsamen Archivierung meiner wichtigsten Texte. Positiver Nebeneffekt dabei – ich sah, was ich bereits geschaffen hatte.
Dann nahm ich mein Notizbuch, einen Stift und begann zu schreiben…


Der Dino auf der Welle
Tag 14

Als ich am frühen Morgen in den Himmel schaute, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen – da schwamm doch tatsächlich ein Dinosaurier auf einer Welle.
Schon als Kind hatte ich es geliebt, in den Wolken Figuren, Menschen oder Tiere zu entdecken. Und heute sah ich sehr deutlich Mister Scharfzahn. Er schwamm von rechts nach links und wurde vom Wind getrieben. ’Ja, das macht dir Freude, auf einer Welle zu schwimmen’, dachte ich, ’wenn du weißt, das Wasser trägt dich sicher und bringt dich sanft dabei vorwärts.’
Welch ein Glücksgefühl ist es doch auch für uns, wenn wir auf einen Menschen treffen, mit dem wir unsere Gedanken und Träume teilen können, der uns versteht und wir empfinden es als Glück, mit ihm zu arbeiten oder die Freizeit zu verbringen. Wenn wir beide auf einer Welle schwimmen.

Dieser Tag führte mich zu einer Schriftstellerin und Grafikerin - eine sehr bescheidene und herzliche Frau. Das Cover meines ersten Buches stammte von ihr. Stets, wenn ich zu ihr kam, gab sie mir etwas - eine Frucht, eine Süßigkeit. Wenn ich sie darauf aufmerksam machte, dass ich ihr auch gern etwas geben wolle, aber sie ja nichts annehme, winkte sie nur ab. „Du gibst mir doch soviel! Du liest meine Texte, verstehst meine Gedanken und bist auch immer da, wenn ich dich brauche. Wir schwimmen doch auf einer Welle.“

Als ich spätabends zu Bett ging, musste ich einfach noch mal in den Himmel schauen. Der Dino war natürlich nicht mehr zu sehen. Er war wohl angekommen. Dank der Welle.



Vom Geben und Nehmen
Tag 15

Man hatte mich gebeten, während einer Veranstaltung ein paar meiner Texte zu lesen, was ich auch sehr gern tat. Es war ein gut gemischtes Programm. Als ich an der Reihe war, kostete ich es wieder aus bis zur Neige, dieses Prickeln wie Sekt auf meiner Haut, wenn ich sah, dass die Zuhörer an meinen Lippen hingen, das nächste Wort kaum erwarten konnten oder wenn sie an den richtigen Textstellen lachten und ich mich verstanden fühlte. Wenn sie applaudierten. Dann fühlte ich mich reich beschenkt!
Nach mir berichtete eine Frau von ihrer Reise in ein Entwicklungsland. Sie war im Rahmen eines Hilfsprojektes dort. Ihre Worte und ihre ergreifenden Bilder zeigten uns eine völlig andere Welt, zeigten Armut und Hilfebedürftigkeit. Der Applaus galt ihrem Engagement. Was sie durch ihre Arbeit von den Menschen dort zurückbekam, machte sie unendlich reich.
Für einen kurzen Moment fühlte ich mich klein ihr gegenüber, schämte mich meiner glücklichen Gefühle während der Lesung. Wie wenig wog doch ein Gedicht gegen ihre konkrete Hilfe? Ich bewunderte sie, doch bevor ich es ihr sagen konnte, kam die Frau zu mir an den Tisch und kaufte mein Buch. „Sie haben Worte gefunden für das, was ich empfinde, aber nie so ausdrücken könnte. Ich bewundere das.“
Als ich mich verabschiedete, schob ich einen Schein in die von ihr aufgestellte Spendenbox und gab ihr die Hand. „Und ich bewundere Sie.“

Ich glaube, es ist nicht entscheidend, ob es ein kleines Gedicht ist oder eine Hilfe dort im Land, entscheidend ist, dass wir etwas geben. Und jeder gibt das, was er kann.













Volles Haus im Park
Tag 16

Welch wundervoller Tag! Ein kleiner Temperatursturz brachte uns klare kalte Luft und Sonnenschein und Sonnenschein und noch mal Sonnenschein!
Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich die in den letzten Tagen so sehr Vermisste am Vormittag noch hinter den Jalousien aussperren musste. Aber sie schien mir sonst direkt ins Gesicht, während ich vor dem Bildschirm saß. Doch mit dem letzten geschriebenen Satz riss ich die Sonnenschützer hoch und ließ das Licht den Raum erobern. Nun gab es für mich nur eines - raus! Durchatmen, die kalte Luft in Herz und Kopf und Seele pumpen. Leben.
Aber was war das? Statt einsamer Wege, auf denen ich hoffte, meinen Gedanken freien Lauf lassen zu können, empfing mich eine regelrechte Völkerwanderung. Doch war es verwunderlich? Hier spürte man einmal mehr, wie sehr wir Menschen die Sonne brauchten. Freundliche Gesichter, lächelnde Menschen, sich angeregt unterhaltend oder einfach nur schweigsam Hand in Hand, Familien mit Kindern begegneten mir. Und das Vogelkonzert dazu - man fühlte sich wie im Frühling.
Ich fand letztendlich doch noch einen kleinen Weg, auf dem ich allein ging. Er führte einen Hügel hinauf, den die Kinder im Winter als Mini-Rodelberg nutzten. Oben angelangt, stand ich auf der Wiese, breitete die Arme aus und sah in den Himmel, der von so einem fantastischen Blau war, dass man ihn auf einer Postkarte kitschig gefunden hätte. Über mir unterbrach ein schneeweißes Flugzeug die reine Farbe und zauberte Urlaubträume herbei. Es blies ein kleines Windchen und ich fühlte mich wie ein Drachen, der gleich fliegen würde.
Für einen Moment wurde ich überwältigt von Dankbarkeit, dass ich dort stehen durfte, die Sonne und den Himmel genießen konnte.
Dass ich bin.
 



 
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