Ungewöhliche Gäste

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sylvanamaria

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Ich hörte die Frau an der Kasse vor mir zu der Kassiererin sagen:" Ja, ich kaufe mehr ein als sonst. Wir haben jetzt auch zwei Mäuler mehr als sonst zu stopfen." Auf dem Band türmten sich Unmengen von Gemüse,Keksen,Vollkornprodukten,Obst und Windeln. Die Kassiererin blickte erstaunt auf. Sie war neu,denn jeder Einheimische im Ort kannte Frau Marten, die als Tierärztin im Zoo arbeitete. Sie hatte schon des öfteren tierische Gäste beherbergt. Gut in Erinnerung war geblieben der Ausbruch der Schnappschildkröte und die darauf folgende nicht ganz ungefährliche Suche, an der sich der ganze Vor-ort beteiligte. Diese Schildkröte war ein besonders in-telligentes und freiheitsliebendes Tier gewesen und wollte um keinen Preis einfangen werden. Ein Helfer hätte fast einen Finger eingebüßt, denn Schnappschildkröten sind wie ihr Name sagt, gut im Schnappen mit einer immensen Kraft hinter den Kiefern. Jeder konnte sich auch gut an die niedlichen Wolfsjungen erinnern, die von ihrer Mutter verstoßen worden waren. Es gab zahlreiche Bisse und böse Kratzer, bis die Kleinen verstanden hatten eine Flasche
zu nuckeln. Auch die kleine Lamadame, deren Mutter kurz nach
der Geburt verstorben war, hatte sich allgemeiner Beliebtheit erfreut, besonders unter den Kindern.
Nun beherbergte die Villa Kunterbunt zwei kleine Schim-pansen: Roy und Janet. Die Vorgeschichte war mir bestens bekannt, da an diesem Tag Frau Marten aufgeregt an meiner Tür geklopft und mich gebeten hatte , auf ihre beiden Töchter aufzupassen.Es war ihr freier Tag gewesen, aber im Zoo hatte es eine Zwischenfall gegeben. Diesmal war es unmöglich, die Kinder mitzunehmen.
Eine Gruppe Jugendlicher hatte Steine und Äste in das Affen
gehege geworfen, um die ihre Mittagsruhe haltenden Tiere "in
Aktion" zu sehen. Bei der darauf folgenden Hetze griff Trixi, die Affenmutter, im Bemühen, ihren Nachwuchs zu schützen, neben das Kletterseil und stürzte auf einen der Ruhesteine. Die kleinen Schimpansen klammerten sich panisch am Fell ihrer Mutter fest und jammerten ununterbrochen mit
hohen Stimmen. Überall war Blut. Die Affengruppe selbst hatte sich auf die höchsten Plätze verzogen und bis auf die Schreie der Kleinen herrschte im sonst so lebhaften Affengehege eine gespenstische Stille. Trixi lag mit verdrehten Gliedmaßen auf dem Boden und bemühte sich die durch die Bewegungen der kleinen Affen hervorgerufenen Schmerzen auszugleichen. Die Situation ließ Schlimmes befürchten. Es war unmöglich, die klammernden Hände aus dem Fell der Mutter zu lösen . Frau Martens blieb nichts anderes übrig, als kleine Betäubungsspritzen ein zu setzen. Die kleinen schlaffen Körper wurden in einer gut ausgepol-sterten Transportkiste an einen ruhigen dunklen Ort ge-bracht. Es würde beim Aufwachen noch genug Streß entstehen.
Trixi beobachtete die ganze Aktion und schien zu wissen, dass ihre Kinder in guten Hände waren. Die folgende Untersuchung gab für Trixi teilweise Entwarnung. Es bestand keine unmittelbare Lebensgefahr, jedoch war das Becken ge-brochen und Trixi brauchte mindestens zwei Monate absolute Ruhe. Und da kam Frau Martens Gastservice ins Spiel.
Dies war vor etwa zwei Monaten gewesen. Trixis Genesung mach
te Fortschritte, aber es würde noch einige Zeit dauern, bis sie wieder mit ihrem Nachwuchs tollen würde.
Vor mir hörte ich die fröhliche Stimme von Frau Marten. "Da kommen ja meine Kinder." Je ein Mädchen mit einem Affen an der Hand betrat den Laden. Die Kassiererin wusste nicht, wie sie reagieren sollte, aber irgendjemand würde ihr die Geschichte schon erzählen: die spannende Geschichte von Frau Marten, die dem beschaulichen ruhigen Vorort mit den gepflegten Gärten und rotbedeckten Häusern etwas Besonderes gab.
 



 
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