Unser Jahrestag

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Unser Jahrestag
Seit einer Stunde war sie im Badezimmer. Es war Jahre her das sie sich für jemanden hübsch machte und so gut wie an diesem Tag war es ihr noch nie gelungen.
Eilig ging sie auf den Fersen vom Badezimmer ins Schlafzimmer. Sie wollte den frischen Nagellack nicht verschmieren. Bei ihrem Wäschefach angelangt durchwühlte sie die Schubladen nach einem Dessous-Set. Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern wann sie das letzte Mal so nervös war. Heute sollte alles perfekt sein. Während sie ihren transparenten Hauch von Nichts anzog, ging sie in Gedanken zum mindestens zwanzigsten Mal an diesem Tag die Check-Liste durch. Sie hatte sich schon ihren Körper nahezu komplett enthaart. Die Frisur hatte sie zu einem kleinen Kunstwerk geformt und dank des vielen Haarsprays würde sie den Abend problemlos überstehen. Geschminkt hatte sie sich ebenfalls schon, doch sie entschied den Lidstrich noch einmal nachzuziehen. Nachdem sie sich komplett angezogen hatte ging sie zum wahrscheinlich hundertsten Mal zum Spiegel um zu kontrollieren ob sie in den letzten fünf Minuten auch nicht zugenommen hatte. Doch sie stellte mit einem zufriedenen Nicken fest, dass sie optisch Bereit war für ihr Treffen.
Sofort nachdem sie das Lokal betrat sah sie ihn. Ihre Blicke trafen sich und schienen sich aneinander festzusaugen. Lächelnd kam er ihr entgegen, nahm ihr den Mantel ab. Ein paar anerkennende Worte raunte er ihr zu. Es waren genau die richtigen. Mit sanfter Dominanz führte er sie zu dem von ihm ausgewählten Tisch. Sie ließ es zu. Alles war so vertraut als sie sich an dem kleinen runden Tisch gegenübersaßen. Ihre Blicke suchten sich. Die Hände liebkosten sich in der Tischmitte. Sie schnappte einen Hauch seines Aftershaves auf. Er hatte noch immer dasselbe. Seine Augen funkelten wie immer, wenn er einen seiner mittelprächtigen Scherze erzählte. Doch sie lächelte diesmal auch.
In stiller Harmonie sahen sie in die brennende Kerze, hielten sich an den Händen und hingen beide demselben Gedanken nach.
„Seltsam, wie gut wir uns jetzt verstehen. Ein Jahr nach unserer Scheidung.“
 
Hallo Lady_of_words!

Das Beste was ich sagen kann: Der Text überfordert den Leser nicht. Er könnte in einer Illustrierten als Happen zwischendurch stehen. Verstehe mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen solche Unterhaltung mit abschließender Pointe. Wie die Verliebt-Geschiedene da auf Fersen läuft, fand ich witzig. Das ist das Zeug, aus dem solche Texte sein können. Da könnte und sollte man allerdings mehr aus dem Text herausholen. Vergessen wir, dass du es mit der Kommasetzung nicht so hast. Nein, ich flehe dich auf Knien an: Hole den Salzstreuer aus der Küche und streu ein paar Kommas in deinen Text, bitte an den richtigen Stellen. Schon wird die Suppe bekömmlicher.

Hier schon vorab eine kleine Prise Kommata in Rot:

Unser Jahrestag
Seit einer Stunde war sie im Badezimmer. Es war Jahre her [red], dass[/red] sie sich für jemanden hübsch machte[red],[/red] und so gut wie an diesem Tag war es ihr noch nie gelungen.

Bei ihrem Wäschefach angelangt[red], [/red] durchwühlte sie die Schubladen nach einem Dessous-Set.

Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern[red], [/red]wann sie das letzte Mal so nervös war.


Wichtiger ist die Sprache: Da darf der Leser mehr Sorgfalt und Originalität in den Bildern erwarten.

„Die Hände liebkosten sich in der Tischmitte.“
Wow! Da sind die Hände den beiden turtelnden Geschiedenen etwas ab-hand-en gekommen. Auch frage ich mich ehrlich, ob Hände sich liebkosen können. Mann und Frau können sich – auch mit Hilfe ihrer Hände – liebkosen. Aber doch bitte nicht die Hände selbst, es sei denn, der ganze Text baute auf so einer Sichtweise auf.

In stiller Harmonie sahen sie in die brennende Kerze, hielten sich an den Händen und hingen beide demselben Gedanken nach.
„Seltsam, wie gut wir uns jetzt verstehen. Ein Jahr nach unserer Scheidung.“

Da scheint mir das Ende doch etwas zu unglaubwürdig harmonisch. Wie gesagt, von mir aus nimm diese Pointe, aber es fehlt ein bisschen Kontrapunkt. Ein kleiner Schatten, ein kleines (oder ein GROSSES) Missgeschick, das alles etwas natürlicher und glaubhafter macht.
Sprachlich auch etwas eigenartig: „hielten sich an den Händen“. Das tut man eher nur beim Ringelreihen oder beim gemeinsamen Laufen, aber selten in einem Restaurant über den Tisch hinweg, dafür ist der Ausdruck m.E. zu stark. Du meinst sicher, dass er ihre oder sie seine Hand vorübergehend hielt oder berührte oder dass er ihre Hand auf seine legte. (Abgesehen davon, dass sich die Hände kurz vorher noch ganz anders verhielten - sich nämlich "liebkosten".)

Auch fallen die beiden Schlusssätze für mich zu sehr (und der zweite zu erklärend) mit dem Effekt ins Haus. Und „nachhängen“ wird man solch einem kleinen Gedanken wie im Abschlusssatz gewiss selten im Restaurant und dann noch parallel in beiden Köpfen, es ist doch vielleicht eher ein Gedankenblitz oder etwas, was einem da flupps durch den Kopf geht, doch hängt man diesem Gedanken nach? Aber nun, das ist Ansichtssache.

Ich könnte mir vorstellen, dass da eine schöne Zwischendurchgeschichte entsteht zur Unterhaltung, wenn ich beim Friseur oder beim HNO-Arzt in einer Zeitung blättere – und das meine ich gar nicht ironisch oder negativ. Wer das schafft, seine Leser mit einem Histörchen zu fesseln, der hat schon für mich gewonnen. Es ist oft schwerer als die ganz großen Sachen. Aber die Geschichte kann ja auch nur das wollen, was ihr Ansatz hergibt.

Liebe Grüße

Monfou
 



 
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