Vampir?

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Arathorn

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Vampir?​

Ungeduldig warf Jon einen Blick auf die Uhr und trat von einem Fuß auf den anderen. Viertel nach drei. Gabriel hatte sich schon um eine Viertelstunde verspätet. Eigentlich undenkbar, denn sonst war er immer pünktlich. Überpünktlich sogar.
Ein Schüttelfrost durchlief Jons Körper. Ihm war kalt, obwohl er eine dicke Winterjacke trug. Kein Wunder bei Temperaturen von minus zehn Grad. Die Bäume des kleinen Parks, an dessen Eingang Jon stand, krümmten sich unter der erdrückenden Last des Schnees, der sich wie eine Daunendecke auch über den Rest der Landschaft ausbreitete.
In wirren Bahnen trudelten die Schneeflocken herab, ließen sich überall nieder, wo sie Platz finden konnten. So verletzlich sie als Einzelne waren, so gefährlich wurden sie als Ganzes. Durch sie lebte der Winter. Sonst wäre es einfach nur kalt gewesen.
Jon seufzte resignierend, zog den Kopf weit zwischen die Schultern ein und vergrub die in dicken Handschuhen steckenden Hände in den Taschen seiner Jacke. Er sah sich in alle Richtungen um, doch keine Spur von Gabriel. Genau genommen konnte er gar niemanden erkennen. Vielleicht lag es an dem immer dichter werdenden Schneegestöber, das den Blick auf wenige Meter beschränkte, vielleicht aber auch daran, dass er der einzige Vollidiot war, der bei diesen Temperaturen draußen vor dem Park herumstand.
Doch Gabriel war sein bester Freund, er hätte ihn nicht einfach zum Spaß warten lassen, nur damit er sich den Arsch abfror. Er hatte sich mit ihm treffen wollen. Genau hier, oder? Ja, Jon war sich ganz sicher. Und er hatte ihm etwas mitteilen wollen. Etwas Wichtiges.
So etwas war ihm bisher noch nie untergekommen. Er fummelte mit steifen, ungelenken Fingern in seiner Tasche herum, doch, verdammt, wo war nur sein Handy? Er hatte es also schon wieder vergessen. Wie konnte es auch anders sein? Mit einem weiteren Seufzen beschloss er, noch fünf Minuten zu warten. Dann würde er gehen. Bestimmt hatte sich Gabriel nur wegen dem Schnee verspätet, oder es war ihm etwas dazwischengekommen. Etwas sehr wichtiges, sonst hätte er Jon nicht einfach sitzen gelassen. Erreichen und ihm Bescheid geben hatte er ihnen natürlich nicht können, doch daran trug er wohl alleine die Schuld.
Noch einmal fröstelte Jon und schlang beide Arme um den Körper. Wärmer wurde ihm davon nicht. Doch er wartete. Vergebens. Nach fünfzehn Minuten war Gabriel noch immer nicht erschienen, und so schnell ihn seine Füße trugen, begab sich Jon auf den Heimweg. Mit Sicherheit würde sich die ganze Sache schnell aufklären. Es würde eine einfache Lösung geben, und alles wäre wieder gut.

Am ganzen Körper zitternd und durchgefroren bis auf die Knochen betrat er schließlich die Wohnung. Nur mit Mühe war es ihm gelungen, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und ihn herumzudrehen. Nachdem er sich bei einer Tasse heißen Kakaos aufgewärmt hatte, versuchte er, Gabriel anzurufen. Einmal, zweimal, dreimal. Kein Ergebnis, nur die Mailbox.
Zuerst dachte er, irgendetwas wäre mit seinem Handy nicht in Ordnung, doch auch über den Festnetzanschluss konnte er kein Ergebnis erzielen. Was war nur los? Die Sache wurde immer seltsamer und, wenn er ehrlich zu sich selbst war, auch unheimlicher, und Jon fand einfach keine Antwort oder Erklärung auf die drängende Frage, was denn nun eigentlich los war.
Den ganzen Nachmittag grübelte er darüber nach und versuchte immer wieder, Gabriel zu erreichen, doch die Funkstille hielt an. Jon wurde immer unruhiger, auch ein wenig wütend auf Gabriel, obwohl er sich eigentlich nicht vorstellen konnte, dass dieser Schuld an der Sache war, und zu einer auch nur halbwegs vernünftigen Lösung kam er noch immer nicht. Schließlich schaltete er am Abend, noch immer aufgewühlt, die Nachrichten ein. Nur mit halbem Ohr verfolgte er die wichtigen Meldungen des Tages. Oder eben weniger wichtigen. Langweilig wie immer, nichts Neues oder Spannendes. Ihn interessierte im Moment keine Politik oder sonstiger Kram, denn er begann sich langsam ernsthafte Sorgen um seinen Freund zu machen.
Er hatte schon die Fernbedienung in der Hand und wollte gerade ausschalten, als plötzlich eine Eilmeldung eingeblendet wurde. Gerade erst angekommen. Er nahm den Finger vom Knopf und ließ sich in den Sessel zurück sinken. Mit großen, ungläubig geweiteten Augen und nunmehr wachem Geist verfolgte er die Meldung. Eine Leiche war gefunden worden, draußen, in der Nähe des Parks, bei dem er gewartet hatte. Draußen, in der arktischen Kälte.
Sein Herz setzte für einige Augenblicke aus, verkrampfte sich. Er vergaß zu atmen. Es war Gabriel, das wusste er instinktiv. Keine Frage. Die letzten Zweifel wurden ausgeräumt, als der Tote beschrieben wurde. Die Beschreibung stimmte haargenau, sogar die erwähnte Kleidung kannte Jon.
Ursache seines Todes waren laut der Nachrichtensprecherin nicht einmal die zahllosen Erfrierungen, von denen der gesamte Körper übersät war, sondern zwei tiefe Einstichwunden im Hals, die die Schlagader regelrecht zerfetzt hatten.
Sofort musste Jon an den Biss eines Vampirs denken. Gabriel hatte sich vor Vampiren gefürchtet wie vor der Pest, und bis jetzt hatte Jon nur darüber gelacht, doch schlagartig wurde das Ganze von einer vollkommen anderen Seite beleuchtet. Doch das konnte doch nicht sein, durfte nicht sein. »Es gibt keine Vampire«, murmelte Jon vor sich hin, immer und immer wieder. Seine Gedanken kreisten nur um dieses eine Thema, seltsamerweise blendete er dadurch sogar den Schmerz über den Tod seines Freundes aus.
Und es stimmte. Vampire oder andere übernatürliche Kreaturen gab es nicht, das war längst wissenschaftlich bewiesen. Blieb immer noch die Frage nach Gabriels Tod … Wieder hatte Jon keine Erklärung parat. Er zitterte am ganzen Körper, den genauen Grund wusste er nicht.
Irgendwie machte ihm die Sache Angst. Große Angst. Wer sollte Gabriel ermorden, und warum? Er hatte niemandem etwas getan, und dass es ein Vampir gewesen war, war seiner Meinung nach von vornherein ausgeschlossen. Unmöglich. Nicht relevant.
Ein wildes Tier? Auch unwahrscheinlich, welche wilden Tiere sollte es in einem Stadtpark schon geben? Nein, das kam nicht infrage.
Kalter Schweiß brach ihm aus, und ein dumpfes Gefühl der Furcht verbreitete sich in ihm, klemmte ihn ein, steigerte sich zu Panik, legte sich wie undurchdringlicher Nebel um seinen Geist, ließ ihn keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er schüttelte sich, doch das Gefühl blieb. Es war, als würde sich alles um ihn herum zusammenziehen, sich eine eiserne Klammer um seine Brust legen, alles Licht weichen und verschluckt werden von Dunkelheit. Absoluter Dunkelheit, der Dunkelheit des Todes, vielleicht sogar dem Tod selbst.
Er wusste nicht genau, konnte nicht sagen, wovor er sich überhaupt so sehr fürchtete, doch es genügte auch so. Er wollte es eigentlich gar nicht wissen. Vielleicht war es nur Gabriels brutaler Tod, den er auf diese seltsame Weise zu verarbeiten versuchte, doch wie auch immer – er durchlebte die schlimmste Angst, die er je kennengelernt hatte.
Es gab keinen Ausweg. Und es gab auch keine Vampire. Oder?
Dann klingelte es auf einmal an der Tür. Ein kurzer Ton, der Jon gleichermaßen vertraut wie fremd und unheimlich vorkam. Er flößte ihm nur noch größere Angst ein, warum, konnte er nicht sagen. Am liebsten wäre Jon weggerannt, hätte sich in einer dunklen Ecke verkrochen und wäre nie wieder herausgekommen. Oder wäre nie geboren worden. Doch irgendeine unsichtbare Macht schien ihn zu zwingen, zur Türe zu gehen.
Und er folgte dem stummen Befehl. Unaufhaltsam, Schritt für Schritt. Immer weiter. Es gab kein Zurück. Er kam nicht gegen ihn an. Obwohl sich alles in ihm dagegen sträubte, öffnete er die Türe, schob sie Zentimeter um Zentimeter auf. Eisige Kälte strömte ihm entgegen, durchdrang ihn bis auf die Knochen. Nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Geist. Bis in den letzten Winkel seiner selbst. Er versuchte zu schreien, doch er brachte keinen Laut hervor. Am liebsten hätte er geglaubt, dass das alles nur ein Traum war, ein böser Traum, doch er wusste es besser. Es war Realität, nichts anderes. Und zwar die schlimmste Sorte davon. Voll und ganz real.
Vor der Türe stand eine Gestalt, nur mit einer kurzen Hose und einem blutigen, zerrissenen T-Shirt bekleidet. Sie hatte diverse Erfrierungen, über den ganzen Körper verteilt, blau und schwarz verfärbte Haut, die sich schon von Knochen und Fleisch zu lösen begann. »Gabriel!«, entfuhr es Jon. Doch das konnte, durfte nicht sein. Gabriel war tot, musste tot sein. Erfroren, ausgesaugt und wer weiß was sonst noch alles. Er hatte es selbst gesehen.
Deutlich erkannte Jon die tiefen Bissspuren am Hals. Also doch. Gabriel antwortete ihm nicht, stattdessen entblößte er seine Zähne in einer Geste, die wohl ein Grinsen sein sollte. Riesige, gekrümmte Reißzähne, von denen der Geifer rann. Sie hatten nichts menschliches mehr an sich, wirkten wie die eines Raubtiers. Und das waren sie schließlich auch. Sie waren todbringend, und er konnte ihnen nicht entkommen.
Das wusste er, und es wurde immer mehr zur Gewissheit, als sein ehemals bester Freund einen Schritt vortrat. Jon versuchte, nach hinten zu springen und die Türe zuzuschlagen, doch er konnte es nicht. Seine Beine versagten ihm den Dienst, drohten nachzugeben und bewegten sich keine handbreit von der Stelle. Doch er blieb stehen, fiel wenigstens nicht zu Boden.
»Es gibt sie also doch«, flüsterte er vor sich hin, mehr zu sich selbst als zu Gabriel gewandt. Der schüttelte traurig den Kopf und bleckte die Zähne. Dann schnellte er mit einem einzigen Satz nach vorne und grub die Reißzähne tief in Jons Hals. Jon fühlte, wie ihm das Blut entströmte, sein Hals zerfetzt wurde, doch es war nicht warm, wie er erwartet hatte, sondern kalt. Eiskalt oder sogar noch kälter.

Erst als Jon zusammensackte und schwer zu Boden fiel, ließ Gabriel von ihm ab. Jon war tot, genau wie er selbst auch. Langsam, beinahe andächtig nahm sich Gabriel die künstlichen Zähne aus dem Mund und wischte das Blut mit der Hand ab. Dann trat er aus der Wohnung, die Türe wurde von einem eisigen Windstoß zugefegt.
»Es gibt keine Vampire«, sagte er halblaut und schritt, nur mit einem Shirt und einer kurzen Hose bekleidet, durch die Kälte.
 
Hallo Arathorn!

Ihre Geschichte ist wirklich gut. Man merkt, dass Sie sich besonders um einen flüssigen Klang der Sprache bemüht haben.

Hier ein paar Anregungen:
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Erreichen und ihm Bescheid geben hatte er ihnen natürlich nicht können, doch daran trug er wohl alleine die Schuld.
Das Wort ihnen irritiert mich hier. Oder geht es dabei um mehr Personen als nur Jon und Gabriel?

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Die Sache wurde immer...
Dieser Satz ist ziemlich lang, es wäre besser ihn in mehrere Sätze aufzuteilen.

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Doch das konnte doch nicht sein, durfte nicht sein.
Hier ist ein doch zu viel (ist auch ein wenig Geschmackssache ;) )

Außerdem mag ich die Art, wie Sie die Umgebung (Schnee und Schneeflocken) und Jons Gefühle beschreiben. Ich muss allerdings zugeben, dass mich das Ende verwirrt hat. Wenn Gabriel doch ein Vampir ist, wieso trägt er dann falsche Zähne?

Ich hoffe, dass Ihnen meine Anregungen weiter helfen.

Mit herzlichen Grüßen
Drachenprinzessin
 
K

Kara

Gast
Vampir

Hallo Arathorn - eine Menge Fragen bleiben für mich.
Grübel, grübel ... war er nun ein Vampir oder nicht?
MfG Uschi
 



 
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