Vaterstadt

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gareth

Mitglied
Da ich nun friedlich bei der Kirche sitze
und vor dem Knösel meine Tasse hebe,
in beider Schatten fern der Mittagshitze,
wird mir bewusst, wie gerne ich hier lebe.

Ganz langsam werd ich alt, doch ungebrochen
besteht die Liebe fort zu diesen Gassen,
von denen ich mich bisher wohl für Wochen,
doch nicht für immer habe trennen lassen.

Nach vierzig Jahren bin ich heute wieder,
nur nicht so schnell, den Turm hinauf gestiegen
und blickte auf die kleinen Häuser nieder,
die rings als Zeugen meiner Kindheit liegen.

Noch nie hab ich sie wohl so tief geachtet,
die stumm, vertraut und duldsam meinem Leben
im Lachen und im Weinen Halt gegeben,
und nie so reinen Herzens sie betrachtet.

Da schien's mir fast, ich hätt genug gesehen,
von andern Orten und ich sollt zurück
zu meinen Wurzeln, um nie mehr zu gehen,
und darin lag ein ruhig schlichtes Glück.

Nun hab ich meine Füße wieder unten
auf uralt blanken Pflasterstein gestellt,
mir ist, als hätt ich meinen Platz gefunden
in dieser kleinen, meiner Väter, Welt.
 
S

Sandra

Gast
Hallo gareth,
du wechselst im vierten Absatz die Reimfolge. Mich würde interessieren, ob es einen bestimmten Grund gibt, warum dies einmalig geschieht? Auch wechselt die Perspektive des Betrachtenden. Die Betrachtungen für sich sind schön zu lesen, jedoch erscheint mir der Wechsel abrupt und ohne zeitliche Abfolge. Es ist erst das ruhige Sitzen - verweilen - bei einer Tasse Tee. (Ist Knösel ein Café?) Als Leser setze ich mich ebenfalls dazu und erwarte den Blick um den Prot herum beschrieben zu bekommen, doch es folgt die Beschreibung vom hohen Turm.
Trotz der kleinen Einwände habe ich dein Gedicht sehr gerne gelesen. Es werden heimatbezogene, besinnliche Gefühle transportiert. Und der Blick des Mannes zurück auf sein Leben wird beschaulich beschrieben.

LG
Sandra
 

gareth

Mitglied
Hallo Sandra,

danke erst mal für Deine Beschäftigung mit dem Gedicht.

Also den einmaligen Ausflug vom Kreuz- zum Blockreim in der 4. Strophe habe ich mir einfach gegönnt :eek:). Diese Strophe ist ein bisschen emotionaler und ich fand, das könnte man auch formal etwas unterstützen.

Was den Perspektivenwechsel betrifft:
Der Prot. reflektiert, zurückgekehrt, vor dem Cafe sitzend, seinen Ausflug auf den Turm der Kirche. Ich bin nicht sicher, ob man hier von einem Wechsel in der Perspektive sprechen kann.

Das Knösel ist im Übrigen in der Tat ein (das älteste Heidelberger) Cafe und liegt unmittelbar hinter der Heiliggeiskirche.

Grüße
gareth
 



 
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