Verdun

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Daijin

Mitglied
Es mag vielleicht etwas seltsam sein, heutzutage eine Geschichte über den 1. Weltkrieg zu schreiben, aber mich hat dieses Thema schon immer inspiriert.


Verdun


Schießen. Schießen. Schießen. Immer weiter Schießen. Das Monstrum muß gefüttert, die Blutmühle weitergedreht werden. Solange das Maschinengewehr frißt, gibt es Leben; es darf niemals hungern. Wieder fällt einer, von dem stählernen, ewig fressenden Monster, der feuerspuckenden Bestie niedergestreckt. Dem Korporal hat ein Schrapnell die Schulter weggerissen. Ein junger Soldat steht auf seiner Leiche und gibt neues Futter. Er hat keinen Namen, wie der Korporal. Niemand hat einen Namen, niemand hat ein Gesicht. Es gibt keine Namen, es gibt keine Gesichter. Es gibt nur das Leben und den Tod und den Wahnsinn, der leise durch die Gräben schleicht und in den Nischen lauert. Der aus den toten Augen der Namenlosen stiert; der mit dem Gasnebel herüberweht; der nachts aus der schemengefüllten, todesschwangeren Dunkelheit hervorspringt und den Verstand der Namenlosen mit sich reißt und eine leere Hülle zurückläßt, die zittert, zittert und schreit.
Es zählt nur das Leben; und der Tod. Der Wahnsinn ist anders, fremd, ist unvorstellbar.
Eine Granate trifft den linken Grabenabschnitt und verwandelt ihn in formloses Chaos aus Erde, Holz und Leichenteilen. Die Bestie wütet weiter, aber sie ist allein. Sie hetzt über das Schlachtfeld, hin und her, aber immer mehr Namenlose kommen aus ihren Löchern, laufen, springen, kriechen durch die rasenden Zähne des Monstrums. Sie sind im Graben. Feuersäulen schießen durch den schmalen Gang und verzehren das kärgliche Leben inmitten des Todes. Der junge Soldat füttert nicht mehr. Er liegt blutend auf dem toten Korporal. Die Hälfte seines Gesichts ist weggeschossen, aber er hatte nie eines. Keiner hatte ein Gesicht. Niemand füttert die Bestie. Noch frißt sie und wütet, doch das Futter schwindet. Die letzte Patrone wird verschlungen, verschwindet im eisernen Bauch des Monsters, um sofort wieder ausgespuckt zu werden, dann greifen die Zähne ins Leere. Die Bestie stirbt. Von links kommt der Tod in Flammensäulen, in stählernen Spitzen und schwirrenden Splittern. Rechts ist noch Leben. Dort liegt der junge Soldat auf dem Korporal mit den grauen Augen und dem rostroten Bart. Er hat ein Gesicht, sie beide haben Gesichter. In ihnen lauert der Wahnsinn, der zittert, zittert.
 

San Martin

Mitglied
Sprachlich großartig. Inhaltlich sehr bedrückend. Der Schluss ("In ihnen lauert der Wahnsinn, der zittert, zittert.") beeindruckend. Ich bin begeistert von dieser Nahaufnahme einer Schlacht des 1. Weltkriegs und den Mitteln (Wiederholungen, Personifizierung, etc.), die du eingesetzt hast, um dem Leser den Text nahezubringen.
 

knychen

Mitglied
der meinung von san martin kann ich mich nicht anschließen.
denn niemand, egal in welchem krieg, ist ohne gesicht und ohne namen. wenn man die identität der opfer leugnet und ihnen das gesicht und damit ihre individualität nimmt, schiebt man das grauen einer sinnlosen schlacht wie der vor verdun vor sich her. romane und novellen wie " im westen nichts neues", "das menschenschlachthaus", "bitte sterben zu dürfen" leben gerade davon, daß die protagonisten greifbar werden. identitätslos waren sie nur für die planer der schlachten; material wie die munition und die transporttechnik.
der begriff "namenlose" wird auch (persönlicher eindruck) überstrapaziert und durch den inflationären gebrauch in der wirkung reduziert.
um beim plot zu bleiben: ein streifschuß. bißchen blut, aber ohne wirkung.
tut mir leid.
gruß knychen
 

San Martin

Mitglied
leben gerade davon, daß die protagonisten greifbar werden. identitätslos waren sie nur für die planer der schlachten
Genau das, was du ansprichst, findet sich im Text wieder: Dass der Krieg eben nicht von Namenlosen, Gesichtslosen gekämpft wird. Solange die Soldaten kein Gesicht haben, kämpfen sie wie befohlen, sterben wie befohlen - selbst das Maschinengewehr hat mehr Persönlichkeit als sie. Erst am Ende der Geschichte wird ihnen das Gesicht zurückgegeben, was sie prompt in den Wahnsinn treibt, denn der Wahnsinn dieses Krieges (und aller Kriege ) ist es, dass sich dort Menschen mit Gesichtern, Gefühlen, Erinnerungen, Liebesgeschichten, Familien, Kindern gegenseitig umbringen.

Wenn ich also den Text richtig verstande habe, dann versteheh ich deine Kritik nicht, knychen.
 

knychen

Mitglied
für mich wird höchstens andersherum ein schuh draus.
das mantrahafte runterbeten der gesichts- und namenlosigkeit bringt in diesen der thematik unangepaßt kurzen text eine fade länge. für mich ist da ein widerspruch.
denn eigentlich haben sie (korporal und soldat) am anfang gesichter und verlieren sie erst nach und nach durch blinden gehorsam an den moloch krieg.
wenn schon die wende zur menschlichkeit, zum individuum, dann hätte man die beiden am anfang auch einblenden müssen.
aber so wie du meine kritik, jedenfalls so, wie ich sie formuliert habe, nicht verstehst, verstehe ich vielleicht den text nicht so, wie er gemeint ist.
nicht vergessen, es ist eine ganz persönliche meinung, nicht der anspruch auf allgemeingültigkeit.
gruß knychen
 

Daijin

Mitglied
Ich kann San Martins Argumentation nicht mehr viel hinzufügen.
Die ganze Idee des Textes ist es, daß sich das Grauen des Krieges nur solange ertragen läßt, wie man die Augen davor verschließt, daß jeder einzelne Soldat ein eigenes, denkendes, fühlendes Individuum ist. In dem Moment, wo dem Protagonisten dies klar wird, indem er das Gesicht des Toten wahrnimmt und nicht nur seine Funktion als Soldat, verliert er den Verstand.

Das, was Du als "mantrartiges Herunterbeten" bezeichnest, ist das, was sich der MG-Schütze selbst immer wieder einredet, um nicht mit den Konsequenzen seines Handelns und der Ereignisse um ihn herum konfrontiert zu werden.

Gruß

Daijin
 

MDSpinoza

Mitglied
So nebenbei: Schrapnelle wurden das letzte Mal im Krieg 1870/71 in Europa verwendet, seit den 1880er Jahren sind sie durch die Haager Landkriegsordnung verboten.
 

Daijin

Mitglied
Kriegsrecht

Kommt vielleicht etwas spät, aber ich bin erst jetzt wieder auf diesen Beitrag gestoßen: Ich würde mich freuen, wenn Du mir auch Deine Meinung zu der Geschichte mitteiltest.

Was die Anmerkung zu den Schrapnellen angeht: Nur weil die Hager Landkriegsordnung den Einsatz von Explosiv- und Brandgeschossen verbietet, heißt das noch lange nicht, daß diese nicht eingesetzt wurden. Ganz im Gegenteil, ihr Einsatz ist eindeutig dokumentiert (unter anderem durch zeitgenössische Photobildbände von verwundeten Soldaten) und war immer wieder Gegenstand gegenseitiger Vorwürfe der Kriegsparteien. Im Übrigen verbietet schon die Petersburger Deklaration und später noch einmal die bereits erwähnte Hager Landkriegsordung den Einsatz von Gift. Im Grunde war der Gifteinsatz schon seit Jahrhunderten im Gewohnheitsrecht verboten. Auch im Amerikanischen Lieber Code wird er den eigenen Truppen untersagt. Das alles hat die Deutschen aber nicht davon abgehalten, Gift massiv während des Ersten Weltkriegs einzusetzen. Von den Völkerrechtsverletzungen des Zweiten Weltkriegs ganz zu schweigen.
 

MDSpinoza

Mitglied
Ein Schrapnell ist nicht einfach nur ein Explosivgeschoß. Es ist eine mit Stahlkugeln gefüllte Granate mit Zeitzünder, der sie in der Luft hinter der gegnerischen Deckung explodieren läßt. Die Wirkung ist verheerend (nomen est omen...). Definitiv im Ersten Weltkrieg nicht mehr in Verwendung.
Im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite wurden Antipersonenminen verwendet, die bei Auslösung etwa einen Meter hoch sprangen, um dann eine Ladung von Sprengstoff mit Stahlkugeln zur Explosion zu bringen. Die waren zu recht gefürchtet.
Im Vietnamkrieg haben die US-Truppen Bomben mit Stahlkugeln verwendet. Opfer hauptsächlich in der Zivilbevölkerung, der VC saß unter der Erde sicher und warm in tiefen Bunkern.
Der Einsatz von chemischen Kampfstoffen ist nicht erst ein Kind des Ersten weltkrieges. Vor 2000 Jahren haben sich schon Chinesen mit giftigen Substanzen gegenseitig das Leben schwer gemacht. Auch war es kein deutsches Monopol, Frankreich und England waren auch recht kreativ (Adamsite, Lewisite etc.). Im Zweiten Weltkrieg ist im europäischen Schauplatz militärisch kein Einsatz von chemischen Kampfstoffen erfolgt, obwohl gerade Deutschland da einiges zu bieten hatte: Tabun, Soman und Sarin waren damals aktuell. Experimentiert wurde mit allem, auch mit Gegengiften. Die deutschen Militärs hatten die geringsten Hemmungen, die Stoffe auch im Menschenversuch zu testen, die Ergebnisse sind heute noch verfügbar.
Zur Geschichte: ich finde sie etwas flach, was durch die verbesserungsfähige Recherche nicht besser wird.
 

Daijin

Mitglied
[...]verbesserungsfähige Recherche[/B][...]
Gut, das werde ich meiner Professorin für Militärgeschichte gleich mitteilen. Sie sollte wohl das nächste Mal besser recherchieren, bevor sie sowas behauptet.

Ich ignoriere einfach mal den Exkurs über die Waffen im Zweiten Weltkrieg und in Vietnam, dessen Relevenaz mir nicht ganz klar ist, und komme zurück zu Schrapnells. Maurice Genevoix schreibt in seinem nobelpreisgekrönten Buch Sous Verdun: "Die Granaten und Schrapnells folgen uns. Dreimal bin ich mitten in einer Schrapnellgarbe, Bleikugeln schlagen um mich herum in die Erde, durchschlagen Köpfe, durchlöchern Füße, zerfetzen Eßgeschirre."
Auch Remarque beschreibt Schrapnells in Im Westen nichts Neues. Beide Autoren haben im Ersten Weltkrieg an der Westfront gekämpft.

Jetzt könnte man natürlich einwenden, daß es sich hier um subjektive Berichte einzelner Kämpfer handelt, nicht um objektive "Wahrheit". Mit geringen Kenntnissen mindestens einer Erzähltheorie sollte aber klar sein, daß es sich bei meiner Geschichte nicht um einen allwissenden, auktorialen, sondern um einen personalen, subjektiven Erzähler handelt, der hier von einem Schrapnell spricht.

Fakt ist, daß im Ersten Weltkrieg Geschosse verwendet wurden, die die Soldaten als Schrapnells bezeichneten. Fakt ist, daß diese Bezeichnung Eingang in die Kriegsliteratur genommen hat. Fakt ist, daß es daher bei der Verwendung eines personalen Erzählers völlig unerheblich ist, ob die als Schrapnell bezeichneten Geschosse vollständig Deiner Definition entsprechen. Fakt ist, daß Deine Kritik somit gegenstandslos geworden ist.

Ich kann nicht glauben, daß ich so viel Zeit mit einer Diskussion über Geschoßtypen verschwendet habe.
 
B

Bluomo

Gast
Hallo Dajin,

kurz einige Anmerkungen aus meiner Sicht und nur meiner Sicht.

Ich finde den Text nicht so gelungen, obwohl du schreiben kannst.

Das liegt erst einmal an dem Bild: Der Krieg als Bestie. Ich will dieses Bild nicht abgeluscht nennen, aber im Prinzip trifft dies genau zu. In modernen "Antikriegsfilmen" zeigt man einfach den Tod, oft den sinnlosen Tod, das Sterben, die Grausamkeit- und verklärt nicht wie in älteren Darstellungen den Krieg als Bestie, der die Teilnehmer frißt. So wertest du den Krieg aus, gibst ihm eine Gestalt. Aber Krieg hat keine Gestalt, außer die Kriegsteilnehmer. Und deine Leser können einordnen, was ein Krieg ist- das musst du ihnen nicht mitteilen.

Darüber hinaus lieferst du keine Identifikationsfigur- somit kann dein Text emotional den Leser nicht erreichen. Du kannst Tausend Tode beschreiben, leider ist es so, daß ein Leser jemanden braucht, in den er sich hineinversetzen kann, um erst die Lage wirklich emotional zu erfassen. Logik ist meiner Meinung nach keine starke Grundlage für einen solchen Text.

Harmonie/ Disharmonie: Eine weiterer Faktor ist, daß du hier in dem Text nicht die beiden Gegensätze gegenüberstellst. Gerade in einer solchen Geschichte, wo du Leid und Zerstörung zeigst, solltest du überlegen Harmonie als Kontrast zu deinen Kriegsbeschreibungen zu verwenden. Denn erst der Kontrast erhöht die Wirkung der schrecklichen Beschreibungen.

Gruss

Bluomo
 

San Martin

Mitglied
Glückwunsch zum totalen Kaputtkritisieren des Textes. Dieser Text greift das Thema des Krieges am Beispiel der Verdunschlacht auf und benutzt dazu einen gewissen Blickwinkel, eine bewusst gewählte Sprache, die den Wahnsinn des gegenseitigen Tötens auf industrieller, maschineller Ebene aufzeigen will. Mehr will der Text nicht. Und anstatt ihn dorthin schieben zu wollen, wo man denkt, er müsse hin, sollte er gelesen werden, indem man sich auf den Blickwinkel und die eng gefasste Aussage einlässt. Ein Text von nicht mal einer A4-Seite kann nicht das leisten, was ein Buch vermag - vielmehr sehen wir hier eine Verdichtung, eine Spezialisierung auf einen Bruchteil dessen, was man über Krieg im speziellen und allgemeinen sagen kann. Hier wird nicht der Text kritisiert, sondern die Anmaßung des Autors, sich und seinen Anspruch auf einen Aspekt der Thematik zu konzentrieren.
Von der von oben herab geführten Schrapnelldiskussion mal ganz abgesehen.
 

knychen

Mitglied
schreib doch einfach unter deinen nächsten text: negative kritik nicht erwünscht! beifallsrufe gern gehört!
ist das hier ein kindergarten?
 
B

Bluomo

Gast
Hallo San Martin,

offensichtlich sehen wir den Text anders. Das finde ich auch gut und richtig- weil es sicher dem Autor Daijin eine Rückmeldung über die unterschiedlichen Leser gibt. Wird der Text hier aber übermäßig kritisiert, oder unangemessen?

Meiner Meinung nach nein.

Ich will es kurz begründen:
Den die Schrapnelldiskussion überprüft die Angaben des Autors. Nichts ist mir peinlicher, als wenn die Recherche bei einem Text durch mein Versehen/ meinen Fehler usw. ungenau ist. Ich bin für solche Anmerkungen froh, egal ob sie zutreffen oder nicht. Weil ich so im Zweifel erläutere oder veränderen kann, wo die Faktenlage falsch oder für den Leser unklar war.

Die Diskussion über die entmenschlichten Soldaten führt zu einer entscheidenden Diskussion. Offensichtlich kann Knychen und ich keinen emotionalen Bezug zu den Soldaten herstellen, weil wir das beide über Personen machen, die erst später entindividualisiert werden. Du kannst es.
Trotzdem ist die Rückmeldung von Knychen und mir wichtig, weil wir beiden meinen, dass der Text an dieser Stelle (zumindest für uns) nicht funktioniert. Was Daijin drauß macht, ist ihm überlassen. Es nicht zu kritisieren fände ich komisch- weil ich dann keine konstruktive Kritik schreiben könnte.

Die Bestie Krieg:
Daijin hat hier in der Tradition eines Steinbeck (Bsp. :"Früchte des Zorns" über den Kapitalismus) oder anderer einen metapherbeladenen / metapherüberladenen Text geschrieben, der sich mit einem Problem beschäftigt.
Ich finde dies Bestie Krieg nicht ideal, weil es für mich verklärt und wertet.

All das hat nichts damit zu tun, daß wir einen anderen Text lesen wollen. Die Individalisierung der Figuren benötigt nicht viel Platz- man kann es hier mit vielleicht 5 Zeilen schaffen.
Die Bestie Krieg zu ersetzen würde den Text verändern- und es ist Daijins Text- er muss tun, was er für richtig hält. Diese Anmerkung halte ich bei einer Rückmeldung aber für wichtig.

Hier wird nicht der Text kritisiert, sondern die Anmaßung des Autors, sich und seinen Anspruch auf einen Aspekt der Thematik zu konzentrieren.
Von der von oben herab geführten Schrapnelldiskussion mal ganz abgesehen. [/B]
Beides wird nicht kritisiert. Ich halte den Text nicht für anmaßend, sondern für ein Experiment. Gerade diese Texte mag ich besonders, weil es mutig ist, so etwas zu schreiben. Und weil man daraus am meisten lernen kann.
Der Unterschied zwischen mir und dir (Knychen spricht für sich selber) ist nur die persönliche Empfindungen und Meinungen zu dem Experiment.

Was ich aber nicht verstehe, warum verteidigst du Daijin? Ich denke mir, wenn er diese Kritik nicht möchte- kann er das sagen oder den Text in die Nullkritikabteilung verschieben lassen. Da wäre der Text nur verschwendet, weil ein Experiment gerade diese Rückmeldungen braucht.
Oder er kann mir gerne sagen/ schreiben, was ihm an meiner Kritik nicht gefällt. Aber darüber diskutiere ich mit dem Autor.

Gruss

Bluomo
 

Daijin

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von knychen
schreib doch einfach unter deinen nächsten text: negative kritik nicht erwünscht! beifallsrufe gern gehört!
ist das hier ein kindergarten?
Lies Du einfach mal die drei Seiten, die dieser thread mittlerweile umfaßt und dann sag mir, ob Deine von mir zitierte Bemerkung gerechtfertigt ist. Ich habe mich nie gegen Kritik gesträubt, lediglich gegen den Vorwurf, anachronistische Waffentypen verwednet zu haben. Warum Du das auf die grundsätzliche Ablehnung von Kritik verallgemeinerst, ist mir schleierhaft.

Ich stimme Dir allerdings zu, was den Kindergarten betrifft.
 

San Martin

Mitglied
Hallo Bluomo, danke für die sachliche und ausführliche Antwort. Ich will dir ebenso antworten.

offensichtlich sehen wir den Text anders
Und darin liegt auch der Kern des Problems. Ich verteidige hier Daijins Text, weil er, so meine ich, nicht als er selbst verstanden wird und Anforderungen an ihn gestellt werden, die er nie zu erfüllen versuchte. Das, was der Text behandelt, behandelt er sehr gut, finde ich, und alles darüber hinaus gehende ist irrelevant für ihn.

Schrapnelldiskussion
Inzwischen sollte Daijins Antwort die Diskussion endgültig beendet haben. Letztendlich meine ich, dass es vollkommen gleichgültig ist, ob in jenem Krieg Schrapnelle benutzt worden sind oder Geschosse, die man auch so nennt, die es aber strikt gesprochen nicht waren. Das ist überhaupt nicht wichtig für den Text, sondern unnötige Haarspalterei. (Übrigens: Ohne seinen Titel hätte er gar keinen Bezug zu einer realen Schlacht und spräche für sich allein, und das tut er auch - Verdun ist nur ein Beispiel; der Text spricht mit einer allgemeineren Zunge.)
Anhand der Schrapnelle zu sagen, hier wäre schlecht recherchiert worden, ist doch Provokation.

Die Diskussion über die entmenschlichten Soldaten führt zu einer entscheidenden Diskussion. Offensichtlich kann Knychen und ich keinen emotionalen Bezug zu den Soldaten herstellen. [...] Du kannst es.
Kann ich nicht. Und es ist auch nicht Anliegen des Textes, den Leser durch die beiden genannten Soldaten zu berühren. Es geht nicht um die emotionale Wirkung, sondern um den Wahnsinn des Krieges. Diese Aussage verstehe ich auch ohne emotional involviert zu sein. Das Bedrückende, Gewaltige, Erbarmungslose, Maschinelle, Entmenschlichte - das entnehme ich der Geschichte. Es ist ein Tausch, ein Paradoxon - Menschen werden Maschinen, die Maschine wird vermenschlicht - das hier zugrunde liegt.

Trotzdem ist die Rückmeldung von Knychen und mir wichtig,
Ja, das ist sie, und es ist gut, dass Rückmeldungen kommen. Nur wie ich schon oben sagte: Ich fühlte, dass der Text missverstanden wird.

Martin
 
B

Bluomo

Gast
Hallo San Martin,

wir kommen mit unserer Diskussion schon ein wenig in literaturtheoretische Bereiche.

Natürlich kann es sein, dass ich den Text anders verstanden habe, als Daijin ihn gemeint hat. Klar und völlig logisch.
Daijin hat sich etwas bei seinem Text gedacht- und ihn dann geschrieben. Ich weiß aber nicht, was er sich gedacht hat. Ich habe nur den Text- und deute ihn mit meinen eigenen Vorstellungen aus.
Somit hast du einerseits völlig Recht, aber gleichzeitig habe ich wahrscheinlich auch Recht. Oder anders gesagt, wir könnten auch beide falsch liegen.
Wir sind sozusagen in einem theoretischen Paradoxon gefangen. Und das bekommen wir wohl auch nicht völlig aufgelöst.

Deshalb wäre mein Vorschlag: Wir sollten die Diskussion über das Paradoxon lassen, weil es dem Text, dir, Daijin und mir nicht viel bringt- weil das Wichtige schon gesagt ist: Wir sind uns einig über unsere Uneinigkeit. (Hört sich fast schon nach Politikern an ;-))

Und sollten abwarten, was (hoffentlich) noch an Rückmeldungen zu dem Text kommt. Denn ein wenig mehr Rückmeldungen zum Text selber hat dieser sich sicher verdient.

Gruss

Bluomo
 

Daijin

Mitglied
Ich habe nicht vor, diese längst vergessene Diskussion wieder aufleben zu lassen. Ich wollte mich nur für die Meinungen bedanken, die noch zu meinem Text geschrieben wurden. Interessanterweise hat San Martin fast vollständig meinen Standpunkt vertreten und sehr gut erläutert, was ich mir bei der Geschichte gedacht habe. Man könnte fast meinen, er habe sie geschrieben. ;)
Ich kann nur bestätigen, daß vieles, das dem Text als Mangel angelastet wurde, ihn in einer Weise darstellt, wie er überhaupt nicht gemeint war. Es geht nicht um Identifikation, es geht nicht um Kontraste zum Frieden als Harmonie (was selbst wieder eine Art der Metaphorisierung wäre), es geht um den einen Augenblick, in dem die Erkenntnis dessen, was Krieg bedeutet, den Verstand hinwegfegt. Ich schieße nicht auf Maschinen. Ich schieße auf menschliche Individuuen...

Die späte Antwort ist darin begründet, daß ich der Leselupe den Rücken gekehrt habe. Das liegt vor allem daran, daß ich kaum zum Schreiben komme. Es liegt aber auch Rückmeldungen wie der Schrapnellkritik. Um ehrlich zu sein, ich sehe es als ziemliche Zeitverschwendung an, über so etwas völlig unerhebliches wie den Realismus von Waffengattungen zu diskutieren, wenn die Kritik daran erstens nun wirklich gar nicht relevant für die Geschichte ist, und zweitens nicht einmal eine Begründung hat. Ich lese gerade Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" und, oh Wunder, es werden immer wieder Schrapnells erwähnt.
 

Devika

Mitglied
Beeindruckend. Pointiert. Beklemmend.
Trotz oder wegen der Kürze des Textes. In anbetracht der Schwere des Themas fände ich ein wenig mehr als diese Szene angemessen und erforderlich.
Trotzdem in der Kürze alles rausgeholt was ging.
 



 
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