Verloren und Gefunden

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Silvervox

Mitglied
Wer bist Du?
Wie hast Du mich gefunden?
Was willst Du von mir?


Ariinja hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, obwohl das auch nicht nutzte, die Schmerzen, die mit seinen Worten einher gingen zu lindern. Des Fremden Worte entsprangen nicht seinem Munde, sondern seinem Geiste, oder er pflanzte sie direkt in ihrem Kopf, wie auch immer, jedenfalls war es sehr schmerzhaft, weil seine Stimme so unglaublich laut war. Für einen Augenblick glaubte sie schon in Ohnmacht zu fallen, doch dann fand sie ihre innere Stärke wieder und so trotzte sie dieser Attacke.
»Seid Ihr der, für den ich Euch halte? Seid Ihr der, der mir alles nahm und von dem ich mir doch nun am meisten erhoffe?«
Verschwinde ... Du weißt ja nicht was Du von mir verlangst! Verschwinde auf der Stelle!
Sie ging zwei Schritte weiter auf ihn zu. »Nein, ich bin nicht soweit gegangen, um nun abgewiesen zu werden! Macht mit mir, was immer Ihr tun müsst, aber schickt mich nicht zurück! Ich habe mit allem abgeschlossen und bin nun bereit mich ganz Eurer Obhut zu überlassen. Ich wandle schon seit Tagen hier umher und hier ist nichts, einfach nichts! Ihr kennt meine Geschichte, Ihr müsst doch zugeben, dass ich keine Wahl habe.«
Deine Worte sind wie Sandkörner in der Wüste! – Zahlreich und wertlos! Nun verschwinde endlich!, der Fremde drehte sich wieder um und machte Anstalten sie zu verlassen, doch das wollte und konnte Ariinja nicht akzeptieren, sie eilte zu ihm und ergriff seine Schulter, um ihn zu stoppen.
Augenblicklich wirbelte er herum, sein schwarzer Umhang flatterte wild um ihn, so dass dessen Kapuze ein wenig verrutschte und sie einen Blick auf sein Gesicht erhaschen konnte. Es war völlig ausdruckslos, nur seine Augen in denen bedrohliche Feuer loderten, spiegelten seinen Gemütszustand wieder. – Wut! Er kochte geradezu.
Verschwinde... Frau, oder ich werde mich vergessen! Nun verlasst mich!
Sie starrte ihn ungläubig an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Nein, sie musste ihn überzeugen, sonst würde ihr Ziel in weite Ferne rücken.
»Aber ich....«
Schweigt!, schrie der Fremde erneut und diesmal so heftig, dass es sie wie ein Schlag traf und zu Boden warf, während sich ihr Geist in einer ach so einladenden Dunkelheit verlor.

Irgendwann erwachte sie und versuchte sofort auf die Beine zu kommen, aber das war leichter gesagt als getan. Der Boden schien sie immer wieder zu sich zu ziehen. Ihr Schädel brummte wie noch nie zuvor und sie brauchte mehrere Minuten bis sie es endlich schaffte sich aufzuraffen.
Der Fremde war verschwunden.
Das darf doch alles nicht wahr sein!, dachte sie sich.
Ariinja fühlte sich so betrogen und glaubte nirgends willkommen zu sein. Was soll’s! Aufgeben werde ich trotzdem nicht! – Niemals! Sie war überzeugt, dass nur der Fremde ihr den weiteren Weg weisen konnte und so wollte sie sich gerade wieder auf die Suche begeben, als unglaubliche Kopfschmerzen sie dazu zwangen ihre Augen zu schließen. Krampfhalt grub sie ihr Gesicht in ihre Handflächen.
Nach wenigen Sekunden ging es wieder, sie richtete sich auf und sah sich um, überall nur Brachland, vereinzelnd mal ein abgestorbener Baum, aber ansonsten war hier nichts! Sie glaubte, dass es hier anders ausgesehen hatte bevor sie in Ohnmacht gefallen war, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Langsam setzte sie sich in Bewegung, sie ging einfach geradeaus, da eine Richtung so gut wie die andere erschien.
Viele Stunden war Ariinja unterwegs, Stunden in denen sie ihren düsteren Gedanken freien Lauf lies. Irgendwann bemerkte sie, dass die Sonne hier gar nicht wirklich schien. So sehr sie sich auch bemühte, nirgends konnte sie die Sonne finden, was ihren Gemütszustand nicht gerade verbesserte. Noch viele weitere Stunden bewegte sie sich durch dieses Zwielicht und langsam fragte sie sich, ob sie sich möglicherweise im Kreis bewegte. Nach einer Weile nahm sie Schmerzen in ihren Füßen wahr und als sie hinab sah, fielen Ariinja ihre vom endlosen Laufen geschundenen nackten Füße auf. Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. – Ich bin nackt! Doch seltsamerweise empfand sie diese Tatsache nicht als beunruhigend. Es kam ihr so vor, als wäre ihre Nacktheit hier vollkommen normal.
Gemächlich setzte sie ihren Weg trotz der Schmerzen fort und versuchte sich zwanghaft an Dinge zu erinnern, die sie eigentlich hätte wissen müssen, ihre Erinnerungen schienen jedoch andere Pläne zu haben und hielten sich vor ihr versteckt.
Während sie weiterhin ihren Gedanken nachjagte, tauchte wie aus dem Nichts ein gleißendes Licht vor ihr auf. Sie fühlte sich bis in die tiefsten Winkel ihrer Seele geblendet und im nächsten Moment nahm sie die reinigende Wärme wahr und... die Präsenz, ja die Präsenz eines Bewusstseins. Sie öffnete wieder ihre Augen und erblickte ein Lächeln in dem Licht, jedenfalls glaubte sie das zunächst, aber auch das war mehr ein Empfinden. Ariinja überwand ihr Staunen und wollte tausend Fragen auf einmal stellen, doch die Wesenheit kam ihr zuvor.
Ich bin DAS, was Du wirklich suchst. Ich bin die Antwort auf all die Fragen, die Du Dir jemals gestellt hast und auch stellen würdest. Ich bin die Antwort auf ALLES!, noch während sie seine Gedanken empfang, sah sie plötzlich Bilder... Erinnerungen vor ihrem geistigen Auge auftauchen, Bilder, die miteinander verschmolzen und sich, wie ein Film, in sekundenschnelle vor ihr abspielten. Dann verebbten die Bilder unverhofft.

Alles war schwarz... Arrinja fühlte die Schmerzen... und die Angst, die Angst davor die Augen zu öffnen. Die Schwärze war erdrückend und doch irgendwie wie ein schützender Mantel. Die wahr gewordenen Albträume wollten sich jedoch nicht so leicht ausgrenzen lassen und fanden sie selbst hier. Was zur Hölle war nur geschehen? Sie hörte ein Pochen, ... nein eher ein Prasseln. Regen, Regen wie er auf Metall aufschlug. Irgendwie war ihr warm. Plötzlich stieg ihr der metallische Geruch frischen Blutes in die Nase und sie schrie auf als unvermittelt unglaubliche Schmerzen ihren Körper zu foltern begannen. Aus einem Reflex heraus öffnete sie ihre Augen und erblickte vor sich das Gesicht ihrer Mutter, das sie völlig blutverschmiert anzugrinsen schien, doch sie war tot, das wusste sie instinktiv. Nun nahm sie die ganze Szenerie mit einem Mal in sich auf.
Sie befand sich in dem Auto ihrer Eltern, das sich mehrere Male überschlagen hatte und langsam auch noch Feuer fing. Überall war Blut und Ariinja bemerkte, dass es zum größten Teil ihr eigenes war, das aus einer riesigen Wunde quoll, wo sich einst ihr linkes Bein befunden haben musste.
Mitten auf der Straße lag ihr Vater in einer unnatürlichen Pose, ebenfalls von einer riesigen Blutlache umgeben, die sich langsam mit den Regenpfützen auf der Straße vermischte. Sie spürte wie sich Tränen in ihren Augen sammelten, ihr Herz zu rasen begann. Sie wollte nur noch schreien, doch irgendwie schien sich ihre Kehle zusammen gezogen zu haben und sie bekam nur ein Wimmern heraus. Sie kniff ihre Augen zusammen und versuchte alles aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen.

ALLES... ALLES ist vorbei! Ich will nicht mehr!... Ich will nicht mehr!!, sie wünschte sich dass das alles ein Ende hätte und sehnte den Tod herbei, stattdessen spürte sie plötzlich tröstende, mitfühlende Wärme.
Sie öffnete die Augen und erblickte erneut in das gleißende Licht.
Es hat keinen Sinn die Augen zu verschließen und vor den Erinnerungen davon zu laufen. So schwer es Dir auch fallen mag, Du musst es zu akzeptieren lernen!
»Wer bist Du und was hast Du mit mir vor?«
Du weißt wer ich bin. Ich bin das Ganze und auch das Nichts. – Ich bin ALLES!
Eine schier unendliche Anzahl von kindlichen Bildern und Vorstellungen schossen ihr durch den Kopf. »Du bist Gott, nicht wahr?«
Wieder ein warmes Lächeln.
»Ist dies das Paradies? Bin ich im Himmel?«
Glaubst Du denn, dass Du im Himmel bist?
»Nein... nein, ich lebe noch. Aber warum, Du weißt, dass ich mir die Endgültigkeit des Nichts wünsche! Ich bitte Dich um Erlösung.«, schrie sie ihm energisch entgegen. Plötzlich wurde sie sich wieder ihrem Gegenüber bewusst. »Verzeiht Herr, ich wollte Euch nicht anschreien.«
Ich verstehe Deine Gefühle besser als Du selbst, doch liegt es nicht in meinem Sinne Dir Dein Leben zu nehmen. Du selbst bist es, die sich vor dem Tode verschließt, denn Du sehnst ihn nicht wirklich herbei, denn sonst wärest Du nicht hier.
»Ich verstehe nicht. Wie meint Ihr das?«
Ich habe dem Menschen das Recht des freien Willens zugestanden und ein jeder entscheidet selbst über sein eigen Los. Wenn Du wirklich tot sein wolltest, dann wärest Du bereits tot.
Diese Welt, die Du hier siehst ist nur eine Zuflucht, die Dein Geist erschaffen hat, um sich vor der Realität zu verbergen.

»Ich glaube... ich glaube, dass ich verstehe. Seid Ihr wirklich Gott, oder nur ein Konstrukt meiner Phantasie?«
Ich bin das, was Du für Gott hältst und irgendwie auch wieder nicht, denn ich bin nur eine Facette des Ganzen. Ich habe den Menschen nach meinem Ebenbild erschaffen und existiere in allen meinen Werken. Alles was ich Dir sage sind ausschließlich Dinge, die Du schon kennst, denn Du bist mein Fleisch. Doch von allen meinen Werken bist Du erst das Zweite, die all das zu begreifen im Stande ist, Tochter!
»Ich... ich verstehe immer noch nicht.«
Doch das tust Du, höre auf Dein Herz! Einst gab es jemanden... einen... meinen Avatar..., seine Worte verloren sich in einer neuen Bilderflut von Erinnerungen, die alles Gekannte in den Schatten stellten. Sie sog alles in sich auf. Es waren die Erinnerungen eines anderen, sie empfand viel Leid, Freude und noch viel mehr Hoffnung. Immer mehr Gedanken suchten sie heim und am Ende erkannte sie, dass sie er war und wieder ist. Schon folgte die nächste Welle von Erinnerungen, dann die darauf folgende und immer so weiter... bis sie plötzlich ALLES verstand.
Ihr Geist ließ die Fesseln der Furcht hinter sich und begann den Tunnel zu durchschreiten, der sie zu sich selbst führen würde.
Ariinja hörte seine Stimme, während sie ihren Körper nach einer Ewigkeit wieder heimsuchte und von neuem regenerierte. Er war einst das was ich bin und Du bist das, was er war!
In Sekunden kurierte sie ihren Körper von allen Wunden, die er davon getragen hatte und sie wusste, dass sie ALLES vollbringen konnte.
Plötzlich hörte sie Stimmen, die aufgeregt klangen und mit dem lauten Piepsen von Geräten ein wirres Durcheinander in ihrem Kopf erzeugten. Langsam begann sie zu blinzeln und ihre Augen zu öffnen, die sie seit zwei Jahren nicht mehr benutzt hatte. Trotz der Tränen in ihnen, erkannte Ariinja, dass sie sich in einem weißen Raum befand. Sie wusste, dass es ein Krankenhaus war, genauso wie sie alles andere wusste. Sie hörte wie die Stimmen wieder das Wort „Wunder“ erwähnten. Es würde sicherlich nicht leicht werden die Arbeit fortzusetzen, aber die Zeiten hatten sich geändert und sie würde es schaffen. Sie spürte wieder das warme Lächeln.
Nun lächelte Ariinja ebenfalls. Sie begann ihre spröden Lippen zu bewegen und langsam öffnete sich ihr Mund, noch ehe sie sprach spürte sie das Kratzen in ihrem Hals, doch für sie war es das Zeichen für Leben. Für ein neues Leben, welches sie gerade zu kosten begann. Sie war eine Lawine, die ALLES verändern würde. Nun quollen ihre Worte hervor.
»Ich... ich bin Du!«, verkündete sie mit erhabener Stimme.
Immerwährendes Lächeln. Ja, ich bin DU! ...
...Und ER sah, dass es gut war.
 



 
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