Verlustängste

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Rick

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Kouros

08:59 Uhr. Jette rast, in einer Hand ihr Franzbrötchen mit der anderen einer Bekannten winkend, die Straße runter Richtung Stadtgalerie. Der Versuch das Fahrrad anzuschließen scheitert, immer wieder fällt der viel zu kleine Schlüssel runter. Jetzt muss Jette sich beeilen, damit sie vor ihm aufschließen kann. Hämisch grinsend steht er jedoch schon direkt vor ihr – Herr Stein, der Chef der Stadtgalerie Kiel. Er zupft an seinem Maßgeschneiderten Anzug und räuspert sich vorwurfsvoll. Jette zuckt mit den Achseln und huscht geduckt durch die Tür. Tina, ihre Freundin und Arbeitskollegin drückt Jette lächelnd, einen Cappuccino in die Hand. Dankbar tänzelt diese kurz darauf Richtung Kunstsaal um eine gemischte Gruppe von Kieler Bürgern in Empfang zu nehmen. Selbstsicher und mit einer großen fachlichen Kompetenz beschreibt Jette die Werke der Ausstellung und erzählt Hintergrundgeschichten dazu. Aufmerksam und interessiert verfolgen die Besucher die Führung. Jette bleibt stehen hält kurz inne und guckt verwirrt auf ihr Lieblingswerk. Das Grün war plötzlich ein verwaschenes grau. Obwohl das Grün doch so wichtig für die Wirkung des Werkes ist. Verdutzt beschreibt Jette das Gemälde trotzdem so wie sie es immer tut. Herr Stein ist plötzlich aufmerksam und wirft Jette einen misstrauischen, prüfenden Blick hinüber. Als die Besucher weg sind und Herr Stein außer Sichtweite, unterhalten sich Jette und ihre Kollegin Tina über dieses und jenes, als Tina einfällt, dass Jette noch einen Vertrag unterschreiben muss. Jette kneift die Augen zusammen. Sie wundert sich über die kleine Schriftgröße und die verschwommenen Buchstaben. Scheinbar braucht sie eine Brille zum lesen. Endlich ist es 18Uhr. Tina und Jette umarmen sich herzlich und verschwinden beide nach Arbeitsschluss nach Hause, damit sie Herrn Stein nicht mehr begegnen müssen, der in seinem Büro sitzt und so tut, als hätte er noch massenhaft Arbeit vor sich.
Zu Hause angekommen versinkt Jette erschöpft neben ihrem Mann Jörg im Sofa. Ihre kleine Tochter Sina schläft bereits. Jörg massiert Jette liebevoll den Nacken, nachdem er ihr ein Glas Rotwein eingeschenkt hat. Das Essen, das Jörg zubereitet hat, da er neuerdings so viel Zeit hat, möchte Jette nicht mehr. Sie ist zu erschöpft. Dasbglückliche Ehepaar lässt den Tag revue-passieren. Jette erzählt von ihren seltsamen Sehproblemen, woraufhin der übervorsichtige und sich sorgenmachende Jörg ihr eindringlich rät zum Augenarzt zu gehen. Es ist schon spät, das weiß Jette. Doch egal wie sehr sie die Augen zusammenkneift, die Zeiger der großen Uhr an der Wand gegenüber sind nur verwischt.
Am nächsten Nachmittag weiß Jette nicht wohin mit ihren Gedanken. Das Ergebnis des Arztes schlägt ein wie eine Bombe. Das mit der Brille kann sie vergessen… Eine erb bare Augenkrankheit, die schleichend zum Erblinden führt, bringt Jette zur Verzweiflung und Handlungsunfähigkeit. Allein und in Zeitlupe, mit starrem Blick ins leere, Hände in den Taschen und nicht fähig irgendeinen klaren Gedanken zu fassen, läuft Jette einfach nur geradeaus. Immer weiter und weiter. Ohne Ziel. Bis sie merkt, dass sie vor den Fenstern der Stadtgalerie angelangt ist. Mit der Stirn lehnt Jette sich gegen die kühle Scheibe und guckt orientierungslos hinein. Verschwommen nimmt sie das Innere wahr. Ein Fahrradfahrer rast klingelnd und fluchend an ihr vorbei und reißt Jette aus ihrer Starre. Plötzlich eilt sie nach Hause, wo sie Jörg in die Arme fällt. Tausende Gedanken gehen ihr durch den Kopf, was sie jedoch am meisten beschäftigt: Sie muss ihren geliebten Job in der Galerie unbedingt behalten! Jemand muss doch das Geld für die Familie verdienen, jetzt wo Jörg arbeitslos ist. Bei einem Tee redet Jörg ruhig auf Jette ein nimmt ihr einen großen Teil der Angst und macht ihr Mut. Doch er ist der festen Überzeugung, Jette muss ehrlich bleiben und Herrn Stein von der Krankheit erzählen, damit sie eine Lösung für die Zukunft finden können. Sie kann sich nicht weiterhin etwas vormachen, besonders wenn das Sehvermögen immer schlechter wird. Der Vorschlag ihres Mannes eventuell alles aufzugeben, bestärkt Jette erst recht, in der Galerie zu bleiben und sich nichts anmerken zu
lassen. Sie kann das schaffen! Immerhin arbeitet sie seit fast fünf Jahren in dieser Ausstellung und
kennt die Werke in und auswendig, das wäre doch gelacht. Entschlossen fällt Jette ins Bett.
Ein neuer Tag beginnt. Jette steht voller Elan und mit neuem Mut vor ihrem Kleiderschrank. Sie will
sich heute besonders frisch und selbstbewusst kleiden. Aus Versehen zieht sie jedoch einen uralten
grellgelben Pullover, welchen sie für ihren neuen grauen Cashmere Pullover hält, an. Dazu eine
leuchtend rote Hose. In der Küche erntet sie von Jörg nur einen verwirrten Blick. Etwas zu fröhlich
greift Jette zur Tasse, die sie für ihre Glücks-Kaffeetasse hält, aus der sie jeden Morgen ihren
Cappuccino schlürft. Tochter Sina fragt wieso, ihre Mutter ihr den Kakao klaut. Jette, der die
Verwechslung sichtlich unangenehm ist, stellt die Tasse ab, überspielt die Situation mit einem
Themenwechsel und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Noch nie kamen ihr die Ampeln und Schilder
so verschwommen vor. Keuchend, aber diesmal pünktlich streift Jette ihren Mantel ab und begrüßt
Tina. Als hätte Herr Stein eine sehr wichtige Mission, steht er wie immer grimmig vor Jettes Spint
und wippt wartend mit einem Fuß. Er verdonnert sie aus heiterem Himmel von den Kunstführungen
zu der Antikensammlung zu wechseln, da er mit ihrer Arbeit unzufrieden sei. Ihre neue Aufgabe
besteht darin, alte Skulpturen zu beschreiben und über deren Geschichte zu referieren. Überrascht
und mit einem Anflug von Panik, kriegt Jette kein Wort raus. Ihr bleibt nichts anderes übrig.
Automatisiert nickt sie und geht in den Keller. Sie lässt sich auf einen Holzstuhl fallen und guckt sich
um. Alles was sie erkennt sind größere und kleinere Umrisse von – wie sie annimmt- den alten
Skulpturen. Sie zieht die Baumwollhandschuhe, die der Arzt ihr mitgab, an und tastet ganz langsam
die erste Figur ab. Dann die nächste. Vor ihrem inneren Auge ergibt sich ein genaues Bild, wie die
Skulpturen aussehen müssen. Euphorie packt Jette. Sie geht zur nächsten und nächsten Figur über.
Sie findet Gefallen daran, die Skulpturen zu betasten. Plötzlich reißt sie der schrillende SMS-Ton aus
ihrem kreativen Fluss. Jörg. Er wartet mit dem Abendessen. Jette hat die Zeit völlig vergessen bei
ihrer neuen berauschenden Erfahrung. Als Jette wieder hoch kommt macht Herr Stein eine
schnippische Bemerkung zu ihrem Outfit. Jette schenkt ihm keine Aufmerksamkeit und schwingt sich
lächelnd aufs Rad um nach Hause zu eilen. Die Worte sprudeln aus der Kunsthistorikerin raus. Jette
will Jörg genau erzählen was sie gefühlt hat und dass sie in ein paar Tagen eine sehr wichtige Führung
durch die Antikensammlung, machen wird. Ihre Hoffnung ist, dass sie bis dahin jede einzelne Skulptur
bis ins Detail ertastet hat und beschreiben kann. Es ist ein neuer Ansporn und eine neue Hürde in
ihrem Leben. Ihr Augenlicht wird zwar von Zeit zu Zeit schwächer, doch Jette hat noch nie so sehr wie
heute ihren Tastsinn erfahren können.
Der Tag der wichtigen Führung durch die Antikensammlung ist gekommen. Jette bittet ihren Mann
morgens nochmal ihr Outfit zu überprüfen. Eine schrill-rote Hose wäre an diesem Tag nicht
angebracht. Zusammen gehen Jörg und Jette zur Galerie. Jörg führt sie sicher über die Fußwege, da
es glatt ist und Jette den Weg nur erahnen kann. Sie ist früh dran und wird von Tina wie jeden
Morgen mit einem Cappuccino begrüßt. Allein und sehr nervös, geht Jette in den Keller zu ihren
Skulpturen um sich vorzubereiten. Sie Stülpt sich ihre Baumwollhandschuhe über. Im Empfangssaal
hört sie schon, deutlicher als früher, die vielen hohen und tiefen Stimmen durcheinander sprechen.
Die Antikenführung ist ausverkauft. Sogar der Bürgermeister, ein Filmteam, der Historienbeauftragte
für antike Skulpturen und natürlich Jörg, werden anwesend sein. Es geht los. Die Menschen strömen
in den Saal. Mit einer Anmut und Selbstsicherheit arbeitet Jette eine Skulptur nach der anderen ab.
Es herrscht eine gespannte Stille. Die Besucher sind aufmerksam und begeistert. Herr Stein, der
etwas abseits steht, guckt überrascht zu und macht sich Notizen. Er kann keine Fehler entdecken und
scheint schon fast etwas wütend darüber zu sein.
Kurz vor der letzten Skulptur, die Jette beschreibt, ertastet sie ein Kaugummi mitten auf der Skulptur. Ein Kind hatte es ein paar Minuten zuvor heimlich an die Skulptur geklebt. Jette baut das Kaugummi humorvoll mit in den Vortrag ein, wobei ein schallendes Gelächter ausbricht. Sie hat es geschafft.
Großer Applaus erfüllt den Saal. Jette kann vor Freude und Erleichterung gar nicht reagieren. Sie steht einfach nur da. Als die meisten Besucher sich langsam auf den Weg machen, will das Kamerateam noch ein Interview mit dem Bürgermeister, Herrn Stein als Leiter der Galerie und Jette führen. Live natürlich. Herr Stein wird gefragt ob er nicht stolz sei, auf so eine hoch klassifizierte Mitarbeiterin. Herr Stein druckst rum und fährt sich nervös durch die Haare. Dann bestätigt er, dass er froh sei, Jette, eine so fähige kluge Frau, in der Galerie Kiel als langjährige Kunsthistorikerin zu beschäftigen.
 

Rafi

Mitglied
Was ein gefühlvolles Drama hätte werden können, ist hier meiner Meinung nach leider in einer gefühllosen Oberflächlichkeit versickert …
Tut mir Leid, Rick, aber ohne direkte oder indirekte Rede, ohne inneren Konflikt, ohne das Weglassen der Stereotypen (Direktor, Freundin), ohne roten Faden, ohne eine Überraschung am Ende ist diese Story für mich kaum mehr als ein Gedankenentwurf. Dass da hier und da Rechtschreibfehler auftauchen und die Absätze neu formatiert werden sollten, kann man in diesem Fall schon fast gänzlich übersehen.
Nichts für ungut, aber ich denke, da solltest Du noch mal richtig dran arbeiten.
Rafi
 



 
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