Vermessen (Sonett über die Zeit, den Raum, die Liebe und überhaupt alles)

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JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vermessen

Tagtäglich gibt uns die Maschine den Takt
Die Zeit wird mit Quarz ganz präzise vermessen
Sie steht niemals still denn wir haben vergessen:
In Zeiten der Liebe sind Stunden abstrakt

In Metern und Meilen begreifen wir Raum
Den Standpunkt erfahren wir durch Satelliten
Und nach den Quadratmetern zahlen wir Mieten
Was menschliche Nähe ist weiss mancher kaum

Allein durch die Sehnsucht begreifen wir ganz
Die Grösse der Zeit und den Wert von Distanz
Dafür gibt's kein Mass und auch keinerlei Normen

Das Herz misst nicht wie unsre Uhren die Zeit
Mal wird es uns eng und mal ist es ganz weit
Nur das ganz allein kann zu Menschen uns formen
 

Gerd Geiser

Mitglied
Beeindruckend, Herr JoteS, beeindruckend.
Für mein Empfinden eine 8+.
Ich glaube, ich nehme mir auch mal eine Auszeit in der Schweiz.
Gruß
Gerd
 
S

Stoffel

Gast
Hallo,

ich überlege grad ob ich ein Idiot bin?
Für mich ist das leider nicht nachvollziehbar und schwer zu lesen.Hm.

lG
Sanne
(sonst auch so-nett)
:)
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Sanne

Ich gebe zu, dass das Sonett auf den ersten Blick sperrig daherkommt. Ich bin aber ebenso davon überzeugt, dass es sich im zweiten oder dritten Anlauf flüssig und metrisch sauber vortragen lässt.

Inhaltlich ist es ebenfalls sperrig und bewusst vielschichtig.
Um es möglichst auf den Punkt zu bringen: Es geht um das Spannungfeld zwischen unserer Menschlichkeit, der Fähigkeit zur Liebe und einem mechanistischen Weltbild, das Spannungsfeld zwischen Vernunft und Gefühl und die Schwierigkeit, beides in Einklang zu bringen und zu einem guten Ganzen zusammenzufügen. Wer möchte, kann auch ein wenig Gesellschaftskritik drin finden (Vereinzelung....).

Davon überzeugt, dass Du nicht doof bist, wie Du so nett kokettierst, bitte ich Dich hiermit, das Gedicht einfach noch zwei bis drei mal zu lesen. Ich bin sicher, Du bist schlau genug, darin noch einiges zu entdecken.

Gruss

Jürgen
 

Aragorn

Mitglied
Man kann die Zeile 1 erst richtig lesen, wenn man zuvor Zeile 4 gelesen hat.
Ist halt daktylisch mit unbetontem Anfang zu lesen (und nicht pentametrisch):

Tagtäglich gibt uns die Maschine den Takt
Die Zeit wird mit Quarz ganz präzise vermessen
Sie steht niemals still denn wir haben vergessen:
In Zeiten der Liebe sind Stunden abstrakt


Technisch habe ich nichts zu mosern.
Andererseits hat es - wie viele Sonette, die man in den Foren liest - etwas von einer (hier: gut gelösten) Schreibaufgabe/Fingerübung.

Der Inhalt ist nachvollziehbar, aber man "braucht" ihn nicht.

Als Oberlehrer vergäbe ich gute Noten.
Kaufen würde ich mir indes einen Band mit solchen Gedichten wohl nicht, da mich derlei in Form gepreßte (bzw. für die Formvorgabe ausgesuchte) Botschaften weder ispirieren noch zum Nachdenken bringen. Bzw. beschränkt sich das Nachdenken auf "sauber gelöst".
Was ja auch was ist ...
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Aragon

Es ist eine Fingerübung und Deine "technischen Anmerkungen" sind zutreffend und gut formuliert.

Nur inhaltlich sehe ich als Autor natürlich ein wenig mehr Substanz. ;)

Wenn je etwas extra für Oberlehrer erfunden wurde, dann ist es das Sonett, soviel ist klar. Wenn dieses Stichwort fällt, dann weiss man als kleiner Schreiberling, dass das Ding so verkehrt nicht geworden sein kann.

Ach ja, ich würde mir auch keinen ganzen Gedichtband Sonette antun. Zwischendurch mal eines ist ganz schön, dann is aber auch gut......

LG

Jürgen
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
...Nachtrag: Gerade wegen des übergrossen philosophischen Rundumschlages und des erhobenen Zeigefingers habe ich auch die ironische Langform des Titels gewählt.
Aber auch für derlei Ironie hat man nicht jederzeit 'ne Antenne.....
 

Aragorn

Mitglied
Den Titel ...

... finde ich übrinx ausgezeichnet!

Es ist schon "vermessen", dem Leser die Welt in einem 14-Zeiler erklären zu wollen. Eigentlich ist auch Schillers Glocke, die ja eien Tick länger ist, vom Anspruch her vermessen.

Und daß wir uns, wenn wir Zeit, Raum oder materielle Güter bemessen, ständig "vermessen", da wir trotz aller "objektiven" Meßbarkeiten Zeit, Reichtum, etc. nur subjektiv erleben bzw. genießen können, trifft nicht minder zu.

Der im Nachsatz satirische Titel wäre natürlich noch besser gekommen, wäre das Gedicht eine Parodie auf klugscheißerische Sonette und nicht ansonsten ein ernsthaftes Werk.

lg
Ara
 
S

Stoffel

Gast
Lieber Jürgen,
wie Du mir geraten hast, habe ich es heute noch einmal gelesen und es ist anders. Ich weiß, man sollte manches wirklich an verschiedenen Tagen lesen. (die Zeit fehlt leider meist:-()

Aber eine Frage: Wieso...
Nur das ganz allein kann zu Menschen uns formen
und nicht
Nur das ganz allein kann uns zu Menschen formen ?

Vielleicht ist mir die "Wortdreherei" leider zu umständlich, oder unsympathisch. Hm.

Titel sah ich erst jetzt richtig. Ich mag das sehr..."vermessen.." hat ja was mit Zeit zu tun. Ich las zu einseitig,sorry.

Schönen Tag
lG
Sanne:)
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Sanne

Ganz einfach: Verdreht haut die Metrik besser hin (die jeweils letzte Zeile im Terzett nacheinander lesen).

Zum Titel: Ja, es ist vermessen, die ganze Welt in einem Sonett zu erklären und es vermisst sich oft, wer nur in Stunden und Metern rechnet....

Weisst Du, solche Werke liegen selbst ihrem Autor oft schwer im Magen. Für so etwas muss man einfach in Stimmung sein. Ist man es aber, staunt man oft selbst was da so alles zwischen den Zeilen steht.... (Von Kants Metaphysik der Zeit bis zu Einstein) ;)

LG

Jürgen
 



 
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