Vernissage interaktiv und besoffen

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Emilie

Mitglied
Die Betreiberin einer kleinen Galerie hatte zur Vernissage geladen. Weil ich aus Solidarität mit ihrem nützlichen Tun und Treiben zu früh ankam, erhielt ich das erste Glas Wein kostenlos. Das war günstig, aber auch wieder kontraproduktiv, denn ich hatte einen meiner weniger trinkfesten Tage. Es war erholsam, in einem Stuhl vor dem Eingang zu sitzen und sich durch den ersten Schoppen Roten furchtbefreit mit dem Riesenhund des benachbarten Weinhändlers anzufreunden. Der war darauf abgerichtet, Weintrinker mit hündischer Unterwerfung zu amüsieren, wenn nicht zu animieren. Das gelang ihm bei mir ganz ausgezeichnet. Ich bestellte, noch bevor überhaupt etwas angefangen hatte, gleich noch ein Glas.
Der Künstler – wieder mal ein Multitalent – stellte Objekte des Alltags in neuem Licht und neuer Bedeutung aus. Die Sternzeichen hatte er aus Küchen- und Reinigungsgeräten zusammengehandwerkelt und dann auf eine Unterlage genagelt. Die Jungfrau bestand aus einer kleinen Handwaschbürste und einem spitzen roten Korken. Ich habe leider keinen Blick für die Feinheiten, die sich aus Alltagsgegenständen lesen lassen. Ich bin eine unkünstlerische Trivialnatur. Für mich bleibt ein Kartoffelschäler immer ein solcher. Ich kann seinen Anblick höchstens durch Alkoholkonsum verdoppeln. Mehr bringe ich nicht zustande.
Gegen die Objekte des Alltages, die der Künstler so rührig in Bedeutungsvolleres verwandete, hatte ich auch nicht so viel einzuwenden, wohl aber gegen das Multitalentierte an ihm. Er rückte nämlich auch Worte des Alltages in ein neues Licht. Das gelang ihm hin und wieder ganz gut zum Beispiel mit „Sag rot an“, hin und wieder aber auch ganz schlecht „Sybille nahm nie die Pille“. Als ich das hörte, war ich schon durch zwei weitere Gläser Wein enthemmt und zischte in den Vortrag hinein „lächerlich“. Das aber focht den Künstler nicht an, denn es gehörte zu seinem Konzept. Nicht ohne Grund hatte er eine Art Rednerpult aufs Trottoir gestellt, gestaltete seine Lesung als Freiluft-Event. Passanten, welche sich missmutig ihren Weg durch die Ansammlung auf dem Fußweg bahnten, fragte er „Haben Sie ihn nicht gesehen, den Japaner mit den Gummirädern?“ Das war seine Joker-Phrase, sein verbales Versatzstück. Ein Radfahrer, den er mit dieser Frage konfrontierte, antwortete spontan und unwillig, „Halt die Klappe, Du Arschloch“. Er wusste ja nicht, dass er plötzlich Bestandteil eines Gesamtkunstwerkes wurde, sondern hatte nur seinen Ärger ausgedrückt, weil er absteigen musste. Ein anderer Passant grunzte verdrossen„Gib mir lieber’n Bier“. Zu dieser Zeit war ich noch mal zwei Gläser weiter und fing an, meine Umwelt mit jener unbestechlichen Klarheit zu beobachten, die nur Besoffenen gegeben ist.
So spürte ich schon bald, dass ein junger ziemlich glatzköpfiger Mensch überhaupt nur bei der Vernissage dabei war, weil er das hübsche Mädchen, das er begleitet hatte, hinterher in sein Bett kriegen wollte. Auf sie blickte er andauernd mit äußerstem Wohlgefallen und einer gewissen Gier. Alle anderen, auch den Künstler, musterte er mit kaum verhohlener Feindseligkeit. Ich musste zudem konstatieren, dass mit dem meckernden Lachen eines anderen Besuchers etwas nicht in Ordnung war. Er stieß es nämlich nicht aus, wenn irgendeine Pointe zu würdigen war, sondern nach einem, nur ihm vertrauten Rhythmusgefühl. Sehr wortmusikalische Menschen hätten darin wahrscheinlich einen Sinn gesehen. In Zeiten, da auf Kunstausübung nicht mit Ehrfurcht, sondern mit eigener Kunst geantwortet wird, ist das bestimmt ein trendgemäßes Verhalten. Das Problem bestand darin, dass auch dieser Mensch mit zwei bildhübschen Frauen erschienen war, die ihm offensichtlich hörig waren, und deshalb seine Lacher durch eigene silberhelle Mit- oder auch Nachlacher ergänzten. Das aber ergab nun überhaupt keinen Sinn mehr, sondern legte sich wie eine Art grobes Klanggestrick über den Gesamtvortrag des Objekt- und Wortkünstlers. Ich beobachtete, wie nun auch der Vortragende immer nervöser wurde, und anfing in seiner Hosentasche zu wühlen „Entweder ballt er dort die Fäuste oder er sucht seine Pistole, um die Verursacher dieser Kakophonie abzuknallen“, vermutete ich gegenüber einem Zuhörer. Der blickte mich seinerseits unwillig an, denn ich hatte – der Alkohol war schuld – mit meiner Bemerkung ebenfalls unmotivierten konzeptlosen Lärm gemacht“. Während ich noch gebannt darauf wartete, dass der Künstler zum Schuss oder wenigstens zum Schluss kam, war mein Mann erschienen, um mich außer Reichweite zu bringen. Er hatte es nicht leicht mit mir, denn ich äußerte meine Meinung über den Grad meiner Besoffenheit, über die Kunst, über multitalentierte Kunstausübende, über das Lachen nach Rhythmus und über Frauen, die immer alles nachmachen nun in einer Art von Endlosschleife, in der festen Überzeugung, dass ich der Welt so etwas schuldig sei. Ich fühlte mich als fester Bestandteil eines Kunstwerkes bis ich ins Bett ging. Dort zerfiel das Ganze in gewöhnliche Übelkeit und den Hang andauernd wieder aufzustehen und aufs Klo zu gehen.
Das Kunststück, einen Kater wirksam zu bekämpfen, musste ich am nächsten Morgen allein vollbringen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe. nette kleine besaufgeschichte.
hieß der künstler linientreu? dann habe ich seine ausstellung auch gesehen.
ganz lieb grüßt
 

Galimathias

Mitglied
Du hast sehr viel aus den Themen Kunst, Alkohol und der Tatasache, daß das eine das andere nicht ausschließt, herausgeholt. Ausserdem sind mir ein paar sehr schöne Formulierungen zu Augen gekommen. Ein gelungener Einstand.
Gruß Galimathias
 

Emilie

Mitglied
@ flammarion- hallo und vielen Dank. Ja, der Künstler hieß linientreu. Herrlich, die Welt ist klein.

@ Galimathias - Auch Dir vielen Dank.
Gruß
Emilie
 

pleistoneun

Mitglied
Kenne keinen "linientreu", aber verständlich geschrieben. Mir kommt es irgendwie so vor, als wäre in deiner Trunkenheit alles nur eine einzige Situation, in der alles gleichzeitig passiert. Obwohl du schreibst "2 Gläser später" vermittelst du doch die der Trunkenheit innewohnende zeitliche Stagnation, also Zeitlosigkeit. So verschwommen auch dein Blick war, so klar hast du sie uns hier kommentiert. Alles Gute!
 



 
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