Version 17.3

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Leovinus

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Version 17.3

Es war einmal ... nein: Vor nicht allzu langer Zeit herrschte ein König über ein kleines, aber technisch voll ausgestattetes Reich. Er hatte zwar keine Ahnung von Computern – er nutzte sie nur zum Spielen –, doch wollte er sein Volk stets mit dem jeweils Besten bei Laune halten. Jeder Einwohner besaß mindestens zwei Flachbild-Fernseher, einen topaktuellen und hochgerüsteten Computer sowie natürlich einen High-Speed-Internetanschluss. Die Handys waren so klein, dass man sie den Leuten schon bei der Geburt implantierte, was sehr praktisch war, denn so konnten die Eltern ihre Babys auch aus der Ferne in den Schlaf singen.

Aber immer wieder gab es kleine Rebellionen, die der König mit mehr oder weniger Gewalt zerschlug. Das Volk wusste nicht recht, weshalb es eigentlich unzufrieden war, bis ein großer blonder Jüngling aus dem Ausland kam und es ihnen verriet.

Eines Tages saß der Regent vor seinem Computer und spielte »Age of Empire« Folge 25. Sein Narr, zugleich der beste Programmierer des Landes, hockte im bunten Kostüm daneben und gab kluge Ratschläge. Der König hatte - wie häufig - das Gefühl, gar nicht selbst zu spielen. Vielmehr kam er sich vor wie eine dieser Computerfiguren, die nur ausführten, was er ihnen per Mausklick befahl. Manchmal schien ihm sogar sein Land von einer anderen, unsichtbaren Macht regiert.

Plötzlich ertönten vom Schlossplatz laute Rufe. Der Narr eilte zum Balkonfenster. Er schaute hinaus und stöhnte.

Der König blickte nur kurz auf und fragte: »Rebelliert es wieder?« Der Narr nickte.

»Was habe ich für ein blödes Volk«, murrte der König. »Verkabelt bis in die Haarspitzen, verbunden mit den teuersten Rechenzentren der Welt und 200-prozentige Handynetz-Abdeckung. Was wollen die? Haben wir irgendetwas nicht bedacht?«

Der Narr zuckte die Schultern. »Soll ich sie fragen?«

Während der König brummend zustimmte, wandte er sich wieder seinem Spiel zu.

Das Rufen der rebellierenden Menschenmenge verebbte langsam, als das Volk des Narren ansichtig wurde. »Login, Volk!« rief er hinunter.

»Login, Narr!« schallte es zurück, ganz entsprechend der Gepflogenheit des Landes.

»Was gibt’s denn?« wollte der Narr wissen.

Die Meute druckste ein wenig herum, bis der Narr schließlich das Zauberwort »Technik« vernahm. Er verdrehte die Augen. »Könnt ihr nie genug bekommen? Was fehlt euch?«

Das Volk murmelte weiter. Offenbar hatte er etwas Entscheidendes überhört. Als er schließlich den wehenden Satzfetzen entnahm, was das Volk diesmal so aufbrachte, wollte er seinen Ohren nicht trauen. Sofort eilte er zu seinem Gebieter. »Majestät! Majestät, es ist unglaublich! Kommt selbst hinaus!«

Widerwillig sicherte der Herrscher den Spielestand und stiefelte neben seinem Narren auf den Balkon.

»Also, was wollt ihr?« schnauzte er.

»Wir fordern ... also ... äh ...« stotterten die Aufrührer.

Der König sah seinen Narren an, der ratlos von einem Bein aufs andere trat.

»Kommt zur Sache!« röhrte der König. »Ich habe noch mehr zu tun, als den ganzen Tag mit Revoluzzern zu schwatzen.«

»Keine Technik mehr«, ließ sich schließlich der große blonde Jüngling vernehmen, der bislang im Hintergrund geblieben war. »Dein Volk will zurück zur Natur. Es sind Menschen und keine Maschinen! Lieber wollen sie wieder in der Steinzeit leben!«

»Ja, Steinzeit, Steinzeit!« johlte das Volk und begann das Pflaster vom Platz zu reißen.

Der König durchschaute sofort, dass er diesem Fremdling den ganzen Ärger und sein unterbrochenes Spiel zu verdanken hatte. Während er darüber nachdachte, fand der Narr in den Augen seines Herren etwas, das er noch gar nicht kannte und das ihm Unbehagen bereitete.

Doch schließlich fällte der Monarch die Entscheidung, die er in solchen Situationen immer traf. »Erschieß ihn«, sagte der Despot. Der Narr war erleichtert. Er zog eine Pistole aus dem Kostüm, zielte kurz, aber genau, und traf den blonden Jüngling mitten in die Stirn.

Die Menge erstarrte für einen Moment, dann erhob sich lautes Rufen und Protestieren.

»Ruhe!!!« blökte der König und krallte sich an der Balkonbrüstung fest.

Dreimal musste er rufen, ehe endlich Stille auf dem Platz eintrat. Der Narr betrachtete ihn von der Seite. Irgend etwas war mit seinem König heute nicht in Ordnung. Des Herrschers Stimme klang sogar sanft, als er fragte: »Ich will euch ja helfen. Seid ihr nicht glücklich mit den modernen Segnungen, die ich euch schenke?«

Das Volk, noch immer schockiert von dem Schuss, ließ sich leise vernehmen: »Na ja, doch ... schon ... aber «

»Sprecht weiter« ermunterte der König.

»Die Technik macht uns Angst«, gaben schließlich ein paar zu. »Wir fühlen uns überwacht. Den ganzen Tag hängen wir vor den Bildschirmen herum. Sogar nachts piept unser Handy, weil eine SMS eingetroffen ist. Wir können nicht mehr richtig schlafen!«

»Dann schaltet doch die Handys einmal aus!« riet der König.

Der Narr zuckte zusammen. Die Handys ausschalten? Das war der Anfang vom Ende. Was war nur in den König gefahren? »Nein! Lasst sie an!« widersprach er schnell. »Ich entwickle ein neues Update mit schöneren Klingeltönen.«

Der König schaute ihn böse an. Eine Ahnung beschlich den Narren. Diese bereitete ihm nicht nur Unbehagen, sondern Angst. Große Angst.

Unten kletterte eine junge hübsche Frau in weißer Bluse auf eine Kiste und rief hinauf: »Du Narr! Jedes halbe Jahr versprichst du uns eine Version, mit der sämtliche Probleme gelöst werden sollen. Aber es gibt immer nur neue Fehler und Abstürze. Niemand kann mehr ohne Abitur seinen Rasenmäher programmieren. Wenn die Regierung keine besseren Ideen hat, dann erschießt mich auch!«

Enthusiastisch riss sie sich die Bluse auf, so dass ihre nackten Brüste in der Sonne strahlten.

Das Volk glotzte sie an, der König wusste nicht, was er tun sollte, und der Narr erschoss sie.

»Scheiße«, murmelte die junge Frau, »ich wollte doch bloß ins Fernsehen« und sackte zusammen.

Auf dem Platz brach nun die Hölle los, aber auch auf dem Balkon hatte sich die Lage verändert. Der König fluchte: »Bist du wahnsinnig geworden? Ich habe dir keinen Befehl dafür gegeben!«

Der Narr maulte lautstark zurück: »Sie hat doch selbst gesagt, dass ich sie erschießen soll. Habt Ihr eine bessere Idee?« Langsam wurde der Narr böse. Schlug sich der Monarch etwa auf die Seite des Volkes?

Böse Programmierer sollte man nicht reizen. Doch der König fauchte ihn an: »Vielleicht hatte sie sogar recht. Ich habe auch noch kein Programm von dir gesehen, das reibungslos funktioniert hätte.«

Die Ahnung hatte den Narren nicht getäuscht. »Kein Wunder«, widersprach er frech. »Du bist ja sogar zu blöd zum Solitaire-Spielen!«

Der König wurde bleich vor Wut. Unten wandten sich immer mehr der staunenden Menge dem Geschehen auf dem Schlossbalkon zu. Sie sahen den Regenten beben, als er den Narren anfuhr: »Was erlaubst du dir, mich zu duzen? Ich bin dein König!«

»Ich brauche keinen König mehr«, gab der Narr kalt zurück. »Ich mache das jetzt selbst!«

Dem König fiel keine Antwort mehr ein, denn auch in sein Herz bohrte sich nun eine Kugel aus des Narren Waffe.

Wie gelähmt starrten die Umstürzler erst auf den zusammenbrechenden König, dann auf den Narren, der sich schließlich an sie wandte:

»User!« rief er. »Von jetzt an bin ich euer König, der Große Administrator! Ihr werdet es gut bei mir haben! Ich schenke euch Apple-Macintosh-Computer! Jede Woche gibt es neue Hardware-Erweiterungen und alle 14 Tage ein neues Programm. Euer Leben wird erfüllt sein von Computern, die nie wieder ...«

Da traf ihn der erste Stein.

Wie in einem Rasensprengerstrahl hagelten Dutzende, Hunderte, Tausende hinterher. Zwar feuerte der Narr noch ein, zwei Mal blind in die Menge, doch dann begrub die Lawine aus Pflastersteinen ihn und den erschossenen König.

Als alle Steine verbraucht waren, schauten sich die Leute ratlos an, tippelten hin und her und wackelten mit den Augenlidern.

In die Stille hinein klingelte ein Handy und ein Typ in grünem T-Shirt sprach: »Hallo? ... Welche? ... Version 17.3 ist raus? ... Großartig, ich komme!« Er sprintete nach Hause.

In Nullkommanichts hatte sich die Menge aufgelöst. Version 17.3 wollte niemand verpassen. Sie hatte echt tolle Features.

Am Ende lagen die beiden Leichen der Aufrührer allein auf dem Platz. Als die ersten Fruchtfliegen um sie tanzten, rollten zwei Entsorgungsroboter heran und schafften die Toten fort.


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Jo_de_Lox

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klasse

Hey
ich hab mir gerade deinen Text durchgelesen und muss sagen, ich bin wirklich begeistert.
Ich mag diesen Stil, deine Kritik ist gut und wirklich glaubhaft verpackt.
Die Ironie der ganzen Geschichte bringt einem wirklich zum Nachdenken, mach weiter so, wirklich.

Laetitia
 



 
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