Verwässerte Liebe

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Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Liebe!
Geboren im Tobel
sprudelnder Quelle.
Wildwasser
Unverbraucht,
von glitzernder Reinheit
Liebe! Ihr Atem - ist Frische.

Liebe!
Strömen der Lust
im klarem Fluss
mäandrierender Gefühle.
Knabbernd am Deich,
des Alltäglichen.
Liebe! Ihr Atem - ist Libido

Liebe!
Kraftvoller Strom.
Breitbettige Geborgenheit
trotz rätselhafter Tiefen.
Nicht achtend
gefesselter Ufer,
die gepflastert bereits
mit dem Granit
des Belanglosen.
Liebe! Ihr Atem ist Glück.

Liebe!
Tagtrüber See
unter Bleiglockenhimmel.
Des Strömens beraubt,
umklammert von
tristen Gestaden.
Blickhemmendes Röhricht
gedüngt vom Erinnern
betäubt es das Hoffen.
Liebe! Ihr Atem ist Sehnsucht.


Liebe!
Dümpelnder Altarm,
der Versumpfung geweiht.
Erlebtes sedimentiert
zu Nostalgie.
Blasiges Ersticken
im Schlamm der Erfahrung.
Liebe! Ihr Atem ist – Schwefelwasserstoff
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ralph,

also Tobel musste ich nachschauen, hab ich nie gehört das Wort.
Für alle, die es auch nicht kannten:

Wahrig Deutsches Wörterbuch

'To|bel <m. 5 od. n. 13; oberdt.> Schlucht im Wald, Senke [<mhd. tobel <ahd. *tobal „Wald, Bergschlucht“, Grundbedeutung „Senke“ <lat. tubus „Röhre“]

Wer inmitten von Wasser lebt, kann offensichtlich sehr präzise Liebe mit den unterschiedlichsten Gewässerformen vergleichen.

Mir scheint, das gerade die letzten beiden Strophen, da sie eher selten Beschriebenes enthalten, Dein Gedicht so gut machen.

Allerdings bringt der starre Aufbau auch eine starke Kühle mit sich. Der Text ist unpersönlich, fast wie eine philosophische These, ein Monolog, gehalten an der Mündung ins Meer.

cu
lap
 

Venus

Mitglied
Hier ist für mich Ausgleich.
Die "starre" Form entgegnet dem überschwänglichen Gefühl.
Und andersrum.
Hier ist beides offensichtlich dargestellt. Wie im wahren Leben eben auch.
Das eine
geht nicht
ohne das andere -

Ausgezeichnet!

(nur über das langsilbige "Schwefelwasserstoff" stolper ich einfach zu atmig)

Lieben Gruß,
Venus
 

Mirko Kussin

Foren-Redakteur
hallo ralph,
also so richtig vom hocker haut mich dein text auch nach mehrfachem lesen nicht. ich weiß leider nur noch nicht so ganz genau, woran es liegt.
ich geb dir jetzt einfach mal meine leseeindrücke (logischerweise subjektiv und mit keinerlei anspruch auf allgemeingültigkeit) wieder.
also... mein erster eindruck war: zu hochtrabend, hier will jemand zeigen, dass er mit sprache umgehen kann und schießt dabei übers ziel hinaus...
ohne zweifel ist der text bis ins letzte durchdacht und durchgestylt, aber dadurch verliert er in meinen augen auch etwas an charme...
gestolpert bin ich zum beispiel über die sich wiederholende liebe... klar, es ist eine schöne klammer, die sowohl die einzelnen strophen umfasst, als auch den ganzen text, in dieser häufigkeit aber auch grenzwertig ist. speziell beim übergang zwischen den strophen, fiel es mir auf.
dann der gebrauch der fremdwörter (mäandrierend, sedimentiert, tobel)... ich bin echt nicht unbelesen, aber auf ein fremdwörterlexikon möchte ich beim lesen von lyrik eigentlich verzichten ;-)
die substantivierungen geben dem text eine fast wissenschaftliche kühle, die mit dem inhalt so gar nicht übereinkommt.
eigentlich mag ich dieses mittel sogar... einen "heißen" gegenstand eiskalt distanziert zu beschreiben (houellebecq ist da der meister), aber dafür ist es mir nicht kalt genug...
du siehst... ich tappe im dunkeln.. irgendetwas "hakt" an dem text und ich weiß nicht so richtig was es ist...
aber vielleicht kannst du trotzdem etwas mit meinen ausführungen anfangen...
liebe grüße, mirko
 
D

Daniel Mylow

Gast
Hallo Ralf,
jetzt weiß ich endlich, was ein Tobel ist... Nein, im Ernst, da ist dir ein bemerkenswertes Gedicht gelungen, die Evulotion als Beischlaf der Gewässer, die Liebe und das Wasser... Es sind sehr schöne Sätze da, die das Wasser als vielschichtiges Bild entstehen lassen, es könnte das alles auch die Geschichte einer Nacht, die Geschichte der Liebe überhaupt sein. Hat mir sehr gefallen.
Herzliche Grüße, Daniel
 
H

Holger

Gast
Ich suche gerade die Stelle in Deinem Gedicht, an der ich mich in meiner Liebe befinde. Ich merke dabei, dass meine
Gefühle da nicht hineinpassen wollen. Vom hohen sprachlichen Vermögen wurde schon geredet. Du hast Dir das Lyrische Deiner Liebe sachlich organisiert.
Strukturell fiel mir anfänglich Fried ein. Aber das ist es auch nicht. Du versuchst es wie ein Naturgesetz zu behandeln und dabei bleibt es dort, wo es sich auch um Leidenschaft handelt, unpersönlich und blutleer.
Mich interessiert der Autor im Kontext. Die Ausrede vom
Impressionismus hatte ich heute schon.

Die Idee, Liebe in Phasen zu besprechen, ist interessant.
Aber die Bilder füllen sie nicht aus.

Beste Grüße
Holger
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Ralph,

Du liegst mit der nüchternen Art Deines Gedichts vollständig auf meiner Wellenlinie! Ich kann die verschiedenen Phasen der Leidenschaft, der Gewohnheit (und daher auch Sicherheit) und des "Dahindümpelns" gut herauslesen und halte alle beschriebenen Stationen für realistisch beschrieben.
Die wiederkehrenden Merkmale in jeder Strophe sehe ich als übergreifende Elemente an, die in der jeweils verschiedenen Wasser- und Liebesverständnisdarstellung auf ihre eigene Art widergespiegelt werden.

Das Gedicht ist Dir meiner Meinung nach hervorragend gelungen!

Viele Grüße, Zeder
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Uff – es scheint, die Geister scheiden sich. Eine Wasserscheide sozusagen. :))

Nee, mal im Ernst. Ich war sehr erstaunt, solch ausführliche Kommentare zu bekommen. Der Text – nun – in ihm steckt wieder mal ein Versuch, so etwas wie Lyrik zu schreiben. Aus meiner Einstellung: „Ich mag keine Lyrik“ ist nämlich zumindest schon ein „Ich versteh nüscht davon“ geworden. Vielleicht wird auch mal mehr daraus. Diesmal hat es sogar Spaß gemacht. Warum? Man ist verhältnismäßig schnell fertig. ;-)
Doch nun zu euch:

@ lap
Also – ich da mal in der Bekanntschaft nachgefragt – keiner kannte den Tobel. Ok – da muss halt etwas anderes her. Der 15-bändige Bertelsmann übersetzt es mit „enge Bachschlucht“. Außerdem ist das ein Begriff aus dem Wasserbau – da haben sich wohl Beruf und Freizeitdichterei vermengt. Gleiches gilt für „mäandrieren“ und „sedimentieren“. Ich schmeiß das raus.
Wer inmitten von Wasser lebt, kann offensichtlich sehr präzise Liebe mit den unterschiedlichsten Gewässerformen vergleichen
Ich habe es zumindest versucht.
Allerdings bringt der starre Aufbau auch eine starke Kühle mit sich. Der Text ist unpersönlich, fast wie eine philosophische These, ein Monolog, gehalten an der Mündung ins Meer
Du hast Recht. Das war zwar nicht geplant, aber es hat sich so ergeben. „Unpersönlich“ – das ist treffend. Oder doch nicht? Liebe ist nichts Beständiges (jetzt heulen alle Verliebten auf). Ein wenig kann man sie mit der Lebendigkeit des Wassers vergleichen. Der Bach, der Fluss, der Strom, selbst den See – alles schon erlebt. Vielleicht war der Altarm eine Vorahnung?

@ Venus
Die "starre" Form entgegnet dem überschwänglichen Gefühl. Und andersrum. Hier ist beides offensichtlich dargestellt. Wie im wahren Leben eben auch. Das eine geht nicht ohne das andere.
-
Jetzt könnte ich sagen: „Schön, dass Du das erkannt hast. Das wäre aber gelogen. Denn ich erkenne es durch dich.
Das Austreten von „Schwefelwasserstoff“ ist bei der Beurteilung der Gewässergüte ein Alarmzeichen. Das Gewässer ist tot. Aber das Wort ist zu langsilbig. Das stimmt. Wie wäre es mit „Fäulnis“?

@ mirko
mein erster eindruck war: zu hochtrabend, hier will jemand zeigen, dass er mit sprache umgehen kann
den Ehrgeiz haben sicherlich alle Autoren )
und schießt dabei übers ziel hinaus...
Das stimmt mich nachdenklich.

ohne zweifel ist der text bis ins letzte durchdacht und durchgestylt, ...
Ich weiß nicht recht. So richtig zufrieden war ich noch nicht. Außerdem gelingt es mir nur selten, nur aus dem Bauch heraus etwas Brauchbares zu schreiben.
aber dadurch verliert er in meinen augen auch etwas an charme
Da gebe ich dir Recht.
dann der gebrauch der fremdwörter (mäandrierend, sedimentiert, tobel)... ich bin echt nicht unbelesen, aber auf ein fremdwörterlexikon möchte ich beim lesen von lyrik eigentlich verzichten
Stimmt – das fliegt raus bzw. wird ersetzt.
die substantivierungen geben dem text eine fast wissenschaftliche kühle, die mit dem inhalt so gar nicht übereinkommt
Hier haste mich voll erwischt. Ich hasse Substantivierungen – zumindest bei Prosa. Erst vor kurzem erklärte mir eine, die mehr als ich von Lyrik versteht, dass vor allem Substantive die notwendige Dichte erzeugen. Ich hatte da meine leisen Zweifel, befolgte aber den Rat, feuerte vor allem meine geliebten Adjektive raus und…wieder was gelernt.
ich tappe im dunkeln.. irgendetwas "hakt" an dem text und ich weiß nicht so richtig was es ist
.
Das Gefühl teile ich sogar. Frage: Liegt es an der Distanz, die zum Thema vorhanden ist bzw. erzeugt wird? Ich vermute es, denn wenn ich hier andere Lyriker lese, so spüre ich manchmal fast körperlich, wie der Autor aus sich heraus schreibt. Ist das aber eine Voraussetzung für Lyrik?

@ Daniel
Dein Kommentar geht natürlich trotz meiner eben noch geübten Selbstkritik runter wie Öl.
es könnte das alles auch die Geschichte einer Nacht, die Geschichte der Liebe überhaupt sein
Ja, es sollte wohl die Geschichte der Liebe im Laufe eines Lebens sein.
Der Bach – die erste große Liebe
Der kleine Fluss – die junge Liebe (Altersgrenzen können da sehr verschoben sein)
Der Strom – die reife Liebe
Der See – Liebe wird als alltäglich empfunden. Die bekannten Sehnsüchte nach Freiheit (und nach Bächlein) kommen hoch.

Der Altarm – die Liebe stirbt

Sorry an alle. Ich wollte gar nicht so viel schreiben. Soviel Worte um so ein kleines Gedicht. Aber bei m9r ist das wohl der Reiz des Neuen.
Gruß Ralph

Und nun noch die Korrektur:
Liebe!
Geboren im [red] Becken[/red]
sprudelnder Quelle.
Wildwasser
Unverbraucht,
von glitzernder Reinheit
Liebe! Ihr Atem - ist Frische.

Liebe!
Strömen der Lust
im klarem Fluss
[red] wirbelnder[/red] Gefühle.
Knabbernd am Deich,
des Alltäglichen.
Liebe! Ihr Atem - ist Libido

Liebe!
Kraftvoller Strom.
Breitbettige Geborgenheit
trotz rätselhafter Tiefen.
Nicht achtend
gefesselter Ufer,
die gepflastert bereits
mit dem Granit
des Belanglosen.
Liebe! Ihr Atem ist Glück.

Liebe!
Tagtrüber See
unter Bleiglockenhimmel.
Des Strömens beraubt,
umklammert von
tristen Gestaden.
Blickhemmendes Röhricht
gedüngt vom Erinnern
betäubt es das Hoffen.
Liebe! Ihr Atem ist Sehnsucht.


Liebe!
Dümpelnder Altarm,
der Versumpfung geweiht.
Erlebtes [red] versteinert[/red]
zu Nostalgie.
Blasiges Ersticken
im Schlamm der Erfahrung.
Liebe! Ihr Atem ist –[red] Fäulnis[/red]
 

Venus

Mitglied
Das Gewässer ist tot. Aber das Wort ist zu langsilbig. Das stimmt. Wie wäre es mit „Fäulnis“?

Natürlich!
Wenn du es zulässt, dass es so "heftig" wirkt - ;)
(Spaltung? obwohl das ja so nicht unbedingt stimmt...)
Oder einfach so sein lassen, wie es war/ist?

Recht herzlich,
Venus
 

chrissieanne

Mitglied
lieber ralph!
jetzt hab ich mich seit ewiger zeit mal wieder
in die leselupe verlaufen, und finde dieses
gedicht von dir.
hast du nicht mal gesagt (ich erinnere mich dunkel)
dass du lyrik nicht so magst?
also - dieses dein werk straft dich sowas von lügen!
ganz ganz grosse klasse.
das ist eine sehr nüchterne, und dadurch umso
schmerzhaftere bestandsaufnahme von geburt und tod
der liebe.
ich würde sogar sagen, dass die erste version
zum gesamten stil besser passt. konsequent. gerade
mit den fremdwörtern und dem schwefelwasweisich.
aber nur meine meinung.
meinen respekt.
lieben gruss von
chrissieanne
 
K

Klopfstock

Gast
Also, ich weiß, daß mich jetzt viele sicher verfluchen;)
aber beim Lesen dieses Gedichtes hatte ich folgendes
Bild vor Augen (der Autor möge mir verzeihen, da ich ihn nicht kenne): Ein Buchhalter sitzt mit einem säuberlich
gespitzten Bleistift, vor ihm mindestens drei Sprach-Lexika
und versucht fein, säuberlich, korrekt, unter Gebrauch
"sehr beeindruckender" Worte, ein Liebesgedicht zu konstruieren.

Wie gesagt nicht böse sein, aber so wirkt dieses Gedicht
auf mich;)

Liebe Grüße
Klopfstock
 
Hallo Ralph,

Mit Deinem meiner Meinung nach schönen poetischen Ausdruck in Deinem Werk, ist Dir das gelungen, was handwerklich ein gutes Gedicht ausmacht. In der Abstraktion baut das Gedicht für den Leser neue Sinnebenen auf.
Einzig das "Liebe!" vor jeder Strophe stört mich ein wenig. Der Leser weiß auch so, daß es in dem Gedicht um Liebe geht. Die Überarbeitungen finde ich stimmig, weil so auch der "wasserunkundige" besser versteht.
Gefällt.
Einen schönen Abend wünscht
AM
 



 
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