Vier Tage in Holland

Catrinchen

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Eigentlich waren die vier Tage nur drei Tage. Doch sie kamen mir vor wie vier. Vier gewöhnliche Tage, welche die wahre Schönheit und das Glück selbst bargen.
Vier Tage in Holland, die eigentlich nur drei waren – aber eben doch vier.

Mit Freunden und Bekannten zu verreisen sollte zum Pflichtprogramm jedes Jugendlichen gehören. Und da wir alle noch jung sind, oder es uns im mindesten einzureden gedenken, hatten auch wir uns zusammengetan und für ein verlängertes Wochenende zwei Bungalows an der Nordsee gebucht. Freitags – spät abends –traf ich mit den anderen beiden Nachzüglern bei den übrigen Zehnen ein. Das kleine Kind, welches unsere Dreizehnergruppe abrundete, war bereits im Bett und mit höllischen Kopfschmerzen ob der langen Autofahrt, ob des Streits, den die Parkplatzsuche nach sich gezogen hatte, und ob zu langem Verzicht auf sexuelle Handlungen jeglicher Art war auch ich selbst wenig später in mein frisch bezogenes Lager gekrochen, um festzustellen daß der somnolente Zustand mir erst mit einem eiskalten Handtuch um den Kopf vergönnt sein sollte.

Den nächsten Tag verbrachten alle im Schwimmbad, im Bungalow oder am Strand. Der Tag abgerundet durch einen Spaziergang am Strand barg die wertvollste Erkenntnis im Abend. Eine Erkenntnis, die zu erlangen zum Mensch- werden unerläßlich scheint, wenn man sie erst einmal erfahren hat und im Innersten verborgen –oder geborgen hält. Denn ein Geheimnis aus einer Erkenntnis zu machen zeugt lediglich von der Zerbrechlichkeit des Gedanken, der diese umgibt. So als gäbe es die berechtigte Angst er könne verloren gehen, abgelehnt oder inmitten vieler Geister zu Staub zerfallen. Doch meine Erkenntnis scheut dies alles nicht, denn sie birgt etwas reines Wahres in sich, welches unzerstörbar mit mir und meinen tiefsten Empfindungen jenes Abends in Holland verbunden ist.

Kurz hatten wir die Zehen in den nassen Sand des zurückschreitenden Wassers gesteckt, da war es den etwas Älteren von uns Jungen nicht mehr angenehm genug am Strand und so brachen wir wieder auf, um uns in unsere Bungalows einzuspinnen.
Ich selber, schon halb in den Dünen, blieb zurück. Was mich zurückhielt, war das lange Sehnen eines Kindes, welches den Strand in seiner Schönheit, mit seinen Sandburgen, Schaufeln und seinen Erinnerungen schon lange vermißt hatte, weil es irgendwann erwachsen geworden war.

Ich legte mich in den Sand, meine Füße in den Sand eingegraben. Ich fühlte die kühlende Wärme des Sandes an meinen Füßen und Händen. Die Luft wehte sanft mit einem frischen Wind über meine Haut. Und mein Auge konnte nicht mehr unterscheiden, wo der Horizont endet oder das Meer beginnt.
Inmitten dieser Gefühle, die in mir scheinbar ihre Antagonisten anzugreifen schienen, wurde mir plötzlich – im Bruchteil einer Sekunde etwas klar. Die reine absolute Wahrheit, Schönheit und Vollkommenheit zu finden ist nur im Bruchteil einer Sekunde möglich. In einer Sekunde, in der alles andere sämtliche Bedeutung verloren hat und der Kopf im Kampf der Antipoden leer ist. Nur in dieser Leere, dem absoluten Nichts der Gedanken, in einer Sekunde, wo nur die Gegenwart wahrgenommen wird, wo nichts zählt, nichts ohne Ausnahme, weil die Gefühle sich durch ihre deckungsgleiche Intensität aufheben, ist es dem Menschen möglich vollkommenes Glück zu spüren.
Doch da rufen die anderen schon nach mir und ich muß mich aufraffen, denn ich will sie nicht verderben, diese Sekunde voller Glück.

Einen weiteren Tag am Strand und eine Autofahrt später, bin ich wieder bei meinen Eltern angekommen, packe meine Tasche und fahre in meine Wohnung, um mich dort dem Leben zu widmen – wie ich es vorher getan hatte. Und doch habe ich etwas gewonnen.

Vier Tage in Holland.
 



 
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