Vogelfrei

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Invisigoth

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--- VOGELFREI ---

Gedämpftes Licht schuf in den Nischen des Korridors dunkle Schatten, in denen der junge Mann sich verbarg. Er erschauerte beim Geräusch sich nähernder Schleifgeräusche. Sie suchten nach ihm.
Nun vernahm er auch das leise Surren einer Maschine. Wenn er Glück hatte, war es nur ein leicht bewaffneter Suchroboter. Seine rechte Hand umfaßte die kleine Laserpistole mit schweißnassem Griff, als er im gleichen Moment hervorschnellte und aus der Bewegung heraus feuerte. Kurz aufgleißend entluden sich die Schüsse am Metallmantel einer Reinigungsdrohne. Das Gerät stoppte mit ruckenden Bewegungen, die Bereitschaftslämpchen erloschen und völlige Stille kehrte in den Korridor ein. Zitternd ließ der Mann die Hand mit der Pistole sinken, steckte sie in die Jacke zurück und seufzte auf. Eine kleine Rauchwolke stieg von dem Roboter auf, als er sich an dem Gerät vorbei schob und in Laufschritt fiel.
Gleichmäßig federten seine Füße auf dem Metallboden des Korridors, die Bewegung lockerte seine Muskeln wieder, die sich bei der im Nachhinein harmlosen Begegnung verkrampft hatten. Er dachte nach. Die Anwesenheit einer Reinigungsdrohne zeigte ihm deutlich, das hier noch keine alles aus dem Weg räumenden Suchroboter unterwegs und der Gang sicher war. Noch hatte wohl keiner etwas bemerkt.
Bald würde er das Ende erreichen und in den äußeren Bereich der Raumstation vordringen. Dort herrschte sicher reger Publikumsverkehr und er konnte in der Menge vorerst untertauchen. Der Außenring war bestückt mit den verschiedensten Geschäften, Händlern, Vergnügungsbars und Herbergen. Doch der junge Mann hatte nur ein Ziel, das Raumdock Delta, ein Hafen für private, überlichtschnelle Langstreckensprinter. Dort wollte er sich rasch einschiffen und von der Raumstation verschwinden. Ein weiterer Aufenthalt konnte sich als gefährlich erweisen. Ein kurzer Blick auf sein Chronometer zeigte ihm, daß der Tageszyklus der Station sich seinem Ende zuneigte.
Schon sah er das Ende des Ganges. Er spürte an den Seiten seiner Oberschenkel deutlich die prall gefüllten Beintaschen seiner Hose, welche bei jedem Schritt an seine Beine klopften. Seinen Lauf verlangsamend kam er dann vor einer Tür zum Stehen. Noch stand er außerhalb der Erfassungssensoren der Automatik, schöpfte Atem und strich sich mit beiden Händen über das schulterlange Haar, bis es glatt lag. Er fingerte aus der Hosentasche eine Chipkarte. Jetzt kam es darauf an, ob der Code noch in Ordnung war. Er zog das Plastikkärtchen durch einen Schlitz des Terminals, welches neben der Tür auf einer Säule stand und tippte eine Nummernreihe hinein.
„Willkommen in der Raumstation Alpha Centauri. Wir wünschen einen angenehmen Aufenthalt, bitte treten Sie ein in den äußeren Ring!“ ertönte eine Prozessorstimme. Dir Tür öffnete sich mit leisem Zischen und ließ den Blick auf einen kleinen Vorraum frei. Allerlei Geräusche brandeten an sein Gehör, Wortfetzen in unterschiedlichen Sprachen und das Treiben einer regen Masse von verschiedensten Lebewesen. Er trat in den Ring ein. Die Ausmaße erstaunten ihn immer wieder, wie die Bögen einer Kathedrale wölbte sich der riesige Bereich vor ihm aus. Gerüche von Restaurants und zwielichtigen Wellnesspraxen stiegen ihm in die Nase, ebenso das zweifelhafte Odeur von Vergnügungsbars und Händlern, die reichlich Tand aus allen Bereichen der bekannten Planetensysteme verhökerten.
Sein Blick glitt über die Masse an Leuten, welche sich durch den Ring schoben. Hier konnte er vorläufig untertauchen. Suchroboter taten sich sicherlich schwer, einzelne Individuen ausfindig zu machen, weil viele Lebenssignale sich in diesem Bereich überlagerten.
Als er in die Nähe des Raumdocks Gamma zwei Ordnungshüter bemerkte, verlangsamte er seinen Schritt. Die beiden trugen offen ihre Blitzwerfer und standen mit wichtigen Mienen vor dem Zugang des Terminals. Wenn sie ihn sahen und erkannten, war alles aus. Sein Foto kursierte in sämtlichen Netzwerken. Die Laserpistole in seiner Jacke fühlte sich plötzlich schwer an, er schluckte.
Eine Frau mit vier Lastenrobotern überholte ihn, welche Körbe auf ihren Köpfen balancierten, die Hülsenfrüchte und Nüsse enthielten. In ihrer Deckung schlüpfte er an den Wachen vorbei.
Er hatte sich gute hundert Meter weiter vorwärts bewegt, als ein unterdrückter Ruf ihn aufschrecken ließ.
„Hey Aaron, bist du´s? Mensch, was machst du denn hier?“ Ein kleinwüchsiger Centaurianer trat auf ihn zu, seine Haut schimmerte in bläulichen Tönen vor freudiger Überraschung. Ohne ein Wort zerrte in der junge Mann zu den Tischen einer Bar, die vor dem Eingang standen und von Orchideenpalmen verdeckt waren.
„Sei bloß leise, Chian!“ zischte er. „Sonst wird mich jemand vielleicht erkennen, der mir nicht wohlgesonnen ist!“


Sie setzten sich und die Stühle formten sofort die passenden Gegebenheiten für ihre Körperformen. Ein Serviceroboter erschien und schnarrte in blechernem Ton: „Herzlich willkommen! Welchen Wunsch darf ich ihnen erfüllen?“ Sein elektronisches Auge war auf den Tisch gerichtet und mit einer Multihand wischelte er darauf herum.
„Zwei Cokes bitte!“ Bevor Aaron einen Einwand hervorbringen konnte, war die Maschine davon gerollt. Coke erfreute sich großer Beliebtheit bei den Centaurianern, eines der wenigen Dinge, welche sie in großen Massen von der Erde importierten. Er schaute sein Gegenüber an. Die blaue Färbung der Haut kam durch die Zusammensetzung des Blutes, welches im Äquivalent des Hämoglobins kein Eisenatom wie bei den Menschen enthielt, sondern ein radioaktives Element.
„Meine impulsive Reaktion tut mir leid, doch ich war so überrascht, dich zu sehen, fast hätte ich dich nicht erkannt! Eigentlich dachte ich, dich seit dieser Sache nie wieder zu sehen. Es ist dir doch verboten, die Erde zu verlassen. Warum gehst du ein solches Risiko ein? “ sagte der Centaurianer eindringlich.
Bevor Aaron antworten konnte, war der Serviceroboter wieder am Tisch erschienen und stellte zwei Gläser mit der braunen Flüssigkeit vor die unterschiedlichen Männer.
„Zwei Centauridollar fuffzig, bitte!“ schnarrte er erneut mit seiner künstlichen Stimme. Chian zog seine Kreditkarte und bezahlte. Zufrieden rollte der Roboter davon, sie hörten noch seine Worte: „Wenn sie noch einen Wunsch haben, drücken sie bitte das Sensorfeld in der Tischmitte...“
„Ach, Chian. Ich weiß es ist sehr riskant für mich, doch ich kann nicht anders. Es ist sehr wichtig und ich muß die Gefahr akzeptieren. Und was diese Sache betrifft, du weißt sehr gut das es die richtige Entscheidung war. Ich mußte ihn töten, sonst hätte er unzählige Menschen und Centaurianer ins Verderben gestürzt. Die Strafe dafür habe ich auf mich genommen, die unehrenhafte Entlassung aus der Flotte, die Haft auf dem Gefängnisasteroiden.“ sagte Aaron.
„Meine Güte! Du hast deinen vorgesetzten Offizier und Kommandanten umgebracht! Man hat dich geächtet!“ raunte Chian, nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas und seine lange Zunge leckte einzelne Tropfen von der Oberlippe.
„Es war die richtige Entscheidung! Verstehe das doch endlich. Auch wenn es das Ende meines bisherigen Lebens bedeutete, ich mußte so handeln. Dieser Bastard wollte unzählige Leben auslöschen um persönliche Vorteile zu erringen. Das konnte ich nicht zulassen, meine Ehre verlangte es.“ Aaron schaute sich vorsichtig um. Glücklicherweise wurde das Licht in diesem Bereich des Ringes bereits gedämmt um den Nachtzyklus einzuleiten. Gute Chancen, unentdeckt zu bleiben.
„Deine Ehre!“ Chian rollte mit den Augen. „Was hat sie dir gebracht? Du warst ein ausgezeichneter Navigator und hättest gute Chancen auf ein eigenes Kommando gehabt. Und nun? Sieh dich an! Ausgestoßen aus der Gesellschaft.“ Er seufzte. „Dann verrate mir wenigstens, was dich bloß geritten hat, hierher zu kommen. Wie ist es dir überhaupt gelungen, die Kontrollen auszutricksen?“
„Nun, gefälschte Codes. Damit konnte ich mich auf einem Langstreckensprinter einschiffen. Und die Codes waren auch hier auf der Station sehr hilfreich.“ Aaron schaute sein Gegenüber an, der nun leise auflachte und den Kopf schüttelte.
„Ja klar, aber was willst du hier? Laß dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Wir sind alte Freunde und du kannst mir vertrauen.“
„Ich, äh, war in den verbotenen Kammern der Station.“
Chian stutzte kaum merklich. „Und, weiter?“
„Genauer gesagt, im Bereich Medizintechnik. Dort werden Arzneimittel gelagert, die der Bevölkerung nicht zugänglich sind, obwohl sie viele Leben retten könnten. Verstehst du, unsere Regierungen halten die neuesten Forschungsergebnisse und deren Produkte strengstens unter Verschluß! Viele müssen sterben, weil sie sich dadurch eine natürliche Dezimierung der Bevölkerungen versprechen. Eine hervorragende Unterstützung für das Eugenik-Programm.“
„Bei allen Raumgeistern, Aaron! Verstehe ich richtig, dass du dort irgendwelche Arzneimittel entwendet hast? Für wen? Für wen riskierst du soviel?“
Der junge Mann schaute den Centaurianer an. Seine bläuliche Haut schimmerte fahl im Dämmerlicht. Er schluckte schwer und drehte das Glas mit der Coke in den Fingern.
„Meine Schwester. Sie hat Xeno-Hepatitis. Eine absolut tödliche Krankheit, wie du weißt. Ihr Zustand ist besorgniserregend. Und hier lagert das einzige Heilmittel dafür. Wie viele Menschen mußten bereits ihr Leben lassen und auf qualvolle Art sterben? Ich kann meine Schwester nicht so leiden lassen.“
„Tja, und mit deinem idiotischen Ehrgefühl hast du sie doch erst ins Verderben gestürzt. Woher hat sie diese Krankheit wohl? Es war eine kleine persönliche Rache der Familie des Kommandanten, die sie infiziert haben.“
„Chian, ich weiß es ist meine Schuld, und deshalb muß ich jetzt alles riskieren um ihr zu helfen!“
Er trank seine Coke mit einem Zug aus und stand auf.
„Ich muß jetzt schleunigst zum Raumdock Delta. Es war schön, dich noch einmal wieder zu sehen. Behalte mich in Erinnerung, mein Freund.“ sagte Aaron und wollte davongehen. Chian hielt ihn am Arm fest.
„Laß mich dir helfen. Ich begleite dich zum Raumdock.“ Aaron verzog seine Miene doch der Centaurianer entgegnete bevor er etwas sagen konnte: „Na komm schon, stell dich nicht so an. Wir sind Freunde, und Freunde helfen einander.“

Auf dem Außenring der Raumstation war die künstliche Nacht hereingebrochen, als die beiden ungleichen Freunde am Raumdock Delta eintrafen. Dennoch herrschte dort reger Publikumsverkehr, viele Reisende waren unterwegs, und sie fielen nicht auf.
Aaron schaute sich nervös um, mehrere grimmig dreinblickende Ordnungswachen standen an der Schleuse und hektisches Dockpersonal fertigte die Passagiere ab.
Mit festem Händedruck und einem tiefen Blick in die Augen des jeweils anderen verabschiedeten sie sich stumm.
Der junge Mann stellte sich in die Schlange der Wartenden und hielt seine Codekarte bereit. Jetzt kam es noch einmal darauf an, ob die Fälschung hier akzeptiert wurde. Nach einigen Minuten, die Aaron wie eine Ewigkeit vorkamen, war er an der Reihe. Mit einem freundlich formulierten `Guten Abend´ überreichte er dem Mann an der Schleuse seine Karte. Rasch wurde sie in den Schlitz eines Terminals eingesteckt und Aaron tippte seinen Nummerncode ein. Das Geräusch des arbeitenden Gerätes kam ihm unnatürlich laut vor und es dauerte viel zu lange. Er spürte, wie ihm eine Schweißperle den Nacken herunter rann. Der Schleusenmann schaute ihn prüfend an.
Plötzlich gab es hinter ihm lauten Tumult, aufgeregt rannten Leute an ihm vorbei. Überrascht drehte er sich herum und sah, wie sein Freund Chian stöhnend am Boden lag und die Hände auf den Oberkörper preßte.
Erschrocken stand er wie erstarrt und wußte nicht was er tun sollte, als er kurz den Blick Chians einfing, der ihm verstohlen zuzwinkerte. Dann verlor er ihn aus dem Blickfeld, weil etliche Leute um ihn herumstanden, einige versuchten zu helfen.
Ein Trick! Der gute Chian hatte bemerkt, dass etwas nicht ganz so rund lief und täuschte einen Schwächeanfall vor!
Der Mann am Terminal war verschwunden, auch der Ordnungshüter an der Schleuse. Verstohlen tippte Aaron die Okay-Taste am Terminal, zog seine Karte heraus und ging gemessenen Schrittes durch die runde Öffnung der Schleuse.
„Willkommen an Bord und einen angenehmen Flug zur Erde, Raumhafen Berlin!“ sagte eine freundliche Stimme, als er in den Langstreckensprinter einstieg.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
und,

wie endet es? kann er seiner schwester helfen oder ist sie tot, wenn er zu ihr kommt? scheint mir ein stück aus einem längeren werk zu sein.
lg
 

Invisigoth

Mitglied
Scheine ich Dich neugierig gemacht zu haben? ;o)

Tatsächlich hatte ich die Geschichte als eigenständiges Stück geschrieben ohne größeren Kontext. Sozusagen den Spot auf eine Handlung gesetzt.
Bisher hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht, ob und wie es weitergehen könnte mit Aaron. Auch ein Kurzgeschichte über die Anfänge wäre denkbar.

Wenn ich später mit meinem Hundchen über die Feldwege spaziere, werde ich darüber nachdenken und ein bisschen "brainstorming" betreiben. Falls Interesse besteht, kann ich vielleicht eine Fortsetzung wagen.

Grüßchen, Invisigoth
 



 
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