Von Auschwitz

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Herzog

Mitglied
Von Auschwitz


Ich habe den Wein des Vergessenwollens getrunken
Der mir süß war wie quellklares Wasser
Aber:
Ein Kind sang das Lied von dem Maikäfer
Pommernland ist abgebrannt
Ein Mann sang das Lied von dem Kameraden
Einen besseren findst du nicht
Und der Wind sang das ungeschriebene Lied:
Von Auschwitz


Da hab ich mich sehr bemüht
Einen Funken zu schlagen aus dem Stein
Meiner Unzulänglichkeit
Doch der Meißel war aus Silber
Und somit zu weich
Und als ich das Maß anlegte
Dort
Wo mein Schritt nicht mehr ausreichend war
Erwies es sich immer noch als zu kurz


Einer sprach zu mir von Einheit und Freiheit
Ein anderer gar vom Wirtschaftswunder
Oh ihr Idioten:
Lehrt das Kind ein anderes Lied
Nehmt dem Mann seine Stimme
Verbietet dem Wind sein Singen
Vielleicht
Dass nur Schweigen
Erträglich
Wäre​
 
S

Sandra

Gast
Ich gebe zu, lieber Herzog, ich überlegte kurz, bevor ich dein Gedicht anklickte. So viel und doch zu wenig wurde schon zum Thema deiner Überschrift gesagt.
Die Schwierigkeit beim Schreiben ist immer, die Menschen in ihrem Kern zu erreichen. Bei diesem Thema ist es noch schwieriger. Oft sind Gedichte um diese Zeit sehr schwer zu lesen und für sich zu verstehen oder einfach nur mit Klischees behangen.
Du hast in deinen Zeilen den richtigen Ton getroffen und
mich erreicht.


Danke

Sandra
 
L

Lotte Werther

Gast
Worte und Bilder eindringlich und doch nicht aufdringlich:

Einen Funken zu schlagen aus dem Stein
Meiner Unzulänglichkeit


Nur hier störte mich die Wiederholung. Du gebrauchst eine Metapher und erklärst sie danach. Lass doch die Erklärung weg:

Doch der Meißel war aus Silber
Und somit zu weich



Lotte Werther
 
M

mirami

Gast
Hallo Herzog,

Den bitteren Geschmack kann man nicht vergessen auch wenn man ihn nicht ständig auf der Zunge fühlt. Er sitzt tief im Herzen in den Gedanken und Erinnerungen. Man weiß wie Brandgeruch riecht auch wenn man ihn gerade nicht in der Nase hat, so ging es mir beim Lesen deiner Zeilen.

Gerne schließe mich Sandras und Lotte Werthers Worten an, du hast das Thema sehr gut umgesetzt und wunderbar, fast schmerzlich treffend formuliert. Kompliment!

LG
mirami
 

Montgelas

Mitglied
". Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist
barbarisch. Theodor W. Adorno 1949: "Kulturkritik und Gesellschaft".


lieber herzog,

diese feststellung hat vor allem paul celan in der todesfuge einfühlsam widerlegt.
vor deinem versuch auschwitz in worte zu fassen,gab es in der leselupe in den letzten wochen mehrere texte, die dieses thema umkreisten.
da ist zum ersten der text von montgelas, der in seinem rebus mit sehr gedrängten worten, nahezu hilflos auf eine der ideologischen ursachen verweist. der text kommt fast hermetisch daher, und setzt kenntnisse voraus, die viele einfach nicht haben können. rebus ist deshalb als gescheiterter versuch zu betrachten in gut aufklärerischer tradition andre zum nachdenken zu bewegen. er dient der selbstverständigung des autors, das ja – aber sein ziel leser zu erreichen - hat der text gründlich verfehlt.

zum zweiten habe ich sehr aufmerksam und mit hohem emotionalen und geistigen gewinn waldemar hammels text „Die den Tod feiern ...“ gelesen.
waldemar schlägt hier einen großen bogen von celans biografie, seinem großem gedicht todesfuge, zu chassidischen- jiddischen bildern, erinnert an musils roman „mann ohne eigenschaften, um dann nicht ganz gelungen , wie ich meine, pablo neruda als fackelträger celans zu preisen. auch hier, ähnlich wie bei montgelas , schießt der gute wille über das ziel hinaus.
beide texte, der von waldemar und der von montgelas haben ihre leser nicht erreicht, weil sie ihre näherung mit bildungsgut überfrachtet haben.


nun endlich zu deinem text:

paul celans "todesfuge schwebt auch
in deinen zeilen hintergründig mit.

einen eindringlicheren weg als montgelas und waldemar hammel gehst du mit deinen bezügen zu deutschen kinder-und soldatenliedern, die ja im allgemeinem wissen präsent sind. [blue]maikäfer flieg [/blue]und [blue]ich hatt’ einen kameraden [/blue]kennen in der regel fast alle. die verursacher des krieges werden assoziativ sichtbar.

In der zweiten strophe verwendest du meines erachtens zu poetische bilder, ein wenig zu narzisstisch ( versteh mich nicht falsch – das ist kein vorwurf) mir sind sie zu positiv (meißel, silber, maß),
um die negative wendung eigener unzulänglichkeit auszudrücken.

die dritte strophe will auf ursachen und gegenwärtiges verweisen.
auch fordert das lyrische ich eine andre pädagogische praxis ein, ob zurecht,
dass kann ich hier und jetzt nicht diskutieren.
Am ende gebietet das lyrische ich, anknüpfend an adorno, zu schweigen. nur dies wäre erträglich...
aber im [blue]vielleicht[/blue] widerspricht es sich dann selbst.
und das lieber herzog,
dein [blue]vielleicht[/blue], öffnet das thema wieder.
das gespräch über auschwitz, wenn auch vom schweigen der erschütterung unterbrochen,
wird endlos sein…

viel vorgenommen hattest du dir mit diesem text,
nimmt man aber celan zum massstab, dann bleibt dein text ein versuch..
und als solcher verdient er beachtung und auseinandersetzung.

gruss
montgelas
 

Herzog

Mitglied
Sandra, Lotte, mirami und Montgelas ...

... vielen Dank für eure so kluge und empfindsame Anteilnahme an meinem Text. - Ich habe das Gedicht vor langen Jahren geschrieben, nachdem meine damalige 10. Realschulklasse und ich auf sehr behutsame und zugleich sehr brutale Art und Weise im Deutschunterricht versucht hatten, uns gegenseitig Celans "Todesfuge" aufzuschließen.

Inzwischen lese ich "Von Auschwitz" in erster Linie als Frage an mich selbst und als Ausdruck von Hilflosigkeit. Ist es nicht wirklich besser zu schweigen als zu versuchen das Unsagbare zu sagen? Andererseits: Ist nicht gerade diese Unmöglichkeit Verpflichtung für uns Heutige es immer wieder zu versuchen - so schwach und unzureichend auch unsere Versuche sein mögen?

Gruß, Herzog
 



 
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