Von Liebe reden wir später

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Estella

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„Was für ein netter junger Mann“, flüsterte mir meine Mutter ins Ohr, als Hans das erste Mal unser Haus betrat. Perfekt gekleidet, hochgeschossen und schmalbrüstig, stand er mit glänzend polierten Schuhen vor ihr, um mich fürs Kino abzuholen.
„Guten Tag gnädige Frau“, sagte er und verbeugte sich tief. Er kam noch öfter und Mutter stellte die Frage, auf die ich bereits wartete:
„Ist er katholisch?“, „Ja Mutti, katholisch“.
Mutter summte ein Lied, nahm die Gießkanne zur Hand und verschwand im Garten.

Zugegeben, Hans war irgendwie nett. Ein wenig blass vielleicht. Höflich, aber auch langweilig, ein Mann, der eine Frau niemals bedrängen würde etwas zu tun, was sie nicht wollte und immerhin war er schon dreißig. Geküsst hatte er mich noch nie. Langsam sollte ich mir Gedanken machen.
Ich war damals neunzehn Jahre alt, hatte das Abitur in der Tasche und den Kopf voller Träume. Hans kam aus einem reichen Haus. Meine Mutter ließ sich davon beeindrucken. Sehr sogar und mehr als mir lieb war.

„Hat er ernste Absichten?“
„Ich glaube schon.“
„Und?“
„Was und?“
„Du wirst doch nicht nein sagen, wenn er dich fragt?“
„Ich denke, einen Mann muss man lieben wenn man ihn heiraten will?“
„Sei nicht dumm, Mädel. Eine bessere Partie kannst du gar nicht machen.“
„Erst will ich Fotografin werden. Heiraten kann ich später.“
„So ein Blödsinn! Nimm den Hans Biermann, da brauchst du nie mehr im Leben zu arbeiten.“
„Ich liebe den Hans nicht. Ganz einfach, ich liebe ihn nicht.“
„Was verstehst du von Liebe mein Kind. Das kommt alles später.“
„Du musst es ja wissen, Mutter.“
„Wir wären mit einem Schlag unsere Sorgen los.“
Seit Vaters Tod hatte sich unser Leben verändert. Mit der kleinen Rente kamen wir gerade so über die Runden.

Eines Tages hatte er mich gefragt. „Wir könnten heiraten, Helga, was meinst du?“
Ich dachte an Mutters Worte: „Wir wären mit einem Schlag unsere Sorgen los“ und sagte
„Ja, Hans, könnten wir.“
Er gab mir einen Kuss, einen flüchtigen, einen, den er einer entfernten Verwandten hätte geben können. Von Liebe sprachen wir nicht. Doch als er mich seinen Eltern vorstellte, strahlte er vor Glück.
An meinem Finger glänzte ein goldener Ring. Die Vorbereitungen zu meiner Hochzeit liefen und Mutter sang jetzt immer, wenn sie die Blumenbeete wässerte.

Es war an einem dieser heißen Sommertage, an denen man drei mal unter die Dusche sprang und kübelweise Mineralwasser in sich hinein kippte, als Judith mit dem Fahrrad vor unserem Gartentor stand und rief, ob ich nicht ins Strandbad mitkommen wolle.
Nur fünfzehn Minuten später hatten wir das Römerbad erreicht. Wir durchschritten eine heitere Badelandschaft mit Schwimmbecken voller kreischender und planschender Menschen, stolperten über bunte Decken, nackte Beine und Kinderspielzeug, bis wir am hinteren Bretterzaun, der Grenze zur Nacktbadezone, angekommen waren. Im Gras ließen wir uns nieder.

„Wie es wohl dahinter ausschaut?“, fragte mich Judith und schickte dem jungen Mann, der gerade durch die Türe mit dem Schild: „Freikörpergelände“ schritt, einen neugierigen Blick hinter her.
„Nackt schaut‘s da aus“, antwortete ich lachend.
„Interessieren würd’s mich schon“, bohrte meine dunkelhaarige Freundin weiter.
„Mich auch“, gestand ich.
Judith sprang hoch. „Los Helga!“
Geschwind rollten wir unsere Badetücher zusammen und schritten durch die geheimnisvolle Tür. Etwas ratlos standen wir in unseren Badeanzügen herum.
„Ob wir hier schon?“. Judith pellte sich aus dem Anzug, ich machte es ihr nach. Die Sonne blendete, nur undeutlich konnten wir die Umrisse der Nackten erkennen, die sich auf den weit ausgebreiteten Tüchern räkelten. Mit den Baderollen unterm Arm und den Badeanzügen in der Hand schafften wir es irgendwie bis zu einem stillen Platz in einer grünen Ecke des Geländes.
„Komisches Gefühl“, flüsterte ich Judith zu, die sich eng am Boden liegend einölte.
„Man weiß nicht, wo man hinschauen soll“, gestand sie kichernd.
Ich suchte nach meiner Sonnenbrille, schob sie auf die Nase und fühlte mich etwas angezogener. Nach einer Weile wagte ich mich aufzusetzen und riskierte einen Rundblick. Dicke, Dünne, Behaarte und Rasierte, Schlaffe, Straffe, Hängendes und Schwingendes. Ich zuckte zusammen und ließ mich flach auf den Bauch fallen.
„Was ist los?“. Judith beobachtete mich überrascht.
„Da drüben liegt Hans“, meine Stimme zitterte.
Judith war meinen Blicken gefolgt. „Ich fasse es nicht“, sie schnappte nach Luft.
Jetzt lagen wir beide auf dem Bauch und starrten auf das rote Badetuch mit der schwarzen Borte ringsum. Mein Hans darauf, nackt, das linke Bein angewinkelt über dem Bauch eines älteren Mannes. Sein Kopf dicht an das gebräunte Gesicht des anderen angeschmiegt, lagen sie wie ein Liebespaar in der Sonne. Schwul, mein Hans war schwul.
„Was denkst du?“, fragte Judith
„Er braucht mich als Alibi, das denke ich.“
„Oh, Helga, und nun?“
„Es wird nicht leicht sein, es meiner Mutter zu erklären.“
 



 
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