Von Rot und Blau

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lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die müde Nacht hat sich verbraucht.
Mit feuchter Hand durchsucht sie deine Haare.
Nur Geschichten über Träume;
da du nicht schläfst, erlebst du sie.
Zuerst die Jäger in den Schatten
auf den Spuren deiner Hast.
In deinen Ohren spielt die Angst
ein schnelles Lied aus Schritten hinter dir.
Bewegst du matt die Lider
und erhoffst ein bisschen Lärm,
ein wenig Trubel nur,
fällst du auf das nasse Gitter
und das Grauen nimmt dich fest,
schließt dich in ein Stahlgeflecht aus Lügen,
jene leeren Ahnungen von Trost.
Der Tau schreibt Lebensfreude kalt auf deine Haut,
bis in die Kerne deiner Zellen
fließt das Kondensat der fernen Nacht,
das Blau getrennt vom Rot
erbricht dich das Gähnen deiner Stadt.
Zitternd lädst du dich neu auf
im Strom der Menschmaschinen,
ziehst dir dunklen Nachtgestank
durch deine Lungen tief ins Herz.
Was dann noch durch deine Straße fährt,
lebt nicht mehr.
 

Hannah Rieth

Mitglied
Hallo Lap,

wow, das gefällt mir richtig gut! Ein paar kleine Vorschläge hätte ich, allesamt Kleinigkeiten und eigentlich Geschmackssache...

Zuerst [blue](kommt noch ein "dann"?)[/blue] die Jäger in den Schatten
auf den Spuren deiner Hast.

[blue]ein wenig[/blue] Trubel nur,
fällst du auf das nasse Gitter
und das Grauen nimmt dich fest,
schließt dich in ein Stahlgeflecht aus Lügen,
jene leeren Ahnungen von Trost.

[blue]er[/blue]bricht das Gähnen deiner Stadt auf dich.
Zitternd lädst du dich auf [blue](hier fehlt mir irgendwie ne Silbe)[/blue]
im Strom der Menschmaschinen,
riechst dir dunklen Nachtgestank
durch deine Lungen tief ins Herz.

Lieben Gruß, Hannah *beeindruckt*
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo,

Hanna riet und ich gehorchte
:)

Zumindest was die fehlende Silbe anbelangt. Hat mich beim Lesen auch gestört.
erbricht würde mir nur so gefallen:
erbricht Dich das Gähnen deiner Stadt.
Denn nur dann kommt das Brechen im Sinne von Übergeben mit hinein. Es sollte irgendwie stark sein und den Ekel ausdrücken.

Wenn ich das "ein wenig" weglasse, kann der ganze Vers weg.
Das bischen Lärm sollte näher erläutert werden. Trubel nur, passt auch nicht so recht mehr zum Folgevers.
Da bin ich noch nicht überzeugt. Eher würde ich so umschreiben:
Bewegst du matt die Lider
und erhoffst ein bisschen Trubel nur,
fällst du auf das nasse Gitter

?
cu
lap
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ui Hannah,

hast recht.

flux werde ich Deinen Vorschlag hineintipfern, Danke.

huscht
der lap
 

Jongleur

Mitglied
Hallo lapis,
ich versteh ja nicht alles - aber das meiste gefällt mir ausgesprochen gut, sind Wendungen dabei, so lyrisch und dennoch sofort auf den Punkt nachzuspüren! Schön!

Mit feuchter Hand durchsucht sie deine Haare.

In deinen Ohren spielt die Angst
ein schnelles Lied aus Schritten hinter dir.


Ha! Wie nachvollziehbares Großstadt"lied". Großstadtangst.

schließt dich in ein Stahlgeflecht aus Lügen,
jene leeren Ahnungen von Trost.


Zitternd lädst du dich neu auf
im Strom der Menschmaschinen,


Kleine Anmerkungen:

riechst dir dunklen Nachtgestank
durch deine Lungen tief ins Herz.


Bei "riechen" sträubt sich in mir was gegen die reflexive Verwendung. Ich rieche die Rose. Aber ich rieche nicht *mir* die Rose. Wäre hier "ziehe" (von ein-ziehen) eine Möglichkeit? "ziehst dir dunklen Nachtgestank / durch die Lungen bis ins Herz" ?

Das war der sprachliche Teil zu diesem Satz ... aber ablaufmäßig scheint es mir fraglich, oder habe ich es falsch verstanden? Die Nacht ist verbraucht, später ist sie "fern" (Kondensat der fernen Nacht) - also dachte ich, die Zeitebene läge so Richtung Morgensämmerung, früher Morgen, denn da ist ja auch der Strom der Menschmaschinen. Zu diesem Zeitpunkt (Menschmaschinen, Tagesbeginn) ist doch die Nacht gelaufen, das "Nachtgestank-Einziehen" also vorbei.
Oder meintest Du die "Überreste" der Nacht?
Anregung z.B.:
Zitternd lädst du dich neu auf
im Strom der Menschmaschinen,
trägst den dunklen Nachtgestank
noch in den Lungen, noch im Herz.

Zitternd lädst du dich neu auf
im Strom der Menschmaschinen,
der Gestank der abgestandnen Nacht
sitzt tief in deiner Lunge.

Nicht verstanden habe ich die 3. Zeile, fehlt mir irgendwie die Zuordnung. So ist es nur Schlagwort - im übrigen Gedicht arbeitest Du mit vollständigen Sätzen. Durchsucht die Nacht die Haare nach Träumen?
Und die beiden letzten Zeilen. Weder verstehe ich den Sinn. Es ist von "auch noch" die Rede, was hieße, tot ist demnach auch das angesprochene Lyrische Ich. - ??? - Das hatte aber doch gerade neue Energie am Menschenstrom geschöpft, aufgeladen???
Und dann das "fährt", "... was noch fährt" - das Ich (oder Du) hört Schritte hinter sich, stolpert über ein Gitter, fällt - es ist offensichtlich zu Fuß unterwegs. Wieso dann "auch noch fährt"?

Hab ich etwas nicht richtig verstanden?

Grüße vom Jongleur

(P.S. Mit dem Bild des "Erbrechens" hab ich es nicht so, muss man halt hinnehmen, okay, Frage des persönlichen Stils; es begegnet mir öfter, aber ich mags dennoch nicht.
(ehrlich will ich schon sein, gell) - und wenn schon, dann würde mir "der Stadt" besser gefallen, weil das die Anonymität der Großstadt trüge - und rhythmisch für mich ein wenig glatter klänge)
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Jongleur,

Deine Anregungen brauchten einige Tage um durchgreifen zu können.

Ziehen anstelle von Riechen ist hier eindeutig besser! Danke.
Vierte und dritte Zeile habe ich nun deutlicher verbunden, das Satzende war dort ungünstig.
Durch die Änderung des Schlusses habe ich auch gleich versucht die zeitliche Logik neu zu bewerten.
Allerdings empfinde ich diesen Moment sehr gleichzeitig.
Es ist eine Art Stadtbegreifen. Man steht im dichtesten Sog und wird individueller als irgendwo sonst.
Als ob der spionierende Satelit den Zoom voll aufdreht und dich ins Zentrum seines Blickes holt.
Die Stadt wird zum Mantel und verliert den alptraumhaften Charakter der einsamen Jägerin Nacht.

In einer Stadt wie Berlin ist immer Nacht.

:)
cu
lap
 
H

Harald

Gast
Zitternd lädst du dich neu auf
im Strom der Menschmaschinen,
ziehst dir dunklen Nachtgestank
durch deine Lungen tief ins Herz.
Was dann noch durch deine Straße fährt,
lebt nicht mehr.


An allem ist zu zweifeln, Lapismont!

In einer Stadt wie Berlin ist immer Nacht? Eine eher neurotische Idee, scheint mir. Leben braucht immer Licht und Wärme und findet es auch, sei die Stadt noch so groß und von dunklen Schattengeistern bedroht. Selbst aus den Ritzen von Betonblöcken wächst Grün und die Kinder von Berlin empfinden Liebe und Sehnsucht genau so stark wie die in Pfaffenhofen oder sonst wo.

LG
Harald
 

Jongleur

Mitglied
die dunkle Seite des Koloss Großstadt

In einer Stadt wie Berlin ist immer Nacht? Eine eher neurotische Idee, scheint mir. Leben braucht immer Licht und Wärme und findet es auch, sei die Stadt noch so groß und von dunklen Schattengeistern bedroht. Selbst aus den Ritzen von Betonblöcken wächst Grün und die Kinder von Berlin empfinden Liebe und Sehnsucht genau so stark wie die in Pfaffenhofen oder sonst wo.

@Harald, das Licht, Liebe Sehnsucht - immer a u c h dort wohnend, wo Menschen sind: das wäre ein anderes, mögliches Gedicht.
Ich verstehe, dass hier eine Momentaufnahme Gestalt gewonnen hat, die wie das meiste Dichten nicht den Anspruch erhebt, die Vollständigkeit einer Sache, einer Situation, eines Menschen, einer These aufs papier zu bringen, sondern den einen Moment. Und dieser Moment ist letztlich nicht [nur] "Großstadt Berlin" bei Nacht und symptomatisch für "Großstadtkoloss" an sich, sondern ist geprägt von Sicht und Einstellung, von der psychischen Lage, der Gestimmtheit des Autors bzw. des Layrischen Ichs. Man könnte also außer der "Momentaufnahme Großstadt" das Menschenbild eine Betrachters (Deuters) herauslesen bzw. des vom gestaltetenLyrischen Ichs wahrnehmen, deuten: ein sich als verloren empfindender Mensch, der kaum je Ruhe findet odeer - positiv - immer aktiv ist, getrieben wird etc.

Lapis, die Änderungen im Text schau ich später an, muss jetzt landaktiv sein, im Hellen ... Maschinen beschicken.
:D
Jongleur
 



 
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