Von Steinen, den Wellen und einem leeren Strand

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velthurvik

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Leerer Strand, herrlich und das bei diesem Wetter, hatte ich nicht erwartet. Das konnte auch so bleiben. Beim Absetzen der Tasche klirrten die beiden Hämmer mit der Colaflasche. Ein lauer Wind, Sonne, nur wenig Wellengang. Das richtige Wetter. Die neuen Lederhandschuhe passten erstaunlich gut. Brille auf die Nase und los konnte es gehen. Vor Jahren hatte ich hier zwei Lituites gefunden. In DDR-Zeiten mächtig was wert. Doch in den letzten Jahren waren zu viele Sammler aufgetaucht, besonders aus Holland. Auch hatten osteuropäische Importe die Preise verfallen lassen.
Ich nahm meine Tasche, kletterte auf die ersten Gerölle und begann die Gesteine genauer unter die Lupe zu nehmen. Bis zur nächsten Biegung des Strandes sind es bestimmt zweihundert Meter. In einer Stunde zu schaffen. Hinter der ersten Biegung erwartete mich ein recht kühler Wind. Nach kurzer Zeit zog ich die Kapuze über dem Kopf. Das ist beim bücken etwas hinderlich aber durch die langsamen Bewegungen beginnt man ja doch zu frieren, auch wenn die Endemaisonne kräftig scheint. Ein Klappern von Steinen ließ mich hochsehen. Die Wanderer hatte ich doch nicht kommen sehen. Erstaunt betrachteten mich eine Frau um die Vierzig und ein etwa gleichaltriger zünftiger Wandersmann. Ich zog die Kapuze vom Kopf und nahm die Brille ab. Mit einem ersten Lächeln der Frau wurde das quittiert. Erst jetzt wurde mir mein unheimlicher Eindruck bewußt, den ich auf die beiden machen mußte. Mit dunkler Kutte, Kapuze über dem Kopf, Umhängetasche, zwei Hämmern und großer Schutzbrille, dass wirkte bestimmt nicht gerade vertrauenerweckend. „Suchen Sie was?“ erklang ein recht bayrischer Dialekt. „Ja Steine“ antwortet ich wahrheitsgemäß. Etwas irritiert blickten mich beide an. Eine derartige Antwort hatten wohl beide nicht erwartet. „Was finden Sie denn hier für Steine?“ hakte der Mann nach. „Fossilien“ gab ich einsilbig zurück. Nichts ist unangenehmer als neugierige Touristen. Besonders beim sammeln. Erwartungsvoll blickten mich beide an. „Findet man denn so was hier im Osten?“ reagierte die Frau. Etwas perplex antwortete ich „ja“. Als Beweis hielt ich beiden zwei Orthoceren (Geradhörner) unter die Nasen. Beide sahen sich die Fundstücke genau an. Es entspann sich ein kurzes Gespräch. Viel hatte ich noch nicht gefunden. So erzählte ich kurz was am Strand so zu finden ist und wo das Eis es hergeholt hatte. Schnell stellten die Beiden fest, daß der Strand doch mehr enthielt als sie in den vier Tagen die sie an der See waren, ahnten. Um zu verhindern daß das Gespräch abendfüllend wird, setzte ich demonstrativ meine Brille auf und nahm meine Hämmer in die Hand. Man verstand, verabschiedete sich höflich und ging. Zufrieden blickte ich den Strand entlang. Kein Mensch und keine Hunde. Letzteres ist besonders wichtig.
Etwa einhundert Meter weiter war ein Baum samt Wurzelteller das Kliff herunter gebrochen. Er teilte den Strand. Seine Krone hatte es bis zum Wasser geschafft, der Wurzelteller noch nicht. Erstaunlicher weise trug die Krone noch grüne Blätter. Die Regen der letzten Tage mochten noch genug Wasser geliefert haben, so das diese nicht vertrockneten. Ich beschloß dort Pause zu machen. Bis dahin würde ich noch etwa eine Stunde brauchen. Einige Kelloway-Gesteine verzögerten das. Im Jura hatte hier ein Flaches Meer existiert. Die Gesteine aus dieser Zeit enthalten viele Holzreste, die sich in Braunkohle verwandelt haben. Wenn man Glück hatte, konnte man Farnblätter darin finden. Ich hatte das Glück zwei Jahre zuvor gehabt. Heute war mir jedoch Fortuna nicht holt. Nur kleine Holzreste mit vielen winzigen Muschelsplittern blickten mir entgegen. Nichts verwertbares. Ein rostbrauner Haufen blieb zurück. Der nächste Sturm würde ihn sich holen.
Am Baum angekommen zwängte ich mich durch die Krone. Am Kliff hochklettern und an der anderen Seite wieder runter, mochte ich mit meiner Tasche nicht. Auf der anderen Seite warf ich die Hämmer runter, stellte die Tasche daneben und rückte eine Sandsteinplatte zurecht. Cola, Stullen und Schokolade waren schnell ausgepackt. Ein prüfender Blick bis zum nächsten Bogen, kein Mensch. Hinter dem Baum rührte sich kaum Wind. Etwas entfernt hatte sich Jemand die Mühe gemacht und quer zum Strand einen Wall aus Steinen errichtet. Sicher mehr als einen Meter hoch und faßt bis zum Wasser. „Ne Menge Arbeit“ stellte ich fest. Ich zog die Jacke aus und setzte mich drauf. Angenehm warm. Zum zweiten mal an diesem Tag wurde ich überrascht. Die beiden Schwäne hatte ich nicht gehört. Ihre Landung mochte im Rauschen der Wellen untergegangen sein. Vorsichtig tappten beide an Land. Was die wollten war sofort klar. Die Stullen. In den letzten Jahren waren immer Schwäne hier gewesen. Strandwanderer hinterließen ja meist etwas.
Beide postierten sich etwa zwei Meter entfernt. Ich griff nach meinen Stullen. Sie rückten näher. Ich öffnete die Alufolie. Der Größere rückte unbeirrt weiter vor. Entschlossen biß ich in die erste Stulle und erntete ein heftiges Fauchen. Betteln laß ich mir ja noch gefallen, aber Mundraub am Strand. „Na gut dann teilen wir, Du das Brot und ich die Wurst“ sagte ich laut. Es wurde geteilt. Vorsichtshalber warf ich die Brotstückchen ins Wasser. Beide begannen sofort mit dem Sammeln. Am Ende der Stullen angekommen, schifften beide sich wie erhofft ein und paddelten parallel zum Strand weiter. Cola und Schokolade mußte ich also nicht teilen.
Eine Weile beobachtete ich ihren Weg im Wasser. Als die Schokolade zur Hälfte alle, erreichten beide den Steinwall und bestiegen wieder vorsichtig den Strand. Nach einigem Zögern verschwanden beide dahinter. Im Flug mochten die da was freßbares gesehen haben.
Alufolie, Flasche und Schokolade wanderten in die Tasche. Den kleineren Hammer steckte ich ebenfalls ein. Die Grölle wurden ohnehin größer. Mit dem größeren Hammer machte ich mich langsam auf den Weg zum Steinwall. Der würde sicher Stoff zum Suchen geben. Es wurde frisch und ich schlug wieder die Kapuze über den Kopf.
Mit heftigen Flügelschlagen kamen beide Schwäne hinter dem Wall hervor und flüchteten hastig aufs Wasser. Sicher auch laut protestierend, doch das war bei den lauten Wellen nicht zu hören. Irgend etwas mußte sie erschreckt haben. Vielleicht ein Tier, jedoch der Strand schien nach wie vor leer.
Langsam arbeitete ich mich zum Steinwall vor. Unterwegs fand ich einige Brachiopoden (Armfüßer) aus der Oberkreide. Chatwinothyris diagnostizierte ich. Ähnelt den Muscheln ist jedoch nicht mit diesen nicht verwand. Der Kalksteinbrocken war recht groß und beschäftigte mich einige Zeit. Am Wall angekommen hatte die Tasche deutlich an Gewicht gewonnen.
Den Wall inspizierte ich eine Weile. Am Kliffende angekommen entschloß ich mich einen rostbraunen Sandstein herauszuziehen. Sah aus wie Turritellasandstein. Zahlreiche spitze Schneckengehäuse sahen aus dem rostbraunem Stein hervor. Der saß jedoch fest. Einige heftige Hammerschläge sollte den lösen. Plötzlich rührte sich etwas hinter dem Steinwall. Ich sah hoch und in ein erschrockenes Gesicht. Heftig schnappte das Gesicht nach Luft. Ich erstarrte. Die Zeit schien einen Augenblick stillzustehen. Langsam ließ ich den Arm mit dem Hammer herunter und das Gesicht wich einen Schritt zurück. Hinter dem Wall saß eine Frau. Völlig verdutzt richtete ich mich vollends auf, murmelte eine Entschuldigung und ging um den Wall herum. Fast wäre ich noch über meine eigenen Füße gefallen. Nun sah ich erst mal richtig hin. In ihrem blauen Bikini saß sie auf der einzigen sandigen Stelle des ganzen Strandes und hielt sich die Zehen von einem Fuß. Nach wie vor starrte sie mich an und ich konnte meinen Blick auch nicht abwenden. Mein Anblick mußte ja recht schrecklich wirken mit der Schutzbrille und der Kapuze. Dazu der erhobene Hammer. Einen Augenblick überlegte ich was ich sagen sollte, doch mir viel nichts ein. Ich ließ es und zog einfach weiter. Was sie nach dem Schreck sicher nicht brauchte, waren sinnlose Sprüche.
Ein Stück weiter sah ich zurück. Sie lag wieder hinter der Mauer und hatte sich eine Sonnenbrille aufgesetzt. Erst jetzt viel mir auf wie hübsch sie ist. Ihre langen Beine und ihr schlanker Körper bildeten einen guten Kontrast zum dunklen Hintergrund des Steinwalles. Dazu der blaue Bikini, der ihr zweifellos gut stand. Wo mochte sie hergekommen sein? An mir vorbeigekommen war sie nicht. Auf der anderen Seite des Strandes Steilküste soweit das Auge reichte. Ohne gute Kletterkünste kam man da nicht runter. Wieso hatte Sie sich die Zehen festgehalten? Fiel mir ein. Die Schwäne! Hatte einer der Schwäne am Zeh...? Nicht zu glauben. Sie mußte geschlafen haben. Unwillkürlich mußte ich heftig lachen. Verfressene Viecher.
Kurze Zeit später gab ich es auf. Jegliche Konzentration war weg. Nachmittag war es ohnehin. Die Vorstellung Schwan und Zeh; Und dann kommt noch einer mit erhobenen Hammer! Ich blickte zurück. Die Stelle hinter dem Steinwall war leer. Auch der übrige Strand, leer. Die Schwäne hatten sich aufs Meer hinaus getrollt. Langsam ging ich zum Steinwall zurück. Nichts. Nur der Abdruck ihres Körpers war noch einigermaßen im Sand zu erkennen.
Wo war sie so plötzlich hin? Das Kliff? Kein Gedanke. Am Strand entlang gerannt? Unsinn, voller Gerölle. Erstaunt trat ich ans Wasser. Wie leer ist der Strand ....


Den Beitrag habe ich bereits versuchsweise veröffentlicht. Nach Hinweisen und erheblicher Überarbeitung nun eine neue Version.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

das scheint mir eher ein tagebuch-eintrag zu sein als eine kurzgeschichte. auch hätte ich mir mehr vom fachwissen gewünscht. nicht jeder kennt sich bei fossilien aus. die meisten kennen doch nur donnerkeile. ganz lieb grüßt
 

velthurvik

Mitglied
Von Steinen ....

Hallo Flammarion,

Mit dem Fachwissen wollte ich es nicht übertreiben. Fossilien sind tatsächlich nicht jedermanns Sache. Der Beitrag wäre sonst etwas ausgeufert. Den Tagebucheintrag würde ich nicht so sehen. Mach mal einen Vorschlag zum Besseren.

velthurvik
 



 
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