Von Zuckerschlössern

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mavys

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Von Zuckerschlössern

Wer soll mein Richter sein? Wer mich anklagen außer mir selbst? Wer anders soll mir das Leben schwer machen außer Bernhard Wendel, der Eheberater aus Hamburg-Stellingen.
Jetzt, da ich hier über den naßglänzenden, rauhen, schwarzen Asphalt gehe und mir der Regen in den Nackenkragen rinnen lasse; Jetzt ist fast nur noch die Kälte schuld daran, daß ich bemerke: Ich lebe. Ein Arbeitstag mit „haben sie ihm das nicht gesagt?“, „sie müssen öfter darüber sprechen“, „warum haben sie ihr das nicht gesagt?“ ist gerade vorüber. Diese Arbeitstage sind mir längst zuwider, so wie mir Eleonore zuwider geworden ist. Ständig die höchst gleichen Probleme in denen sich nur solche Details wie Alter, Thema des Problems und Gesichtsformen unterscheiden. Wenn ich etwas aus diesem Job gelernt habe, dann, daß ein Freiticket in das perfekte Eheglück nicht existiert und daß das Thema eines Problems nicht gleich das Problem ist und auch, daß ich viele wahre Probleme finden kann (was ja mein Job ist) ohne die aus ihnen resultierenden Feindseligkeiten zu beseitigen. Eigentlich heiße ich Don Quixote und kämpfe gegen Windmühlen. Bernhard Wendel ist nur mein Künstlername. Eheberatung hat diese Schwermut, die auch der Kunst zu eigen ist. Glück oder Befriedigung habe ich nie aus meiner Kunst schöpfen können. Ich dachte mal ich hätte Befriedigung und Freude aus dieser Arbeit. Aber das war nur am Anfang und es stellte sich heraus, daß es nur die Freude an der Sicherheit (sicherer Schreibtisch, sicheres Geld, sichere Ehe) war, die ich empfand.
So begann ich eine Demontage meines Lebens, in dem sich alles anders herausstellte als ich es vorher angenommen hatte. Diese Demontage ist geduldig über mich hinweggekrochen. So langsam, daß ich sie gar nicht bemerkte. Ich sah nur wie ich ab und zu ein paar Werte fallen ließ, wie ich Stückchen von Freude gegen Stückchen von Resignation eintauschte. Es war als hätte ich seit endloser Zeit mir ein Schloß aus Zucker gebaut aus allen Träumen und Wünschen, die ich pflegte. Irgendwann, es muß wohl bei der Heirat mit Eleonore gewesen sein, begann ich auf mein Zuckerschloß zu spucken. Es zerfiel Stück für Stück. Am Schluß fiel auch Eleonore. Ein geschiedener Eheberater ist wie ein Virus, der in einer Arztpraxis Patienten empfängt. Ich hatte gedacht, daß ich Eleonore liebe. Und plötzlich, nach 15 Jahren Ehe, war keine Liebe mehr zu finden, so angestrengt ich auch suchte. Eleonore machte mich krank. Es muß ihr genauso gegangen sein, denn oft war sie so wütend, daß sie mit Dingen nach mir schmiss. Ich wußte, wenn sie töten würde, hätte ich gute Chancen wegen Notwehr freigesprochen zu werden.
Die Lage spitzte sich zu. Ich tötete sie nicht. Ich zerteilte, kochte und aß sie nicht und ich bin sehr stolz darauf. Nach 15 kinderlosen Jahren trennten sich Eleonore und Bernhard Wendel im gegenseitig zerknirschten Einvernehmen.
Im Nachhinein ist es der größte Schock meines Lebens, wie die Liebe auf die Eleonore und ich all die Jahre gebaut hatten sich in viele Häßlichkeiten verkämpfte. Ich redete mit ihr. Natürlich legte ich mich dar, öffnete mich ihr. Aber ich empfand nur Kälte in jedem Wort Eleonores, in jeder Umarmung, in jedem Kuß, widerlich. Als mir dies an einem Tag bewußt wurde, wußte ich schon, daß mein Zuckerschloß längst zerflossen und beerdigt war. Ich konnte nur noch den Grabstein begießen, mit Tränen. Tränen haben mir nie etwas anhaben können, genau wie Regen.
 



 
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