Von damals und heute

heli

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Fast 30 Jahre nach meiner Arbeit an der Erdgas-Trasse des DDR-Bauabschnitt sich noch immer als Trassenbauer zu fühlen, das passiert nicht mehr jeden Tag. Es hat so ein bisschen mit Eigenliebe zu tun, gepaart mit Senilität und dem Altersstarsinn. Das beziehe ich nun ausschließlich auf mich, wobei man auch freundlichere Worte finden könnte. Auf einer Bank vor einem Univermag (Kaufhaus) habe ich gesessen und den starken Geruch von Parfüm meines Banknachbarn tapfer ertragen. Ein alter Mann mit recht zerbeulten, abgewetzten Hosen, schadhaften Schuhen, weißes Hemd und relativ gut erhaltener Jacke, die über und über mit Medaillen, Orden, Rangabzeichen besäht war. Am 1. Mai ist das so Mode in der ehemaligen SU. Er genoss den Tag, den Sonnenschein und die Gelegenheit dieses Metall auf der Jacke zu haben. Von den vielen Leuten, die an uns vorbei hasteten, wurde er so gut wie gar nicht beachtet. Mich interessierte, was er da so an „Heldentaten" spazieren führte. Bin seiner Sprache einigermaßen mächtig und nutzte die Gelegenheit zum Gespräch. Umständlich erklärte er mir, dass er Berlin unbeschadet erreicht hatte, was vielen Kameraden nicht vergönnt war. Sein faltiges, aber glatt rasiertes Gesicht mit den listig funkelnden Augen hielt er mir leicht erhoben entgegen, sodass ich Mühe hatte, nach seinen Antworten, das Gespräch nicht abreißen zu lassen. Ganz offensichtlich hatte ihn seine „Alte" so ausstaffiert und er war in gehobener Stimmung. Ich überlegte, ob ich auch mal alle meine Orden, Abzeichen, vom Aktivisten bis zum Sportabzeichen anstecken würde und musste ganz automatisch grinsen. Meine Frau würde mich fragen, ob ich noch ganz gesund währe. Ich habe so was nie gemacht.
Mein Banknachbar fragte nach einer Zigarette, ich hatte keine, weil ich schon seit ewigen Zeiten das Rauchen aufgegeben habe. Ein zufällig Vorübergehender wurde auch gefragt und der gab ihm auch noch Feuer dazu. Nun war die Welt für ihn total in Ordnung. Er feixte über die modischen Eigenarten der Bekleidung junger Leute und ich bemerkte, wie er über allem stand. Krieg und das Wetter waren als Gesprächsstoff abgespult, nun war Politik an der Reihe. Da wir in einer Stadt im Kaukasus waren, einer früheren Kosakenstation, traten hin und wieder junge und ältere Männer im Kosakendress die Szene. Natürlich auch die Brust voller Ordensblech. Verdutzt fragte ich den Alten, wo die wohl her sind. Der grinste dann auch und meinte „gekauft". Heute kannst du alles kaufen. Vom Schießprügel bis zum Polizeichef. Er stand auf und wetterte los über das ganze Pack, die selber mit unsauberen Transaktionen viel Geld machen und er mit seinen paar Rubel Rente muss das billigste Odencolonge saufen, wenn er mal einen „scharfen Schluck" in den Hals bekommen will. Das wollte ich nicht glauben, aber so, wie er aus dem Hals roch, musste es wohl wahr sein. Meine Achtung und Sympathie für ihn hatte plötzlich einen gehörigen Riss bekommen. Ich hatte es auf einmal eilig wegzukommen. Ich fragte ihn, ob er es gestattet, dass ich mal „einen ausgebe" und als er mich ungläubig ansah, gab ich ihm die Hand zum Abschied, in der ich einen Zehner ($!) „rüber wachsen ließ". Eigenartiges Gefühl einem Befreier von Berlin ein „Almosen" zu geben. Weder erleichtert, eher traurig ging ich in Richtung meiner Unterkunft. Ich hatte auch keine gute Tat vollbracht. Beschämend, wie es bei den Befreiern aussieht. Auf dem Heimweg fiel mir das Gespräch ein, vor einigen Tagen, wo die Oma der befreundeten Familie uns stolz erzählt hatte, dass sie auf dem Alexanderplatz, nach dem Sieg, den vorwiegend militärischen Verkehr geregelt hatte. Die Freude war so groß, dass sie wohlmeinende Ratschläge ihrer Vorgesetzten in den Wind schlug und unbedingt, hoch schwanger, nach Hause wollte. Die Warnungen wegen der schlechten Versorgung prallten ab. Sie war eine „Siegerin" und ihr Stolz unermesslich. In der Heimat angekommen, war sie den örtlichen Behörden mit ihren lautstarken Ansprüchen suspekt. Ehe sie es sich versah, landete sie ohne Urteil in einem sibirischen Lager und musste ihr Kind inmitten hunderter Gefangener, in einem ehemaligen Schweinestall zur Welt bringen. Frauen hatten sie umringt und „gute Menschen" gaben ihr das eigene Stroh, damit sie nicht auf dem kalten Fußboden liegen musste. Sie hatte es ganz ruhig und präzise erzählt. Es geschah damals oft, dass Unschuldige solche Dinge erleiden mussten. Diese Geschichte war nur von ihr so nebenbei erwähnt, als wir kamen, uns ihre herrlichen Stickereien, Märchenmotive, Blumen und Wandteppiche anzusehen.
Verkaufen wollte sie ihre Arbeit nicht und berichtete mit Stolz, dass man vom Museum gekommen ist und sich die spektakulärsten Dinge raus gesucht hat. Heute ist sie schon lange tot, aber ihre Arbeiten kann man sich im Museum ansehen und ihre Geschichte werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Was sind da schon meine (paar Jahre) Trassenerlebnisse wert? Aber noch immer kommt das Gas durch „unsere Drushba Trasse“, - nur die DDR gibt es nicht mehr.
 



 
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