Vor dem Weltuntergang

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Mein Mitgefühl ist wirklich nicht geheuchelt. Wenn ich mir vorstelle, wie das alles weitergehen soll, tun sie mir ehrlich Leid.
Wieder einmal sitze ich, wie oft in den letzten Wochen bei meiner Lieblingsbeschäftigung vor meinem Lieblings-Eiscafé, trinke Eis-Schokolade und sehe Leuten zu, die auf Fußwegen zu beiden Straßenseiten vorbeihasten. Früher, als Annegret noch lebte, bin ich in den warmen Jahreszeiten oft mit ihr Eis essen gegangen.
Nur wenige ältere schlendern gemächlich vorbei und werden zu lästigen Hindernissen für die eiligeren Jungen.
Hin und wieder scheint ein eng umschlungenes Liebespaar jegliche Zeit zu vergessen und wird als Insel in der Brandung von schnellen und schnellstens Passanten umflossen .
Bald werde ich hier nicht mehr sitzen. Aber jene, die werden, ohne dass ich ihnen zusehe, immer noch Getriebene sein. Und die Liebenden, wenn sie sich nicht mehr aneinander klammern, werden auch zu den Gehetzten gehören.
Nicht einmal wegen ihrer Jugend kann ich sie beneiden.
Natürlich wäre ich gern ein paar Jahrzehnte jünger. Aber lieber in meiner eigenen Jugend, die inzwischen mehr als siebzig Jahre zurück liegt.
Vielleicht werden sie nicht einmal mehr auf die Straße gehen sondern ausschließlich von ihren Schreibtischstühlen oder ihren Betten aus mit handlichen Computern oder direkt per Hirnstrom in virtuellen Welten herumirren, um Heldentaten zu vollbringen oder von elektronischen Helden vollbringen zu lassen.
Vielleicht.
Vielleicht aber endet auch alles in einer riesigen Katastrophe. Einer automaren. Einer der Umwelt. Oder Vulkanausbrüche und Erdbeben, die in den letzten Jahren immer bedrohlichere Ausmaße annehmen, bringen das Ende.
Hoffentlich passiert das alles, wenn meine Asche längst in einer biologisch abbaubaren Urne neben einem Friedwaldbaum darauf wartet, sich endgültig aufzulösen.

Ja, ich habe Krebs. Darmkrebs. Hat schon gestreut. Streut immer noch.
Und ich versuche, meinem Schicksal dankbar dafür zu sein, dass ich bald daran sterben darf.
Nachdem mir mein Onkologe noch ein halbes Jahr Lebenszeit zugesagt hat, warte ich ab. Eine Operation will ich nicht. Und Chemotherapie schon gar nicht. Will den Krebs nicht besiegen. Man muss auch verlieren können. Vor allem, wenn es ohnehin zu spät ist.
Eigentlich trinke ich hier immer Eis-Kaffee. Doch den verträgt mein Magen schon länger nicht mehr.

Die Außentische des Cafés sind wieder einmal alle besetzt.
„Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“ Vor meinem Tisch steht ein junges Paar. Beide knapp über zwanzig. Sie, in modisch knall-engen Jeans, blickt mich freudig erwartungsvoll an. Er, in Hosen, die viel Unterhosen oberhalb des Gürtels zeigen, gibt sich eher gelangweilt, eben cool, wie man heute so sagt
„Ja, sehr gern. Kommen Sie.“ Ich schiebe der jungen Frau den Stuhl neben mir zu.
Lächelnd bedankt sie sich.
Wir drei schweigen uns lange an, auch noch nachdem die Kellnerin beiden einen großen Liebeseisbecher mit vielen Erdbeeren und zwei Löffeln und zwei Strohhalmen serviert hat.
Plötzlich lacht sie, knöpft ihre Bluse um einen Knopf weiter zu und sagt: „Komisch, dass Junge und Alte sich meistens fast nichts zu sagen haben.“
„Ach, ich hätte euch schon viel zu sagen. Bin aber ziemlich sicher, ihr wollt das gar nicht hören.“
Der junge Mann steht kurz auf, zieht die Hose hoch und legt seine Stirn in Denkerfalten. „Versuchs doch mal, Opa.“
Sie lächelt einen Moment lang nicht und sieht ihren Freund an. „Olli, nicht so!“
„Ach, lass ihn ruhig. Irgendwie tut ihr mir sowieso Leid. Nicht nur ihr. Alle, die noch so jung sind.“
Und danach zähle ich eigentlich gegen meinen Willen, alles das auf, was sie vor einem baldigen Weltuntergang noch auszuhalten haben.“
Die beiden hören mir aufmerksam zu und nicken nach jeder möglichen Katastrophe, die ich ihnen prophezeie.
Als mir nichts mehr einfällt, sehen die beiden sich einen Moment lang an. Dann fixiert sie mich mit ihren ungewöhnlich klaren dunkelbraunen Augen. „Ich heiße übrigens Babett. Jaja, v ieles davon könnte wirklich passieren. Aber, wissen Sie, ich habe mal gehört, dass alte Menschen gern allgemeine Katastrophen herbeireden, weil sie Angst haben, allein zu sterben.“
Unwillkürlich nicke ich. „Nein, Angst vorm Tod habe ich keine. Aber vorm Sterben, wie wir vermutlich alle.“ Ich zögere ein wenig. „ Außerdem habe ich Krebs und es wird nicht mehr lange dauern.“
Olli unterbricht das Eis-Essen und starrt in den halbleeren Liebesbecher.
Seine Freundin sieht mich weiter an. „Wie lange denn noch?“
„Knappes halbes Jahr.“
„Müssen Sie nicht ins Krankenhaus?“
„Ich will nicht. Und gegen Schmerzen kann ich auch zu Hause was nehmen.“
Olli blickt kurz auf, um anschließend erneut im Eisbecher herumzustochern.
Babett rückt mit ihrem Stuhl näher zu mir. „Sie leben doch bestimmt allein. Was halten Sie davon, wenn ich Sie in dem nächsten halben Jahr öfter einmal besuche.“
Olli greift nach ihrer Hand, die sie ihm vorsichtig entzieht. „Nein, nein, du musst nicht mitkommen. Ich mach das schon allein.“
Er winkt der Kellnerin, um zu zahlen.
Babett nickt. „Ja, wir müssen leider. Aber geben Sie mir doch ihre Telefonnummer.“ Entschlossen schiebt sie mir die Serviette zu, die unter dem Liebesbecher lag und lässt sich von Olli einen Kugelschreiber geben.
Ich zögere. „Aber, du hast doch bestimmt Besseres zu tun, als dich um nen alten todkranken Mann zu kümmern.“
Dann schreibe ich ihr eine falsche Nummer auf.
Sie reißt sich den Teil mit der Telefonnummer ab und notiert etwas auf der anderen Hälfte der Serviette. „Hier, meine Handy-Nummer, nur zur Sicherheit, falls deine nicht stimmen sollte. Man hat ja schon mal nen Zahlendreher drin.“
Olli und Babett stehen auf. Vorsichtig streichelt sie mir die Schulter. „Also dann. Wir treffen uns in jedem Fall noch vor dem Weltuntergang.“
 
U

USch

Gast
Hallo Karl,
so eine einfühlsame und hilfsbereite junge Frau in einem Café getroffen ist wohl eher ein Wunschtraum. Aber warum auch nicht Wunschträume vor dem Weltuntergang.
Kleine Fehler:
Nur wenige[red] Ä[/red]ltere schlendern gemächlich vorbei und werden zu lästigen Hindernissen für die eiligeren Jungen.
Hin und wieder scheint ein eng umschlungenes Liebespaar jegliche Zeit zu vergessen und wird als Insel in der Brandung von schnellen und schnellsten[strike][red]s[/red][/strike] Passanten umflosse[red]n.[/red]
LG USch
 
Mein Mitgefühl ist wirklich nicht geheuchelt. Wenn ich mir vorstelle, wie das alles weitergehen soll, tun sie mir ehrlich Leid.
Wieder einmal sitze ich, wie oft in den letzten Wochen bei meiner Lieblingsbeschäftigung vor meinem Lieblings-Eiscafé, trinke Eis-Schokolade und sehe Leuten zu, die auf Fußwegen zu beiden Straßenseiten vorbeihasten. Früher, als Annegret noch lebte, bin ich in den warmen Jahreszeiten oft mit ihr Eis essen gegangen.
Nur wenige Ältere schlendern gemächlich vorbei und werden zu lästigen Hindernissen für die eiligeren Jungen.
Hin und wieder scheint ein eng umschlungenes Liebespaar jegliche Zeit zu vergessen und wird als Insel in der Brandung von schnellen und schnellsten Passanten umflossen.
Bald werde ich hier nicht mehr sitzen. Aber jene, die werden, ohne dass ich ihnen zusehe, immer noch Getriebene sein. Und die Liebenden, wenn sie sich nicht mehr aneinander klammern, werden auch zu den Gehetzten gehören.
Nicht einmal wegen ihrer Jugend kann ich sie beneiden.
Natürlich wäre ich gern ein paar Jahrzehnte jünger. Aber lieber in meiner eigenen Jugend, die inzwischen mehr als siebzig Jahre zurück liegt.
Vielleicht werden sie nicht einmal mehr auf die Straße gehen sondern ausschließlich von ihren Schreibtischstühlen oder ihren Betten aus mit handlichen Computern oder direkt per Hirnstrom in virtuellen Welten herumirren, um Heldentaten zu vollbringen oder von elektronischen Helden vollbringen zu lassen.
Vielleicht.
Vielleicht aber endet auch alles in einer riesigen Katastrophe. Einer automaren. Einer der Umwelt. Oder Vulkanausbrüche und Erdbeben, die in den letzten Jahren immer bedrohlichere Ausmaße annehmen, bringen das Ende.
Hoffentlich passiert das alles, wenn meine Asche längst in einer biologisch abbaubaren Urne neben einem Friedwaldbaum darauf wartet, sich endgültig aufzulösen.

Ja, ich habe Krebs. Darmkrebs. Hat schon gestreut. Streut immer noch.
Und ich versuche, meinem Schicksal dankbar dafür zu sein, dass ich bald daran sterben darf.
Nachdem mir mein Onkologe noch ein halbes Jahr Lebenszeit zugesagt hat, warte ich ab. Eine Operation will ich nicht. Und Chemotherapie schon gar nicht. Will den Krebs nicht besiegen. Man muss auch verlieren können. Vor allem, wenn es ohnehin zu spät ist.
Eigentlich trinke ich hier immer Eis-Kaffee. Doch den verträgt mein Magen schon länger nicht mehr.

Die Außentische des Cafés sind wieder einmal alle besetzt.
„Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“ Vor meinem Tisch steht ein junges Paar. Beide knapp über zwanzig. Sie, in modisch knall-engen Jeans, blickt mich freudig erwartungsvoll an. Er, in Hosen, die viel Unterhosen oberhalb des Gürtels zeigen, gibt sich eher gelangweilt, eben cool, wie man heute so sagt
„Ja, sehr gern. Kommen Sie.“ Ich schiebe der jungen Frau den Stuhl neben mir zu.
Lächelnd bedankt sie sich.
Wir drei schweigen uns lange an, auch noch nachdem die Kellnerin beiden einen großen Liebeseisbecher mit vielen Erdbeeren und zwei Löffeln und zwei Strohhalmen serviert hat.
Plötzlich lacht sie, knöpft ihre Bluse um einen Knopf weiter zu und sagt: „Komisch, dass Junge und Alte sich meistens fast nichts zu sagen haben.“
„Ach, ich hätte euch schon viel zu sagen. Bin aber ziemlich sicher, ihr wollt das gar nicht hören.“
Der junge Mann steht kurz auf, zieht die Hose hoch und legt seine Stirn in Denkerfalten. „Versuchs doch mal, Opa.“
Sie lächelt einen Moment lang nicht und sieht ihren Freund an. „Olli, nicht so!“
„Ach, lass ihn ruhig. Irgendwie tut ihr mir sowieso Leid. Nicht nur ihr. Alle, die noch so jung sind.“
Und danach zähle ich eigentlich gegen meinen Willen, alles das auf, was sie vor einem baldigen Weltuntergang noch auszuhalten haben.“
Die beiden hören mir aufmerksam zu und nicken nach jeder möglichen Katastrophe, die ich ihnen prophezeie.
Als mir nichts mehr einfällt, sehen die beiden sich einen Moment lang an. Dann fixiert sie mich mit ihren ungewöhnlich klaren dunkelbraunen Augen. „Ich heiße übrigens Babett. Jaja, v ieles davon könnte wirklich passieren. Aber, wissen Sie, ich habe mal gehört, dass alte Menschen gern allgemeine Katastrophen herbeireden, weil sie Angst haben, allein zu sterben.“
Unwillkürlich nicke ich. „Nein, Angst vorm Tod habe ich keine. Aber vorm Sterben, wie wir vermutlich alle.“ Ich zögere ein wenig. „ Außerdem habe ich Krebs und es wird nicht mehr lange dauern.“
Olli unterbricht das Eis-Essen und starrt in den halbleeren Liebesbecher.
Seine Freundin sieht mich weiter an. „Wie lange denn noch?“
„Knappes halbes Jahr.“
„Müssen Sie nicht ins Krankenhaus?“
„Ich will nicht. Und gegen Schmerzen kann ich auch zu Hause was nehmen.“
Olli blickt kurz auf, um anschließend erneut im Eisbecher herumzustochern.
Babett rückt mit ihrem Stuhl näher zu mir. „Sie leben doch bestimmt allein. Was halten Sie davon, wenn ich Sie in dem nächsten halben Jahr öfter einmal besuche.“
Olli greift nach ihrer Hand, die sie ihm vorsichtig entzieht. „Nein, nein, du musst nicht mitkommen. Ich mach das schon allein.“
Er winkt der Kellnerin, um zu zahlen.
Babett nickt. „Ja, wir müssen leider. Aber geben Sie mir doch ihre Telefonnummer.“ Entschlossen schiebt sie mir die Serviette zu, die unter dem Liebesbecher lag und lässt sich von Olli einen Kugelschreiber geben.
Ich zögere. „Aber, du hast doch bestimmt Besseres zu tun, als dich um nen alten todkranken Mann zu kümmern.“
Dann schreibe ich ihr eine falsche Nummer auf.
Sie reißt sich den Teil mit der Telefonnummer ab und notiert etwas auf der anderen Hälfte der Serviette. „Hier, meine Handy-Nummer, nur zur Sicherheit, falls deine nicht stimmen sollte. Man hat ja schon mal nen Zahlendreher drin.“
Olli und Babett stehen auf. Vorsichtig streichelt sie mir die Schulter. „Also dann. Wir treffen uns in jedem Fall noch vor dem Weltuntergang.“
 



 
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