Vor dem rosaroten Wurmloch

Leovinus

Mitglied
Vor dem rosaroten Wurmloch
- Eine Trauerrede -

Das Dasein frei laufender Menschen – auch „glückliche Menschen“ oder Singles genannt – läuft üblicherweise in geordneten Bahnen. Morgens gehen sie ins Büro, mittags suchen sie die beste und billigste Verpflegungsstätte der Umgebung und abends treffen sie Freunde oder Freundinnen. Bei letzterer Gelegenheit jammern sie, dass die Angehörigen des jeweils anderen Geschlechts nie begreifen werden, dass man die Erfüllung all ihrer Träume bedeutet, und gehen zufrieden nach Hause in der Gewissheit, nicht allein zu sein. Diese Ordnung ist gottgewollt und gut.

Manchmal aber hat Gott einen echt schlechten Tag oder gerade etwas anderes zu tun oder ein karrieregeiler Engel macht die Urlaubsvertretung. Dann passiert das Schreckliche: Die Freundin, mit der du vergangene Woche noch einer Meinung warst, dass es zwischen Mann und Frau einfach nie komplett funktionieren kann und glückliche Beziehungen mit allen Zutaten ins Reich der Legende gehören, hat sich innerhalb von drei Tagen so unsterblich und unverschämt glücklich verliebt, dass das bloße Anschauen dich zu Heulkrämpfen treibt. Ihr Honigkuchenpferdgrinsen reicht von hier bis Honolulu. Diese Glücksstrahlen machen ein derart schönes Wetter, dass die Landwirtschaft Missernten befürchtet.

Das Mutterraumschiff der gemeinsamen Kommunikation ist in einem rosaroten Wurmloch verschwunden. Mit dieser Freundin kannst du nicht mehr in Ruhe frühstücken gehen, am Kollwitzplatz stundenlang über bedauernswerte Familien mit großkotzigen Söhnen gemeine Witze reißen oder abends den Chat aufrollen. Dieser grauenvolle Mensch hat ihr den Kopf dermaßen im Sturm verdreht, dass eine normale Unterhaltung auf der Basis gemeinsamen Unglücks einfach unmöglich geworden ist. Das allein wäre höchstwahrscheinlich nicht so unerträglich. Jedoch kann man mit diesem Riesen-Familien-Vorteilspack Glück ebenso kein anderes vernünftiges Gespräch führen. Ein Beispiel gefällig? „Also ich muss endlich mal was für meine Altersvorsorge tun.“ Ein stinknormaler, langweiliger Anfang, oder? Antwort: „Ja, darüber wollte ich gestern abend auch nachdenken, aber dann klingelte das Telefon und er hat sowas Süßes über mein Alter gesagt, das glaubst du nicht...“ - „Bedienung! Ein großes Küchenmesser bitte, schnell!“

Selbstverständlich gibt es Strategien, sich vor dieser Art psychischer Gewalt zu schützen. Die erste ist die passive Methode, welche die komplette Einstellung der Beziehung zu dieser Person beinhaltet. Man kann ihr zum letzten Mal die eigene Telefonnummer geben, mit der Bemerkung: „Falls es dir mal wieder schlecht geht...“ Dann gibt es die sanft-mitfühlend-hinterlistige Variante: „Ach, ich freu mich ja so für dich. Aber du solltest vorsichtig sein, schließlich hat sich bis jetzt noch jeder als *piep* entpuppt. Warum sollte der anders sein?“ Nach ein bis zwei Wochen kann man das weiter ausbauen: „Wirklich schön, dass ihr so glücklich seid. Da fällt mir ein, hat er dir eigentlich erzählt, dass ich ihn gestern im Park mit dieser großen Blonden getroffen hab, die er letzten Sommer abgeschleppt hat?“ Dauert das Glück lange genug, dass eine Hochzeit zu befürchten ist, (wies sie letzte Woche weit von sich: „Der Mann, den ich wollte, ist vergeben. Einen anderen heirate ich nicht.“) dann gibt es noch die Möglichkeit, seiner Telefonnummer habhaft zu werden und ihm die Zauberformel zu vermitteln: „Du, Rudi, tut mir wirklich leid. Eigentlich sollte sie es dir sagen, aber sie traut sich nicht. Sie mag dich wirklich gern, doch sie findet, ihr solltet einfach Freunde bleiben. Sie würde dir dies nie selbst sagen können, deshalb ist es wohl am besten, wenn du den ersten Schritt dazu gehst. Ja, es kommt etwas überraschend, aber es ist doch besser jetzt, als wenn es zu spät ist, oder? Also, du weißt, was zu tun ist.“

Manchmal klappt auch eine Geheimstrategie. Aber ich werde den Teufel tun, sie hier detailliert auszuführen. Nur soviel: Manchmal hat Gott etwas länger Urlaub. Sollte man das nicht für sich selbst ausnutzen?
 



 
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