Vor die Hunde...

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Silberstreif

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Neulich kam im Radio eine dieser unbedeutenden, kurzweiligen Reportagen, die hervorragend dafür geeignet sind, sich keine großen Gedanken darüber zu machen. So erging es mir auch, bis ich anfing, mir trotzdem Gedanken zu machen. Das Gesagte versetzte mich in Aufruhr. In dem Bericht hieß es, dass fast die Hälfte aller Stuttgarter Haushalte Singlehaushalte sind. Das verblüffte mich ungemein - auch glaube ich das kaum. Dennoch müssen es ziemlich viele sein. Die wesentliche Aussage war jedoch, dass sich die Tierheime der Umgebung über diesen Zustand ebenfalls ihre Gedanken gemacht haben und eine Aktion starten: sie wollen sogenannte Flirtdogs vermieten. Anscheinend kommen Gassi-Geher leichter miteinander in Kontakt, über den Hund als Kuppler sozusagen. Hört sich zunächst ganz einleuchtend an. Jedoch hat hier jemand nicht zu Ende gedacht, denn die Schwierigkeiten gehen ja schon los, sobald man dann überlegt, wo man Gassi - oder auf die Pirsch? - gehen soll. Stuttgart ist von sehr viel Grün umgeben und auch sonst sehr weitläufig in seiner Ausdehnung. Man muss den strategisch besten Ort finden - also den Stadtpark. Demnächst bevölkern also nach Feierabend und am Wochenende Heerscharen von Stuttgarter Singles, die von Hunden ganz und gar nichts verstehen, mit solchen an der Leine, den Park und sollen dann auch noch Ausschau nach dem passenden menschlichen Pendant halten, während die Hunde sämtliche Wege, Gebüsche und Wiesen vollkacken.
Die Hunde haben freilich von der, an sie gerichteten, Erwartung keine Ahnung. Sie finden es toll, ihrem Zwinger entkommen zu sein und schnüffeln jedem anderen Hund, dem sie begegnen, am Hintern rum, oder bellen sich die Lunge aus dem Hals. Ob bei so viel “ich muss erst mal an der Leine zerren” hier dann auch zwischenmenschliches zum Tragen kommen kann? Die hinterlassenen urinösen Duftmarken werden das neue olfaktorische Erlebnis des Stadtparks sein.
Weder gibt es eine Garantie dafür, dass die Menschen, die durch die Hunde zusammengeführt wurden, in der richtigen geschlechtlichen und altersmäßigen Konstellation sind, noch - und das ist der wesentlich unwahrscheinlichere Punkt - dass sich die Menschen dann auch noch auf Anhieb sympathisch finden und einen längerfristigen Kontakt miteinander wünschen. Worüber soll man denn auch sprechen? Das Objekt Hund bietet sich zwar an, jedoch wer würde dann zugeben, dass er den Hund gerade mal eine Stunde kennt, ihn als Flirtdog missbraucht und baldmöglichst wieder im Tierheim abzugeben gedenkt? Sollte dieser absolut unwahrscheinliche Fall doch mal eintreten und es finden sich zwei “Hundeliebhaber”, die auch auf der menschlichen Ebene harmonieren, was wird dann aus dem Hund? Den kann man dann schließlich nicht wieder abschieben, nachdem er so effektive Arbeit geleistet hat. Das wäre herzlos und gemein. Schließlich ist auch nicht davon auszugehen, dass beide auf Flirtdogs zurückgegriffen haben, denn es soll ja tatsächlich auch wirkliche Hundebesitzer geben.
Man sagt, es ließe sich vom Hund auf den Charakter des Besitzers schließen. Wenn der Hund also nur ein ausgeliehenes Mittel zum Zweck ist, basiert doch jede zukünftige Beziehung von vornherein nur auf einer großen Täuschung. Daraus kann ja also gar nichts werden.
Es könnte sich bei dieser ganzen Aktion also letztlich doch nur um einen großen “wie-werden-wir-die-ausgesetzten-Urlaubshunde-wieder-los” Bluff der Tierheime handeln. Clever - denn sicher fallen die einen oder anderen sexuell frustrierten Singles darauf rein, die sonst schon alles erfolglos ausprobiert haben.
Man sollte sich allerdings auch mal anschauen, welche Art von Hunden so ein Tierheim bevölkern. Allesamt neurotisch natürlich, durch eine schlimme Kindheit - äh, Welpenzeit - und wiederholtes Urlaubs-Abgeschobensein; und die Langzeitinsassen sind sicher bereits psychotisch oder gar schizophren? Die Hundepsyche ist auch ein nur zartes Wesen.
Seit der Verschärfung der Kampfhundeverordnung, tummeln sich hier aggressiv sabbernde Mastinos, neben, auf den Geschmack von Menschenblut gekommenen, Bullterriern und “der tut doch keinem was” (was aber keiner glaubt) - Pitbulls. Kinder kann heutzutage jeder bekommen, aber nicht jeder kann einen bestimmten Hund führen. Blütenweißes polizeiliches Führungszeugnis, Verhaltensprüfungen und Erziehungskompetenzen sind nachzuweisen. Außerdem horrende Steuern zu zahlen. Nicht jedermanns Hundeliebe geht so weit.
In gebührendem Abstand, zu den auf scharf dressierten vierbeinigen Waffen, befinden sich die abgeschobenen Ex-Modehunde: die doofen Dalmatiner, denen niemand das Fell für einen Pelzmantel über die Ohren gezogen hat, die mittlerweile nicht mehr lächelnden West-Highland-Terrier, die hier sind seit die Caesar Werbung nicht mehr läuft, und altersschwache, räudige Collies, die heutzutage von keinem Kind mehr als Lassie erkannt werden würden, weil sich Lassie auf DVD niemand anschaut. Auch kläffen hier haufenweise Dackel und Pudel - denn wer mag noch, seit Hausmeister Krause und den superpeinlichen Jakob-Sisters, einen Dackel oder einen Pudel besitzen? Nur die Handtaschenhunde sind seit der Mooshammertragödie alle weg. Kurzfristig, denke ich. Schäferhunde sind auch ausreichend im Angebot, seit Kommissar Rex nicht mehr gesendet wird und Schäferhunde als überzüchtet, gichtbeinig und genetisch völlig verkommen geoutet wurden. Lauter vom Menschen verdorbene Kreaturen, die jetzt ausgerechnet diesem zu seinem Glück verhelfen sollen.
Der Politik dürfte dieses Modell auch nicht gefallen. Schließlich würde zwar im besten Fall aus eins gleich vier, zwei Singlehaushalte weniger, jedoch ausreichend mit Verantwortung für die Hunde ausgestattet. Kinder sind in dieser Konstellation unwahrscheinlich. Keine neuen potentiellen Steuerzahler, Wähler und Rententräger, nur viel mehr Hundescheiße auf den Straßen, die vorher das Problem des Tierheims war.
Das statistische Bundesamt wird also weiterhin die seriöse Presse mit den ernüchternden Fakten konfrontieren, die da lauten: “Kollabierung der traditionellen Familienmodelle”. So was kommt nicht im “wir-spielen-nur-die-coolsten-Hits”-Radio. Das ist schließlich auch nicht so leicht durch Saure-Gurkenzeit-Aktionen zu lösen, wenn bald jede 2. Ehe scheitert, und die Kinderproduktion durchschnittlich bei mittlerweile 1,2 Kindern angekommen ist. Man stelle sich das mal bildlich vor: 1,2 Kinder! Das traditionelle Familienmodell, welches gerade - oder schon länger - am kollabieren ist, sieht eine lebenslange Ehe mit 2-4 Kindern vor. Heutzutage findet man offensichtlich nicht einmal mehr jemanden zum heiraten. Geschweige denn lebenslang. Und das bei den vielen Single-Haushalten. Wo gucken die Leute denn eigentlich die ganze Zeit hin? Vielleicht sollten sie mal eine Namensliste mit Adressen, Altersangaben und Vorzügen im Radio veröffentlichen. Da kann man sich den Umweg übers Tierheim sparen. Aber das geht ja nicht, denn der Datenschutz ist noch nicht kollabiert.
Die meisten Singles sind ja durchaus willig und einer ernsthaften Beziehung nicht abgeneigt. Trotz des heimlichen Fortbestehens des Popp-and-go-Verhältnisse Trends. Heimlich, weil laut BILDZeitungs In and Out Liste total out!
Die Zeiten sind kompliziert geworden. Heutzutage reicht es nicht mehr, jemanden sympathisch oder toll zu finden, ihn zu heiraten, wenn die Eltern ihn auch toll und sympathisch finden, um sich dann den Rest seines Lebens an dessen Seite zu fragen, was es wohl gewesen war, was man mal so toll gefunden hatte. Ist ja auch totaler Quatsch. Kompetenzen sind gefragt: Know-how, Teamfähigkeit, Schlüsselqualifikationen, Flexibilität, Kritik- und Kommunikationsfähigkeit, Loyalität, etc. So was macht Beziehungsfähigkeit aus. Gutes Aussehen ist kein Nachweis für irgendwelche kognitiven oder emotionalen Fähigkeiten, auch wenn diesem Irrtum noch unendlich viele anhänglich sind. Das ästhetische Führen eines Hundes an der Leine erstrecht nicht. Und so komme ich wieder zu den Hunden zurück. Sie merken, ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht... Auch folgende: nehmen wir an, der Idealfall ist tatsächlich eingetreten. Zwei haben sich gefunden, nicht nur die Hunde wurden gegenseitig ins Herz geschlossen, gewisse Kompetenzen haben sich aufgrund vieler gemeinsam ausgefüllter Psychotests aus Frauenzeitschriften gezeigt und es wird beschlossen zusammen zu ziehen. Die größere Wohnung wird dazu auserkoren, ein Kombi reicht um die paar Habseligkeiten zu transportieren, die noch nicht doppelt vorhanden waren und alles ist wunderbar. Nur leider hat der, bislang hier allein mit Besitzerchen lebende, Hund plötzlich einen Revierverteidigungskomplex. Er verteidigt seinen angestammten Platz im Bett vehement zähnefletschend, neidet Futternapf und Zärtlichkeiten, entwickelt aggressive Tendenzen und beißt schließlich zu. Der Hundepsychologe ist ratlos, die Situation wird zu-nehmend stressiger, der Hund muss schweren Herzens ins Tierheim gebracht werden. Nun scheint ja wieder alles wunderbar, man kann sich ungestört der Beziehungsarbeit widmen. Jedoch hat das neue, rein menschliche, Verhältnis das frühere Mensch-Hund-Verhältnis zerstört, welches wirklich, WIRKLICH gut war. Man macht sich Vorwürfe, entwickelt Schuldkomplexe, fühlt sich mies, mies, mies und kriegt jedesmal einen Weinkrampf, wenn man die Leine an der Garderobe baumeln sieht. Der Mensch wird depressiv, die Beziehung kollabiert schlußendlich und das Paar trennt sich genervt, denn wer ist des Menschen bester Freund? Hmmm? Kein anderer, widersprechender Mensch, jedenfalls.
Wo kriegt man jetzt wieder so eine schnuckelige Wohnung her, wo doch die Singles aus dem Boden schießen wie Pilze? Leider kann auch der Hund, der nun als bissig eingestuft ist, nicht mehr problemlos wieder abgeholt werden, Psychosen entwickeln sich, Mensch und Hund sind beziehungsgestört und alles ist vor die Hunde gegangen.
DAS sollte mal jemand denen im Radio vor Augen führen, bevor sie derartige menschliche und tierische Dramen anzetteln.
Übrigens, sagte ich schon, dass ich auch mal einen Hund hatte? Er hieß “Treff”.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

wenn das ganze etwas stärker geglidert wäre, würde es sich besser lesen. ansonsten - nette idee.
lg
 



 
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