Wahr gesagt

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Raniero

Textablader
Wahr gesagt

Bruno Mollmüller und seine Frau Adele hatten endgültig die Nase voll, voneinander. Gut dreißig Ehejahre hatten sie auf dem Buckel; Zeiten, die nicht nur von reiner Harmonie geprägt, aber bis auf die letzten Jahre doch recht zufriedenstellend verlaufen waren. In dieser letzten Zeit aber war eine grundlegende Veränderung in ihrem Zusammenleben eingetreten.
Angefangen hatte es damit, dass Bruno ein Auge auf eine Jüngere warf und mit dieser hinter Adeles Rücken ein Verhältnis begann. Obwohl Bruno ein wenig von Gewissensbissen heimgesucht wurde – er liebte seine Frau immer noch, so viele Ehejahre schmeißt man nicht einfach weg – war die Welt zwischen beiden, solange Adele nichts wusste, noch halbwegs in Ordnung. Dann aber, als eines Tages alles durch einen Zufall offenkundig wurde, begannen düstere Zeiten. Zuerst wollte Adele sich auf der Stelle von ihrem Mann trennen, doch dann gewann die Vernunft, wenn man so will, oder war es vielleicht auch die Scham, die Oberhand. Was würden ihre erwachsenen Kinder davon halten, denen die Mutter immer als Beispiel für eine intakte Ehe galt? Wovon sollte sie auf der anderen Seite in vernünftiger Form ihren Lebensunterhalt bestreiten, in ihrem Alter würde sie bestimmt keine Stelle mehr bekommen?
Bruno selbst war auch nicht an Scheidung gelegen, denn trotz seines Seitensprungs liebte er ja Adele noch. So zog es ihn zwar für einen gewissen Zeitraum hinaus aus der häuslichen Gemeinschaft, in die Arme der Anderen, doch diese Zeitspanne dauerte gar nicht so lange an, denn bald schon hatte die Jüngere, die sich das anders vorgestellt hatte, ihrerseits die Nase voll von Bruno.
Man kann sich vorstellen, dass er nicht mit offenen Armen empfangen wurde, von seiner ehemaligen besseren Hälfte, das genaue Gegenteil war der Fall; sie teilten sich zwar wieder die Wohnung, doch nicht mehr den Tisch und vor allem nicht mehr das Bett.
Von nun an bestimmten zwei entgegen gesetzte Zustände den Tagesablauf von Bruno und Adele; auf stundenlangen Streit folgte tagelanges Schweigen, welches wiederum von Phasen voller Streitereien und Nickeligkeiten abgelöst wurden.
So kann es nicht weitergehen, waren beide sich eines Tages, nach einem besonders heftigen Streit, einmal ausnahmsweise in einem Punkt einig und beschlossen die sofortige Trennung.
In einem sachlichen Gespräch, zu dem sie sich trotz alledem noch zusammenfanden, versuchten sie, so gut das ging, hierfür die Modalitäten festzulegen, als Adele plötzlich innehielt und Bruno mit großen Augen anblickte.
„Schatz, bevor wir weiter darangehen, alles für die Trennung bis Kleinste zu regeln, sollen wir da nicht vielleicht noch etwas anderes versuchen?“
Bruno traute seinen Ohren nicht. Eine derartige Anrede hatte sein Weib schon seit ewiger Zeit nicht mehr gebraucht. Da war doch was im Busch, sagte er sich, wollte sie etwa mehr Geld herausschlagen?
„Was meinst du damit, etwas anderes versuchen?“ fragte er misstrauisch, „meinst du etwa, einen neuen Versöhnungsversuch? Da mache ich nicht mit!“
„Nein, nein Bruno, das nicht, ich meine etwas ganz anderes. Ich meine, bevor wir hier sitzen und all unser gemeinsames Hab und Gut auseinanderdividieren, all das, was wir uns im Laufe unserer Ehe angeschafft haben, das sind doch Werte, ich meine, finanzielle Werte, die auch dabei kaputtgehen, und dann noch die Anwalts -und Gerichtskosten für die Scheidung. Denk doch mal an die Kinder!“
„Mir brauchst du das nicht zu sagen, Adele“, brauste Bruno auf, „zum Trennen gehören immer zwei.“
„Das weiß ich ja, Bruno, deshalb schlage ich ja vor, etwas anderes machen, etwas ganz anderes, kurz und gut, einen Blick in die Zukunft zu werfen.“
„Wie bitte? Ich verstehe dich nicht.“
„Na, ja, ich habe von Bekannten gehört, die in der gleichen Situation waren, wie wir heute; alles hatten sie schon eingestielt, wie man sagt, die Anwälte schon beauftragt, für die Scheidung, da kam der Frau plötzlich der Gedanke, zu einer Wahrsagerin zu gehen, und was glaubst du, Bruno, hat die Wahrsagerin ihr gesagt?“
Bruno wusste es nicht.
„Stell dir vor, sie hat zu ihr gesagt, dass sie über kurz oder lang wieder mit ihrem Mann zusammenkomme, trotz der schweren Zeit, die beide damals durchmachten.“
Bruno kratzte sich am Kopf.
„Das hat sie gesagt? Und wie hat die Frau auf diese Prognose reagiert?“
„Nach Hause gerannt ist sie, so schnell sie konnte, und sofort hat sie ihrem Mann davon berichtet, doch der Trottel hat ihr keinen Glauben geschenkt und auf der Scheidung bestanden.“
„Er hat auf der Scheidung bestanden?“
„Ja, Bruno, solch ein Trottel, denn das Schärfste ist, knapp ein Jahr nach der Scheidung sind die beiden wieder zusammengekrochen, und sie leben noch immer zusammen, die Beiden. Dieser Mann weint heut noch, wenn er an die Kosten denkt, die er, was sage ich, die beide hätten sparen können. Schatz, Bruno, lass uns den Schritt wagen.“
„Welchen Schritt?“
„Na, lass uns zusammen in die Zukunft schauen!“
Im Hinblick auf die Kosten, die eingespart werden konnten, willigte Bruno ein. Außerdem wollte er in der Tat nicht als der Trottel dastehen, der sich sein Leben lang Vorwürfe machen müsste, weil er sich einer Wahrsagerin verweigert hätte. Adele umarmte ihn, auch das war das erste Mal seit geraumer Zeit, dass sie so etwas tat; ihr Versuch jedoch, ihren Nochehemann in das ehemals gemeinsame Nachtlager, das sie seit längerem allein in Beschlag hatte – er schlief stattdessen auf der Couch – zu locken, schlug fehl.
„Warten wir erst mal ab, was die Alte mit der Kugel sagt.“ beschied er knapp.

Die Alte mit der Kugel war noch gar nicht so alt, knapp dreißig Jahre, und sie hatte gar keine Kugel und las die Zukunft auch nicht aus den Händen, sondern aus anderen Körperteilen ihrer Klienten, und zwar aus deren Pobacken. Als Madame Rana, so hieß die Gute, dieses Bruno und Adele mitteilte und sie beide aufforderte, nachdem diese ihr ausführlich den Grund ihres Besuchesgeschildert hatten, ihre Hinterteile gemeinsam freizumachen, rief Bruno erbost:
„Das ist doch wohl was für’n Arsch!“ womit er im gewissen Sinn nicht Unrecht hatte; gleichwohl beugte er sich wie auch Adele nach einigem Zögern dem doch recht ungewöhnlichen Verfahren, einen Blick in die Zukunft zu werfen.
„Das ist eine ganz neue Methode“, klärte Madame ihre neuen Kunden auf, „direkt aus Kirgistan, dem neuen, unumstrittenen Zentrum für Zukunftsforschung und Wahrsagerei; ich habe dort zwanzig Semester Verumdiktum, so nennt sich dieses Fach, studiert. Glauben Sie mir, mit dieser Methode sind unglaubliche Erfolge erzielt worden, bis auf den heutigen Tag, und die Erfolge dauern an.“
Trotz ihrer Eheprobleme mussten Adele und Bruno lächeln, darüber, dass es Leute gab, die zwanzig Semester lang studierten, um Anderen die Zukunft vom Hinterteil abzulesen.
‚Nun, ja,’ dachten sie unisono, ‚wenn’s der Wahrheitsfindung resp. der Zukunftsfindung dient, warum nicht.’
Nachdem Madame Rana ausgiebig die beiden Hinterteile geprüft hatte, forderte sie das Ehepaar auf, wieder Platz zu nehmen. Das taten die beiden gern, denn sie konnten fast nicht mehr, vom langen Stehen.
Sodann eröffnete die Wahrsagerin ihnen ihre Zukunftsperspektiven.
„Also, meine Herrschaften, die Strukturen wie auch der Verlauf Ihrer beider Gesäßlinien sagen mir eindeutig, dass Sie eine schwere Zeit durchmachen.“
‚Das weiß ich selbst, du dumme Kuh, dazu brauchst du mir nicht stundenlang auf den Hintern zu gucken“, dachte Bruno empört und wollte schon aufbegehren, beherrschte sich aber.
„Auf der anderen Seite aber, liebe Frau Mollmüller, lieber Herr Mollmüller, habe ich eine erstaunliche Feststellung treffen können. Es gibt trotz der vielen Übereinstimmungen in Ihrer beider Gesamtstrukturen einige nuancierte Abweichungen, ich betone, nuancierte Abweichungen, allerdings positiver Art. Das, meine Herrschaften bedeutet nichts anderes, als dass in naher Zukunft schon eine Veränderung der Situation in Ihrer beider Leben eintreten wird, eine Veränderung zum Positiven, mit anderen Worten, es geht wieder aufwärts.“
Adele und Bruno atmeten hörbar auf; endlich war es da, das lang erwartete Signal, das Licht am Ende des Tunnels.
„Allerdings“, fuhr die Wahrsagerin fort, „gibt es hierbei eine kleine Einschränkung. Ihre beiden Hauptlinien verlaufen nicht exakt gleich, aber Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen, gleichwohl es geht aufwärts, für Sie beide, nur…“
„Nur?“ fragten Adele und Bruno gleichzeitig, etwas beunruhigt.
„Nun, ja, der Verlauf der Besserung der derzeitigen Situation nimmt nicht den exakt gleichen Weg bei Ihnen Beiden“.
„Was heißt das genau?“ wollte Adele wissen.
„Das heißt nichts anderes, als dass der Weg in eine bessere Zukunft von Ihnen beiden zwar zusammen beschritten, jedoch von jedem individuell gemeistert wird. Das ist aber kein Grund zur Unruhe, sondern ein durchaus normaler Vorgang. Schließlich sind wir ja alle Individuen, die sich untereinander unterscheiden, nicht wahr?“
„Was meinen Sie mit individuell gemeistert?“
„Na, ja, ein jeder von uns hat an einem Problem, welcher Art es auch sein mag, anders zu knacken, um es mal salopp zu formulieren. Hierbei ist es natürlich von Vorteil, wenn man, wie in Ihrem Fall, dieses Problem gemeinsam zu lösen versucht. Nichtsdestoweniger sind die inneren Empfindungen bei dieser Problemlösung bei jedem Menschen verschieden und weichen von einander ab, je nachdem, wie der Mensch gestrickt ist, um noch einmal eine saloppe Formulierung zu gebrauchen. Wichtig für Sie beide jedoch ist in erster Linie das gemeinsame Ziel, das Sie sich gesetzt haben, auch wenn der Weg dahin vielleicht nicht punktgenau gleich verläuft.“
„Das heißt, wir können hoffen, Madame Rana?“ fragte Bruno atemlos.
„Natürlich, Herr Mollmüller, nicht nur das. Blicken Sie voll Zuversicht in Ihre Zukunft, Sie alle beide. Ich beglückwünsche Sie dazu! An wen darf ich die Rechnung schicken, an Sie beide?“

Voll Zuversicht machten sie sich auf den Heimweg, Adele und Bruno Mollmüller. Zu Haus angekommen, suchten sie unverzüglich das eheliche Schlafgemach auf, welches Bruno solange vorenthalten geblieben war, und setzten zu einer Maßnahme an, auf die beide gleichermaßen lange verzichtet hatten.

Als Bruno gut drei Wochen später vom Dienst nach Hause kam, fand er gleich zwei unliebsame Überraschungen vor, in schriftlicher Form.
Die erste war die Rechnung von Madame Rana über einen vierstelligen Eurobetrag. Die zweite traf ihn jedoch ungleich härter; eine handgeschriebene Notiz seiner Adele, die ihm mitteilte, dass sie sozusagen über Nacht einen anderen gefunden habe und mit diesem auf dem Weg in den Süden, in eine bessere Zukunft sei; es täte ihr sehr leid, aber er solle nicht auf sie warten.
Spontan fiel Bruno eine Bemerkung der Wahrsagerin ein:
„Der Verlauf der Besserung der Situation nimmt nicht exakt den gleichen Weg bei Ihnen Beiden“
‚Exakt den gleichen Weg ist gut’ , dachte Bruno grimmig, „das ist doch wirklich alles was für’n Arsch!“
 



 
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